Lars Koch: Jubelräume, Verfolgungsangst, Verdacht – Affektpolitiken des Renegaten

Abstract: This article understands George Orwell’s 1984, Eugen Ruge’s Metropol, and Ralf Rothmann’s Hotel der Schlaflosen as literary investigations of the emotional complexes of the renegade in the context of Stalinism. All three texts, it is argued, bring into focus different aspects of an affect space constituted by a crisis in the epistemology of enmity and a resulting hermeneutics of suspicion. While Orwell is primarily concerned with the mass psychological effects of hate, Ruge is interested in the ubiquity of fear among those who must fear being declared renegades. Rothmann’s short story, in contrast, portrays the subjectivity of an executioner who is capable of mass murder because he operates with absolute moral indifference.

Keywords: renegade; fear; hate; paranoia; moral indifference

Befragt man die jüngere Literaturgeschichte auf der Suche nach paradigmatischen Affektszenen des Renegaten, so kommt man an George Orwells Dystopie 1984 nicht vorbei. Orwells Roman, geschrieben in den späten 1940er Jahren und 1949 in London erschienen, erzählt von einem totalitären Überwachungsstaat, der alles daransetzt, seine Bürger*innen – die unterprivilegierten »Proles«, die einfachen Funktionsträger*innen der »äußeren Partei« und die eigentliche Machtelite der »inneren Partei« – möglichst friktionslos in den eigenen Herrschaftszusammenhang zu integrieren. Während an den äußeren Grenzen von »Ozeanien«, einem Staatsgebilde, zu dem neben dem ehemaligen englischen Königreich auch Nord- und Südamerika gehören, Krieg herrscht, fahndet im Inneren die »Gedankenpolizei« nach möglichen Abweichler*innen. Wer ins Fadenkreuz gerät, wird »vaporisiert«.1 Entsprechende Delinquent*innen werden nicht nur in den Kellern des »Ministeriums für Liebe« gefoltert und zu Tode gebracht, auch werden sie symbolisch ausgelöscht. Jede Spur ihrer Existenz, jede Aktennotiz und jeder Zeitungsartikel, der ihre Namen erwähnt, wird ausfindig gemacht und umgeschrieben. Genau diese Form einer selektiven damnatio memoriae ist die Tätigkeit, mit der der Protagonist des Romans, Winston Smith, betraut ist.2

Orwells Dystopie, die wiederholt als eine Allegorie auf die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts gelesen wurde, bietet in der Tat mit Emmanuel Goldstein eine Figur des Renegaten, dem als perfiden Verräter eine wichtige Rolle im Affekt-Theater der souveränen Macht Ozeaniens zukommt. Sie nutzt das von Goldstein verkörperte Phantasma eines Abtrünnigen, der als klandestiner Feind zusammen mit der von ihm geführten »Bruderschaft« angeblich die Existenz der staatlichen Ordnung in Frage stellt.

Mit der Figur Goldstein, in der man unschwer einen literarischen Doppelgänger von Lew Dawidowitsch Bronstein, genannt Leo Trotzki, erkennen kann, reflektiert Orwells Roman die politische Funktion eines inneren Feindes, dessen imaginierte Präsenz dazu dienlich ist, frenetische Zustimmung immer wieder aufs Neue herzustellen. Dies geschieht u.a. im täglich wiederkehrenden Ritual des »2-Minuten-Hasses«, an dem alle Mitarbeiter*innen des »Ministeriums für Wahrheit«, unter ihnen auch Winston Smith, in einem eigens dafür präparierten Raum teilnehmen müssen. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen haben, kommt mit einem »gräßlich knirschende‍[n] Kreischen« Leben in einen großen »Teleschirm«1, der am Ende des Raumes aufgestellt ist. Wie jeden Morgen erscheint das Gesicht von Emmanuel Goldstein, »dem Feind des Volkes«3:

Das Programm des Zwei-Minuten-Hass sah jeden Tag anders aus, aber es gab keines, in dem Goldstein nicht die Hauptfigur gewesen wäre. Er war der Urverräter, der erste, der die Reinheit der Partei besudelt hatte. Alle nachfolgenden gegen die Partei gerichteten Verbrechen, alle Verrätereien, Sabotageakte, Häresien und Abweichungen von der Parteilinie entsprangen unmittelbar seinen Lehren. Irgendwo lebte er noch und plante weitere Konspirationen, irgendwo jenseits des Meeres vielleicht, unter der Protektion seiner finanzkräftigen ausländischen Hintermänner, vielleicht gar – wie zuweilen das Gerücht ging – in einem Unterschlupf in Ozeanien selbst.4

Emmanuel Goldstein wird in der ubiquitären Staatspropaganda präsentiert als ein absoluter Feind im Sinne Carl Schmitts.5 Er ist die radikale Negation der Ordnung, die Chiffre seines Namens steht in der Ideologie der herrschenden »Sozialistischen Partei Englands« für ein behauptetes Telos von Chaos und Vernichtung, welches das politische Imaginäre der Bevölkerung möglichst umfassend synchronisieren soll. Ob Goldstein wirklich existiert, ob er noch am Leben ist und wo er sich gegebenenfalls aufhält, ist in der anvisierten Mobilisierung totaler Zustimmung nicht von vordringlichem Interesse. Mehr noch: Die Frage seiner Existenz muss unbeantwortet bleiben, nur so taugt er über die Jahre hinweg als Zielobjekt einer Politik der Affekte, die die Kommunikation von Hass und Angst als Machttechniken einsetzt.

Im Folgenden soll von dieser Beobachtung ausgehend, in exemplarischen Lektüren von drei fiktionalen Texte unterschiedlichen Aspekten der Affektpolitik des Renegaten nachgegangen werden. Die spezifischen Möglichkeiten der Literatur, vor allem ihre Fähigkeit zu unterschiedlichen Fokalisierungen und ihr konstitutives know how im Einsatz von rhetorisch-performativen Strategien der Illusionsbildung, erlauben es, den Gefühlskomplex der Renegation in seinem Changieren zwischen einer krisenhaften Epistemologie der Feindschaft, einer irrlichternden Hermeneutik des Verdachts und Praktiken einer illusionären Vereindeutigung genauer zu beobachten.6 Zunächst wird daher genauer darzustellen sein, wie sich in 1984 die Figur des Renegaten als Ressource und Bezugspunkt einer Politik des Hasses differenzierter bestimmen lässt. In einem zweiten Schritt verschiebt sich der Fokus auf die Dimension der Angst, die anhand von Eugen Ruges Roman Metropol (2019) als atmosphärisches Milieu der Sozialfigur des Renegaten rekonstruiert werden soll. Ruges Roman, der vom Schicksal mehrerer deutscher KOMINTERN-Mitglieder in der Zeit der ›Großen Säuberungen‹ im stalinistischen Moskau erzählt, entwirft das Psychogramm einer totalitären Misstrauenskultur, in der jederzeit mit der Verdächtigung zu rechnen ist, die Partei verraten zu haben. Während Orwell trotz zahlreicher faktualer Anspielungen auf die Herrschaftspraxis des Stalinismus letztlich eine unhistorisch-abstrakte Dystopie entwirft, in deren Zentrum mit dem »Großen Bruder« ein technisches Dispositiv vollkommener Überwachung steht, formuliert Ruge einen konkreten historischen Anspruch an seinen Roman, den er durch die konsequente Befragung der in einem Moskauer Archiv aufgefundenen KOMINTERN-Kaderakte seiner Großmutter Charlotte und durch weitere Recherchen – Ruge spricht im editorischen Epilog von »Signalen aus einer untergegangenen Welt. Unwahrscheinlich, geheimnisvoll, aufregend«7 – einlösen will. Auch wenn Ruge im Kern danach fragt, welche Subjektivierungseffekte in einer sozialen Umwelt zu erwarten sind, die von einem grassierenden Verdachtsdenken bestimmt wird, so geht es ihm zugleich doch auch darum, ein historisch stimmiges Bild jener Lage zu zeichnen, in der sich deutsche Kommunist*innen nach ihrem erzwungenen Exil im Moskau zur Zeit der Schauprozesse wiederfinden mussten. Demgegenüber markiert die abschließend kurz diskutierte Erzählung Hotel der Schlaflosen (2020) von Ralf Rothmann ein Gedankenexperiment, in dem es um die Subjektivität eines Henkers geht, der der Zirkularität von Verdacht und Verstellung durch massenhafte Exekutionen ein Ende setzt. Während die Figuren in 1984 und Metropol ihren sozialen Handlungsraum in vielen Momenten im Register des Konjunktivs erleben, dominiert in Rothmanns zur Hinrichtungsstätte umfunktionierten Hotelkeller die nackte Faktizität der unausweichlichen Exekution. Rothmann rekonstruiert dabei auf Seiten des Täters das Ringen um eine absolute affektive Indifferenz, die den Gegenpol zur Hypersensibilität der Protagonist*innen bei Orwell und Ruge bildet.

1. Der Renegat als Hass-Objekt

Schon in 1984 ist die mit der Figur des Renegaten verbundene Gefühlspolitik nicht eindimensional auf Hass festgelegt. Der Text lässt sich vielmehr lesen als eine Studie über die psychische Deformation von Subjekten, die beständig einem ganzen Spektrum negativer Gefühle ausgesetzt sind. Während die Angst vor der Verfolgung durch die »Gedankenpolizei« in der diegetischen Welt des Romans als permanentes Hintergrundrauschen das In-der-Welt-Sein der Figuren bestimmt und sie politisch prekarisiert, dient der Hass als ein Instrument der situativen Entladung. Eine permanent wirksame Hass-Politik sammelt all jene in der Gesellschaft existierenden Spannungen ein, die durch die rigide Disziplinarmacht des Staates nicht vollends unterdrückt werden können und kanalisiert sie nach außen, auf das Furchtobjekt Goldstein und die mit ihm verbündeten eurasischen Feinde Ozeaniens. Der »Zwei-Minuten-Hass«, zu dem Winston, wie seine Kolleg*innen des Ministeriums, täglich anzutreten hat, fungiert als serielles Ritual der Affektabfuhr, in dem sich die einzelnen Elemente und Effekte der Affektmobilisierung in einem theatralen Spektakel der Feindsetzung detailliert nachvollziehen lassen:

Winstons Zwerchfell zog sich zusammen. Er konnte Goldsteins Gesicht nie ohne schmerzlich gemischte Gefühle sehen. […] Goldstein ritt seine übliche giftige Attacke gegen die Parteidoktrin – eine so übertriebene und widersinnige Attacke, daß ein Kind sie hätte durchschauen können, und doch eben plausibel genug, um ein alarmierendes Gefühl zu wecken, daß andere, weniger nüchtern denkende Leute als man selbst darauf hereinfallen könnten.8

Für die Logik dieses doing hate ist es von entscheidender Bedeutung, dass es als Ansteckungsgeschehen alle im Raum anwesenden Personen ergreift. Auch wenn Winston der präsentierten Feindschaftsaufführung prinzipiell mit kognitiver Distanz begegnet, kann auch er nicht vermeiden, vom einsetzenden Massenwahn affiziert zu werden.9 Zu perfekt funktioniert die Hass-Propaganda des »Großen Bruders«, die mit Hilfe einer Dramaturgie stereotyper Dämonisierung, suggestiver Bild- und Ton-Regie und der Heraufbeschwörung von Eindrücken ubiquitärer Bedrohlichkeit die Anwesenden viszeral in Schwingung versetzt. So ist nicht alleine »Goldsteins blökende‍[] Stimme« zu vernehmen, die von einem »dumpfe‍[n], rhythmische‍[n] Stampfen der Soldatenstiefel« untermalt wird; zu sehen sind auch die »endlosen Kolonnen der [feindlichen] eurasischen Armee – Reihen kräftig gebauter Männer mit ausdruckslosen asiatischen Gesichtern, die an die Oberfläche des Schirms trieben und dann verschwammen, nur um durch andere, absolut identische ersetzt zu werden.«10

Das propagandistische Kalkül, das darauf ausgelegt ist, heftige Affektreaktionen auszulösen, geht auf. Verstand, Individualität, Differenzierungsvermögen – all das setzt für den Moment des »Zwei-Minuten-Hasses« im kathartischen Sturm des körperlichen Ausnahmezustands aus. Es ereignet sich eine medial orchestrierte Eskalation des Kontrollverlusts, im Zuge dessen sich die in einer »autopoietischen Feedbackschleife«11 mit einander verbundenen Mitarbeiter*innen des »Ministeriums für Wahrheit« in einen kollektiven Exzess des Hasses hineinsteigern:

Der Haß hatte noch keine dreißig Sekunden gedauert, da brach die Hälfte der Leute im Raum in unkontrolliertes Wutgeschrei aus. Das selbstzufriedene schafsmäßige Gesicht auf dem Schirm und die furchteinflößende Macht der eurasischen Armee dahinter waren nicht mehr zu ertragen: überdies weckte Goldsteins Anblick, oder auch nur der bloße Gedanke an ihn, automatisch Angst und Zorn. […] In der zweiten Minute steigerte sich der Haß zur Raserei. Die Leute sprangen von ihren Plätzen auf und brüllten mit überkippenden Stimmen, um das wahnsinnigmachende Geblöke, das vom Schirm kam, zu übertönen. Die kleine rotblonde Frau war knallrot angelaufen und schnappte mit dem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sogar O’Brians massiges Gesicht hatte sich verfärbt. […] Das schwarzhaarige Mädchen hinter Winston schrie jetzt: ‚Schwein! Schwein! Schwein!‹, und plötzlich hielt sie ein schweres Neusprechwörterbuch in der Hand und schleuderte es nach dem Schirm.12

Erst ergreift der Hass-Affekt die Körper der Anwesenden, dann kommt es zu Übersprungshandlungen, die eine durch das Ritual stimulierte, latente Gewaltbereitschaft exekutieren. Die Sequenz des »Zwei-Minuten-Hasses« illustriert damit die Einsicht Émile Durkheims, wonach sich »unter dem Einfluß des allgemeinen Überschwangs […] der unscheinbarste und harmloseste Bürger in einen Helden oder einen Henker verwandeln kann.«13 Aufgrund des »autoritative‍[n] Gestus«, mit dem im Morgenritual »das Hass-Objekt entwertet – und das heißt: beschimpft, verhöhnt, verspottet, beleidigt – wird«14, entfaltet die Inszenierung absoluter Feindschaft eine situative Sogwirkung, der sich niemand zu entziehen vermag. Auch Winston stürzt in einen Taumel von Gewaltphantasien hinein:

In einem lichten Augenblick ertappte sich Winston, wie er mit den anderen schrie und trampelte. Das Schreckliche an der Zwei-Minuten-Hass-Sendung war nicht, dass man gezwungen wurde mitzumachen, sondern im Gegenteil, dass es unmöglich war, sich ihrer Wirkung zu entziehen. Eine schreckliche Ekstase der Angst und der Rachsucht, das Verlangen zu töten, zu foltern, Gesichter mit einem Vorschlaghammer zu zertrümmern, schien die ganze Versammlung wie ein elektrischer Strom zu durchfluten, so dass man gegen seinen Willen in einen Grimassen schneidenden, schreienden Verrückten verwandelt wurde.15

Nicht nur wird hier deutlich, dass die Produktion eines kollektiven Hass-Erlebnisses eine immense affektive Wirkung auf die einzelnen Individuen entfalten kann. Auch wird klar, dass die zwischen Angst, Hass und Euphorie zirkulierende Erfahrung des Ich-Verlusts eine lustvolle Dimension aufweist. Winston und seine Kolleg*innen des »Ministeriums für Wahrheit« finden sich gefangen in einer ekstatischen Aufwallung, in einem erotisch aufgeladenen Aus-sich-Heraustreten, das zugleich ein Eintreten in die Gemeinschaft der Hassenden bedeutet. Das in einem solchen Ereignis produzierte Erlebnis »kollektiver Efferveszenz«16 dient dem Ziel, real existierenden Friktionen – nicht alle sind im gleichen Maße ideologisch gefestigt, neben den Profiteuren des Systems gibt es jene, die es nicht in den inneren Kreis der Partei geschafft haben und potenziell die Machthierarchie in Frage stellen könnten – durch ein Gefühl der identitären Gemeinsamkeit zu neutralisieren. Da auf Emotionen aufgebaute Gemeinschaften aber einen fragilen Charakter haben, brauchen sie kontinuierlich wiederkehrende Rituale, die der Stabilisierung dienen. Aus diesem Grunde findet der »Zwei-Minuten-Hass« an jedem Morgen aufs Neue statt. In der seriellen Verkettung von szenischen Arrangements geht es immer wieder darum, der Gemeinschaft der Hassenden im Renegaten Goldstein ihren gemeinsamen negativen Bezugspunkt bildhaft vor Augen zu stellen.

Genau darin wird die pathologische Dimension der Vergemeinschaftung durch Hass deutlich. Während es im Ritual, so Ervin Goffman, für den »Einzelne‍[n]« eigentlich darum gehe, »eine Darstellung, […] ein Muster dessen unmittelbar zu erleben, was ihm lieb und teuer sein sollte« und er so an einer »Darstellung der angeblichen Ordnung seiner Existenz«17 partizipiere, geht es in der spezifischen Dramaturgie des »2-Minuten-Hasses« zunächst um eine atomsphärische Bedrohung der Fundamente der sozialen und politischen Ordnung. Das sich damit einstellende Erlebnis existenzieller Bedrohlichkeit soll erst den Boden für ein geteiltes Begehren nach Sicherheit und Führung bereiten, das dann bis zu einem Maximum gesteigert und schließlich in einer Klimax der kollektiven Erlösung symbolisch gestillt wird. Wichtig für eine solche Eskalationsdynamik des Hasses, wie sie Orwells 1984 vorführt, ist die Präsentation eines Feindbilds, das als Adresse für die gewaltsamen Projektionen des gemeinsam praktizierten hate watching fungieren kann. Klammert man die anthropologische Verankerung in der Annahme einer generell gegebenen »mimetischen Rivalität« aus, lässt sich die soziale Funktion von Goldstein durchaus im Sinne von René Girards »Sündenbock«-Theorem als rituelle Figur eines produktiven Ausschlusses begreifen, die Sozialität erst möglich macht, indem sie für latent vorhandene Konflikte und Konkurrenzen verantwortlich gemacht werden kann.18 »Der Sündenbock«, so lässt sich einer einschlägigen Einführung in Theorien der Gemeinschaft entnehmen, »bildet dergestalt die Figur, die auf der Schwelle zwischen dem Außen und dem Innen steht: Er ist zugleich derjenige, der aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, der aber zugleich durch diesen Ausschluss die Gemeinschaft zusammenhält und stiftet.«19 Gerade weil Emmanuel Goldstein einmal zum Führungskader der inneren Partei gehörte, dann aber – so will es die Legende – zum Renegaten wurde, ist er für die paradoxe Mittler-Funktion des Sündenbocks bestens geeignet. Das politische Konstrukt ›Goldstein‹ verkörpert alles, was nicht sein darf; gerade darum kann dieser innere Feind in einem affektiven Kurzschluss als Figuration eines konstitutiven Außen dienen, das ex negativo als wichtige Ressource sozialer und politischer Kohäsion genutzt werden kann.

Für die Affektökonomie des »Zwei-Minuten-Hasses« ist mit dem Renegaten Goldstein als dehumanisierten Antipoden damit eine wichtige Ingredienz gefunden. Was noch fehlt, um den Baukasten für die serielle Aktualisierung der Gemeinschaft zu vervollständigen, ist ein personeller Vertreter der legitimen Macht, der als Held und Führer-Figur zunächst die Arena des Hass-Spektakels betritt und diese dann auch wieder als symbolischer Sieger verlässt. Und dies muss natürlich der »Große Bruder« selbst sein, der zwar als physische Erscheinung ebenso wenig greifbar ist wie Goldstein, als Herrensignifikant der souveränen Macht aber in der Aufführungspraxis der staatlichen Propaganda die zentrale Stelle einnimmt:

Der Hass erreichte seinen Höhepunkt. Goldsteins Stimme war jetzt zu einem wirklichen Blöken geworden, und einen Augenblick lang verwandelte sich sein Gesicht in eine Schafsmiene. Dann verschwamm das Schafsgesicht zur Gestalt eines eurasischen Soldaten, der riesig und furchterregend mit tackender Maschinenpistole heranzumarschieren schien, so daß einige Leute in der ersten Reihe tatsächlich auf ihren Stühlen zurückzuckten. Doch im gleichen Moment verschwamm das Feindbild unter einem allgemeinen Stoßseufzer der Erleichterung zum Gesicht des Großen Bruders, schwarzhaarig, schwarzschnurrbärtig, Macht und geheimnisvolle Ruhe ausstrahlend und so riesenhaft, daß es fast den ganzen Schirm einnahm.20

Mit dem Affekt-Bild des »Großen Bruders«, das die Überleitung zum schlussendlichen Insert der Partei-Parolen »Krieg ist Frieden / Freiheit ist Sklaverei / Unwissenheit ist Stärke«21 bildet, kommt die Inszenierung zu ihrem Ende.

Bemerkenswert ist diese Szene des Hass-Rituals aus zwei Gründen: Zum einen wird deutlich, dass Orwell die Bewirtschaftung von Hass als Funktion der visuellen Medien versteht. Die körperlichen Reaktionen der Ministeriumsmitarbeiter*innen in der ersten Reihe spielen nicht von ungefähr auf die berühmte Anekdote über die Premiere auf den Eisenbahnfilm der Brüder Lumière aus dem Jahr 1895 an, wo der Erzählung nach einige Zuschauer*innen angesichts der Bilder des einfahrenden Zuges aus Furcht vor einer Kollision fluchtartig den Vorführraum verließen.22 In einem durchaus wörtlichen Sinne erweist sich hier der Film als Medium der affektiven Mobilisierung. Zum anderen illustriert das Erscheinen des »Großen Bruders«, dass Hass-Kommunikation eine doppelte Stoßrichtung hat. Sie erzeugt eine Form exklusiver Solidarität, indem sie zunächst diejenigen markiert, die als Bedrohung der Gemeinschaft ausgeschlossen werden müssen. Darüber hinaus ist es aber aus Gründen der narrativen Balance zwingend notwendig, als Gegenpol zur evozierten Gefahr denjenigen erscheinen zu lassen, der die Intaktheit der Gemeinschaft verteidigen kann. Orwell setzt im Finale des »Zwei-Minuten-Hasses« die klassischen psychoanalytischen Überlegungen zur Massenpsychologie in Szene, wonach »der Einzelne« in einem Prozess der Herstellung von unbedingter Gefolgschaft »sein Ich-Ideal aufgibt und es gegen das im Führer verkörperter Massen-Ideal vertauscht.«23 In der Figur des »Großen Bruders« amalgamieren sich in diesem Sinne die großen »Resonanzpathologien«24 des 20. Jahrhunderts. Physiognomisch an Stalin erinnernd, verkörpert er zugleich auch die deutschen und italienischen Affektpolitiken des Faschismus, die die Dualität von fanatischem Hass und heilsstiftendem Führer als wesentliches Instrument der Massenmobilisierung und Technik der Herrschaftslegitimation für sich zu nutzen wussten. Hass auf Abtrünnige, dies ist eine der zentralen Einsichten in 1984, ist wie kaum eine andere affektive Regung geeignet für Strategien der autoritären Politisierung, die homogene Identität nach innen zu erreichen versuchen, indem sie alles, was stören könnte, proaktiv zu benennen und gewaltsam auszugrenzen versuchen. Freilich lässt sich eine solche affektive Dynamik des Hasses weder genau kanalisieren noch funktional kontrollieren. Gerade weil der politisch Abtrünnige eben nicht immer schon als Renegat benannt ist, sondern als klandestiner Akteur in der Latenz bloß vermuteter Verschwörungen eine Krise der Epistemologie der Feindschaft herbeizuführen vermag, kann ein paranoisches Klima des entgrenzten Verdachts entstehen, das den politischen Raum dauerhaft entsichert. Von einem solchen emotionalem Regime der Angst erzählt Ruges Roman Metropol.

2. Das Regime der Angst in Metropol

Mit Metropol hat Eugen Ruge einen semifiktionalen Roman über das Schicksal der eigenen Großmutter Charlotte vorgelegt, die zusammen mit ihrem zweiten Mann, dem KOMINTERN-Agenten Hans Baumgarten25, die Zeit der ›Großen Säuberungen‹ der Jahre 1937/38 als ›Gäste‹ des NKWD im titelgebenden Hotel Metropol überlebte. Das Grand-Hotel im Zentrum Moskaus diente seit der Übernahme durch die Bolschewiken sowohl der Unterbringung hochrangiger ausländischer Gäste als auch als Wohnort von wichtigen Funktionären. Zudem wurde die vierte Etage – dies macht die Unheimlichkeit des Gebäudes aus – auch als Sammlungsort von politisch Verdächtigen genutzt, die auf ihre Rehabilitierung hofften und zugleich fürchten mussten, dass ihnen früher oder später der Prozess gemacht würde. Raum 479 war für Charlotte und Wilhelm bestimmt. Sie warteten hier 477 Tage auf die Entscheidung, ob man sie erschießen oder wieder in Dienst stellen würde.

Die Geschichte der Großmutter, die Ruge zusammen mit dem Historiker Wladislaw Hedeler mit Hilfe der persönlichen Kaderakte von Charlotte Ruge rekonstruieren konnte, ist die faktuale Grundlage für die literarische Vermessung eines Angst-Raums, der alle in ihm situierten Personen auf unterschiedliche Weise konfiguriert. Vor diesem Hintergrund ist der Roman angelegt als eine mit Mitteln der Imagination arbeitende Investigation darüber, »was Menschen zu glauben bereit, zu glauben imstande sind«26, wenn sie sich in einer verzweifelten Lage befinden. Da keine Berichte über die Zeit in Moskau aus der Feder Charlottes auffindbar sind, nutzt Ruge die Mittel der faktenbasierten literarischen Spekulation, um die Gefühlswelt seiner Großmutter zu erkunden: »Ich weiß nicht, was meine Großmutter wirklich gedacht hat. Ich erfinde, ich unterstelle, ich probiere aus, denn nichts anderes heißt Erzählen: ausprobieren, ob es wirklich so gewesen sein könnte.«27

Der Verdacht gegen Charlotte und ihren Mann, der daraus resultierte, dass das Paar lange mit dem hochrangigen Parteimitglied Alexander Emel (Deckname Moses Lurje) bekannt und befreundet war, der Mitte der 1930er Jahre in Ungnade fiel und zusammen mit Sinowjew und Kamenew als »trotzkistischer Verschwörer« im ersten Moskauer Schauprozess 1936 verurteilt und danach erschossen wurde, wird zum Anlass einer fiktionalen Erkundung des emotionalen Regimes der Angst, wie es in der Hochphase des Stalinismus mehr und mehr auch die eigenen Parteigänger betraf.

Folgt man der historischen Forschung, resultierte der ›Große Terror‹, mit dem Stalin Bürokratie, Partei- und Staatsapparate überzog, aus einem Komplexität und Kontingenz negierenden Phantasma der Reinigung, das zu mehr als 1,5 Mio. Verhaftungen und über 700.000 Erschießungen führte, wobei fast die gesamte Spitze der Kommunistischen Internationalen und auch die Belegschaft jenes geheimen »KOMINTERN-Stützpunktes 2« betroffen war, auf dem Charlotte und Wilhelm bis zu ihrer Suspendierung arbeiteten.

Im Kern wurde der Säuberungsfuror von einem Narrativ des geschichtsgewissen Fortschritts angetrieben, das die kognitive Dissonanz zwischen realexistierender Mangelwirtschaft und dem propagierten heroischen Idyll der klassenlosen Gesellschaft dadurch aufzulösen versuchte, dass klandestine Verschwörer innerhalb der eigenen Funktionseliten vermutet und als Saboteure für alle ökonomischen und organisatorischen Missstände verantwortlich gemacht wurden. Die Zuweisung von Verantwortung für ein offenkundiges Auseinanderfallen zwischen ideologischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit war damit ubiquitär eines der Leitmotive stalinistischer Agitation. Paradigmatisch kommt diese paranoische Logik des politischen Systems beispielsweise in einer Erklärung von Generalstaatsanwalt Wyschinski im dritten Moskauer Prozess gegen Bucharin, Krestinski und ihre vermeintlichen Mitverschwörer zum Ausdruck, wenn er mit Blick auf die erklärungsbedürftigen Versorgungschwierigkeiten feststellt:

In unserem Lande, das an allen möglichen Vorräten reich ist, konnte und kann keine solche Lage eintreten, wo es an irgendeinem Produkt mangelt. […] Jetzt ist klar, warum es bei uns bald hier, bald dort Stockungen gibt, warum auf einmal trotz Reichtum und Überfluß diese oder jene Produkte fehlen. Eben deswegen, weil diese Verräter daran schuld sind.28

Die Überzeugung, dass das Leben unter der Führung »Stalin‍[s] und seine‍[r] ›eiserne‍[n] Stalinsche‍[n] Garde‹«, die »stündlich, in der Realität, im Alltag ihre weltverändernden Wunder tun«29, immer besser werden müsse, bildet dementsprechend die ideologische Triebfeder einer sich selbst verstärkenden eliminatorischen Gewalt. Diese nahm über die Jahre immer ausgreifendere Züge an, weil sie das Idealbild kommunistischer Harmonie zu realisieren suchte, indem sie mittels einer hyperaktiven Aufklärungs- und Überwachungsarbeit auf die umfassende Ortung und Ordnung der abtrünnig gewordenen Volksfeinde abzielte. Wie Michail Ryklin herausgearbeitet hat, nahm der Kommunismus in bolschewistischer Ausprägung »nicht nur für sich in Anspruch, radikal alle Widersprüche der vorangegangenen Geschichte zu überwinden, sondern behauptete auch, dass der daraus resultierende Zustand die Einlösung der in der Geschichte angelegten Hoffnungen sein würde […].«30 Von daher war es mit Blick auf die Stabilisierung des internen Machtbereichs von äußerster Wichtigkeit – und absoluter Legitimität – alle Feinde des Volkes mit aller Macht dingfest zu machen. Die sich so entwickelnde Entgrenzung der Gewalt war nur möglich, weil diese in den Selbstbeschreibungen des Machtapparats als zwar grausame, aber gerechte Praxis im Dienste einer höheren Sache begründet werden konnte. »Indem sich der Bolschewismus den äußeren Anschein des Kommunismus gab«, so Ryklin, »verübte er Böses ausschließlich im Dienste eines höheren Guten und verkannte die von diesem Endziel unabhängige Eigenlogik des Bösen – eine typisch psychotische Auffassung.«31 Paradigmatisch kommt diese Pathologie des Politischen, verstanden als eine zunehmend paranoide Unterscheidungssucht zwischen Freund und Feind, Mitstreiter und Verräter, Gläubigem und Renegaten in dem Refrain eines Songs zum Ausdruck, der durch den melodramatisch-komödiantischen Kinofilm Zirkus (1936, R.: Grigori Aleksandrov/Isidor Simkov) große Popularität gewann und leitmotivisch auch in Ruges Roman zitiert wird: »Vaterland, kein Feind soll dich gefährden! Teures Land, das unsre Liebe trägt, denn es gibt kein andres Land auf Erden, wo das Herz so frei dem Menschen schlägt!«32

In der Konsequenz dieses Vorstellungskomplexes von behaupteter Parteitreue und latenter Devianz setzte ein kollektiver »Taumel immer weiterer Enthüllungen und Denunziationen«33 ein, der die Sekuritätssphäre der sowjetischen Gesellschaft massiv unterminierte. Ein sich entgrenzender Verdacht – der Historiker Gerd Kroenen spricht von einer »chronische‍[n] Entzündung der Phantasie bei gleichzeitiger Betäubung des Denkens«34 – produzierte eine inquisitorische Kultur der Sichtbarmachung, die über einen zügellosen Willen zum Wissen horizontal wie vertikal verheerende Kaskadeneffekte entfaltete. Horizontal, insofern die drei großen Schauprozesse unter der Regie des Chefanklägers Andrei Wyschinski ein spektakuläres Tribunal initiierten, das sekundiert durch die hasserfüllte Berichterstattung der Prawda und entsprechend hysterisierte Straßendemonstrationen gegen die »Schlangenbrut« und »Mörderbande«35 in Form einer symbolischen Vertretung durch die geständigen Verschwörer die Gefahr einer drohenden Konterrevolution Gestalt annehmen ließ. Vertikal, weil auch für treue Parteigänger und untadelige Funktionäre unter der Prämisse anhaltender klandestiner Verschwörungsaktivitäten der jederzeit mögliche Vorwurf einer ›objektiven Schuld‹, die sich durch mangelnde Wachsamkeit und falsches Vertrauen auszeichnete, jedes Gespräch und jede Begegnung zu einer potenziellen Gefahrenquelle wurde.

Alleine der Umstand, mit einem des Renegatentums und des Verrats Verdächtigen in Kontakt gestanden zu haben, konnte bedeuten, dass man selbst zum Verdächtigen wurde. Exemplarisch für die hieraus resultierende Ansteckungsangst ist eine kleine Szene auf Jalta, wo Charlotte und Wilhelm, noch auf Reisen, aber mittlerweile durch die Nachricht von der Exekution Luries mehr als alarmiert, nach vorauseilenden Möglichkeiten suchen, auch ungefragt ihre Unschuld in den parteipolitischen Kommunikationszusammenhang einzuspeisen. Das bloße Faktum der Bekanntschaft mit Emel lässt sich aber nicht mehr so ohne Weiteres als harmlose Begebenheit einklammern. Die schockierende Reaktion eines alten Freundes wird zum Initiationsmoment für ein ›Theater der Unverdächtigkeit‹, das später im Hotel Metropol seine Fortsetzung finden wird:

Einmal treffen sie Rudi Vollmer, einen alten Bekannten von Wilhelm aus der Zeit bei der [Tarn-]Firma Goerz, zusammen mit seiner Frau. Wilhelm erzählt ihm sofort von der zufälligen Bekanntschaft mit Emel. Rudi wird sehr still, und seiner Frau fällt ein, dass sie gar keine Zeit mehr für eine gemeinsame Tasse Tee haben. Es hilft nichts, dass Wilhelm versichert, sie würden die Angelegenheit natürlich sofort nach ihrer Rückkehr der Parteileitung melden. Die beiden verabschieden sich höflich und verschwinden auf Nimmewiedersehen. Da haben sie noch eine Woche. Sie schlafen morgens lange (oder tun wenigstens so). […] Sie gehen zum Estradenkonzert. Sie sammeln Muscheln. Sie spielen Urlaub. Sie spielen: Das Leben ist besser, das Leben ist fröhlicher geworden! Bis Wilhelm anfängt zu kotzen.36

In der Konsequenz führte die Logik dieser, mit Hannah Arendt gesprochen, »guilt by association«37 zu einer sich dynamisierenden Fiktionalisierung von Feindschaftsverhältnissen, die ab 1937 durch das Einsetzen von »Verhaftungsepidemien«38 zusätzliche Bedrohlichkeit gewann und eine Form politischer Subjektivität produzierte, in der sich eine Haltung permanenter Wachsamkeit mit dem Habitus vorsichtiger Außenlenkung kombinierte. Eben weil »jede Anklage nicht nur einen einzelnen betrifft, sondern den ganzen Kreis seiner normalen menschlichen Beziehungen, seine Familie, seine Freunde, seine Arbeits- und Berufskollegen, seine Bekanntschaften mit einbezieht«39, kommt es zu Kaskaden wechselseitiger Retro-Verdächtigungen, die den sozialen Nahbereich in eine unsichere Kontaktzone zirkulärer Feindschaftszuschreibungen verwandeln:

Sobald gegen jemanden Anklage erhoben wird, müssen sich seine Freunde in seine erbittertsten und gefährlichsten Feinde verwandeln, weil sie dadurch, daß sie ihn denunzieren und dabei helfen, das Aktenstück der Polizei und der Staatsanwaltschaft gehörig anzureichern, sich ihrer eigenen Haut wehren können; da es sich bei den Anklagen im allgemeinen um nichtexistente Verbrechen handelt, braucht man gerade sie, um den Indizienbeweiß zu erbringen. […] Während der großen Säuberungswelle gibt es überhaupt nur ein Mittel, die eigene Zuverlässigkeit zu beweisen, und das ist die Denunziation seiner Freunde. […] Was suspekt ist, ist Freundschaft und jegliche andere menschliche Bindung überhaupt.40

Ruges Roman entfaltet nun das so entstehende Angst-Regime der ›Großen Säuberung‹ mittels dreier personaler Erzählstimmen, anhand derer die unterschiedlichen Facetten und Handlungsspielräume dieser psycho-politischen Entsicherungsdynamik in ihrem Changieren zwischen Indizienparadigma und Verdacht, verordneter Selbstbefragung, Verhör und Denunziation erzählt werden. Neben Charlotte präsentiert der Text auch die Perspektiven von Hilde Tal, der ersten Ehefrau von Wilhelm, die ebenfalls für den OMS, also den Geheimdienst der KOMINTERN, arbeitet, sowie die von Wassili Wassiljewitsch Ulrich, dem Obersten Richter im zweiten Schauprozess. Diese drei Protagonist*innen nehmen innerhalb der sowjetischen Maschinerie jeweils unterschiedliche Positionen ein. Trotz ihrer divergenten Hierarchiestufen sind sie neben ihren biografischen Berührungspunkten durch zwei Aspekte miteinander verbunden: den langsam aufkeimenden Zweifel an der Legitimation der Säuberungsanstrengungen und die daraus resultierende Angst, trotz aller Konformität selbst in den Fokus der Geheimpolizei zu geraten. Durch eine strikte Fokalisierung auf den jeweiligen Wissenshorizont dieser drei Figuren, die keinen Überblick haben, sondern immer aufs Neue in Reaktion auf externe Geschehnisse ihre eigenen politischen Koordinatensysteme kalibrieren müssen, schafft es der Text, Akteure an verschiedenen Stellen des sowjetischen Systems in ihrer Verunsicherung plastisch werden zu lassen. Die Interaktionsgefüge, in denen sich die Figuren bewegen, sind konfiguriert von einer Permanenz des Verdachts, wie er beispielhaft während einer Verlagsversammlung von der Genossin Dzierzynskaja, der Witwe des »berühmten Geheimdienstmannes und Gründers der Tscheka«41 zur allgemeinen Maxime erhoben wird. Dass es sich dabei in der Tat um den Versuch einer Interpellation handelt42, macht Ruge deutlich, in dem er die Ansprache nicht direkt, sondern gefiltert durch Charlottes erlebte Rede erscheinen lässt. Durch diese erzählerische Konstruktion wird klar, dass ideologische Ansprache und gouvernementale Selbstbefragung in eins fallen sollen, es bei Charlotte aber doch nicht tun:

Hat uns der Genosse Stalin nicht gemahnt? […] Waren wir nicht aufgefordert, unsere Wachsamkeit angesichts des sich weiter verschärfenden Klassenkampfes weiter zu erhöhen? Wieso, fragt die Genossin Dzierzynskaja, gelingt es uns trotzdem nicht, die Volksfeinde in unseren Reihen rechtzeitig zu erkennen? Wie kann es sein, dass sie weiter mitten unter uns weilen, dass sie Parteimitglieder sind, dass sie auf verantwortungsvollen Posten sitzen und ihr schmarotzerhaftes Leben auf Kosten der arbeitenden Klasse führen? […] Sie schlägt vor, dass sich jeder Genosse schriftlich verpflichte, noch besser auf seine Umgebung zu achten sowie die Parteiorganisation über jeglichen Verdacht zu informieren. Keine falsche Loyalität! Keine Rücksichtnahme aus alter Freundschaft! Macht eure Augen auf! Hört hin! […] Achtet auf die Wortwahl. Wer spricht abfällig über einen Genossen? Wer schweigt, wenn man reden müsste? Wer verhält sich zögerlich, wenn es darum geht, einen Verräter zu entlarven und zu verurteilen? Wer zeigt unzureichend Bereitschaft zur Selbstkritik?43

Der sich hier artikulierende Aufruf zur Bespitzelung anderer firmiert in der stalinistischen Propaganda unter dem sprachlichen Doppel von Kritik und Selbstkritik, wobei die entsprechenden geheimpolizeilichen und dann auch öffentlichen Purgatorien sehr fein zwischen einer echten bolschewistischen Bereitschaft zur Selbstkritik und einer mit dem Ziel der Verstellung inszenierten Kritik zu unterscheiden meinten. Letztere tarne sich bloß als Kritik, sei »in Wirklichkeit aber Sabotage und konterrevolutionäres Verhalten«44. Mit dieser semantischen Verschiebung einher ging eine Verhaltensmodulation, die, so Sylvia Sasse, das Verhalten in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Raum, weitestgehend gleichschaltete:

Bei Stalin war Kritik ohne Anführungszeichen eigentlich keine Kritik, sondern Gehorsam, und ›Kritik‹ mit Anführungszeichen – laut Stalin – ein Verbrechen, das einem Hochverrat gleichkam. Mit dieser grundlegenden Inversion von echt und falsch, von authentisch und fiktiv fand in der gesamten sowjetischen Gesellschaft auch eine Verkehrung der Semantik von Autonomie und Heteronomie statt. Kritik im Sinne Stalins war nur noch als bloße Affirmation im Sinne einer reinen, folgsamen Bejahung lesbar.45

Maskerade, Verstellung, uneigentliches Sprechen sind vor diesem Hintergrund plausible Strategien eines positionellen Agierens, das auf eine Lage antwortet, in der nichts sicher scheint, außer der permanenten Beobachtung durch alle anderen. Aus dem klaustrophobischen Handlungsraum des Hotels Metropol, welches als materielles und atmosphärisches »Gehäuse des Wahns«46 pars pro toto für die Lebenswelt der stalinistischen Gewaltherrschaft steht, weisen dementsprechend nur zwei Fluchtlinien heraus: Die eine führt gedanklich eine kurze Wegstrecke in südwestlicher Richtung, zu dem ebenso allwissenden wie in seinen Beweggründen opaken Stalin47, dessen Nicht-Adressierbarkeit einen nie stillzustellenden Sog hermeneutischer Selbstvergewisserung initiiert. Die andere endet in östlicher Richtung im nur wenige hundert Meter entfernten Gefängnis Lubjanka, wo mit der Inhaftierung jede Deutungsunsicherheit zu einem gewaltsamen Ende kommt.

Nach einem kurzen Prolog, in dem Ruge über seine Moskauer Recherchen zum Buch berichtet und damit den epistemologischen Status der nachfolgenden Erzählung markiert48, beginnt die eigentlich Romanhandlung auf einem Schwarzmeerdampfer Richtung Jalta. Charlotte und Wilhelm sind im September 1936 auf einer Urlaubsreise. Die beiden Kommunisten sind 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die Sowjetunion geflüchtet und unterstützen nun die KOMINTERN. Die einsetzende Spirale der Angst findet ihren Ausgangspunkt, als Charlotte in der Deutschen Zentralzeitung in einem Bericht über den ersten Schauprozess entdeckt, dass auch Emel als Mitverschwörer angeklagt wurde. Sofort steht die Frage im Raum, wie mit dieser Bekanntschaft, die unmittelbar die eigene politische Integrität betrifft, umzugehen ist:

Sie kennt einen M. Lurie. Moissej Lurie. Der eigentlich Alexander Emel heißt. […] Charlotte hört ihr Herz pochen, so laut, dass es Wilhelms Schnarchen ein paar Schläge lang übertönt. Vorbereitung von Anschlägen auf Stalin, Molotow, Woroschilow… Unglaublich, was vor sich geht. Fast spürt sie etwas wie Wut. Wozu die ständigen Parteisäuberungen und Überprüfungen? Zwei volle Jahre geht das jetzt schon so. […] Ja, sie ist damit einverstanden. Nur muss sich doch irgendwann ein Erfolg einstellen…49

Präsentiert Metropol zunächst noch eine Charlotte, die ganz im Vertrauen auf das politische System und ihre eigene Stellung die über Nachrichtenkanäle und Gerüchte verbreiteten Neuigkeiten über den Kampf gegen Renegaten und Verschwörer begrüßt, rekonstruiert der Roman dann im Fortgang die verschiedenen Stufen einer Eskalation des Verdachts, die, von der Logik einer Beweislastumkehr angetrieben, die Germaines immer weiter aus den legitimen Zonen der politischen Arbeit heraus und in die soziale Isolation hineindrängt. Beide werden außer Dienst gestellt und ohne weitere Erklärungen auf Kosten der KOMINTERN im Metropol einquartiert, zudem muss Wilhelm seine »Korowin, Kaliber sechs fünfunddreißig«50 abgeben. Alte Bekannte meiden den Kontakt, andere werden verhaftet. Exemplarisch für den grassierenden Bekenntniszwang steht der Bericht, den Charlotte für die KOMINTERN erstellt, nachdem sie zuvor schon eine mündliche Selbstanzeige geleistet hatte, bei der ihr »mangelnde Wachsamkeit«51 zum Vorwurf gemacht worden war. Nachdem sie detailliert alle Kontakte mit Emel und seiner Frau Isa Koigen rekonstruiert hat, schließt sie mit einer Selbstverurteilung, die Ruge als Zitat aus der historischen Kaderakte52 in den Roman übernimmt:

Ich habe lange und ernsthaft darüber nachgedacht, wie es möglich war, dass ich mit dem Mörder Emel bekannt sein konnte, verleitet durch meine freundschaftliche Beziehung zu seiner Frau, von der mir bis zu diesem Augenblick nicht bekannt ist, welche Rolle sie gespielt hat. Wie es möglich war, dass ich kein Misstrauen gegen ihn hatte. Ich muss sagen, dass es mir ganz unmöglich war, hinter seine glatte Doppelzüngigkeit zu kommen. Aber ich will die Lehre daraus ziehen, dass erstens ein Parteiarbeiter in der Auswahl seiner persönlichen Bekannten grösseres Misstrauen walten lassen muss, und zweitens, ich viel ernsthafter und gründlicher die Geschichte der Bolschewistischen Partei studieren muss, um dadurch meine Klassenwachsamkeit auf ein höheres Niveau zu heben.53

Von diesem Punkt aus erzählt der Roman Charlottes Zeit in Moskau als einen permanenten Prozess der ebenso politisch verzweifelten wie ideologisch zweifelnden Zeichenexegese, in der alltägliche Begebenheiten, aber auch handfeste politische Ereignisse – die Einquartierung von weiteren Mitarbeiter*innen vom »Stützpunkt zwei« im Metropol, die Nachricht von weiteren Verhaftungen – auf die Frage hin ausgedeutet werden, was dies jeweils für den eigenen Status und das weitere Schicksal bedeuten kann. Die zunehmend bedrohlichere Lage führt zudem dazu, dass sich Charlotte von ihrem Mann, den sie für seinen appellhaften Optimismus zu verachten beginnt, entfremdet:

Regen prasselt gegen Fenster und Bleche. […] Charlotte wartet darauf, dass Wilhelm einschläft. Sie weiß schon, dass sein Schnarchen sie stören wird. Trotzdem wünscht sie sich, dass er endlich einschläft, endlich fort ist. […] Entsetzliche Entdeckung: dass sie wenn auch nur in einem blitzartigen, schattenhaften Anflug, imstande ist, sich das zu wünschen. Nicht sie, das andere, das Schlechte in ihr. Das dumme Tier, das die einfachsten Dinge nicht begreift: Wenn Wilhelm abgeholt wird, werde auch ich abgeholt. Aber warum, um Himmels Willen, sollten sie Wilhelm abholen?54

Die Verunsicherung, die Charlotte zunächst vor allem aufgrund ihrer unklaren Lage verspürt, erzeugt eine zunehmende Entfremdung gegenüber dem kommunistischen Projekt, womit unweigerlich auch der eigene Lebensentwurf massiv in Frage gestellt ist. Ihre Zweifel führen zu einem unbestimmten Gefühl des Ausgeliefertseins. Der eigentliche Abgrund ihrer emotionalen Enthausung bleibt »unbestimmt, unförmig, unklar«.55 Er lässt sich nicht in Worte übertragen, weil es Charlotte »nicht möglich ist, hinter die Angst zu denken.«56 Auch eine zwischenzeitliche Verbesserungen der Lage, als Charlotte in der Verlagsgenossenschaft für Ausländische Arbeiter eine Anstellung findet, mit der redaktionellen Betreuung der Broschüre Die rechten Spießgesellen der trotzkistischen Bande betraut wird57 und eine kurze Affäre mit dem Verlagsleiter beginnt, kann ihre insistierende Verunsicherung nicht gänzlich kompensieren. Immer wieder kommt es, gerade auch wenn Charlotte in der Öffentlichkeit unterwegs ist, zu Schüben kaum kontrollierbarer Panik.58 Das nicht zu konkretisierende Gefühl, permanent beobachtet zu werden, bekommt neue Nahrung, als sie aufgrund ihrer Bekanntschaft mit der mittlerweile verhafteten Hilde in Misskredit gerät und gekündigt wird.59

Anders als Charlotte schien Hilde zunächst aktiver mit den Selektionsmechanismen der »außer Rand und Band geratenen Maschine« umgehen zu können, die augenscheinlich »blindlings Opfer« forderte.60 Einerseits ist sie überzeugt von der Notwendigkeit harter Säuberungsmaßnahmen – Sinowjew und Trotzki hält sie beispielsweise in der Tat für »Verräter«61, Wahrheit ist für sie, was der Partei nützt und »uns ermöglicht zu handeln«62 –, andererseits muss auch Hilde anerkennen, dass die Verhaftungen immer weniger einem klaren und beherrschbaren Muster folgen. Daher trägt sie nach besten Kräften Sorge dafür, dass die ideologischen Zweifel ihres Ehemanns Julius nicht weiter auffallen. Die potenziell gefährlichen Gespräche mit ihm führt sie nur bei abendlichen Spaziergängen auf offener Straße, weil sie davon ausgeht, dass die Heizkörper im Gemeinschaftswohnheim verwanzt sein könnten.63 Zunächst als leitende Sekretärin stabil im KOMINTERN-Apparat verankert, rutscht auch Hilde trotz dieser vorbeugenden Maßnahmen sukzessive immer mehr von der Peripherie ins Zentrum der Fahndung nach potenziellen Verrätern. Als ihre beiden direkten Vorgesetzten Abramow-Mirow und Melnikow nacheinander verhaftet werden, flüchtet sich Hilde, von einem massiven Gefühl der Bedrohung ergriffen, in die trügerische Hoffnung, dass die Verhaftungskaskaden in ihrer augenscheinlichen Irrationalität ohne das Wissen Stalins durchgeführt würden. Als im Frühjahr 1937 in einem Dominoeffekt gegen mehrere Kolleg*innen ermittelt wird, fasst sie den Plan, Stalin über die von ihr vermutete Verschwörung innerhalb des NKWD zu informieren:

Seine Telefonnummer kennt sie auswendig. Sie wird ihn anrufen, und er wird es verstehen. Denn es liegt auf der Hand. Ihre Argumente sind absolut klar. Die einzige Frage ist, wie sie es einrichtet, dass sie eine Weile ungestört mit ihm sprechen kann. Dass er ihr zuhört: Stalin.64

Instruktiv führt der Roman hier vor, dass und wie Stalin im paranoiden Geflecht der ›Großen Säuberungen‹ vor allem als ein leerer Signifikant fungiert, als eine Adresse, deren gedankliche Ansteuerung es zumindest vorläufig erlaubt, die Realität der wahllosen massenhaften Verhaftungen mit dem ideologischen Glauben an die fürsorgliche Vaterschaft des Staates zu vermitteln. Gerade dass die Lage so verheerend bleibt, ist ein Zeichen für die Güte des obersten Parteiführers, der von Verrätern getäuscht sein muss. Der Plan, Stalin einen Brief zu schreiben, der ihn über die gefährlichen Umtriebe des NKWD in Kenntnis setzt, hat für Hilde auch nach ihrer Kündigung die Funktion einer Selbstsuggestion, die sie Anzeichen ihrer bevorstehenden Verhaftung ausblenden lässt. Mit diesem Changieren zwischen Erkenntnis und Verweigerung, zwischen intendierter Gegenrede und gleichzeitiger Passivität, führt der Roman vor, dass der Vorwurf von Renegatentum und Verrat nicht aktiv umgangen oder entkräftet werden kann. Da es sich um eine Fremdzuschreibung handelt, die immer schon von der Existenz von Täuschung und Verstellung ausgeht, braucht es keinen konkreten Referenzpunkt im eigenen Handeln, um letztendlich zufällig in den Fokus der paranoiden Aufmerksamkeit zu geraten. Dieser flachen Logik des Verdachts – verwaltungsmäßig werden einfach Personen entlang ihrer Kontaktnetzwerke geortet und geordnet – entspricht die Profanität, mit der Ruge Hildes Verhaftung erzählt. Gerade zu Bett gegangen, erwacht sie »vom Knacken des Fahrstuhl-Relais. Lauscht den Schritten, die näher kommen. Hört das Pochen an der Tür. Es dauert lange, bis sie begreift, dass es an ihrer Tür pocht.«65

Interessant für die Frage nach dem daraus resultierenden emotionalen Regime der Angst ist, wie es Ruge gelingt, die Atmosphäre des Misstrauens im Mikrokosmos des Hotels einzufangen. Fast täglich kommen neue ›Gäste‹ an, andere verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Besonders der Speisesaal, wo alle zusammenkommen, wird zu einem von politischer Ansteckungsangst66 motivierten Theater moralisch-politischer Selbstabschottung. Dieses täglich wiederkehrende Ritual der Unschuldsbehauptung, das einerseits bestimmt ist von einer Dramaturgie konzentrierter Indifferenz, und andererseits strukturiert wird von einem bei allen Beteiligten vorhandenen »Positionsgefühl des Paranoikers«67, bietet die Bühne für die ostentative Darstellung guter Laune:

Und nun beginnt auf einmal eine Art Wettbewerb in guter Laune und Unbefangenheit. Auch Wilhelm fängt unversehens an zu plaudern, stößt sie unter dem Tisch an: Mach nicht so ein Gesicht! Charlotte bemüht sich, freundlich und interessiert dreinzuschauen, während Wilhelm – lauter als nötig – von der vorzeitigen Erfüllung des Rohbaumwollplanes oder der Rekordfahrt der neuen sowjetischen Lokomotive SO 17–3 berichtet.68

Ruges Imagination der Interaktionen im Speisesaal, in den die Bewohner des Hotels Metropol zu jeder Mahlzeit aufs Neue einkehren, spielt an auf eine Beobachtung des russischen Philosophen Michail Ryklin, wonach – auch und gerade für diejenigen, die als potenzielle Renegaten unter Verdacht stehen – »die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben […] ein […] tiefgreifender Imperativ«69 war, der auf die Zielstellung reagierte, die eigene Unbeschwertheit nach allen Seiten hin unübersehbar zu dokumentieren. Auch wenn offenkundig ist, dass immer mehr Plätze verwaisen, weil einzelne Gäste von der Geheimpolizei abgeholt wurden, bleiben die Tischgespräche »so heiter wie eh und je, fast scheint es, als wollten die Übriggebliebenen den Verlust durch Lautstärke wettmachen.«70 Alle positiven Gemütsregungen – Ryklin spricht mit Blick auf die Öffentlichkeit von »Räumen des Jubels« – sind im Metropol bloß eine Überlebenstaktik unter den Bedingungen einer grassierenden Hermeneutik des Verdachts, die, gerade weil sie anders als der Nationalsozialismus kein klares Feindbild installierte, eine radikale Verunsicherung aller zur Folge hat.

Trotz aller schauspielerischen Bemühungen spitzt sich allerdings die Lage im Herbst 1937 weiter zu. Der letzte, mit »Totentanz« überschriebene Teil von Ruges Buch erzählt, wie sich die Tische im Speisesaal sukzessive weiter leeren. Das zuversichtlich-jubilatorische Lachen, das eine Zeit lang dominierte, wird verdrängt von einer kommunikativen Stille, die daher resultiert, dass die Bewohner des Hotels mittlerweile zu »flüstern« gelernt haben. Darin drückt sich ein doppeltes Sicherheitsmanagement aus, in das, so der Historiker Orlando Figes, zwei Adressen involviert sind:

Die russische Sprache kennt zwei Worte für einen ›Flüsterer‹: ›scheptschuschtschi‹ für jemanden, der aus Furcht, belauscht zu werden, sehr leise spricht, und ›scheptun‹ für jemanden, der den Behörden etwas über andere zuflüstert, das heißt sie anschwärzt. Die Unterscheidung geht auf eine Redeweise der Stalinjahre zurück, als die gesamte Sowjetunion aus Flüsterern der einen oder anderen Art bestand.71

Charlotte und Wilhelm verbringen auch die Nächte nur noch in Straßenkleidung, eine Tasche mit den nötigsten Dingen steht gepackt neben dem Bett, die Ohren sind gespitzt, ob ein Geräusch des Fahrstuhls das Kommen der Geheimpolizei ankündigt. Ruge imaginiert, wie Charlotte in den wenigen Stunden, in denen sie in der Nacht Schlaf findet, von Alpträumen heimgesucht wird, in denen sie – eine Referenz auf die inquisitorischen Verhörszenen in Arthur Koestlers Sonnenfinsternis (1940)72 – von einer Instanz der Macht als »Bürgerin Umnitzer« angesprochen, zur Rede gestellt und zu einem Geständnis ihrer objektiven Schuld gebracht wird.73

Während Hilde ihre unmittelbare Nähe zu den zuvor verhafteten Leitern des OMS zum Verhängnis wird, überleben die Germaines aber das Finale der Säuberungen durch eine glückliche Fügung, die, so stellt es Ruge im Epilog dar, rein gar nichts mit Charlottes Glauben, ihrer Loyalität oder ihrem Handeln zu tun hatte. An ihrem Schicksal, das in keinem kausalen Verhältnis zu einer erbrachten oder unterlassenen Verratshandlung steht, lässt sich vielmehr der kontingente Autismus in der Aufmerksamkeitsökonomie der staatlichen Macht ablesen, für die der Urteilsspruch in den allerwenigsten Fällen das Ergebnis eines faktenbasierten Ermittlungsverfahrens gewesen ist:

Hilde Tal wurde am 19. März 1938 […] erschossen. Gut einen Monat zuvor […] erhielten meine Großmutter und ihr Lebensgefährte Schweizer Pässe […] und ein Visum für Frankreich. Warum ausgerechnet sie? Die Gründe werden wir voraussichtlich nie erfahren. […] Die große Verhaftungswelle klang allmählich ab. Irgendwer hat irgendwo ein Kreuzchen gemacht oder das Häkchen oder Kreuzchen vergessen oder irgendetwas übersehen oder ist einfach zu faul gewesen oder hat gerade einen Anruf von seiner Geliebten bekommen. Kurz es war Zufall. Aber der Zufall gehört zum Wesen der außer Rand und Band geratenen Terrormaschine Stalins. Sie nahm den Charakter einer Naturgewalt an und versetzte gerade dadurch in Angst und Schrecken. Jeder konnte denunziert werden. Jeder war in Gefahr. Und ebenso konnte jemand grundlos verschont bleiben.74

Gerade die Indifferenz des Überwachungs- und Strafapparats, dessen Selektionsroutinen aus einem Wahrheitsregime resultieren, das immer schon vom vorab definierten Ergebnis her operiert, steigert das Gefühl des Ausgeliefertseins bis zum Maximum. Im schlimmsten Falle urteilten, so Gerd Koenen, die

überall eingerichteten ›Troiki‹, in denen der Parteichef, der Staatsanwalt und der NKWD-Chef eines Gebietes saßen, nicht mehr individuell, sondern in sogenannten ›Albumverfahren‹, indem ein großes ›R‹ (für Rasstreljati, Erschießen) auf den Deckel einer Sammelakte gezeichnet wurde. In Moskau verloren auf diese Weise 500 bis 600 Menschen am Tag ihr Leben.75

Eine solche Verfolgungsmaschinerie kann nur überleben, wer Glück hat und die sich möglicherweise bietenden Nischen des Apparats aus purem Zynismus und kalter Berechnung heraus nutzt. Genau dadurch zeichnet sich die dritte Hauptfigur des Romans, der oberste Militärrichter der Sowjetunion, Wassili Ulrich, aus. Während der ›Großen Säuberungen‹ für mehr als 30.000 Todesurteile verantwortlich76, präsentiert ihn der Roman als einen Technokraten der autoritären Herrschaftspraxis, der sich an der Macht halten kann, weil er zum Politischen in ein affektives Nicht-Verhältnis eingetreten ist. Die Frage, wer als Freund oder Feind des Volkes einzuschätzen sei, interessiert ihn schlichtweg nicht; zum ideologischen Programm des Stalinismus hat er kein dogmatisches, sondern ein rein taktisches Verhältnis. Er kennt die Abläufe und weiß, wie er sich heraushalten kann. Kalt beobachtet er die Routinen der Säuberung und hofft, dass es ihn nicht treffen wird:

Der übliche Ablauf: erst Ablösung, dann Erschießung. Und dazwischen zappelst du im Nirwana … Wie Jagoda, der Geheimdienstchef. Im September abgelöst. Verhaftet ist er immer noch nicht, obwohl jeder weiß, dass seine Tage gezählt sind. Grauenhafte Vorstellung. Er, Wassili Wassiljewitsch, würde sich lieber erschießen.77

Ulrich ist ein Renegat im eigentlichen stalinistischen Begriffsverständnis, wie es von Michael Rohrwasser in seiner Studie über »die Literatur der Exkommunisten« als Bezeichnung jener Exkommunisten rekonstruiert wurde, die vom Glauben abgefallen sind.78 Vor allem mit seinen Eheproblemen und seinen sexuellen Phantasien beschäftigt, ist die Verfolgung von Volksfeinden für ihn keine Glaubenssache, vielmehr handelt es sich um eine von Opportunismus ummantelte Verwaltungsarbeit, die, wie jede andere auch, zu erledigen ist. In einer Textpassage auf dem Weg zum Gericht, wo er, einmal mehr auf seine formale Funktion reduziert, als bloßer Beobachter der theatralen Statusdegradierung der Deliquenten durch den Chefankläger Wynschiski wird beiwohnen müssen, stellt sich die bis dahin schon gefühlte Ernüchterung mit absoluter Klarheit ein. In erlebter Rede schildert der Roman, wie Ulrich nun den intuitiv schon vollzogenen Abfall vom kommunistischen Glauben an einen objektiv zu bestimmenden und damit das eigene Tötungshandwerk legitimierenden Fortschritt der Geschichte in einem Selbstgespräch ausdrücken kann. Dem Richter widerfährt ein epiphanisches Erweckungserlebnis, in dem er sich ganz vom Heilsversprechen der zu vollendenden klassenlosen Gesellschaft verabschiedet. Dieser säkularreligiösen Überhöhung entkleidet, transformiert sich seine scharfrichterliche Arbeit im Dienste des Wohles von Partei und Volk zu einer banalen, von zynischem Nihilismus begleiteten Verwaltungstätigkeit:

Wassili Wassiljewitsch hat eine Erleuchtung. Es verblüfft ihn, denn er hatte noch nie im Leben eine Erleuchtung. […] Aber jetzt überkommt es ihn. Es ist groß, viel zu groß, um in Worte gefasst zu werden – jedenfalls braucht Wassili Wassiljewitsch fast den ganzen Weg vom Metropol bis zum Haus der Gewerkschaften, um den Kern seiner ungeheuren, ihn vollständig erfüllenden Erkenntnis auf einen Satz zu bringen […]: Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. […] Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer glauben will, findet einen Weg. […] Er könnte auf offener Straße losbrüllen vor Lachen. Wie komisch: Die einen glauben, dass die Bauernschaft eine reaktionäre Klasse sei, die anderen glauben, sie sei revolutionär. […] Und was, um Himmels Willen, ist Trotzkismus? Entweder man ist für Stalin. Oder man ist gegen ihn. Punkt. Und er selbst? Ist er für Stalin? Ist er für irgendwas? Woran glaubt er? Ist auch er einer von diesen Ahnungslosen, die sich irgendwas vormachen? Er ist für Stalin, gewiss. Aber glaubt er an Stalin? Er glaubt, dass er nichts glaubt. […] Er, der von allen unterschätzte Wassili Wassiljewitsch Ulrich, der Mittelmäßige, der Langsame, der Gründliche – er ist der Einzige im Saal, der nicht glaubt. Nennen wir es Ulrichismus. Ich bin Ulrichist, denkt Wassili Wassiljewitsch Ulrich.79

Ulrichs neue Klarsicht, die ihn zum kalten Beobachter der aufgeführten Gerichtsfarce werden lässt, bleibt ironischerweise aber ebenso unentdeckt wie folgenlos. Zwar vermeint er, dass mit seiner Selbsterkenntnis »alles anders« und auch er selbst »ein anderer«80 geworden sei, konkrete Folgen hat dies aber nicht. Weiterhin arbeitet er daran, in der Ämterhierarchie des Staates nicht ins Hintertreffen zu geraten und unterschreibt Todesurteile im Akkord. Er tut dies aber nicht mehr im Dienste des kommunistischen Projekts, sondern vor allem, um eigene Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren. Eine Szene, die an Elias Canettis Beschreibungen des »Urteilens und Aburteilens«81 in Masse und Macht (1960) erinnert, führt anhand eines gescheiterten Erpressungsversuchs vor, wie sich verweigerte Triebabfuhr, Beschämung und Verurteilungstempo bedingen. Nachdem sich Ulrichs Versuch, von der Ehefrau eines Angeklagten sexuelle Dienste einzufordern, in ein Desaster impotenter Hilflosigkeit verwandelt hatte, kehrt er, »im Gesicht den grellen Schmerz der Erniedrigung«82, ins Büro zurück und unterschreibt das Todesurteil für den Ehemann der zuvor sexuell Genötigten. Entscheidend für die affektive Rahmung von Ulrichs Handeln ist, dass dieser das Scheitern seiner sexuellen Ambition retrospektiv als Ausdruck seiner höheren Moral narrativiert und von der erlebten Herabsetzung abkoppelt.83 Er unterscheibt den Verwaltungsakt nicht nur, sondern empfindet dabei sogar eine Befriedigung »über die eigene Unbestechlichkeit«84, bevor er die nächste Akte aufschlägt, in der es um eine Laima Zeraus aus Lettland geht, die den Alias-Namen Hilde Tal benutzt.

Mit dieser letzten biografischen Koinzidenz, die die drei Hauptfiguren und die jeweils durch sie verkörperten Subjektivierungsweisen in Resonanz zueinander stellt85, ist die literarische Besichtigung des affektiven Spektrums des Renegaten, die mit Orwells »Zwei-Minuten-Hass« begonnen und von den paranoischen Konstellationen des Hotels Metropol fortgesetzt wurde, aber noch nicht ganz abgeschlossen. Auch wenn mit Ulrich bereits die Zone der aktiven Täterschaft betreten wurde, fehlt noch – und hier wird Rothmanns Erzählung Hotel der Schlaflosen relevant – ein kurzer Blick auf die Affekte am direkten Kristallisationspunkt der Gewalt. Auffällig ist dabei, dass die intensiven Affektlagen – Hass und Angst vor allem – immer dort ins Spiel kommen, wo die größeren gesellschaftlichen Räume und deren Affektarrangements in den Blick rücken. Die Kammern der Macht hingegen, wo die Richter und Henker ihren Aufträgen nachgehen, sind von affektkontrollierter Kälte bestimmt.

3. Schluss: die Kälte des Henkers

Dort, wo Renegaten vermutet oder gesucht werden, das führen Orwells 1984 und Ruges Metropol aus unterschiedlichen Perspektiven vor, entstehen extreme Gefühlslagen. Dem Feindbild des Renegaten, der gehasst und als Vehikel politisierbarer Affektmobilisation genutzt werden kann, entspricht das emotionale Regime der Verfolgungsangst bei all jenen, die damit rechnen müssen, in den Fokus des Verdachts zu geraten. Im einen wie im anderen Falle findet sich ein imaginativer Überschuss, der als Brandbeschleuniger wirkt, zur völligen Entsicherung der Lage beiträgt und gerade deshalb eskalativ wirken kann, weil er – im Anschluss an die Überlegungen Eric Voegelins86 – im quasi-religiösen Glauben an eine höhere Ordnung der Geschichte verankert ist. Gegenüber den Gefühlskomplexen von Hass und Angst, die am Hitzepol politischer Affekte angesiedelt sind, präsentiert Ruge mit der Figur Ulrich einen zynischen Mitläufer, der sein Agieren ganz auf Außenlenkung eingerichtet hat. Wenn sich die Paranoia des Stalinismus im hier diskutierten Sinne als eine pathologische Reaktion auf die krisenhafte Erfahrung eines geschichtlichen Prozesses verstehen lässt, der sich gegen alle Orthodoxie nicht lenken lassen will, dann ist Ulrichs Renegation vor allem eines: der Ausdruck eines einverständigen Wissens darum, dass alles auch ganz anders sein könnte. Als skrupelloser Mörder ohne moralischen Kompass erscheint er vor diesem Hintergrund in einer merkwürdigen Wendung als eine hochambivalente Figur am Rande, die sich ganz aus einem taktischen Kalkül heraus im gefährlichen Raum bewegt. Am Massenmord der ›Großen Säuberungen‹ beteiligt zu sein, bedeutet ihm zunächst einmal, das eigene Überleben zu sichern.

Noch einmal eine etwas andere Färbung trägt die Erzählung Hotel der Schlaflosen in die Affektologie des Renegaten ein. Rothmann porträtiert darin, am historischen Vorbild des NKDW-Offiziers Wassili Michailowitsch Blochin orientiert, einen stalinistischen Henker, der mit gnadenloser Kälte seiner Aufgabe nachgeht. Konzentriert erledigt er in einem Hotelkeller eine Erschießung nach der anderen. Er liebt seine »Walther«, mit der man »drei- oder vierhundert Volksfeinde an einem Tag«87 erledigen kann. Blochin, der bei der ›Arbeit‹ immer eine Lederschürze über der Uniform trägt, blickt mit kaltem Zynismus auf sein Tun. Wenn es spät wird, übernachtet er im Hotel, lieber aber schläft er zuhause bei Natalja, weil er im Hotelbett oft wach liegt wie

ein alter Fuchs, der den Herzschlag der Mäuse unterm Schnee hört. Ich wusste, alle in den zweihundert Zimmern schliefen ebenfalls nicht, alle starrten die Wände an und warteten darauf, dass der rumpelnde Lift in ihrer Etage hielt, und diese Angst hatten sie verdient. Aber ich brauchte Schlaf; ich musste bei der Sache sein und durfte nicht empfindlich werden, sonst konnte ich mir gleich die Kugel geben.88

Blochin verkörpert den Prototyp des emotionslosen Henkers, für den eine subjektive Vermittlung zwischen der Monstrosität und Alltäglichkeit seines Tuns kein Problem darstellt. Rothmann zeichnet ihn als Mensch ohne Gewissen, dessen affektive Gleichgültigkeit ihn in die Lage versetzt, auch Urteile gegen Verwandte oder enge Freunde zu vollstrecken, sobald ihre Namen auf seinen Listen auftauchen. Als in einer Nacht der jüdische Schriftsteller Isaak Babel in den Kellerräumen des Hotels Lux landet, weil er als Verfasser des Romans Die Reiterarmee bei Stalin in Ungnade gefallen war, kommt es zu einem kurzen Kammerspiel, bei dem Rothmann dem moralischen Nihilismus des stalinistischen Herrschaftsraumes in der Figur Blochin ein Gesicht gibt. Dessen totale moralische Indifferenz gewinnt in der Konfrontation mit dem zuvor brutal gefolterten und völlig entkräfteten Babel an Profil. Zwischen dem Henker, der die literarischen Qualitäten der Reiterarmee lobt und gleichzeitig über die politische Naivität Babels spottet, und seinem Opfer entspinnt sich ein bizarrer Dialog über Wahrheit. So hält Blochin Babel vor, dass es blauäugig sei zu glauben, man könne die Autoritäten des Systems »durch die poetische Blume«89 kritisieren. Insbesondere die negative Zeichnung des russischen Feldherrn Budjonny in der Reiterarmee sei ein schwerer Fehler gewesen. Babels Erwiderung – »Aber so war es doch. So war es wirklich. Nicht ich mit meinem bisschen Tinte – er hat die Rote Reiterarmee in den Dreck gezogen, in die Niederlage.«90 – lässt Blochin nicht gelten. Im Gegenteil. Babels Beharren auf einer parhessiastischen Aufgabe der Literatur, die eine »Verantwortung für das Leben« habe und »nicht taktieren« dürfe, provoziert Blochin zu einem kurzen Wutanfall:

Das Leben, das Leben, was spuckst denn Du hier für Phrasen? Auch der Tötende ist das Leben! Und was hat die Ehrlichkeit für einen Wert, wenn sie nur Unfrieden stiftet? […] Und was heißt das überhaupt, Wahrheit? […] Alle biegen sich die Geschichte so hin, dass sie gut aussehen, mit möglichst vielen Orden auf der Brust. Die Wahrheit aber, die reine und letzte Wahrheit, mein Freund, die sagt immer nur eine Kugel.91

Für die Kälte, mit der Blochin sein Gegenüber behandelt, findet Rothmann ein erschütterndes Bild. So erzwingt der Henker eine Signatur von Babels Geschichten aus Odessa (1931), in denen er zuvor im Bett gelesen hatte. Weil Babels Hände gebrochen sind und er keinen Stift mehr halten kann, gibt er sich einer schmerzvollen Prozedur mit dessen in Tinte getränkten Daumenabdrücken zufrieden. Diese ganze wörtliche »Subversion als Machttechnik«92 – die blauen Abdrücke der Opfer treten an die Stelle der blutigen der Täter – setzt den Schlusspunkt. Babel stirbt einen prosaischen Tod und sinkt lautlos hin, »wie ein Haufen Kleider«93. Dass er nach Stalins Tod, als sich die Koordinaten des sowjetischen Wahrheitsregimes verschieben, posthum vom Vorwurf des Renegatentums freigesprochen wird, nimmt Blochin mit Freude zur Kenntnis, auch wenn er sich ärgert, dass die Geschichten aus Odessa trotz der berühmten Signatur nicht zu verkaufen sind. »Keiner«, mit diesem Satz endet die Erzählung, »wollte mir glauben, dass es seine Fingerabdrücke waren.«94 In Rothmanns Erzählung sind Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, anders als Wahrhaftigkeit, relationale Größen einer politischen Epistemologie mit beschränkter Gültigkeit. Darin zeigt sich einmal mehr der schwankende Boden im Affektraum des Renegaten, der allen Akteuren, die in ihm überleben wollen, eine permanente Selbstregulierung nach der Maßgabe politischer Erwartungshaltungen auferlegt.

Literaturverzeichnis

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Fußnoten

1 Die Anspielungen auf die stalinistische Herrschaftspraxis sind im Roman immer wieder auffindbar. Nicht nur erinnert die Darstellung und Funktion des Renegaten Goldstein an Leo Trotzki, die »diabolische Gegenfigur« (Koenen, Gerd (2000): Utopie der Säuberung. Was war der Kommunismus? Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 240) zum ›Erlöser‹ Stalin in der stalinistischen Propaganda, auch lehnt sich die Machttechnik der »Vaporisierung« an die unter Stalin übliche Praxis an, vermeintliche Renegaten im wörtlichen Sinne auszulöschen. Berühmt sind die Fotografien und Gemälde, auf denen Stalin abtrünnige Mitstreiter nachträglich wegretuschieren ließ. Vgl. hierzu King, David (2015): Die Kommissare verschwinden: Die Fälschung von Fotografien und Kunstwerken in Stalins Sowjetunion. Berlin: Karl Dietz Verlag. 2 Orwell, George (2019): 1984. 45. Auflage. Berlin: Ullstein, S. 18. 3 Orwell: 1984, S. 18. 4 Orwell: 1984, S. 19. 5 Vgl. Schmitt, Carl (2010): Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. 7. Aufl. Berlin: Duncker & Humblot, insbesondere S. 95–96. 6 Weil der Affektraum des Renegaten dadurch charakterisiert ist, dass er allen Akteuren den Zwang auferlegt, aus schierer Überlebensnotwendigkeit ein doppeltes Bewusstsein zwischen externalisierter (Selbst-)‌Beobachtung und interner Handlungsmodulation ausbilden zu müssen, ist seine exakte Kartierung eine Aufgabe der Literatur und ihrer Fähigkeit zur Multiperspektivität. 7 Ruge, Eugen (2019): Metropol. Hamburg: Rowohlt Verlag, S. 405. 8 Orwell: 1984, S. 19. 9 Orwells Entwurf des »2-Minuten-Hasses« steht in deutlicher Kontinuität zu Sigmund Freuds Essay über Massenpsychologie und Ich-Analyse von 1921, der selbst wiederum auf Gustav LeBons These über die Ansteckungslogiken in seiner Studie zur Psychologie der Masse von 1895 reagiert. Freuds kulturkritisches Konzept, das um die Begriffe ›Identifizierung‹, ›Idealisierung‹ , ›Libido‹ und ›Regression‹ kreist, begreift die Masse als ein überindividuelles Erregungs- und Ansteckungsgeschehen: »Die Gefühle der Masse sind stets sehr einfach und sehr überschwänglich. Die Masse kennt also weder Zweifel noch Ungewißheit. Sie geht sofort zum Äußersten, der ausgesprochene Verdacht wandelt sich bei ihr sogleich in unumstößliche Gewißheit, ein Keim von Antipathie wird zum wilden Haß.« Freud, Sigmund (1974): Massenpsychologie und Ich-Analyse. In: ders.: Studienausgabe Bd. IX. Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 61–134, S. 72–73. 10 Orwell: 1984, S. 20. 11 Von der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte eigentlich mit Blick auf die Performance-Kunst für die Analyse von Interferenzprozessen zwischen Akteur*innen und Publikum konzeptualisiert, lässt sich das Konzept der Feedbackschleife auch für die Beschreibung von performativen Interaktionsdynamiken im Publikum selbst nutzen. Vgl. Fischer-Lichte, Erika (2012): Performativität. Eine Einführung. Bielefeld: transcript, S. 65. 12 Orwell: 1984, S. 20–21. 13 Durkheim, Émile (1994): Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 291. 14 Haubl, Rolf (2007): Gattungsschicksal Hass. In: ders./ Caysa, Volker: Hass und Gewaltbereitschaft. Philosophie und Psychologie im Dialog. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 7–68, S. 46. 15 Orwell: 1984, S. 21 – 22. 16 Mit dem Begriff der »Efferveszenz« fasst Durkheim die Funktion des kollektiven Rausches, den er als Mittel zur rituellen Transformation des Einzelnen und seiner Initiation in die Gemeinschaft bestimmt. Vgl. Durkheim: Die elementaren Formen, S. 295ff. 17 Goffman, Ervin (1981): Geschlecht und Werbung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 8. 18 Vgl. Girard, René (1998): Der Sündenbock. Zürich: Benziger; ders. (2000): Gewalt und Religion: Gespräche mit Wolfgang Palaver. Berlin: Matthes & Seitz. 19 Gertenbach, Lars/ Laux, Henning/ Rosa, Hartmut et al. (2018): Theorien der Gemeinschaft zur Einführung. 2. Aufl. Hamburg: Junius, S. 76. 20 Orwell: 1984, S. 23. 21 Orwell: 1984, S. 23. 22 Dass es sich hier in der Tat um eine Legende handelt, die gleichwohl anschaulich das Überwältigungspotenzial des frühen Kinos bebildert, ist nachzulesen bei Binotto, Johannes (2010): Für ein unreines Kino. Film und Surrealismus. In: Film-Bulletin – Kino in Augenhöhe, 3, online unter: https://schnittstellen.me/essay/film-und-surrealismus/. 30.03.2020. 23 Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 120. 24 Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp, S. 371. 25 Als Agent nutzte Hans bis zur Flucht in die Sowjetunion den Vornamen Wilhelm. In Moskau erhielten Charlotte und Wilhelm dann die Decknamen Lotte und Jean Germaine. 26 Ruge: Metropol, S. 404. 27 Ruge: Metropol, S. 415. Ironischerweise rückt dieses poetische Verfahren den Roman in die Nähe jener epistemologischen Prozeduren, die die Geheimpolizei während der ›Großen Säuberungen‹ nutzte, um zu Schuldsprüchen zu kommen: Dort, wo Beweise fehlten, reichte oftmals die Plausibilität einer Unterstellung zu einer Verurteilung. 28 Zitiert nach Rohrwasser, Michael (1991): Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 47. 29 Groys, Boris (1988): Gesamtkunstwerk Stalin. München: Hanser, S. 124. 30 Ryklin, Michail (2003): Räume des Jubels. Totalitarismus und Differenz. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 12. 31 Ryklin: Räume des Jubels, S. 12. 32 Vgl. Ruge: Metropol, S. 93 und S. 113. 33 Koenen: Utopie, S. 241 34 Koenen: Utopie, S. 241. 35 Ruge: Metropol, S. 176. 36 Ruge: Metropol, S. 52. 37 Arendt, Hannah (2017): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 20. Aufl. Köln: Pieper, S. 696. 38 Koenen: Utopie, S. 226. 39 Arendt: Elemente und Ursprünge, S. 696. 40 Arendt: Elemente und Ursprünge, S. 696–697. 41 Ruge: Metropol, S. 289. 42 ›Interpellation‹ hier verstanden im Sinne Louis Althussers, der im Vorgang der Anrufung Subjektwerdung und Unterwerfung in eins setzte, vgl. die präzise Rekonstruktion von Scholz, Leander (2012): Anrufung. In: Bartz, Christina/ Jäger, Ludwig/ Krause, Marcus et al. (Hg.): Handbuch der Mediologie. Signaturen des Medialen. München: Wilhelm Fink, S. 41–46. 43 Ruge: Metropol, S. 289–290. 44 Sasse, Sylvia (2023): Verkehrungen ins Gegenteil. Über Subversion als Machttechnik. Berlin: Matthes & Seitz, S. 39. 45 Sasse: Verkehrungen, S. 42–43. 46 Koenen: Utopie, S. 215. 47 Dass Stalin nicht zuletzt deshalb eine so einschüchternde Wirkung hatte, weil er seinem Gegenüber immer als Black Box begegnete, reflektiert im Roman der Oberste Richter Ulrich während einem der Gerichtstage im Prozess gegen Lurie wie folgt: »Das Schlimme ist, dass man nicht weiß, was er denkt. Vermutlich ist das seine Stärke. Lehnt sich zurück, hört zu. Raucht sein Pfeifchen. […] Es ist wie Magie. Stalin neigt bloß den Kopf, macht eine Handbewegung, er bläst ein bisschen Rauch in die Luft, und der ganze Apparat ist in Bewegung. Alle springen herum, schwingen Reden, verpetzen sich gegenseitig.« Ruge: Metropol, S. 40–41. 48 Vgl. Ruge: Metropol, S. 10–11. 49 Ruge: Metropol, S. 19. 50 Ruge: Metropol, S. 102. 51 Ruge: Metropol, S. 92. 52 Die Faktualität dieser Selbstanklage dokumentiert Ruge durch eine fotografische Abbildung des vierseitigen Aktenauszugs. Vgl. Ruge: Metropol, S. 97–101. 53 Ruge: Metropol, S. 100. 54 Ruge: Metropol, S. 233. 55 Ruge, Metropol, S. 227. 56 Ruge: Metropol, S. 227. 57 Das Pamphlet ist als historischer Leitfaden 1937 unter der Herausgeberschaft der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UDSSR in Moskau erschienen. 58 Vgl. etwa Ruge: Metropol, S. 306. 59 Pikanterweise hatte diese – wie ein noch vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung abgedruckter Auszug aus Charlottes KOMINTERN-Akten verrät – im Oktober 1936 selbst eine denunziatorische Mitteilung verfasst, in der sie die Bekanntschaft der Germaines mit Emel und seiner Frau anzeigt (vgl. Ruge: Metropol, S. 15). Ruge plausibilisiert diesen Akt des Verrats ganz im Sinne von Arendts »guilt by association«. Nach einer langen, zaudernden Reflexion darüber, ob sie die Verbindung von Charlotte und Wilhelm zu Emel anzeigen soll, gibt letztlich das Argument des notwendigen Selbstschutzes den Ausschlag: »Wilhelm wird seine Beziehung zu Emel sowieso anzeigen. Und was sagt sie dann? Sie habe davon nichts gewusst? Sie fingert eine Papirossa aus der Schachtel und spannt ein neues Blatt in die Maschine.« Ruge: Metropol, S. 66. 60 Ruge: Metropol, S. 244. 61 Ruge: Metropol, S. 54. 62 Ruge: Metropol, S. 55. 63 Vgl. Ruge: Metropol, S. 53. 64 Ruge: Metropol, S. 320. 65 Ruge: Metropol, S. 336. 66 »Das Element der Ansteckung […] hat die Wirkung, daß die Menschen sich voneinander absondern. Das sicherste ist, niemand zu nahe zu kommen […]. Einer vermeidet den anderen. Das Einhalten von Distanz wird zur letzten Hoffnung.« Canetti, Elias (2006): Masse und Macht. 30. Aufl. Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 325. 67 Canetti: Masse und Macht, S. 517. 68 Ruge: Metropol, S. 214–215. 69 Ryklin: Räume, S. 12–13. 70 Ruge: Metropol, S. 349. 71 Figes, Orlando (2008): Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland. Berlin: Berlin Verlag, S. 29–30. 72 Vgl. zur Dramaturgie des Verhörs in Koestlers Sonnenfinsternis Lethen, Helmut (2023): Der Sommer des Großinquisitors. Über die Faszination des Bösen. Hamburg: Rowohlt, S. 113–123. 73 Vgl. Ruge: Metropol, S. 350–353. 74 Ruge: Metropol, S. 420–421. 75 Koenen: Utopie, S. 247. 76 Vgl. Ruge: Metropol, S. 419. 77 Ruge: Metropol, S. 154. 78 Vgl. Rohrwasser: Der Stalinismus, S. 26–56. 79 Ruge: Metropol, S. 172. 80 Ruge: Metropol, S. 173. 81 Canetti: Masse und Macht, S. 351–352. 82 Ruge: Metropol, S. 372. 83 Die Szene steht damit in einer Korrespondenz zu Elias Canettis Beobachtung, dass »die Freude am negativen Urteil« gerade aus moralischer Unbedingtheit entspringt, in der sie verankert sein muss. Vgl. Canetti: Masse und Macht, S. 351–352. 84 Ruge: Metropol, S. 375. 85 Mit Charlotte und Wilhelm teilt Ulrich den Umstand, dass er und seine Frau – freilich auf einer anderen Etage – ebenfalls im Hotel Metropol wohnen. 86 Vgl. Voegelin, Eric (1938): Die politischen Religionen. Wien: Bermann-Fischer, sowie ders. (2019): Angst und Vernunft. Berlin: Matthes & Seitz. 87 Rothmann, Ralf (2020): Hotel der Schlaflosen. In: ders.: Hotel der Schlaflosen. Erzählungen. Berlin: Suhrkamp, S. 23–45, S. 27. 88 Rothmann: Hotel, S. 30. 89 Rothmann: Hotel, S. 37. 90 Rothmann: Hotel, S. 37. 91 Rothmann: Hotel, S. 38. 92 Vgl. Sasse: Verkehrungen. 93 Rothmann: Hotel, S. 44. 94 Rothmann: Hotel, S. 45.