Veronika Albrecht-Birkner, Carolin Gerlitz, Stephan Habscheid und Danny Lämmerhirt: Partizipation als Herausforderung. Performativität des Quantitativen und Rechtfertigungslogiken des Nicht-Populären. Bericht zur 2. Jahrestagung des Sonderforschungsbereichs »Transformationen des Populären« vom 05. bis 07. Oktober 2022 an der Universität Siegen

Popularisierung als kultureller Trend der Moderne, so eine zentrale These des Siegener Sonderforschungsbereichs 1472 »Transformationen des Populären«, wird maßgeblich getragen von einer Performativität des Quantitativen, die kulturelle Relevanz an gemessene und inszenierte Beachtung bindet: Publikumsquoten, Charts, Rankings und Ratings, Social-Media-Statistiken usw. Dies bringt nicht nur die Wissenschaft, sondern jegliche Art traditioneller Institutionen und Wertsetzungen unter Druck, sich selbst als populär zu erweisen – oder die eigene Legitimität durch Beharrung auf gewachsenen Sinnstrukturen kultureller Ausdifferenzierung erst einmal einfach weiter zu behaupten (Döring et al. 2021: 4–9).

In den sich hieraus ergebenden Diskursen und Praktiken der Aushandlung von Deutungshoheiten spielt das politische Leitbild der Partizipation, das mit diversen Bemühungen um Popularisierung einhergeht, gegenwärtig eine zentrale Rolle (vgl. z.B. Sommer 2015). In der Folge von »1968« lassen sich Anstrengungen zur Inklusion benachteiligter Bevölkerungsschichten von der identitätspolitischen Dimension eines »hedonistischen Selbstverwirklichungsstils« unterscheiden (vgl. Scharloth 2011). Unter den Vorzeichen der Identitätspolitik griffen und greifen nicht nur die kurzfristige »Revolte«, sondern auch ihre langfristigen und gesamtgesellschaftlichen Folgen tief in verschiedenste Bereiche des Alltags ein und veränderten die kommunikative Praxis zugunsten von (inszenierter) Egalität, Beteiligung und Popularisierung nachhaltig (vgl. ebd.). Exemplarisch zeigt sich dies etwa in einer zumindest teilweise partizipativeren medizinischen Wissenschaft und ärztlichen Praxis (vgl. z.B. Epstein 1995) oder in neuartigen Gottesdiensten (vgl. z.B. mit interaktionsarchitektonischem Fokus Hausendorf; Schmitt 2016). Auf kommunalpolitischer Ebene in Deutschland wurden durch die flächendeckende Etablierung des »süddeutschen Modells« der Kommunalverfassung nach 1990 mit der Direktwahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und der Etablierung von Plebisziten Elemente der Bürgerbeteiligung formell gestärkt (Kost 2012: 5). Zudem scheint hier die Ergänzung repräsentativer Demokratie durch experimentelle Formen direkter Beteiligung (vgl. Gehne 2012: 104), die eine Mitwirkung an Entscheidungen durch Interaktion erfahrbar machen sollen (vgl. Hausendorf 2008), eine der geeignetsten Maßnahmen zu sein, um dem Vorwurf von Demokratiedefiziten entgegenzutreten. Etwas schwächer als Partizipation, aber mit ähnlicher Stoßrichtung verwendet wird die Forderung bzw. Ermöglichung von »Teilhabe«, die darauf zielt, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen, von der Sozialhilfe bis zum subventionierten Theater, zu inkludieren (vgl. Burzan et al. 2008). Im Kontext liberaler Verwaltungsreformen wird gefordert, dass die Verwaltung möglichst »bürgerfreundlich« agiert, was wiederum eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an (verständigungsorientierter) Interaktion relevant macht.

Partizipation, Teilhabe und durch Messungen nachweisbare Popularisierung gehen in der Praxis oftmals Hand in Hand und stellen daher einen Phänomenbereich dar, der auch den SFB »Transformationen des Populären« herausfordert. Im Rahmen seiner Jahrestagung vom 05. bis 07. Oktober 2022 an der Universität Siegen griff der SFB diesen Problemkomplex auf. Der vorliegende Beitrag fasst – ausgehend von den Ausgangsüberlegungen (Abschnitt 1) – die Ergebnisse zusammen (Abschnitt 2) und nimmt die Diskussionen auf der Jahrestagung zum Anlass, das Problem der Partizipation als Herausforderung im Kontext der »Transformationen des Populären« als zeitdiagnostisch relevantes Forschungsproblem weiter zu reflektieren (Abschnitt 3).

Auf der Jahrestagung des SFB wurde im Interesse einer konsistenten und interdisziplinär verallgemeinerbaren theoretischen Fundierung Partizipation auch in einem weiteren, abstrakteren sozialtheoretischen Sinn gefasst. Es ging also nicht nur um aktive und intentionale (politische) Maßnahmen, sondern zunächst grundlegender um das Involviert-Werden in Diskurse und Praxisvollzüge, die sich gegenwärtig im Konfliktfeld der Aushandlung zwischen ›evidenter‹ Popularität und Rechtfertigung tradierter Institutionen und Machtverhältnisse vollziehen. In einer solchen Perspektive wird weniger das Was und Warum der Konflikte und deren Bewertung als vielmehr zunächst das Wie in den Blick genommen: die sich wandelnden kulturellen, medialen, pragmatischen und ästhetischen Konstitutionsbedingungen von institutioneller Dynamik und Statik. Der Fokus liegt dabei auf den »Partizipanden« der Partizipation (Hirschauer 2004, 2016) in den sich verändernden Konstellationen: sozialisierte Körper, Artefakte und deren Aufforderungscharakter, Metriken und Kennwerte, technische Standards und Algorithmen, räumliche Settings, textuelle und visuelle Repräsentationen im Diskurs, historische Orte, Sequenzialität in der Interaktion, Beziehungsdynamiken und der Grad an Bewusstsein bei menschlichen Beteiligten in arbeitsteiligen Konstellationen. Sozialtheoretisch formuliert: Es geht um die empirische Verschränkung von prima facie »ontologisch« heterogenen Voraussetzungen, die für ein Geschehen – situativ und in raumzeitlich übergreifenden Prozessen – konstitutiv sind. Unter diesen Prämissen wurde in Bezug auf unterschiedliche disziplinäre Gegenstandsbereiche – Kunstgeschichte, Medienwissenschaft, Science and Technology Studies, Kultursoziologie, Angewandte Sprachwissenschaft, Sozio- und Diskurslinguistik, Sozialpädagogik, Religion und Theologie – diskutiert, ob und inwiefern ein solcher weiter und abstrakter Partizipationsbegriff für die interdisziplinäre Debatte um die Transformationen des Populären, v.a. im Blick auf quantifizierende Verfahren, unerwünschte Popularität und Probleme von Partizipation, anschlussfähig und gewinnbringend ist.

1. Ausgangspunkte

Das Vermessen von Popularität mittels Like Buttons, Abstimmungsergebnissen, Performance-Ratings, Verkaufszahlen, Ranking-Platzierungen, Follower-Counts oder Kommentaren geht mit Konflikten und Spannungsfeldern einher. Eine Vielzahl dieser Kontroversen entfalten sich entlang der Frage der Partizipation: Popularitätsmetriken beruhen im Kontext digitaler und Online-Medien auf der Teilnahme mehr oder weniger offener oder geschlossener Gruppen von Akteur:innen: Die Viewcounts auf YouTube und damit die Popularität eines Videos basieren auf der Partizipation der Userinnen und User, die Position einer Künstlerin in Spotify-Rankings basiert auf dem individuellen und aggregierten Hörverhalten der Nutzer:innen etc. Die Tatsache, dass die Teilnahme an Social Media Rankings relativ niedrigschwellig ist, sollte jedoch nicht den Blick auf die Frage versperren, wer an vermeintlich partizipativen Quantifizierungen überhaupt teilnehmen kann und auf welcher Basis: Zählen alle Stimmen gleich viel? Wessen Stimmen werden überhaupt erfasst? Was passiert, wenn Rankings gezielt beeinflusst, manipuliert oder mittels Bots automatisiert werden?

Nicht alle Teilnehmenden sind gleich erwünscht. Die Valenz von Kennzahlen vor allem in den sozialen Medien hat, um mit den Soziolog:innen Espeland und Sauder (2007) zu sprechen, zahlreiche reaktive Effekte und führt dazu, dass strategisch versucht wird, Kennzahlen für die eigenen Zwecke zu beeinflussen. Dies umfasst Versuche, strategisch Follower, Like oder Retweet Counts zu erhöhen, zum Beispiel durch Bots, gekaufte Follows/Aktivitäten und koordinierte Aktivitäten, wie Erkan Saka sie thematisiert.1 Vielfach sind diese Teilnehmenden weder von Plattformen noch von anderen Nutzer:innen erwünscht und ihr Einsatz wird problematisiert, kontrolliert und reguliert. Das Versprechen der Partizipation stößt vor allem bei nicht allein menschlichen, softwaregetriebenen Accounts an seine Grenzen.

Die Frage der nicht menschlichen Teilnehmenden an Popularitätsrankings erstreckt sich auch auf die Rolle von Daten, die von Algorithmen ausgewertet werden. Hier wurde vor allem im Bereich der Critical Data Studies (Iliadis; Russo 2016) und der Feminist Data Studies (D’Ignazio; Klein 2020) vielfach auf die möglichen Bias hingewiesen, die Trainingsdaten von Algorithmen oder Maschine Learning Systemen erzeugen können: Je nachdem welche Daten an diesen automatischen Auswertungsprozessen partizipieren, kann das Ergebnis in bestimmten Dimensionen ausschlagen und selbst wieder nicht inklusiv sein. Die Frage, wie Daten oder verdatete Aktivitäten partizipativ sind, thematisierte Elena Esposito in ihrem Beitrag zu Personalisierung und digitalem Profiling.

Woran partizipieren eigentlich die Teilnehmenden partizipativer Rankings? Offensichtlich partizipieren sie an der Erfassung ihrer Aufmerksamkeit und der Vermessung von Beachtung. Aber darüber hinaus werden durch datenintensive Verfahren des Profiling, der Personalisierung und der Vermessung die Daten der partizipierenden Subjekte in immer neue Aggregate überführt: So kann ein einfacher Klick auf einen Like-Button auf Instagram im Backend der Plattform zu anderen Likes anderer User:innen in Bezug gesetzt werden und dann wieder mit Inhalten von anderen, die diesen Beitrag auch gelikt haben, verbunden werden. Drittanbieter, die diese Daten mittels Programmierschnittstellen aus den Plattformen extrahieren, können die einzelnen Datenpunkte in immer neue Kombinationen und damit immer neue soziale Formationen überführen (Mackenzie 2012): »Menschen, die diesen Song mochten, hören auch …«. Wer mit wem in Beziehung gesetzt wird und an welchen sozialen Formationen man dadurch teilnimmt, ist eine Frage, der sich u.a. der Vortrag von Celia Lury zum Thema Pronominalism widmete.

Metriken selbst partizipieren an dem, was sie versuchen zu vermessen (Gerlitz; Lury 2014). Landet eine Website in Googles Suchergebnissen auf Platz 1, weil sie tatsächlich die relevantesten Inhalte liefert oder weil sie am besten die Bewertungskriterien des Sortieralgorithmus antizipiert und erfüllt? Die Optimierung von Web-Inhalten hinsichtlich ihrer Bewertungskriterien hat eine ganze Branche geschaffen – die Suchmaschinenoptimierung. Auch im Bereich der Musik finden sich Beispiele: Da auf Spotify Streams erst nach 30 Sekunden Abspielzeit erfasst und dadurch monetarisierbar werden, legt die Musikproduktion einen extremen Fokus auf diese erste halbe Minute, so dass zum Teil der Refrain früher im Lied platziert wird.

Wurden diese partizipativen Effekte in der Quantifizierungsforschung zunächst als Problem identifiziert, das es zu verhindern gilt, wenn man die Qualität von etwas vermessen möchte, so werden sie heute ganz gezielt von Plattformen und anderen Intermediären eingesetzt.

Schließlich bleibt die Frage, wie auch Forschende (z.B. des SFBs) an Metriken und ihrer Interpretation partizipieren, zum Beispiel mittels einer Metrical Literacy: Lassen wir uns von geordneten Kennzahlen dazu verleiten, nur auf die Spitze von Rankings zu schauen? Welche Aufmerksamkeit erhalten die »kleinen Werte« und die scheinbar unpopulären Objekte in unserer empirischen Forschung? Welche Perspektiven eröffnet der Blick auf das Mittelfeld eines Rankings? Wie transparent und explizit sind wir hinsichtlich der verschiedenen partizipativen Effekte der Metriken, die wir selbst produzieren?

Metriken und Quantifizierung unter dem Aspekt der Partizipation zu betrachten, lenkt den Blick weg von Kennzahlen als Abstraktion, als Repräsentation oder als Reduktion einer externen Wirklichkeit. Stattdessen sensibilisiert es für die qualitativen, relationalen und politischen Dimensionen von Vermessung. Denn ein genauer Blick auf die Komposition von Metriken, vor allem von algorithmischen Metriken, wie sie in digitalen Medien allgegenwärtig sind, zeigt: Was hier zusammengeführt, verglichen und geordnet wird, ist nicht per se kommensurabel (Espeland; Stevens 1998), also vergleichbar. Vielmehr wird es erst kommensurabel gemacht. Zudem sind quantitative Kennzahlen nicht losgelöst von den ihnen zugrunde liegenden Praktiken, Situationen und Kontexten, wie im Rahmen der Tagung mit Bezug auf Hashtag-Aktivismus (#Meetoo, #JeSuisCharlie) oder politisches Trolling diskutiert wurden. Bisher wurden solche qualitativ-produktiven Dimensionen von Metriken unter dem Begriff der Performativität von Metriken untersucht. Der Fokus auf den Aspekt der Partizipation hingegen öffnete die Frage nach der sozialen Wirkmächtigkeit von Metriken in zwei Richtungen: Wer kann unter welchen Bedingungen an der Erstellung von Quantifizierungen mitwirken? Und wie wirken Quantifizierungen auf das zurück, was sie versuchen zu erfassen?

Eine andere zentrale Ausgangsfrage betrifft das Verhältnis zwischen der Forderung nach mehr (quantifizierter) Partizipation und dem Phänomen von Populismen. Die Pluralform »Populismen« verweist darauf, dass Phänomene des Populismus nicht nur in politischen Kontexten beobachtet werden können, sondern auch in diversen anderen Institutionen. Aus methodologischen Gründen versucht der SFB, größtmögliche Distanz zu normativen Begriffen zu halten. Dies gilt insbesondere auch für den Begriff ›Populismus‹, der im öffentlichen Diskurs wie auch in Teilen der politischen Wissenschaft stark normativ aufgeladen ist. Demgegenüber fasst der SFB – im Rückgriff auf seinen Popularitätsbegriff – Populismus zunächst heuristisch als unerwünschte Popularität in der Perspektive etablierter Institutionen (Döring et al. 2021: 16f.). Diese Begriffsbestimmung vermeidet, soweit möglich, Reifizierung, die unkritische Übernahme von Krisendiagnosen und eigene Parteinahme, zugunsten von verstehender Rekonstruktion, Erklärung und kontextbezogener Differenzierung. Populismus liegt, anders gesagt, immer im Auge des Betrachters, und der Umgang mit der Bezeichnung – meistens ein »Stigmawort« (Knobloch 2007), eben zur Abwehr unerwünschter Popularität – muss jeweils Teil einer solchen Erklärung sein.

Nach einer Heuristik des SFB reagieren Institutionen auf die populistische Herausforderung auf unterschiedliche Art, idealtypisch durch Resilienz, Resistenz oder Akkomodation (vgl. Döring et al. 2021: 6). In einer historischen Perspektive können Institutionen transformiert werden, sich wandeln, marginalisiert werden oder untergehen. Ob der Resilienzbegriff tatsächlich trägt, wird weiter zu debattieren sein, insofern auch dieser Begriff oft normativ, zudem oft individualistisch verkürzend gebraucht wird. Neutraler und präziser wurde auf der Jahrestagung darüber diskutieret, wie institutionelle Partizipanden, menschliche und nicht menschliche, in den Konflikten um Popularität gleichsam ›aufgestellt‹ sind, nicht nur diskursiv, legitimierend und delegitimierend, sondern auch ganz praktisch in Form von interaktionalen Methoden und Verfahren, Räumen und Dingen, Infrastrukturen und Daten. Eine zentrale Frage war, inwieweit und wie diese jeweils einen mehr oder weniger wirkungsvollen Beitrag zur Koproduktion von Popularität und Partizipation bzw. Popularitäts- und Partizipationsverweigerung im Umgang mit ›Populismen‹ leisten.

Dabei zielt, wie erwähnt, der Populismen-Begriff des interdisziplinären SFBs über politische Kontexte i.e.S. hinaus auf ganz verschiedene Institutionen, mit denen sich die einzelnen Fächer auch spezialistisch befassen: So treffen beispielsweise im Kontext der Medizin professionell Handelnde auf Patientinnen und Patienten, die sich – vor dem Hintergrund der Komplexität, Unsicherheit, Abstraktheit und Emotionslosigkeit medizinischen Wissens – in netzbasierten Communities wechselseitig schulen, beraten, Erfahrungen erzählen und gegenseitig psychosozial unterstützen (vgl. Zillien 2020), sich u.U. auch längst selbst digital vermessen und diagnostisch kategorisiert haben. Zudem treten solche Beteiligte u.U. ihren Ärztinnen und Ärzten als Partizipierende an einer bewertenden Öffentlichkeit auf Gesundheitsportalen gegenüber und beanspruchen auf dieser Basis Partizipation in der Arzt-Patienten-Interaktion. Die diversen menschlichen und nicht menschlichen Partizipanden von Partizipation können also zu Quellen und Ressourcen erwünschter und unerwünschter Popularität werden. Dies gilt auch für die Ressource der Sprache: Dass die Bewertungen im Netz nicht immer sachlich ausfallen, sondern im Interesse einer Steigerung von Aufmerksamkeit von mindestens unerwünschten, in der Praxis auch als ›toxisch‹ bezeichneten sprachlichen Verfahren Gebrauch machen, spitzt die Konflikte weiter zu (vgl. zu populistischem Sprachgebrauch etwa Niehr; Reissen-Kosch 2018). Hiervon betroffen sind nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern z.B. auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Programmverantwortliche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Kulturschaffende am Theater. Die Rede von den »Rechtfertigungslogiken des Nicht-Populären«, die im SFB gebräuchlich ist, lenkt dagegen den Blick nicht nur auf die institutionelle Gegenseite, sondern auch auf die diskursive, argumentative Dimension von Konflikten um unerwünschte Popularität in Institutionen.

 

2. Exemplarische Durchführungen

Die diskursive ebenso wie die praxeologische Dimension der Konflikte um unerwünschte Popularität und Partizipation wie auch deren quantifizierende Aspekte wurden im Rahmen der Tagung am Beispiel verschiedener institutioneller Kontexte sowie unter den Aspekten räumlich-materieller Bedingungen von Praxis, kommunikativer Konstellationen der Adressierung und Positionierung und mit Blick auf die soziale Dimension von Konflikt und Macht untersucht.

Institutionen. Seit den 1960er Jahren konstituierte sich im Bereich der evangelischen Kirchen in Deutschland eine Protestbewegung, die in engem Zusammenhang mit einer Infragestellung des unter dem Stichwort ›Entmythologisierung‹ der Bibel bekannt gewordenen theologischen Programms Rudolf Bultmanns stand und die Legitimität der Kirche als Institution im Grundsatz betraf (Bauer 2012). Quantitativ geht es bei den Evangelikalen und dem Mainstreamchristentum um das Verhältnis einer Minderheit zu einer Mehrheit, das sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings immer weiter verschiebt: Während die etablierten (Landes-)‌Kirchen in Deutschland zunehmend an Mitgliedern verlieren, handelt es sich bei den Evangelikalen – zählt man hier die Pfingstkirchen dazu – um eine global und auch in Deutschland stetig wachsende Gruppe. Diese Entwicklungen erklären, warum sich die evangelischen Kirchen als Institutionen durch die evangelikale Bewegung zunehmend unter Druck gesetzt sahen und sehen und nach Möglichkeiten suchen, die evangelikale Protestbewegung einzuhegen. Die Kölner evangelische Kirchenhistorikerin Gisa Bauer stellte auf der Jahrestagung die These auf, dass die gezielte Ermöglichung von Partizipation hierbei eine zentrale Rolle spielt. Speziell auf dem Feld der Evangelisation als zentralem Anliegen der Evangelikalen ließen sich die evangelischen Kirchen auf eine intensive Kooperation mit dieser Gruppierung ein, die 1991 in der Gründung des Evangelisationsformats »proChrist« kumulierte. Damit vollzogen die Kirchen inhaltlich wie auch hinsichtlich präferierter medialer Formate eine Akkommodation an evangelikale Agenden, veränderten sich im Zuge der Gewährung von Teilhabe also selbst.

Als ein Gegenbeispiel hinsichtlich der Reaktion von Kirchen als Institutionen auf Herausforderungen durch populäre Erwartungshaltungen kann die von dem Siegener katholischen Religionspädagogen Ulrich Riegel vorgestellte aktuelle Diskussion um den Religionsunterricht an der weltanschaulich neutralen Schule gelten. Diese betrifft jenseits der Idee eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts (Riegel et al. 2022) vor allem Aspekte des Bezugs zum Klassenverband und zum Grundsatz religiöser Neutralität. Diesbezüglich relativ breite Forderungen werden von den Kirchen bislang zurückgewiesen unter Bezug auf Art. 7‍(3) GG, der besagt, dass der Religionsunterricht »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« erteilt wird. Dieser wird in Übereinstimmung mit den Verfassungsgerichten so gedeutet, dass ausschließlich der konfessionelle Religionsunterricht grundgesetzlich geschützt ist und entsprechend zu erteilen sei. Die Kirchen reagieren hier bislang also mit Resistenz.

Im Museumsbereich ist »Partizipation« in den letzten Jahren zu einem zentralen Paradigma avanciert (Piontek 2017). Im Hintergrund stehen dabei grundlegende Anfragen an die Existenzberechtigung von Museen als auf eine bildungsbürgerliche Stammnutzerschaft als (passiv) rezipierendem Adressatenkreis gerichtete Institution. Partizipation soll Hierarchien abbauen und neue Besucher:innenkreise erschließen – m.a.W. die Popularität von Museen steigern und auf diese Weise ihre Existenzberechtigung untermauern. Die Murnauer Museologin Anja Piontek wies auf Kontroversen um diese Strategie hin: Vergleichbar den Diskussionen um Popularisierungsanforderungen an die Wissenschaft, die Forderungen nach Aufgabe exklusiver wissenschaftlicher Kommunikation und die Unterwerfung unter Ideale der Interessantheit, Allgemeinverständlichkeit und (vordergründigen) Nützlichkeit implizieren (Bogner 2012), wird im Museumsbereich ein ›Ausverkauf der Kultur‹ in Gestalt zwangsläufiger Trivialisierung und Banalisierung der Inhalte befürchtet. Zugleich wird diskutiert, ob Partizipation als Prinzip nicht zugleich die Institution ›entzaubert‹, an der partizipiert wird, so dass das Interesse an derselben letztlich sinkt.

Räume. Der Greifswalder Sprachwissenschaftler der Germanistik Wolfgang Kesselheim untersuchte Vorgänge der Partizipation und Nichtpartizipation im musealen Raum selbst als soziomaterielle und kommunikative Prozesse (Kesselheim 2021). Dabei kontrastierte er das traditionelle Naturwissenschaftsmuseum mit dem auf Interaktion im Sinne von Einbeziehung der Besucher:innen in die Forschung angelegten Science Center und identifizierte anhand der Analyse körperlicher und sprachlicher Reaktionen von Besucher:innen, wie Ausstellungsarchitektur und -gestaltung Interaktionen mit denselben ermöglichen oder auch blockieren.

Die im Jahre 1723 erbaute Spanische Treppe in Rom als eines der bedeutendsten Beispiele für Freitreppenarchitektur stellt ein markantes architektonisches Beispiel dar für den Raum als Parameter von Partizipation oder Nichtpartizipation. Seit dem 19. Jahrhundert lassen sich öffentlich ausgetragene Konflikte um die ›Inbesitznahme‹ der Treppe durch die niederen Stände, später durch Händler, Anwohner und Touristen ausmachen – bis zum 2019 verhängten Sitzverbot auf der Treppe. Der Dortmunder Kunstdidaktiker Andreas Zeising stellte eine 1978 im Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung erschienene Streitschrift über die Spanische Treppe als im Geist der 68er verfasstes Plädoyer für eine alternative Architekturgeschichtsschreibung und eine partizipative Öffnung von Kulturdenkmälern vor. Im Blick auf die Spanische Treppe votierte die Publikation in einer Weise für ein Verständnis des Raums als Ort gesellschaftlicher Interaktion, die mikrosoziologisch-linguistischen Forschungsrichtungen (vgl. für die Gegenwart z.B. Hausendorf; Schmitt 2018) nahekommt, aber zeitgebunden Interaktion und sozioökonomische Strukturen diskursiv zusammenbringt. Gemäß diesem Verständnis sind es die Benutzer:innen, die die Architektur vollenden, nicht der Architekt oder staatliche und wirtschaftliche Kontrollinstanzen. Auf einer theoretischen Ebene zeigte der Vortrag besonders eindrücklich, welchen Ertrag die Verknüpfung eines konkreten politischen mit einem abstrakten sozialtheoretischen Partizipationsbegriff erbringen kann.

Der Zürcher Sprachwissenschaftler der Germanistik Noah Bubenhofer thematisierte in kulturlinguistischer Perspektive semantische Räume auf digitalen Plattformen als (potentielle) Räume der Partizipation. Er diskutierte die Zentralität personalisierter Timelines für soziale Medien, welche soziale Interaktionen individuell kuratieren. Timelines werfen für die Sozialforschung methodische Probleme der Rekonstruktion und Analyse von Interaktionen mit Inhalten auf. Hierbei spielen Algorithmen als Aussagen multiplizierende und ordnende Partizipanden eine zentrale Rolle. Bubenhofer schlug zur Analyse von Timelines digitale, korpuslinguistische Methoden vor, welche nach verschiedenen formalen Regeln wie z.B. Wortnähe deren semantischen Raum ableiten. Dabei können semantische »Räume« als Räume sozialer Dialogizität im Medium des Symbolischen (musterhaft auftretende Aussagen durch Sprache ebenso wie andere Zeichen) identifiziert und miteinander verglichen werden. So wird deutlich, dass die semantischen Räume von Timelines zwar zahllose Gelegenheiten zur sozialen Aktion bieten, sich bei strittigen Themen aber so stark unterscheiden, dass eine Partizipation unterschiedlicher sozialer Gruppen an ein und denselben Räumen kaum möglich erscheint (Bubenhofer 2022).

Adressierung und Positionierung. Unter dem Aspekt ›Adressierung und Positionierung‹ thematisierte der New Yorker Kunsthistoriker Ianick Takaes als »Stendhal Syndrom« bekannt gewordene psychosomatische Reaktionen auf populäre Kunstwerke (Takeas 2022). Die auf Aufzeichnungen des französischen Schriftstellers Marie-Henri Beyle (»Stendhal«) über körperlich überwältigende Gefühle bei der Besichtigung berühmter Kunstwerke in Florenz aus dem Jahr 1817 zurückgehende Bezeichnung markierte den Beginn der Aufmerksamkeit für Grenzerfahrungen angesichts von Kunstwerken, die seit den 1980er Jahren als Krankheitsbild klassifiziert werden. Takeas reflektierte die unter »Stendhal-Syndrom« gefassten psychosomatischen Reaktionen als Extremform einer hoch emotionalisierten ästhetischen Partizipation, für die sowohl die Popularität der Kunstwerke als auch die der literarischen Tradition der Ästhetisierung derartiger Partizipationsformen selbst zentrale Rahmenbedingungen darstellen. Mit dem Beitrag wurden die ästhetischen und emotionalen Konstitutionsbedingungen von Partizipation an Kunstwerken in den Blick gerückt.

Die Bielefelder Soziologin Elena Esposito diskutierte die Bedeutung von Algorithmen für die Personalisierung von Medieninhalten und warf dabei die Frage auf, wie die Handlungsmacht zwischen Algorithmen und den Empfängern von Inhalten verteilt wird (Esposito 2017). Im Gegensatz zu traditionellen Massenmedien sei Onlinekommunikation zunehmend personalisiert und weniger durch Produktstandards als vielmehr durch Distributionsstandards geprägt. Diese Standards werden durch Interaktionen zwischen Nutzer:innen und Algorithmen austariert, um die persönliche Adressierbarkeit durch Maschinen zu gewährleisten. Esposito argumentierte, dass die Teilhabe beider Partizipanden sowie daraus entstehende Fragen von Autonomie und Handlungsmacht entlang verschiedener Formen der algorithmischen Profilierung spezifiziert werden müssen. Am Beispiel des kollaborativen Filterns bestimmter Nutzergruppen sowie der Profilierung einzelner Nutzer:innen durch kontextorientierte Systeme stellte Esposito dar, dass beide Formen der Profilbildung algorithmische Operationen und menschliche Interventionen unterschiedlich verteilen. Für eine kritische Reflexion der Bedingungen von Partizipation ist ein differenziertes Verständnis der verschiedenen Personalisierungstechniken (auf das individuelle Verhalten bezogen, situationsanhängig, relational) notwendig. Dies eröffnet zudem die Frage nach dem Verhältnis von Personalisierung und Öffentlichkeit – welche Öffentlichkeiten schafft Personalisierung und welche Möglichkeiten der Gegenöffentlichkeit können entworfen werden?

Die Soziologin Celia Lury aus Warwick erkundete das Verhältnis von Partizipation und Pronominalisierung. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Demarkation von Sozialität mittels Pronomen, zum Beispiel in Kollektivierungspraktiken in sozialen Medien. Ausgehend von Phänomenen wie People Like You, #JesuisCharlie, #MeToo, MyUniversity oder der Medizindatenplattform PatientsLikeMe.com fragte Lury, wie Zusammengehörigkeit und Referenz etabliert werden. Obwohl derartige Praktiken sich als partizipativ generieren und von der Partizipation vieler abhängig sind, bleiben ihre Referenzen gezielt vage und uneindeutig. Lury argumentierte mit Rückgriff auf Mackenzie (2016), dass die Quantifizierungen, auf die sie anspielen, als »distributive numbers«, also als verteilte Zahlen zu verstehen sind, die relational und abhängig vom jeweiligen Standpunkt zu verstehen sind. Sie eröffnen Fragen der Kommensurabilität, denn die Entitäten, die unter #MeeToo oder #JeSuisCharlie gezählt werden, sind nicht per se vergleichbar – eine zählbare Einheit hat nicht die gleiche Größe wie eine andere und ist nur in Relation zu den anderen zu verstehen. Damit eröffnete Lury die Frage, welche Formen von Partizipation Pronominalisierung eröffnet und welche sie problematisiert.

Konflikt und Macht. Innerhalb der bereits unter dem Institutionenaspekt thematisierten evangelikalen Bewegung stellt Populäre Christliche Musik (PCM) ein wichtiges Medium der Vernetzung dar (Kopanski 2020). Der Siegener Musikwissenschaftler Reinhard Kopanski untersuchte potenzielle Verbindungen von Musik und Politik in PCM unter dem Aspekt verweigerter Partizipation: ob und inwiefern sich strikt konservative (gesellschafts-)‌politische Haltungen evangelikaler Christ:innen (z.B. Ablehnung von Homosexualität, patriarchales Verständnis von Geschlechterdifferenz, Ablehnung anderer Religionen), die sichtbare punktuelle Überschneidungen mit rechtspopulistischen Positionen beinhalten, in musikalischen Praktiken niederschlagen und wie es Musiker:innen der PCM-Szene unter Berufung auf die Religion als Grundlage ihres Handelns gelingt, sich der Partizipation (im Sinne eines Involviert-Werdens in Praxisvollzüge) und einer Vereinnahmung durch (rechts-)‌politische Akteure zu entziehen. Dabei geht es im Gegenüber zum kirchlichen Mainstream zugleich um Strategien der Nichtpartizipation und des Beharrens auf konservativ-elitären moralischen Positionen mithilfe von PCM.

Am Beispiel der digitalen Collagen »Colonial Fictions« des indigenen brasilianischen Künstlers Denilson Baniwa (Interview 2021) untersuchte die Bostoner Kunsthistorikerin Claudia Mattos Avolese Prozesse partizipativer indigener Aneignung der kolonialen Geschichte. Der Künstler greift zurück auf Illustrationen aus dem ersten Band von Theodor Koch-Grünbergs Buch »Von Roraima zur Orinoco« aus dem Jahr 1917 als weit verbreitetem Medium kolonialer Imagebildung, um diese digital zu manipulieren, indem er Figuren aus populären Science-Fiction-Filmen in die Bilder einfügt. Avolese interpretierte diesen Vorgang als Teil eines künstlerischen Zugriffs auf die koloniale Geschichte Brasiliens und somit als Form indigener Partizipation an der Historiographie Brasiliens, die eine Revision derselben impliziert.

In seiner Präsentation blickte der Istanbuler Soziologe Erkan Saka auf die letzten sechs Jahre seiner qualitativen Forschung zu regierungsnahen politischen Trollen, den sogenannten Aktrolls, in der Türkei zurück und zeichnete im Zuge dessen eine Vielzahl verschachtelter Modi der Partizipation am politischen Diskurs nach (Saka 2019). Dabei reflektierte er die Notwendigkeit der Partizipation als Teil des ethnographischen Forschungsprozesses. Sein Zugang zu den Aktrolls erfolgte über qualitative, beobachtende Methoden, indem er sich an relevanten Orten, in Cafés und Restaurants der regierungsnahen intellektuellen Elite, aufhielt, um Zugang zu und Vertrauen von relevanten Akteuren zu gewinnen. Statt eines koordinierten Netzwerks organisierter Trolle konnte seine Forschung vielmehr die Vielschichtigkeit und Selbstorganisation dieser sichtbar machen – die Mehrzahl an Akteuren, die Troll-Accounts oder Troll-Praktiken betreiben, sind nicht organisiert und vielfach nicht einmal offizielle Unterstützer:innen der Regierungspartei (Saka 2018). Im Fokus ihrer Praktiken steht vor allem die Popularisierung bzw. Diskreditierung ausgewählter politischer und gesellschaftlicher Themen. Aber auch die sich wandelnde Popularität und Regulierung der Plattformen schreibt sich in Partizipation ein – so sieht Saka in den letzten Jahren eine zunehmende Migration von öffentlichen Plattformen wie Twitter hin zu fragmentierten Öffentlichkeiten in Messenger-Diensten wie Telegram.

Im Zentrum des Beitrages von Emiliano Treré, Medienwissenschaftler in Cardiff, steht die Frage nach den Partizipationsmöglichkeiten und letztendlich der Agency im Kontext der algorithmischen Berechnung von Popularität. Treré geht von zwei auf den ersten Blick komplementären Logiken aus – der technik-getriebenen, algorithmischen Top-down-Sortierung als »popular with the robots« (Filer; Fredheim 2017) und alternativen Bottom-up-Bewegungen, die durch gezielte Medienpraktiken die Grundlagen der Popularität umdeuten wollen. Zu letzteren zählt er Bewegungen wie den Datenaktivismus, Google Bombing oder generell die Umnutzung algorithmischer Dynamiken für eigene Zwecke. Durch das Zusammenspiel beider Logiken werden die Möglichkeiten des Populären erweitert und gezielt Ambivalenzen in algorithmisch generierte Popularität eingeführt. Trerés Vortrag macht deutlich: Algorithmische Partizipation verteilt sich über Medien, Softwareoperationen und Nutzungspraktiken und unterläuft dadurch zu einfache Zuschreibungen wie »top down« oder »bottom up« (Heemsbergen; Tréré; Pereira 2022).

3. Reflexionen

Theoretische Grundfragen mit Blick auf ein abstraktes, praxeologisches Verständnis von Partizipation konturierte Stefan Hirschauer in seiner Keynote. Darüber hinaus nahm er sich der Frage an, wie in einem interdisziplinären Forschungsverbund fachgebundene Gegenstandsgebiete im Grenzbereich von Gesellschaft und Kultur zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden können. Hirschauer plädierte für ein Verständnis von Partizipation, dass sich nicht mit ontologischen Grundsatzfragen des Typs »Was unterscheidet Menschen als Handelnde bzw. Interagierende von (›sprechenden‹) Maschinen?« blockiert, sondern Unterscheidungen verschiedener Partizipanden nach Graden und Dimensionen von Agency – auch bereits mit Blick auf das menschliche Tun selbst – methodologisch agnostisch und strikt empirisch als Konstruktionen in der Praxis nachvollzieht. In einem gewissen Spannungsverhältnis hierzu plädierte er dafür, in einem interdisziplinären Forschungsverbund die theoretisch begründeten Kategoriensysteme von Disziplinen und Forschungstraditionen mit Blick auf verschiedene »Sinnschichten des Kulturellen« als Heuristiken stark zu machen, um sie dann in einer übergreifenden Systematik aufeinander zu beziehen. Für den SFB bleibt die Aufgabe, die Anregungen des Vortrags mit Blick auf den konkreteren Problemzusammenhang – Transformationen des Populären, Partizipation, Konflikte um Populismen – zu erproben, ohne durch eine Verselbständigung der Theoriedebatten die Probleme der Beteiligten und Betroffenen aus dem Fokus zu verlieren (vgl. Garfinkel; Meyer 2012: 51f.).

Das Verständnis von Partizipation im Kontext der Transformationen des Populären ist äußerst vielschichtig – entsprechend vielschichtig sind Antworten auf die Frage, inwiefern im Zusammenhang mit Partizipation und dem Populären von Herausforderungen gesprochen werden kann. Dabei spielt der Aspekt eine zentrale Rolle, wie Direktionalität, Intention und Adressierung von Partizipation gedacht werden (Objekt und Subjekt der Partizipation). In Institutionen wie Kirchen oder Museen ist diesbezüglich eine klassische Top-down-Konstellation zu erkennen – was dem herkömmlichen Partizipationsbegriff entspricht –, im Internet geht es jedoch vielfach um Bottom-up-Vorgänge bzw. können konkrete Richtung, Absenderschaft und Intention hier oft überhaupt nicht ausgemacht werden. Vielmehr ist in sozialen Medien oder im Kontext algorithmischer Sortierung von multidirektionalen und multiintentionalen Prozessen auszugehen. In Onlinemedien gewinnt Partizipation deshalb rasch den Charakter von Selbstermächtigung unüberschaubar zahlreicher und auch nicht mehr identifizierbarer Akteure und damit von latenter Unerwünschtheit und Bedrohlichkeit. Dies unterscheidet Vorgänge der Partizipation online grundlegend vom politischen Vorgang der Partizipation, der generell positiv konnotiert und erwünscht zu sein scheint. Faktisch unterliegt Partizipation aber auch im analogen Raum wechselseitigen Dynamiken der diskursiven und interaktiven Auseinandersetzung – bleibt die Institution, die Teilhabe gewährt m.a.W. keine unveränderte Größe, sondern verändert sich selbst mit der Gewährung von Teilhabe.

Die Herausforderungen der Partizipation lassen sich mit dem Begriff des Partizipanden zudem offener erforschen, indem er beleuchtet, was eigentlich zur Herausforderung für wen wird. Wenn wir Stefan Hirschhauers Vorschlag folgen, Partizipanden selbst als Netzwerke von Beziehungen zu verstehen, dann wirft dies die Frage auf, welche Beziehungen und welche Arten des Involviertseins Partizipanden genau vereinen und welche Wirkungen dies hat. Wenn man Partizipation als ›ontologisch‹ vielfältig betrachtet, besteht eine generelle Herausforderung für jegliche Akteure darin, dass bestimmte ›ontologische‹ Versionen von Partizipation sichtbarer sind und mehr Beachtung finden als andere. Dies erfordert eine reflexive Auseinandersetzung mit den mehr oder weniger sichtbaren Aspekten von Partizipation und der Frage, warum diese sichtbar gemacht werden oder nicht. Somit wird die häufige Betonung von Teilhabe als diskursiver Praktik oder als kognitivem Phänomen der bewussten Teilhabe ein empirisches Phänomen, dessen Beachtung es ebenso zu erforschen gilt wie die mitunter weniger beachteten materiellen oder praktischen Aspekte der Teilhabe.

Wenn wir den Partizipanden folgen, zeigen sich zahllose Objekte, Beteiligungsformate, Praktiken und Settings, welche die Partizipanden auf unterschiedliche Weise involvieren und damit überhaupt erst zu unterschiedlichen Partizipanden machen. Als Beispiele seien angeführt: die Kuratierung von Ausstellungen durch »Ko-Kurator:innen« aus bestimmten sozialen Gruppen, welche über das diskursive Framing oder Ausstellungsprogramm mitentscheiden; die Teilnahme von Bevölkerungsschichten an Umfragen zur Darstellung der »öffentlichen Meinung«; Interaktionen mit Architekturen wie Exponaten, physischen oder digitalen Räumen durch »Besucher« oder »Nutzer«; die Teilnahme von individuellen Datenpunkten an Aggregaten, zum Beispiel in Patient:innendatenbanken wie PatientsLikeYou.com; immersive Erfahrungen wie das Stendhal Syndrom; die Organisation von Events zur Akquise von »Mitgliedern« und zur Verbreitung der eigenen politischen Ziele; die Nutzung semantischer Vehikel wie Pronomen, Hashtags oder Unterschriften, welche verschiedene Arten des Zählens und Vergleichens ermöglichen; die Unterrichtsteilnahme durch Schülerinnen und Schüler verschiedener Konfessionen oder Musikkonsum durch »Fans« verschiedener Genres.

Aus dieser beispielhaften Aufzählung wird ersichtlich, dass sich aus jedem Netzwerk aus Partizipanden, Settings, Objekten und Beteiligungsformaten unterschiedliche Herausforderungen für Partizipation ergeben und dass Partizipation abhängig ist von der Position in diesem Gefüge. Nicht alle Partizipanden haben die gleiche Handlungsmacht – dies zeigen infrastrukturell unzugängliche algorithmische Sortierungen genauso wie die Organisation von Troll-Netzwerken. Neben der Direktionalität, Intention und Adressierung von Partizipation schlagen wir vor, dass die Anschlussfähigkeit, die Stabilität oder Flüchtigkeit von Partizipation sowie verschiedene Arten der Inklusion oder Exklusion maßgebliche Faktoren darstellen, um das jeweilige Setting zu beschreiben. Im Blick auf die Anschlussfähigkeit bietet sich eine Analyse folgender Bedingungen an, welche die Involvierung von Akteur:innen beeinflussen: Verallgemeinerbarkeit, Spezifität und Ambivalenz. Mehrere Beiträge argumentieren, dass Objekte, Settings oder Beteiligungsformate in bestimmtem Maße verallgemeinerbar sind, etwa wenn Celia Lury darstellt, dass Pronomen gerade deshalb ein häufiges Stilmittel der Adressierung sind, weil sich jede und jeder in dem Pronomen »ich« oder »du« wiederfinden kann. Elena Esposito zeigt, wie Verallgemeinerbarkeit und Spezifität das Problem von Anschlussfähigkeit lösen, indem unterschiedliche Dinge standardisiert werden – die algorithmischen Sub-Gruppen, welche partizipieren, oder die Medienprodukte, welche für eine Zielgruppe standardisiert werden müssen. Eine Herausforderung für Partizipation und Verallgemeinerbarkeit besteht in der Frage, wie viel Spezifität »gut« ist und wann Spezifität durch Ambivalenz umgangen werden kann. Wie Reinhard Kopanski in seiner Diskussion evangelikaler Musik darstellt, macht gerade die Ambivalenz von Songtexten Popmusik aus, während Metalgenres spezifischeren Konventionen folgen. Beide Genres ermöglichen damit mehr oder weniger Anschlussfähigkeit. Damit stellt sich die Frage, was für wen anschlussfähig gemacht wird und welche Resistenzen dies bei anderen Akteuren hervorruft oder nicht.

Die Frage nach der Anschlussfähigkeit tangiert zugleich den Aspekt der Stabilität oder Fluidität von Partizipation. Organisationen, Genres, oder Events haben unterschiedliche Grade an Stabilität oder Fluidität. Während Kesselheims Naturkundemuseum, etablierte Formen des Religionsunterrichts und Genres wie Metal durch Regeln, Praktiken und andere Elemente stabilisiert werden (z.B. das Grundgesetz, welches bestimmte Formen des Religionsunterrichts verankert; etablierte Konventionen des Museumsbesuchs oder an Genredefinitionen gekoppelte Identitäten), sind andere Formen der Teilhabe eher offener. Dies wirft die Frage auf, was bestimmte Teilhabeformate, Settings, Objekte oder Praktiken mehr oder weniger stabil macht und wie dies mit Inklusion und Exklusion interagiert.

Literatur

Bauer, G. (2012): Evangelikale und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Geschichte eines Grundsatzkonflikts (1945 bis 1989), Göttingen.
Bogner, A. (2012): Wissenschaft und Öffentlichkeit. Von Information zu Partizipation, in: Maasen, S. et al. (Hrsg.): Handbuch Wissenschaftssoziologie, Wiesbaden, 379–392. DOI 10.1007/978-3-531-18918-5_30.
Bubenhofer, N. (2022): Exploration semantischer Räume im Corona-Diskurs, in: Kämper, H; Plewnia, A. (Hrsg.): Sprache in Politik und Gesellschaft. Perspektiven und Zugänge, Berlin/Boston, 197–216.
Burzan, N. et al. (2008): Das Publikum der Gesellschaft. Inklusionsverhältnisse und Inklusionsprofile in Deutschland, Wiesbaden.
D’Ignazio, C.; Klein, L. F. (2020): Data feminism. Strong ideas series. Cambridge/Massachusetts.
Döring, J. et al. (2021): Was bei vielen Beachtung findet. Zu den Transformationen des Populären, in: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift, 6, 1–24. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/18843.
Epstein, S. (1995): The construction of lay expertise. AIDS activism and the forging of credibility in the reform of clinical trials, in Science, Technology, & Human Values, 20, 408–43. DOI: 10.1177/016224399502000402
Espeland, W. N.; Stevens, M. L. (1998): Commensuration as a Social Process, in: Annual Review of Sociology, 24, 313–343. https://doi.org/10.1146/annurev.soc.24.1.313.
Dies.; Sauder, M. (2007): Rankings and Reactivity,in: American Journal of Sociology, 113, 1–40.
Esposito, E. (2017): Artificial Communication? The Production of Contingency by Algorithms, in: Zeitschrift für Soziologie, 46, 249–265. https://doi.org/10.1515/zfsoz-2017-1014
Filer, T.; Fredheim, R. (2017): Popular with the Robots. Accusation and Automation in the Argentine Presidential Elections, 2015, in: International Journal of Politics, Culture, and Society, 30, 259–274. https://doi.org/10.1007/s10767–016–9233–7.
Garfinkel, H.; Meyer, C. (Übers.) (2012): Die rationalen Eigenschaften von wissenschaftlichen und Alltagsaktivitäten, in: Ayaß, R.; Meyer C. (Hrsg.): Sozialität in Slow Motion. Theoretische und empirische Perspektiven. Festschrift für Jörg Bergmann, Wiesbaden, 41–57.
Gehne, D. H. (2012): Bürgermeister. Führungskraft zwischen Bürgerschaft, Rat und Verwaltung, Stuttgart.
Gerlitz, C.; Lury, C. (2014): Social media and self-evaluating assemblages: on numbers, orderings and values, in: Distinktion. Journal of Social Theory, 15, 174–188. https://doi.org/10.1080/1600910X.2014.920267.
Hausendorf, H. (2008): Anwesenheit und Mitgliedschaft – eine soziologische Unterscheidung und ihr Wert für die linguistische Analyse von Organisationskommunikation, in: Menz, F.; Müller, A. (Hrsg.): Organisationskommunikation. Grundlagen und Analysen der sprachlichen Inszenierung von Organisation, München, 71–97.
Ders.; Schmitt, R. (2018): Sprachliche Interaktion im Raum, in: Deppermann, A.; Reineke, S. (Hrsg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext, Berlin/Boston, 87–118. DOI: https://doi.org/10.1515/9783110538601-005.
Dies. (2016): Vier Stühle vor dem Altar. Interaktions-architektur, Sozialtopografie und Interaktionsraum in einem »Alpha«-Gottesdienst, in: Hausendorf, H. et al. (Hrsg.): Interaktionsarchitektur, Sozialtopographie und Interaktionsraum, Tübingen, 227–262.
Heemsbergen, L; Tréré, E.; Pereira, G. (2022): Introduction to Algorithmic Antagonisms. Resistance, Reconfiguration, and Renaissance for Computational Life, in: Media International Australia, 183, 3–15. https://doi.org/10.1177/1329878X221086042
Hirschauer, S. (2004): Praktiken und ihre Körper. Über die materiellen Partizipanden des Tuns, in: Reuter, J.; Hörning, K. (Hrsg.): Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld, 73–91.
Ders. (2016): Verhalten, Handeln, Interagieren. Zu den mikrosoziologischen Grundlagen der Praxistheorie, in: Schäfer, H. (Hrsg.): Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm, Bielefeld, 45–67.
Iliadis, A.; Russo, F. (2016): Critical Data Studies. An Introduction, in: Big Data & Society, 3. https://doi.org/10.1177/2053951716674238.
Interview with Denilson Baniwa (2021) https://www.digitalbrazilproject.com/denilson-baniwa (Download am 21.11.2022).
Kesselheim, W. (2021): Ausstellungskommunikation. Eine linguistische Untersuchung multimodaler Wissenskommunikation im Raum, Berlin/Boston.
Knobloch, C. (2007): Einige Beobachtungen über den Gebrauch des Stigmawortes »Populismus«, in: Habscheid, S.; Klemm, M. (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation, Tübingen, 113–132.
Kopanski, R. (2020): What makes popular Christian music ›popular‹? A comparison of current US-American and German Christian music using the examples of Lauren Daigle and Koenige&Priester, in: Journal for Religion, Film, and Media, 6/2, 41–57. DOI: 10.25364/05.6:2020.2.4.
Kost, Andreas (2012): Vorwort, in: Gehne, D. H.: Bürgermeister. Führungskraft zwischen Bürgerschaft, Rat und Verwaltung, Stuttgart, 5–6.
Mackenzie, A. (2012): »More parts than elements : how databases multiply« 30 (2008): 335–351. https://doi.org/10.1068/d6710.
Ders. (2016): Distributive numbers: a post-demographic perspective on probability, in: Law, J.; Ruppert, E. (Hrsg.): Modes of Knowing. Resources from the Baroque, Manchester, 115–35.
Niehr, T.; Reissen-Kosch, J. (2018): Volkes Stimme? Zur Sprache des Rechtspopulismus, Berlin.
Piontek, A. (2017): Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote, Bielefeld.
Riegel, U. et al. (2022): Die Diskussion um den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Bilanz und Ausblick, in: Religionspädagogische Beiträge. Journal for Religion in Education, 45/2, 151–159. https://doi.org/10.20377/rpb-215.
Saka, E. (2018): Social Media in Turkey as a Space for Political Battles. AKTrolls and other Politically motivated trolling, in: Middle East Critique, 27, 161–177.
Ders. (2019): Social Media and Politics in Turkey. A Journey through Citizen Journalism, Political Trolling, and Fake News. Lanham.
Scharloth, Joachim (2011): 1968. Eine Kommunikationsgeschichte. München/Paderborn.
Sommer, J. (2015): Die vier Dimensionen gelingender Bürgerbeteiligung, in: Kursbuch Bürgerbeteiligung, Berlin, 11–21.
Takeas, I. (2022): Stendhal und Warburg. Martyrdom and Victory, in: La Rivista di Engramma, 191, 235–240.
Zillien, N. (2020): Digital Experiences. Patients’ Patchwork Knowledge in Health-Related Online Forums, in: Maasen, S.; Passoth, J. (Hrsg.): Soziale Welt – Sonderband 23 »Soziologie des Digitalen – Digitale Soziologie?«, 198–209.

Fußnoten

1 Zu einer ausführlicheren Darstellung der einzelnen Tagungsvorträge vgl. Abschnitt 2.