Blanché, Ulrich/Hoppe, Ilaria (Hgg.) (2018): Urban Art: Creating the Urban with Art. Lissabon: Pedro Soares Neves. Eine Rezension von Axel Philipps

Urban Art: Creating the Urban with Art ist ein englischsprachiger Sammelband, herausgegeben von der Kunsthistorikerin Ilaria Hoppe und dem Kunsthistoriker Ulrich Blanché. Beide sind für ihre Arbeiten zum Thema „Street Art“ bekannt. In ihrem Band haben sie 18 Beiträge aufgenommen, die sich auf die Rubriken Introduction, On Terminology, Digital Media & the Urban (Art), Affect & Performance, Territories, Urban Imaginary & the City verteilen. Zusätzlich stellen Urban Nation1, Jens Besser und Urban Creativity2 ihre Initiativen vor.

Für den Band ist charakteristisch, dass er weder kunstgeschichtliche Betrachtungen auf Urban Art als Stil oder Epoche noch Ergänzungen zu Graffiti Writing oder Street Art vornimmt. Zum Teil werden zwar Grenzziehungen zu Street Art, Post Graffiti oder American Graffiti vorgenommen. Kennzeichnend für die Beiträge sind aber vielmehr die facettenreichen und informativen Einblicke zum Phänomen und Verständnis von Urban Art – sie reichen von Definitions-versuchen über Fallanalysen bis zur Präsentation eines Museums für urbane zeitgenössische Kunst. Hoppe wählt dazu in ihrer Einleitung bewusst eine Rahmung, die kein übergeordnetes Konzept bereitstellt, sondern Urban Art im möglichst breiten Sinne versteht: von allen Formen kreativer Ausdrucksweise (creative expression, Hoppe 2018: 10) im städtischen Raum bis zu Verknüpfungen mit Urbanität als flüchtig und dynamisch. Diese Offenheit erlaubt, ganz Unterschiedliches zu vereinen. So stellen einige Beiträge auch keinen direkten Bezug zu Urban Art her, sondern arbeiten sich an Themen wie Street Art und Subversion ab. Beispielsweise berichtet Katja Glaser über digitale Archivierungspraktiken von Street Art oder Jovanka Popova betrachtet Protest- und Kunstpraktiken. Eine stärkere Einordnung zu Beginn oder ein abschließendes resümierendes Kapitel hätten geholfen, die Vielfalt der Beiträge besser einzuordnen.

In den Aufsätzen zu Urban Art kristallisieren sich zwei Deutungen heraus. Zum einen steht Urban Art für die Vermarktung von Graffiti Writing und Street Art als Kunst in Galerien, Museen und kommunalpolitischen Projekten. Zum anderen wird der Begriff aus der Stadtplanung in Abgrenzung zur Kunst im öffentlichen Raum (Public Art) abgeleitet. Es geht nicht um die künstlerische Aufwertung städtischen Raumes, sondern um zeitlich begrenzte Interventionen, die den Anwohnerinnen und Anwohnern neue Perspektiven zur stadträumlichen Nutzung aufzeigen sollen. Insbesondere als Kunstprojekte sind dabei Zwischennutzungen brachliegender Flächen oder Gebäude möglich, für die sonst keine Genehmigungen ausgestellt würden (siehe den Beitrag von Renée Tribble).

Eine Reihe von Beiträgen beschäftigt sich mit der Vereinnahmung von Graffiti Writing und Street Art durch den Kunstmarkt. So thematisiert Susan Hansen das Phänomen der Videodokumentation. Dokumentationen der im öffentlichen Raum entstandenen Arbeiten reagieren auf das Problem, dass durch den Wechsel von der Straße in Galerien oder Museen der Bezug zum räumlichen Kontext verloren geht. Wobei die Autorin argumentiert, dass solche Videos nicht nur Ausstellungsstücke ergänzen, sondern durch ihren flüchtigen und unabgeschlossenen Charakter selbst zum Teil der Urban Art werden. Minna Valjakka kritisiert wiederum das Verständnis von Urban Art als Kunstvermarktung von Graffiti Writing und Street Art. Sie sieht darin eine Einengung der Betrachtung des Phänomens auf Kunst. Forschende sollten vielmehr offen bleiben für die vielen anderen Formen von Aneignungen und Interventionen im städtischen Raum.

Auf die Absetzbewegung von Urban Art gegenüber Public Art geht Pedro Soares Neves am Beispiel von Lissabon ein. Er zeigt, wie das Konzept der arte urbana stadtplanerisch einen neuen Zugang zur Stadt eröffnete, welches über die Zeit auch illegale Interventionen von Graffiti Writern und Street Artists einschloss. Der Beitrag macht im Besonderen deutlich, wie über den Begriff „Urban Art“ Graffiti Writing und Street Art von externen Akteurinnen und Akteuren, die außerhalb der Szenen agieren, vereinnahmt wird. Subkulturelle Erzeugnisse werden so zum Teil der städtischen Vermarktungsstrategien (siehe auch Tribble). Im Band sind aber auch anschauliche Beispiele für Interventionen, mit denen städtische Räume subversiv umgedeutet und angeeignet werden (siehe die Beiträge von Elisabeth Feigman und Alia Rayyan, Pamela C. Scorzin oder der Urban Nation).

Insgesamt bietet der Sammelband eine ergänzende Perspektive auf Interventionen im städtischen Raum mit besonderem Fokus auf Street Art, Installationen, urban gardening und anderen Formen von Aneignung. Während Silke Steets in ihren Buch Wir sind die Stadt! (2008) das Augenmerk auf Aneignungspraktiken legt oder Joe Austin (2010) hinsichtlich Street Art von einer neuen urbanen Kunstströmung spricht, zeigen die Beiträge im Band anschaulich, wie Praktiken im Städtischen von verschiedenen Seiten gedeutet werden. Urban Art eröffnet neue Zugänge auf Räume für Anwohnerinnen und Anwohner sowie für städtische Vermarktungsstrategien.

Literaturverzeichnis

Austin Joe (2010): More to see than a canvas in a white cube: For an art in the streets. In: City. Analysis of Urban Trends Culture Theory Policy Action 14/1–2 S. 33–47.
Steets Silke (2008): „Wir sind die Stadt!“: kulturelle Netzwerke und die Konstitution städtischer Räume in Leipzig. Bielefeld: transcript.

Fußnoten

1 Urban Nation ist ein in Berlin angesiedeltes Netzwerk für Künstlerinnen und Künstler. Im Mittelpunk steht ein Museum für zeitgenössische urbane Kunst (www.urban-nation.com). 2 Die Internetseite www.urbancreativity.org ist eine Plattform von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich auf Konferenzen und in einer Zeitschrift über aktuelle Forschungen und Erkenntnisse zu Graffiti (Writing) bis Street Art austauschen.