Plant Studies: Pflanzen kulturwissenschaftlich erforschen – Grundlagen, Tendenzen, Perspektiven
Abstract: In der deutschsprachigen Forschungslandschaft bildet sich derzeit eine kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung (Plant Studies) heraus, die auf den neueren Untersuchungen der Botanik und Philosophie zu Pflanzen fußt und die theoretischen Grundlagen mit denen des Ecocriticism und der Animal Studies teilt. Zentrale Strömungen und aktuelle Tendenzen werden ebenso vorgestellt, wie auch der aktuelle Forschungsstand mit dem Fokus auf der kulturwissenschaftlichen Germanistik.
Keywords: Plant Studies; Pflanzen in Literatur und Kultur; Kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung; Ecocriticism; Environmental Humanities
Pflanzen stehen derzeit hoch im Kurs. Filme wie Avatar: Aufbruch nach Pandora (2009) oder Guardians of the Galaxy (2014) erwecken den Eindruck, als erführen Bäume auch im Blockbuster-Bereich eine große Wertschätzung. Die Bücher des Försters und ‚Baumflüsterers‘ Peter Wohlleben werden nicht nur zu Bestsellern, sondern ihrerseits zur Vorlage eines erfolgreichen Kinofilms. Florilegien wie Benjamin Bühlers und Stefan Riegers Das Wuchern der Pflanzen (2013) dokumentieren eine botanische Vertiefung und Intensivierung der Beschäftigung mit Pflanzen; die Reihe wäre leicht fortzusetzen. Dieser kulturelle Wandel und die gleichzeitige Abholzung großer Waldflächen weltweit, die Vernichtung der grünen Lungen der Erde, scheinen zwei Seiten einer Medaille zu sein: Der systematischen Vernichtung steht eine gesteigerte kulturelle Auratisierung gegenüber. Dabei zeigt die zunehmende Präsenz handelnder, sprechender, wirkmächtiger Bäume im Unterhaltungsgenre, dass sich etwas in der Wahrnehmung und Bewertung der ‚pflanzlichen‘ Natur verändert.
Der Bestseller Das geheime Leben der Bäume (2015, gleichnamiger Film 2020) von Peter Wohlleben, der als einer der bekanntesten Fürsprecher für eine neue Sicht auf Pflanzen gelten kann, betrachtet Bäume als soziale Wesen mit eigenen Kommunikations- und Handlungsformen, denn ihm zufolge vermögen sie untereinander zu kommunizieren, andere vor Schädlingen zu warnen und ihren Wuchs den äußeren Bedingungen anzupassen. Wohlleben betont (oder behauptet) die Fähigkeit der Bäume, Sozialformationen auszubilden, in denen sich die Bäume als soziale Wesen gegenseitig helfen und einander beistehen. Auch fragt er, wie es sich eigentlich mit Begriff und Bestimmung des ‚Alters‘ verhält, wenn aus alten Baumstümpfen neue Bäume wachsen und die Generationen sich rhizomatisch verbinden, und er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass auch Bäume hochgradig empfindungsfähige Lebewesen sind.
Wohllebens Buch steht im Kontext einer Vielzahl von Publikationen, die sich publikumswirksam mit den Besonderheiten und der Relevanz nicht nur von Bäumen, sondern von Pflanzen insgesamt für das (zukünftige) Leben auf der Erde beschäftigen. Zu nennen ist exemplarisch Die Wurzeln der Welt (2018) von Emanuele Coccia. Ähnlich wie Wohlleben verweist auch er auf seine lebensweltlichen Erfahrungen mit Pflanzen, durch die er einen anderen Blick auf sie entwickelt habe:
Der jahrelange tägliche Kontakt mit Lebewesen, die mir ursprünglich so fern waren, hat meinen Blick auf die Welt nachhaltig geprägt. Dieses Buch versucht, die Gedanken zu neuem Leben zu erwecken, die aus diesen fünf Jahren Betrachtung ihrer Natur, ihres Schweigens, ihrer anscheinenden Gleichgültigkeit gegenüber aller ‚Kultur‘ erwachsen sind (Coccia 2018, S. 9).
Als deren zentrale Eigenschaft nennt er, dass sie sich uns gegenüber nicht verständlich machen können und keine unmittelbar wahrnehmbare Reaktion auf Menschen und Menschengemachtes zeigen. Dabei gäbe es, dies ist die Voraussetzung seiner Überlegungen, die Welt, wie wir sie kennen, ohne Pflanzen gar nicht. Sie erschaffen sich ihre Umwelt selbst und damit das, was „für die übrigen Lebewesen Wohnraum, ja Welt wird“ (Coccia 2018, S. 20).
Angesichts dieser fundamentalen, weil welterschaffenden Bedeutung von Pflanzen sticht umso stärker die vergleichsweise Geringschätzung von Pflanzen in der Biologie und Natur-Philosophie hervor (vgl. Coccia 2018, S. 20-23). So sprechen Biologen wie Wandersee und Schussler in Bezug auf ihre eigene Fachdisziplin von einer ‚Blindheit‘ gegenüber Pflanzen, einer „plant blindness“ (Wandersee/Schussler 2001, S. 2). Michael Marder konstatiert im Bereich der Philosophie, dass Pflanzen im westlichen Denken lediglich eine Position am Rand des Randständigen zugesprochen werde („the margin of the margin“, Marder 2013, S. 2). Auch im Alltagswissen zeigt sich, dass es zwar eine Liste der ausgestorbenen und bedrohten Pflanzen gibt, doch dass diese im Verhältnis zu ausgestorbenen und bedrohten Tierarten deutlich weniger oder gar nicht bekannt sind (vgl. ähnlich auch Heise 2016, S. 23). Warum ist das so? Pflanzen verfügen, anders als Tiere, über kein Gesicht und vor allem über keine Augen, mit denen sie für den Menschen erkennbar eine Beziehung aufbauen oder zumindest Kontakt zu nicht-pflanzlichen Lebewesen herstellen können. Lange Zeit wurde ihnen deshalb auch die Fähigkeit zu denken, zu empfinden oder zu handeln abgesprochen – die deutsche Redensart ‚vor sich hinvegetieren‘ zeugt davon. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum Pflanzen deutlich weniger bewusst und meist nur als Hintergrund wahrgenommen werden – es sei denn, jemand beschäftigt sich professionell oder hobbymäßig mit ihnen oder widmet ihnen ein künstlerisches oder schriftstellerisches Interesse.
An dieser vergleichsweise geringen Aufmerksamkeit gegenüber Pflanzen scheint sich derzeit etwas zu ändern. Jüngste Veröffentlichungen beschäftigen sich mit der „Intelligenz der Pflanzen“ (z.B. Mancuso/Viola 2015) und verkünden eine „Revolution der Pflanzen“, bei der die „Pflanzen unsere Zukunft erfinden“ (Mancuso 2018). Auch andere Autoren (z.B. Baluška/Gagliano/Witzany 2018; Chamovitz 2012; Koechlin 2008, 2014 u. 2016; Nealon 2016; Pollan 2013) stellen heraus, wie Pflanzen über die verschiedenen Sinne wahrnehmen, wie sie die so erworbenen Informationen verarbeiten, miteinander kommunizieren, Erfahrungen offensichtlich nicht nur über ein unterirdisches Netz oder Duftstoffe an andere Pflanzen weitergeben, sondern auch speichern und ihrem Nachwuchs weitergeben. Getragen werden diese Beobachtungen von der Annahme, dass Pflanzen über ein spezifisches ‚Schwarm‘-Gedächtnis verfügen und ‚lernen‘ können. Mit einem Wort: Es geht in all diesen jüngeren Veröffentlichungen darum, wie wir Pflanzen hinsichtlich ihrer kognitiven, sensitiven und kommunikativen Fähigkeiten grundlegend neu denken können.
So sind in jüngster Zeit aus den „underdogs“ (Ingensiep 2019, S. 72, Hervorhebung im Original) in Naturwissenschaft und Philosophie Lebewesen geworden, denen geradezu „menschenähnliche Eigenschaften wie Psyche, Intelligenz, Gedächtnis oder Gefühl“ (Ingensiep 2019, S. 72) zugesprochen werden. Damit zeichnet sich eine ähnliche Tendenz ab, wie sie zuvor in der kulturellen Wahrnehmung von Tieren zu beobachten gewesen ist. Insbesondere das Verhältnis zwischen Affe und Mensch lädt dazu ein, die bisherigen Kategorien zur Unterscheidung zwischen Mensch und Tier zu überdenken, wobei notwendigerweise zwischen Sprache und Kommunikation zu differenzieren ist: Zwar können Tiere über Gerüche, Laute und bestimmte Bewegungen miteinander kommunizieren, doch zeichnet sich menschliche Sprache zudem durch Kreativität, Unendlichkeit, Abstraktion und Rekursion, also Rückbezüglichkeit auf vorher Gesagtes, aus; Grundvoraussetzung für eine Speicherung von Informationen und den Aufbau komplexer Aussage-, Erzähl- und Regelsysteme (vgl. Tischel 2018, S. 152f. und 165).
Ähnliche begriffliche Unschärfen lassen sich auch in Bezug auf Pflanzen beobachten. Hans Werner Ingensiep, Verfasser einer Geschichte der Pflanzenseele (2001), zeichnet in einer jüngeren Veröffentlichung die verschiedenen Modelle zur Pflanzenseele, zum Vegetativen im Menschen und zur Vorstellung der Pflanze als Maschine von der Antike bis hin zu aktuellen Diskussionen nach. Zurecht stellt er die Frage, wie weit eine anschauliche Sprache zur Beschreibung von Phänomenen gehen darf, ohne die tatsächlichen Unterschiede zwischen Mensch, Tier und Pflanze zu nivellieren – wie etwa das Faktum, dass Pflanzen „sessile autotrophe Lichtesser sind, höhere Tiere aber mobile heterotrophe Energieräuber“ (Ingensiep 2019, S. 77). Notwendig sei eine Diskussion darüber, ob es sinnvoll und zulässig sei, Anpassungsvorgänge einer Pflanze ohne weitere Differenzierungen als Intelligenz auszuweisen, wie auch aus biophilosophischer Perspektive eine Egalisierung von Mensch, Tier und Pflanze statt eines hierarchischen Ordnungsmodells die Frage aufwirft, ob das der Tatsache gerecht wird, dass es klar zu benennende Interdependenzen in den Nahrungsketten gibt. So erfolgte aus Perspektive der Anthropogenese die Sesshaftwerdung des Menschen in direkter Abhängigkeit von Pflanzen. Ingensiep plädiert für ein reflektiertes, terminologisch präzises Vorgehen:
Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie und experimentelle Pflanzenforschung sind zu differenzieren, statt solche populären Terme enthusiastisch zu einem populistischen Brei zu vermischen (Ingensiep 2019, S. 76).
Die skizzierten Entwicklungen zeigen, wie sehr die jahrhundertelang etablierte Sicht auf Pflanzen in den letzten Jahren in Bewegung geraten ist: Pflanzen agieren nicht nur in der Fiktion von Filmen und Romanen als aktiv handelnde Wesen, sondern sie werden auch in der empirischen Wirklichkeit so wahrgenommen. Sie sind damit näher an Mensch und Tier herangerückt als je zuvor in der Kulturgeschichte; ihnen werden zumindest in Teilen der philosophischen und biologischen Forschung Eigenschaften und Fähigkeiten zugesprochen, die traditionell nur an Menschen und seit einiger Zeit auch an Tieren wahrgenommen werden, und es wird zunehmend stärker begriffen, was es heißt, dass Leben auf der Erde ohne Pflanzen schlechterdings nicht möglich ist und dass sich die Tierwelt einschließlich des Menschen ohne Pflanzen nicht hätte entwickeln können. Gleichzeitig aber werden Stimmen laut, die die sich andeutende Auffassung einer allzu großen Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Mensch, Tier und Pflanze problematisieren.
Damit zeigen sich ganz typische Dynamiken, wie sie sich stets dann entwickeln, wenn bislang dominant in der kulturellen Überlieferung etablierte Gewissheiten erschüttert werden: Eine gesteigerte Präsenz in den Medien wird flankiert von entsprechenden wissenschaftlichen Studien, die für eine andere Sichtweisen plädieren, was wiederum die Beharrungskräfte – auch innerhalb der Pflanzenwissenschaften selbst (vgl. Pollan 2013) – auf den Plan ruft, die, je nachdem, eine differenzierte, historisch fundierte und theoretisch reflektierte Betrachtung anmahnen oder sich durch die Metaphorik provoziert fühlen. Das Phänomen ist wissenschaftshistorisch betrachtet nicht neu.
Die verschiedenen Beiträge zur Diskussion über den Stellenwert und die Besonderheiten von Pflanzen fordern mit den Kulturwissenschaften auch die sich kulturwissenschaftlich verstehenden Literaturwissenschaften heraus. Wie in der biologischen und philosophischen Forschung wurden Pflanzen auch in den Kulturwissenschaften lange Zeit kaum als untersuchungswerter Forschungsgegenstand betrachtet. Selbst im Ecocriticism bzw. in den Environmental Humanities – und damit in Forschungsrichtungen, die sich per definitionem mit Repräsentationen und Konzepten von Natur in unterschiedlichen kulturellen Kontexten beschäftigen –, lässt sich eine gewisse ‚Pflanzenvergessenheit‘ beobachten. In den zahlreichen Einführungen und Handbüchern (Goodbody/Rigby 2011; Garrard 2012a; Garrard 2014; Westling 2014; Dürbeck/Stobbe 2015; Bühler 2016; Zapf 2016; Heise 2017; Dürbeck/Stobbe/Zapf et al. 2018) ebenso in der kulturökologischen Literaturdidaktik (Garrard 2012b; Grimm/Wanning 2016) sind Pflanzen bzw. Plant Studies bislang nicht präsent (einzige Ausnahme: Sandilands 2016). Doch rücken Pflanzen derzeit gerade in den Fokus kulturwissenschaftlicher Forschung.
Die folgenden Überlegungen verstehen sich als Bestandsaufnahme der bisherigen Grundlagen, Tendenzen und Perspektiven im Bereich der Kulturwissenschaften, mit dem Schwerpunkt auf Beiträgen einer sich kulturwissenschaftlich verstehenden Germanistik. Dieses Vorgehen redet nicht einer disziplinären, schon gar nicht einer nationalen Trennung das Wort, sondern ist neben der fachlichen Herkunft vor allem der Einsicht geschuldet, dass vor einem globalen transdisziplinären Austausch erst die Klärung des eigenen, disziplinär gebundenen Standpunkts stehen sollte. Welche Aspekte bei der kulturwissenschaftlichen Pflanzenforschung im Fokus des Interesses stehen, an welche Studien produktiv angeknüpft werden kann und inwiefern Pflanzen als Figuren bzw. Handlungsträger zu begreifen sind, ist Gegenstand dieses Artikels. Diese Klärung ist umso notwendiger, als das Forschungsfeld, soll es sich mittel- und langfristig etablieren, anschlussfähig in Bezug auf fachinterne Grundannahmen zu gestalten ist. Zugleich ist das Ziel, eine intersubjektive Verständigung über die kulturwissenschaftliche Relevanz von Plant Studies auch außerhalb dieser engeren wissenschaftlichen Community zu ermöglichen.
Plant Studies als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld
Die kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung richtet ihr Interesse auf die Imaginations- und Darstellungsformen des Vegetabilen in Kunst und Literatur ebenso wie in der Alltagskultur. Plant Studies, so der in Anlehnung an die Animal Studies bereits etablierte anglophone Terminus, beschäftigen sich mit ethischen und philosophischen Fragen über den Status von Pflanzen, widmen sich den historischen wie gegenwärtigen Mensch-Pflanze-Verhältnissen und fragen nach den Praktiken der Interaktion zwischen Menschen und Pflanzen in Literatur, Kunst und Kultur. Im Fokus des Interesses steht die Weise, in der botanisches und botanikales, d.h. ein nicht wissenschaftlich und institutionell anerkanntes Wissen über Pflanzen (in Anlehnung an die Bezeichnung‚ medikales Wissen‘ von Pethes/Richter 2008, S. 6f.) in literarischen und nicht-literarischen Texten repräsentiert, modifiziert und reflektiert wird – und gegebenenfalls Schreibweisen (mit-)hervorbringt, die mit dem Vegetabilen verbunden sind. Plant Studies arbeiten mit einem kulturwissenschaftlich weiten Textbegriff; er umfasst neben Literatur im engeren Sinn (Lyrik, Epik, Dramatik) auch Filme und multimodale Erzähltexte (Comics, Graphic Novels) ebenso wie nichtfiktionale (z.B. wissenschaftliche) Texte.
Heilkunst wäre ohne die Wirkstoffe von Pflanzen kaum möglich, viele Drogen (im Sinne halluzinogener Stoffe) und Gifte basieren auf Pflanzenextrakten (vgl. z.B. Balick 1997; Stewart 2011). Genussmittel wie z.B. Kaffee, Tee, Kakao, Wein und Bier gäbe es ohne Pflanzen nicht. Pflanzen sind die Grundlage fossiler Brennstoffe (z.B. Braunkohle), sie waren lange Zeit für die Farbgewinnung unerlässlich (z.B. Indigo) wie auch für die Herstellung von Kleidung (Baumwolle, Seide), Musikinstrumenten und Schreibgrundlagen (holzhaltiges Papier, Papyrus). Holz ist zudem ein zentraler Bau- und Heizstoff. Pflanzen abgeschaute Bau- und Organisationsstrukturen gelten derzeit als die zukunftsträchtigen Ideengeber und Inspirationsquellen schlechthin, um auf innovative und resiliente Weise die Herausforderungen der Zeit (Klimawandel, Ressourcenknappheit) zu meistern (vgl. Mancuso 2018).
Pflanzen sind nicht nur existenzielle Nahrungsmittel- und Sauerstofflieferanten für das Leben auf dem Planeten Erde; sie haben auch, wie Dutli (2016) exemplarisch anhand der Olive gezeigt hat, ganze Kulturen, wie die des Mittelmeerraumes, geprägt. Pflanzen begegnen uns entsprechend häufig in kulturellen Artefakten sowie in mythischen Erzählungen. Sie sind Attribute von Göttern und Göttinnen, sie sind in den alten Mythen der Menschheit präsent – zu denken ist an die Mensch-Pflanze-Verwandlungen in Ovids Metamorphosen oder die Esche Yggdrasil in der Edda –, auf ihrem Gebrauch gründen komplexe Rituale, und sie sind seit Jahrhunderten Träger symbolischer und metaphorischer Sinnzuschreibungen in der Literatur und bildenden Kunst (vgl. exemplarisch Heizmann 1993; Duve/Völker 2002). Damit entspricht die kulturelle Repräsentanz der Pflanzen ihrer existenziellen Bedeutung für das biologische Leben des Menschen.
Die deutschsprachige Dichtung handelt nicht nur in ihren erkennbaren mythischen Ursprüngen (die Linde im Nibelungenlied, die magischen Bäume und Blumen in den ältesten Überlieferungsschichten der ‚Volksmärchen‘), in den stilisierten Jahreszeiten und Landschaftsszenerien der Minnedichtung und in der Poesie der Frühen Neuzeit (eindringlich bei Albrecht von Haller, geradezu enzyklopädisch in Brockesʼ Naturdichtung), sondern auch in der neueren Literatur seit der Goethe-Zeit prominent und meist schon im Titel markiert von Pflanzen: Goethes Metamorphose der Pflanzen, die „blaue Blume“ der Romantik, Hölderlins Die Eichbäume, Drostes Die Judenbuche und Mörikes Die schöne Buche, Stifters Der Hochwald und Der beschriebene Tännling, Benns Kleine Aster und Rilkes Blaue Hortensie, Brechts Rede an den Baum Green oder Döblins Die Ermordung einer Butterblume mögen als Beispiele genügen, um anzudeuten, dass sich schon im Bereich der kanonischen Literatur reiches Untersuchungsmaterial findet. Auch die Gegenwartsliteratur zeigt sich botanisch sensibilisiert; Gedichte von Heinrich Detering, Marion Poschmann, Silke Scheuermann und Jan Wagner sind als Beispiele zu nennen. Erkennbar ist zudem, dass auch das neuere Nature Writing (vgl. dazu Fischer 2019) die pflanzliche Perspektive zunehmend stärker in ihre Beobachtungen und Reflexionen einbezieht.
Plant Studies sind in ihrer Ausrichtung und Zielsetzung noch fluide. Wenn sich Plant Studies derzeit im deutschsprachigen Bereich zu etablieren beginnen, so geschieht das in einer dreifachen Verklammerung: erstens in Anlehnung an die Ausdifferenzierung der Animal Studies (vgl. Borgards 2015, S. 69-71), zweitens in der Übernahme analoger Bezeichnungen aus den anglophonen Plant Studies und drittens in Verbindung mit dem großen Forschungsfeld des Ecocriticism und der Environmental Humanities. Die künftigen Entwicklungen werden zeigen, ob sich zwischen diesen Forschungsfeldern Divergenzen abzeichnen und andere Schwerpunkte herausbilden oder ob sich, auch das ist denkbar und sogar wünschenswert, weitere Synergien ergeben und multiperspektivische Forschungsverbünde entstehen. Möglicherweise setzt sich eine Binnenunterteilung eingedenk der ohnehin fließenden Übergänge nicht durch bzw. wird als wenig zielführend erachtet. So umreißen Vieira, Gagliano und Ryan das Forschungsfeld auf eine Weise, die für die gesamte kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung gelten dürfte:
Critical plant studies (also known as human-plant studies or, simply, plant studies) has emerged as a broad framework for re-evaluating plants, their representations, and human-plant interactions (Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 10).
Wenn im Folgenden die Teilbereiche Cultural Botany, Critical Plant Studies, Human-Plant Studies und Literary (Cultural) Plant Studies vorgestellt werden, so soll damit eine Diskussionsgrundlage geschaffen, nicht ein bereits fest umrissenes Forschungsgebiet kartographiert werden. John C. Ryan hat 2011 den Vorstoß unternommen, das Forschungsfeld der Cultural Botany in Anlehnung an die Grundannahmen des Ecocriticism bzw. der Kulturökologie und der Environmental Humanities zu begründen (vgl. Ryan 2011, S. 124). Ryan spricht von Floral Poetics und nennt als deren Fokus den „dialogue between botany and the humanities, and particularly between plant research and poetry“ (2011, S. 138). Ziel ist es, die verschiedenen Wissensbereiche in Bezug auf Pflanzen einschließlich der Literatur im engen Sinn transdisziplinär zusammenzuführen.
Derzeit wird in der anglophonen Forschung der Terminus „Critical Plant Studies (CPS)“ am häufigsten verwendet. 2013 begründet Michael Marder, der Verfasser von Plant-Thinking (2013), die US-amerikanische Buchreihe Critical Plant Studies mit dem geradezu programmatischen ersten Band Plants and Literature (Laist 2013). Aktuell sind sechs Bände in der Reihe erschienen. Das erklärte Ziel der Buchreihe lautet:
[…] to initiate an interdisciplinary dialogue, whereby philosophy and literature would learn from each other to think about, imagine, and describe, vegetal life with critical awareness, conceptual rigor, and ethical sensitivity (https://brill.com/view/serial/CPST).
Critical Plant Studies sind folglich als ethisch begründetes und interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld zu verstehen, das angesichts des derzeitigen Umgangs (Abholzung, Patentierung von Saatgut, profitorientierte Agrikultur) auf einen respektvolleren Umgang mit Pflanzen zielt (https://brill.com/view/serial/CPST). Die Untersuchungen sollen dazu dienen, kritisches Denken in Bezug auf die drängenden Fragen der Zeit zu entwickeln, wobei die Fragestellungen denen der Tierethik in den Critical Animal Studies ähneln. Matthew Hall hat in Plants as Persons. A Philosophical Botany (2011) die Grundlagen der CPS (mit-)gelegt, indem er die Exklusions- und Inklusionsprozesse von Pflanzen in philosophischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Texten unterschiedlicher Kulturkreise analysiert. Der Autor skizziert aus ethisch-moralischen Überlegungen heraus ein ideales Verhältnis zwischen Mensch und Pflanze, das auf Hierarchiefreiheit, Verwandtschaftlichkeit und ‚care‘ basiert, da Pflanzen Personalität (‚personhood‘) zuzusprechen sei. Auch Literatur zeuge davon: „The notions of plant personhood and human-plant kinship are expressed in stories, poems, and myths“ (Hall 2011, S. 11f.).
Im deutschsprachigen Bereich wird die Frage einer spezifischen ‚Würde der Pflanzen‘ mittlerweile intensiv diskutiert (vgl. Koechlin 2019). Koechlin hat sowohl Die Würde der Kreatur bei Pflanzen – Die moralische Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen (http://www.ekah.admin.ch/de/) von 2008 als auch die Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen mitverfasst, die u.a. das Recht der Pflanzen auf das Überleben ihrer Art und die Nichtpatentierbarkeit festschreiben (http://www.blauen-institut.ch). Ausgangspunkt von Koechlins Engagements ist die Feststellung:
Wir wissen nicht, ob Pflanzen fähig sind, subjektiv zu empfinden, ob sie zum Beispiel Schmerzen empfinden können. Nach heutigem Wissensstand lässt sich dies nicht belegen, doch wir können es auch nicht einfach ausschließen. […] Auch Tiere wurden lange Zeit als seelenlose Maschinen betrachtet, und erst in den letzten Jahrzehnten sind sie – zumindest teilweise –
aus dieser mechanistischen Falle entronnen (Koechlin 2019, S. 218).
Ryan hat 2012 in der anglophonen Forschungs-Community die Human-Plant Studies (HPS) ausgerufen – und zwar in expliziter Anlehnung an die Human-Animal Studies (vgl. Ryan 2012, S. 111f.), deren Fokus auf den Interaktionen, Beziehungen und Verhältnissen zwischen Mensch und Tier liegt. So heißt es in der deutschsprachigen Einführung von Gabriela Kompatscher:
Sie [die Human-Animal Studies] untersuchen, welchen Raum Tiere in Kultur und Gesellschaft einnehmen und wie sich die Lebensweisen von Tieren und Menschen begegnen und gegenseitig beeinflussen (Kompatscher 2017, S. 16).
Nach Auffassung von Ryan geht es um ganz ähnliche Themen in den Human-Plant Studies, wobei er Pflanzen nicht mehr wie bisher als rein passiv (im klaren Gegensatz zu aktiv handelnd), sondern als „acted upon constituents – rather than acting partners“ bzw. als „agentic und active participants in socioecological systems“ (Ryan 2012, S. 105, Hervorhebung im Original, und S. 110) auffasst. Mit der Wahrnehmung, dass Pflanzen Wirkungen auf andere Lebewesen ausüben, verlieren sie ihren bloßen Objektstatus; ihr Wert definiert sichnicht länger allein über die Nützlichkeit für Tiere und Menschen. Fünf Jahre später hat Ryan selbst diese Bezeichnung als Synonym für die Critical Plant Studies bzw. insgesamt die Plant Studies vorgeschlagen (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 10). Das scheint insofern sinnvoll, als die HPS auf den gleichen Grundannahmen basieren bzw. auf identische Referenztexte verweisen wie die CPS und zudem die „ethics of research involving care and connectivity with plants“ betonen (Ryan 2012, S. 116). Die bisherigen Ausdifferenzierungsversuche sind folglich noch unscharf.
Im deutschsprachigen Bereich gibt es das Forschungsfeld der Human-Plant Studies bis dato nicht – zumindest nicht unter den in dieser Bezeichnung resümierten Voraussetzungen –, sodass sich nicht einschätzen lässt, mit welchen Prämissen Mensch-Pflanze-Verhältnisse bzw. ihre jeweiligen Interaktionen erforscht werden. Anknüpfen ließe sich an die jüngeren Studien zur (Kultur-)Geschichte der Botanik, der Baumschulen und der Suche nach exotischen Pflanzen (z.B. Müller-Wille 1999; Hielscher/Hücking 2002; Pavord 2008; Butenschön 2012; Lack 2012; Bauks 2013; Dietz 2017; Klemun 2017), zu Kulturpflanzen und deren Verbindung zum Kolonialismus und zur Globalisierung (Hobhouse 1992; Schiebinger/Swan 2001; Schiebinger 2004; Miedaner 2014) sowie zur Kulturgeschichte einzelner Pflanzen (z.B. Pollan 2001; Dücker 2016; Fischer 2017). Darüber hinaus wären die kulturellen Praktiken des Züchtens, Pfropfens, Sammelns und Herbarisierens, des Gärtnerns und des kulinarischen Zubereitens von und floristischen Schmückens mit Pflanzen in den Blick zu nehmen, ebenso wie die ästhetische Zurschaustellung von Pflanzen in den unterschiedlichsten Kontexten (z.B. Parkanlagen). Als drittes sind die Literary (Cultural) Plant Studies (LPS) zu nennen – ein entsprechendes Netzwerk (Literary and Cultural Plant Studies Network) wurde von Joela Jacobs und Isabel Kranz gegründet (https://plants.sites.arizona.edu/). In der Einleitung zum Themenheft Das literarische Leben der Pflanzen: Poetiken des Botanischen (2017) heißt es zu dem neuen Forschungsfeld einzig:
Im Zentrum der Literary Plant Studies steht die Frage, wie Pflanzen in der Literatur erscheinen, welche aktiven Handlungsspielräume ihnen eingeräumt werden und inwiefern sie daher als Akteure verstanden werden können. Damit unlösbar verbunden ist die gegenläufige Perspektive: Inwiefern ändert sich unser Verständnis von Literatur, sobald wir uns den Pflanzen zuwenden? Denn wir verstehen pflanzliche Konzepte und vegetabile Seinsweisen weniger als Darstellungsproblem für die Literatur denn als Möglichkeit, grundlegende Fragen dessen, was Literatur sein kann, neu
zu stellen. Aus diesem Grund lohnt es sich, Kulturtechniken, die aus dem Bereich der Flora stammen, wieder auf ihre vegetabile Herkunft hin zu befragen, um ihre Potenzialität im Sinne der Cultural Plant Studies zu nutzen (Jacobs/Kranz 2017, S. 87).
Weitere Veröffentlichungen sind angekündigt, aber noch nicht erschienen. Eine darüber hinausgehende Bestimmung dieses Forschungsfelds steht folglich noch aus.
Das, was im Folgenden skizziert und zur Diskussion gestellt wird, basiert auf einer partiellen Übertragung und Modifizierung der entsprechenden Überlegungen von Roland Borgards aus dem Bereich der Literary (Cultural) Animal Studies. Borgards sieht unter anderem in einer kultur- und literaturgeschichtlich informierten Historisierung und Kontextualisierung den entscheidenden Unterschied zu traditionell motivgeschichtlichen Untersuchungen (vgl. Borgards 2016, S. 228). Übertragen auf Pflanzen könnte in den Literary (Cultural) Plant Studies untersucht werden, wie jeweils zeitgenössisch über Pflanzen gedacht und gesprochen und was mit ihnen verbunden wurde – kurz: Es geht darum, das Diskursfeld Pflanze zu rekonstruieren. Auch ist nach den Mensch-Pflanze-Interaktionen im Text selbst zu fragen – mit der Annahme, dass Literatur nicht nur ein spezifisches Wissen repräsentieren, sondern dieses auch beobachten, reflektieren, modifizieren oder diesem in unterschiedlichen Poetisierungen eigene Formen des Wissens entgegensetzen kann (vgl. Borgards 2016, S. 231f.).
Der bisherigen, auch in den Literatur- und Kulturwissenschaften verbreiteten Sicht auf Pflanzen als etwas Randständigem und selbstverständlich Existentem wird mit der Lektürepraxis begegnet, wie sich das Verständnis eines Texts ändert, wenn er unter der Prämisse gelesen wird, dass es sich auch anders verhalten kann. Dabei spielen auch formsemantische Aspekte eine zentrale Rolle, etwa wenn Homologien zwischen botanischen Wachstumsprozessen und poetischen Verfahren hergestellt werden (vgl. Detering 2015, S. 211-215). Zu analysieren ist somit insgesamt, a) auf welche Weise Pflanzen in Literatur, im Zusammenwirken mit wissenschaftlichen Texten, kulturell konstruiert sind, d.h. ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben oder abgesprochen werden, b) welche Auswirkungen Pflanzen auf der Ebene der erzählten Handlung einschließlich der erzählten Welt seitens der Erzählinstanz zugesprochen werden und wie Pflanzen auf der Ebene der kompositorisch-sprachlichen Gestaltung des Texts realisiert sind und c) inwiefern sich das ‚Vegetabile‘ des Textes als eine Poetik des Pflanzlichen begreifen lässt.
Die Formulierung einer Poetik des Pflanzlichen erfolgt auf der Grundlage einer Wissenspoetik, einer Poetik des Wissens, die nach den epistemischen Kontexten fiktionaler Texte fragt, den Anteil historisch variabler Wissensformationen an Genese und Ausformung literarischer Texte rekonstruiert und diese Texte selbst als Teil dieser dynamischen Formierung von Wissen begreift. So stehen die Modi der Beobachtung und Darstellung pflanzlicher Aspekte in literarischen und nicht-literarischen Texten im Fokus, deren Schreibweisen sich wechselseitig als „gleichermaßen produktiv und anschlussfähig erweisen“ können (Pethes 2016, S. 11; allerdings nicht bezogen auf Pflanzen). Im Sinne einer Verankerung der Plant Studies in der Germanistik ist es sinnvoll und wünschenswert, sie in dem mittlerweile weiten und ausdifferenzierten Forschungsfeld ‚Wissen und Literatur‘ zu situieren, das hier lediglich unter Nennung zentraler Veröffentlichungen umrissen werden kann (z.B. Klausnitzer 2008; Vogl 2010; Köppe 2011; Borgards/Neumeyer/Pethes et al. 2013).
Künftig wird auch im deutschsprachigen Bereich darüber zu diskutieren sein, inwieweit und in welchem Sinne Plant Studies als politisch verstanden werden sollen, zielen doch ethisch basierte Forschungsansätze wie der Ecocriticism ausdrücklich und nachdrücklich auf „das Wohlergehen aller möglichen Formen des Lebens, ob menschlich oder nicht-menschlich, einschließlich desjenigen der Umwelt“ (Culler 2018, S. 184) ab. In der anglophonen Welt wurden die Critical Plant Studies und insbesondere Michael Marder seitens der Tierrechtsaktivisten wegen der Konsequenzen für die Debatte um eine ethisch angemessene Ernährungsweise der Menschen (‚Food Politics‘) kritisiert, weil indirekt vom Tierleid abgelenkt werde (vgl. dazu Stark 2015, S. 182f.).
Möglich sind auch Wechselwirkungen und Austauschprozesse zwischen öffentlichen Debatten über Umweltfragen, Theoriediskussionen im Bereich Plant Studies und literarischen Neuerscheinungen. So entstehen beispielsweise vor dem Hintergrund der politischen Tierrechtsbewegung und der Animal Studies in jüngerer Zeit Gedichte über Tiere, die diesen Diskussionen versuchen gerecht zu werden:
Gedichte über Tiere stellen zuweilen außergewöhnlich imaginationsreiche Versuche dar, einfühlend der Einzigartigkeit des Tiers gerecht zu werden und sich zugleich die Unmöglichkeit bewusst zu machen, Worte zu finden, die das Tier nicht umgehend wieder für menschliche Zwecke zu vereinnahmen (Culler 2018, S. 183).
Vergleichbares ist in Bezug auf Pflanzen zu erwarten, wobei derartige Wechselwirkungen bei der Bewertung der Entstehung dieser Texte mit zu reflektieren sind. Letztlich berührt das Forschungsfeld der Plant Studies, wie alle ethisch fundierten Ansätze, die Frage nach den übergeordneten Zielen von Forschung. Ein sinnvoller Vorschlag könnte sein, was Colin Tudge in seinem Buch The Tree als Leitvorstellung formuliert:
I like the idea (I have found that some people don’t, but I do) that each of us might aspire to be a connoisseur of nature, and connoisseurship implies a combination of knowledge on the one hand and love on the other, each enhancing the other. Conservation – of all living creatures, including trees – has little chance of long-term success without understanding, which
depends in large measure on excellent science. […] Yet when the science is done, its primary role […] is not to change the world but to enhance appreciation (Tudge 2005, S. 16).
Exzellente Wissenschaft ist demnach neben intuitiver Naturliebe die entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung einer auf Anerkennung und Wertschätzung basierten Haltung gegenüber allem Lebendigen. Dem ist nichts hinzuzufügen – außer dem Hinweis, dass auch exzellente kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung dazu gehört.
Forschungsstand
Das Wuchern der Pflanzen, Ein Florilegium des Wissens (2013) von Bühler und Rieger ist grundlegend für die deutschsprachige kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung geworden, auch wenn darin der Begriff Plant Studies noch nicht vorkommt. Ausgangspunkt der wissensgeschichtlichen Fallstudien, die in kurzen Artikeln wie ein Lexikon bzw. Florilegium organisiert sind (und analog zu entsprechenden Experimenten mit dem Bestiarium und dem Lapidarium), ist der enge Zusammenhang zwischen Pflanze und menschlicher Kultur. Schon das Wort ‚Kulturʼ verweist in seiner etymologischen Herkunft auf eine zentrale Kulturtechnik (lat. ‚colereʼ: ‚bebauenʼ), mehr noch: Durch die Pflanze und ihren Anbau ist auch der Mensch erst kultiviert worden. Zu fragen ist folglich, ob sich nicht beides, das Kultivieren und Kultiviert-Werden, gegenseitig bedingt und konstituiert (vgl. Bühler/Rieger 2013, S. 12f.). Die einzelnen Artikel zeigen, dass die Beobachtung und Formulierung, dass Pflanzen Sozialformen ausbilden, schon Ernst Meyer im Jahr 1834 herausgestellt hat (vgl. Bühler/Rieger 2013, S. 72-84), und dass auch die sensuelle Erregbarkeit und Kommunikationsfähigkeit von Pflanzen die Forschenden bereits um 1800 beschäftigt hat (vgl. Bühler/Rieger 2013, S. 58-71). Mit diesen Beispielen soll mit Nachdruck auf die kultur- und wissensgeschichtliche Tiefendimension der aktuellen Debatten hingewiesen werden.
Als ebenso grundlegender neuerer Beitrag zum sich herausbildenden Feld kulturwissenschaftlicher Pflanzenforschung ist der Ausstellungskatalog Von Pflanzen und Menschen (Meyer/Weiss 2019) zur gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden zu nennen, decken doch die darin versammelten Perspektiven auf Pflanzen die wesentlichen ethischen, alltags- und hochkulturellen sowie wissenschaftlichen und wissensgeschichtlichen Aspekte der Plant Studies ab (wie z.B. Ethnobotanik, Kunstwissenschaft, Philosophie). Der Versuch, verschiedene Disziplinen und Wissenskulturen zusammenzuführen, liegt auch den Sammelbänden The Green Thread: Dialogues with the Vegetal World (Vieira/Gagliano/Ryan 2015) und The Language of Plants: Science, Philosophy, Literature (Vieira/Gagliano/Ryan 2017) zugrunde. Ausgangspunkt für The Language of Plants ist die Feststellung, dass Pflanzen in der westlichen Literatur bislang vornehmlich dargestellt wurden
[…] as part of the landscape, or as the backdrop for human and, on occasion, animal dramas, as evident in some fairytales and fables. For many writers, plants become, at most, the correlatives of human emotions, eliciting feelings of pleasure and displeasure, triggering memories, and reflecting human states of mind, including inner turmoil or spiritual meditation. The
mysterious intricacies of vegetal lives, obscure to the human subject, are largely cast aside and relegated to narrative blindspots in a wide array of literary works (Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 4).
Allein diese Passage ist geeignet, die verschiedenen Literaturwissenschaften zu Re-Lektüren zentraler Werke anzuregen und dabei auch die Konjunkturen verschiedener Pflanzendarstellungen diachron und synchron sichtbar zu machen.
Darüber hinaus bietet die Einleitung zu The Language of Plants einen umfassenden Überblick über die bisherigen Betrachtungsweisen von Pflanzen von der antiken Philosophie bis heute, die sich als überwiegend zoozentrisch erweisen (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 6). Die neuere botanische Pflanzenforschung, Philosophie und der Ecocriticism haben dazu beigetragen, das Verhältnis zwischen Mensch und Pflanze zu rekonzeptualisieren und Untersuchungen anzuregen, die neben dem Pflanzenverhalten auch deren Verkörperung (‚embodiment‘), Handlungsmacht (‚agency‘) und Bewusstsein (‚consciousness‘) berücksichtigen (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 10). Die Autoren unterscheiden dazu konzeptuell zwischen einer extrinsischen und einer intrinsischen Sprache der Pflanzen. Erstere bezieht sich auf die Sprache, mit der Wissenschaftler, Schriftsteller, Theoretiker usw. über Pflanzen sprechen; Letztere zielt auf die Kommunikationsformen von Pflanzen mit anderen Pflanzenindividuen, Tieren wie auch mit Mikroorganismen im Boden sowie insgesamt der pflanzlichen Umwelt (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 11f. und 14). In Rückbezug auf die Phytosemiotik, ein Unterbereich der Biosemiotik, der sich dem Zeichengebrauch von Pflanzen widmet, gehen sie davon aus, dass die Sprache der Pflanzen ein Ausdruck ihrer Physiologie mit semiotischer Resonanz ist (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 13, unter Verweis auf Krampen 2010). Dieses denkbar weite Verständnis von Sprache steht indes in deutlicher Spannung zu dem bisher anerkannten Verständnis menschlicher Sprache (vgl. oben).
Im deutschsprachigen Bereich ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen zu Pflanzen erschienen, die in ihrer Fülle an dieser Stelle nicht vollständig aufgelistet werden können. Heinrich Detering zeigt in seiner jüngsten Studie, Menschen im Weltgarten (2020), unter anderem anhand der Werke von Haller und Goethe, wie in der Zeit zwischen 1700 bis ca. 1835 die wissenschaftliche und ästhetische Beschäftigung mit Pflanzen noch im Werk eines einzigen Autors zusammengehen konnte, da die Grenzen zwischen Wissenschaft und Dichtkunst zu dieser Zeit noch durchlässig waren – eine These, die auch über die Plant Studies hinaus für die Environmental Humanities und das Forschungsfeld ‚Literatur und Wissen‘ von hoher Relevanz ist. Die Sprache der Blumen oder ‚Floriographie‘ bzw. insgesamt die floralen Kommunikationsmedien sind hingegen bereits mehrfach in den Blick genommen worden (z.B. Kranz 2016; Kranz/Schwan/Wittrock 2016; Polaschegg 2018). Untersucht werden der Niederschlag forstwissenschaftlicher Diskurse in der Literatur (Kittelmann 2017a), das Zusammenspiel von Botanik und Ästhetik (Kittelmann 2017b) sowie die Idee der Nachhaltigkeit aus dem Wunsch ressourcenschonenden Handelns im Umgang des Menschen mit Pflanzen (Grober 2013; Stobbe 2019). Zu nennen sind weiterhin Studien zu den verschiedenen Diskursen des anthropogenen Zugriffs auf Natur, einschließlich der pflanzlichen Welt in Hettches Pfaueninsel (Kanz 2018) sowie zu der Frage, wie pädagogische Metaphern aus dem Bereich der Pflanzenzucht in Rasps Ein ungeratener Sohn wörtlich genommen werden (Wanning 2015). Darüber hinaus lassen sich Analysen zu Pflanzen in der Lyrik aus biozentrischer Sicht anführen (z.B. Rigby 2015; Zemanek 2018), ebenso wie Gegenwartsgedichte auf die ihnen inhärenten, widerständigen pflanzlichen Sichtweisen hin analysiert werden (Hayer 2018). Diese Reihe an Untersuchungen ließe sich lange weiterführen – was umso mehr dafür spricht, dass aktuell eine viel diskutierte Forschungsperspektive auf eine bereits lebendige Pflanzenforschung in der Germanistik trifft und eine Neujustierung der bisherigen Forschungen unter den theoretischen Prämissen der Plant Studies fruchtbringend zu sein verspricht.
Im angloamerikanischen Bereich wurden Texte von Autoren untersucht, die zugleich Botaniker waren (Mahood 2008), und es wurde nach dem Zusammenhang von Pflanzen-Wissen und literarischer Form gefragt (Roxburgh/Sprang 2018). John C. Ryan hat gleich mehrere Studien vorgelegt wie z.B. Green Sense. The Aesthetics of Plants, Place and Language (2012) und Plants in Contemporary Poetry – Ecocriticism and the Botanical Imagination (2017). Insgesamt werden in der anglophonen Forschung ganz selbstverständlich Filme und Literatur im engen Sinn gleichrangig themenspezifisch untersucht, sei es in Bezug auf Pflanzendarstellungen in der deutschsprachigen Moderne (Janzen 2016), im Horror-Genre (Keetley/Tenga 2016) oder hinsichtlich des Konnexes zwischen fossilen pflanzlichen Brennstoffen, Pflanzen und Menschen im Anthropozän, soweit er z.B. in Frank Herberts Dune: der Wüstenplanet greifbar ist (Sullivan 2019). Letztere Untersuchung ist schon deshalb innovativ, weil sie das Augenmerk darauf lenkt, dass Pflanzen als Grundlagen fossiler Brennstoffe indirekt das ermöglicht haben, was als grundlegend für die Bestimmung des Zeitalters des Anthropozän angenommen wird: die Industrialisierung samt ihren Folgen.
Pflanzen als Handlungsträger (Figuren, Akteure und Aktanten)
Entscheidend für die Frage, ob sich die kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung im deutschsprachigen Forschungskontext und namentlich in der sich kulturwissenschaftlich verstehenden Germanistik etablieren kann, ist der Status von Pflanzen als Figuren, Akteuren oder Aktanten. Bislang wurden Pflanzen in literarischen Texten in der Germanistik vor allem als Symbole gelesen: die Rose als Symbol der Liebe, die weiße Lilie als Symbol der Unschuld usw. (vgl. Butzer/Jacob 2012). Bei der Analyse von Pflanzendarstellungen in der Literatur ist, entsprechend den Verfahren der Literary Animal Studies, zwischen diegetischen und semiotischen Pflanzen sowie zwischen realistischen und fantastischen Pflanzen zu unterscheiden (vgl. Borgards 2016, S. 226-228). Diegetisch meint ‚in der erzählten Welt vorkommend‘, also Pflanzen, die es in der erzählten Welt gibt und auf die referiert wird; semiotisch meint ein ‚zeichenhaftes Vorkommen‘ z.B. im Bereich der Namensgebung oder der metaphorischen Verwendung. In literarischen Texten können komplexe Verbindungen und Verweisstrukturen zwischen beidem bestehen. Gesteigert wird die Komplexität zumeist dadurch, dass bestimmte Figuren symbolisch mit einer Pflanze verbunden sein können bzw. sich auf eine Weise verhalten, die als pflanzenhaft erscheint. In Fantasy-Texten, in Märchen und Mythen können Pflanzen auch als Figuren auftreten.
In der Erzähltheorie ist eine Figur ein „mentales Modell eines Menschen in einer erzählten Welt“ (Winko 2016, S. 66; vgl. auch Jannidis 2004): Die im Text gegebenen Informationen werden im Rezeptionsprozess so zusammenfügt, dass sie aus Sicht des Rezipienten einen Sinn ergeben, d.h. die fehlenden Informationen werden derart ergänzt, dass sich kohärente Figuren ergeben. Auch nicht-menschliche Lebewesen und Objekte – also auch Pflanzen – können als menschenähnlich Handelnde erlebt werden, sofern mindestens eines der folgenden vier Kriterien erfüllt ist: (a) eine menschenähnliche äußere Erscheinung, (b) intentionales Handeln, (c) Sprache bzw. Sprachfähigkeit und (d) ein psychisches Innenleben. Alle genannten Kriterien sind per definitionem – und zugleich unhintergehbar – anthropozentrisch gedacht.
Eng mit der narratologischen Perspektive verbunden ist die philosophische Frage, ob Pflanzen handeln können – und wenn ja, wie bzw. inwiefern. Aufgeworfen wird diese Sicht nicht zuletzt durch die provokante These Michael Pollans in seinem Buch The Botany of Desire: A Plant’s-Eye View of the World, worin er behauptet, dass Pflanzen die Menschen dazu bringen, in ihrem Sinne zu handeln („a clever evolutionary strategy for advancing their own interests“, Pollan 2001, S. xvi). Kritisiert wird daran von Hannah Stark, dass diese Studie „entirely on the place of plants in human systems of agriculture and domestic cultivation” fokussiert sei und zudem hauptsächlich aus der Menschenperspektive erzählt werde (Stark 2015, S. 193). Von Allianzen hingegen spricht Donna Haraway in ihrer Studie zu Companion Species (2003). Zu untersuchen wäre, welche Formen von Co-Evolution sich in Bezug auf Pflanzen und Menschen beobachten lassen, denn auch wenn Pflanzen nicht im Fokus ihrer Studie stehen, sind diese bei der Begriffswahl eingeschlossen:
‘Companion species‘ is a bigger and more heterogenous category than companion animal, not just because one must include such organic beings like rice, bees, tulips, and intestinal flora, all of whom make life for humans what it is – and vice versa (Haraway 2003, S. 15).
Das ist eine andere und vielversprechende Perspektive, die Differenzen voraussetzt und nicht einebnet.
Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie zufolge gelten auch Pflanzen als ein „Ding, das eine gegebene Situation verändert, in dem es einen Unterschied macht“ (Latour 2014, S. 123). Latour schlägt an anderer Stelle vor, statt von Akteuren besser von Aktanten im Sinne von Agierenden bzw. Interferierenden zu sprechen; dies sei die weniger anthropomorphisierende Bezeichnung (vgl. Latour 2015, S. 226). Fragen von Agency im Unterschied zu menschlich gedachtem intentionalem Handeln sind auch in den Animal Studies zentral (vgl. Steinbrecher 2016, S. 7f.; Wirth/Laue/Kurth u.a. 2016). Diskutiert wird die Rede von tierlicher Handlungsträgerschaft oder auch ‚Embodied Agency‘, weil damit die Relevanz von Rationalität und Intentionalität von Handlungen, verstanden als menschenbezogene Kategorien, zurückgenommen wird zugunsten der Anerkennung performativer Verhaltensweisen, zu denen auch ein widerständiges oder unberechenbares tierliches Handeln zählen kann (vgl. Steinbrecher 2016, S. 13).
Agency ist zudem ein Schlüsselbegriff im Material Ecocriticism (Iovino/Oppermann 2014) sowie im New Materialism (vgl. Bennett 2010; Sullivan 2015). Der Material Ecocriticism definiert sich als
[…] the study of the way material forms – bodies, things, elements, toxic substances, chemical, organic and inorganic matter, landscapes, and biological entities – intra-act with each other and with the human dimension, producing configurations of meanings and discourses that we can interpret as stories (Iovino/Oppermann 2014, S. 7).
In Erweiterung des Material Ecocriticism wird im New Materialism besonders herausgestellt,
[…] wie die menschlichen Kulturen Teil vieler anderer materieller ‚Kulturen’ in der Welt sind, z.B. der Elektronen, der Bakterien, der Pflanzen und anderer Lebewesen. Außerdem werden die Wirkungen von Wasser, Kohlenstoff oder Wetter und die Einflüsse von ‚aktiven Stoffen‘ als maßgeblich für die Deutung von Materie einbezogen, seien diese nun radioaktiv, toxisch oder einfach ein Teil der Nahrungskette (Sullivan 2015, S. 59).
Was ist nun aber mit der Frage nach einer möglichen Handlungsträgerschaft und Wirkmacht von Pflanzen gewonnen? Aus der Perspektive der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit stellt die offenkundige Bewegungs-, Gesichts- und Stimmlosigkeit sowie die scheinbare Passivität von Pflanzen alle Lesarten, die Pflanzen als irgendwie handelnde Entitäten in den Mittelpunkt rücken, vor ernstzunehmende Herausforderungen. Auch dass es nicht immer möglich ist, beispielsweise einzelne Zitterpappelindividuen in einem Zitterpappelwald zu unterscheiden, macht es nicht leichter, sind doch die bisherigen Denkkategorien in der Regel auf klar voneinander abgrenzbare Größen ausgerichtet. Worüber noch am ehesten eine intersubjektive Verständigung hergestellt werden kann, ist die Feststellung, dass Pflanzen wie Menschen und Tiere Lebewesen sind, die in ihrer ganzen Vielfalt und in ihrem So-Sein als wirksame Teile komplexer Systeme anzuerkennen sind. Das schließt auch Respekt gegenüber Lebewesen ein, die zu ‚verstehen‘ uns trotz aller neueren Forschungen in diesem Bereich schwerfällt, weil wir uns kaum vorzustellen vermögen, wie sie ihre Welt wahrnehmen. Dass es trotzdem den Versuch wert ist, es zumindest zu probieren, bleibt von dieser Skepsis unberührt (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 12).
Notwendig ist eine Verständigung darüber, welche Konsequenzen die Feststellung der Andersartigkeit von Pflanzen, ihre Eigenheiten in den Bereichen Sensorik, Kommunikation, Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, Zeitrhythmik – bedingt durch ein zyklisches Werden und Vergehen – sowie ihre Fortbewegung bei prinzipieller Ortsgebundenheit im Vergleich zu anderen Lebensformen haben. Denn diese Unterschiede gibt es, wenngleich sie in ihrer Bewertung historisch wandelbaren kulturellen Regulierungen unterliegen und die unterschiedlich gedachten Nähe-Distanz-Verhältnisse zwischen Mensch, Tier und Pflanze als Konstruktionen gelten können. Es wird künftig verstärkt über die Frage zu diskutieren sein, was das jeweils für die Plant Studies bedeutet, insbesondere a) für die Imagination und Darstellung von Pflanzen in der Literatur, b) für die Analyse- und Interpretationspraxis von Pflanzen in den Literatur- und Kulturwissenschaften ebenso wie c) für die Interaktionen zwischen Mensch und Pflanze in der Alltagskultur.
Fazit und Ausblick
Ein zentraler Fokus der kulturwissenschaftlichen Pflanzenforschung liegt auf den Imaginationsformen des Vegetabilen vor dem Hintergrund der sich wandelnden ethischen, philosophischen und biologischen Vorstellungen von Pflanzen und den verschiedenen Formen der Mensch-Pflanze-Interaktion. Plant Studies haben das Potenzial, eine Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Kulturwissenschaften und eine Modifikation der theoretischen, methodischen und begrifflichen Prämissen der eigenen Disziplin, in diesem Fall der Germanistik, anzuregen. So sind z.B. die Kategorien zur Bestimmung von Figuren hinsichtlich des Aspekts der Menschenähnlichkeit ebenso neu zu diskutieren, wie auch der Gattungsbegriff ‚Dinggedicht‘ für Gedichte über Pflanzen durch einen Terminus abzulösen ist, der den jüngeren Diskussionen zur Handlungsträgerschaft bzw. Agency gewahr ist. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Fiktionen – und nichts anderes ist Literatur –, in denen Pflanzen auf unterschiedliche Weise Agency entfalten bzw. in denen pflanzliche Handlungsträgerschaft erkennbar ist, und wissenschaftlichen Beiträgen, die Pflanzen als selbständig handelnde Entitäten betrachten. Man kann fragen, ob nicht beides letztlich verschiedene Interpretationen der vegetabilen Welt sind. Zudem sind die unterschiedlichen Modi zu reflektieren, mit denen Wissen über Pflanzen in literarischen Texten generiert und modifiziert wird. Gleiches gilt für die, aus der Perspektive des New Materialism gedachte Tatsache, dass Pflanzen an der Produktion von Literatur auf verschiedene Weise beteiligt sein können, sei es als Schreibmedium, -anlass, -gegenstand und als Inspirationsquelle.
Indem sie die kulturellen Zuschreibungen, Agencies, Formen der Involviertheit von Pflanzen in Texten analysieren, zeigen kulturwissenschaftliche Plant Studies im Idealfall, welchen Erkenntnisgewinn literarische Texte in Bezug auf und im Zusammenwirken mit Pflanzen generieren. Bei alldem ist im Blick zu behalten, dass die Machtverhältnisse im Umgang des Menschen mit Pflanzen derzeit und ‚in real life‘ ganz anders zu bewerten und angesichts der zentralen Bedeutung von Pflanzen auf der Erde deutlich zu kritisieren sind. Wie im Ecocriticism und den Animal Studies geht es auch in den Plant Studies darum, die Möglichkeiten ethischen Handelns innerhalb eines Gefüges aus „Macht, Wissen und Unterdrückung“ herauszustellen. Hier wie dort gibt Literatur „Anlass zum Überdenken moralischer Positionen und zur Erkundung der Perspektiven des anderen“ (Culler 2018, S. 179). Die Pflanzen selbst können, soweit wir wissen, keine Auskunft über ihre Sicht der Dinge geben.