Dominika Cohn: Choreografien des Taktilen. Berühren und Berührtwerden als (absente) ästhetische Praxis.

Abstract: Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie zeichnete sich in den vergangenen Jahren im zeitgenössischen Tanz – wie in den darstellenden und bildenden Künsten insgesamt – ein Trend hin zu partizipativen Arbeiten ab, bei denen das Publikum sich im Rahmen der Aufführung durch den Raum bewegt und physisch mit Performer*innen und Objekten interagiert. Namhafte Choreograf*innen, darunter William Forsythe, Tino Sehgal oder das Kollektiv Ligna, bezogen ihr Publikum in choreografischen Installationen, Audio-Performances oder ›konstruierten Situationen‹ soweit ins Geschehen ein, dass die Teilnehmenden selbst – ihre Handlungen und Bewegungen – zur eigentlichen Choreografie werden. Doch wie lassen sich solche physischen Formen der Publikumspartizipation rezeptionsästhetisch beschreiben? Dieser Frage nähert sich der Beitrag anhand eines wenig bekannten praktischen Beispiels aus dem Bereich der zeitgenössischen Choreografie, der Arbeit CO-TOUCH der drei russischen Künstlerinnen Kristina Petrova, Katia Reshetnikova und Vera Shchelkina. Mit einem Fokus auf sich im Rahmen dieser Arbeit ereignende Berührungen zwischen Teilnehmer*innen und Performer*innen wird zunächst erläutert, warum sich die hier stattfindende taktile Partizipation als eine Form von Rezeption verstehen lässt. In einem zweiten Schritt wird ein Verständnis von Berührungs-Rezeption als ästhetischer Praxis stark gemacht. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse vor der Folie der Pandemie-Geschehnisse reflektiert.

Keywords: Taktilität, Choreografie, Rezeption, Partizipation, ästhetische Praxis

1. Taktile Teilhabe als korporal-sensuelle Partizipation

Hellerau im Januar 2020: Nach anfänglichen Instruktionen durch eine junge Performerin sowie kollektivem Schuhe-Ausziehen vor der Tür wird eine kleine Gruppe Teilnehmer*innen – etwa zehn Menschen gemischten Alters – in einen großen, leeren Saal geführt. An einer Längswand des Saals stehen Stühle aufgereiht, exakt so viele, wie Teilnehmer*innen in den Raum geführt werden.1 Auf jedem Stuhl liegt ein Kopfhörerbereit. Nach Platznehmen auf einem der Stühle wird den Teilnehmer*innen eine Augenbinde angelegt und der jeweilige Kopfhörer aufgesetzt (oder sie legen sich beides selbst an, dies konnte individuell gewählt werden). Es handelt sich um eine ›Aufführung‹ der korpral-sensuell partizipativen Choreografie CO-TOUCH, die im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Rahmen des Festivals ›Karussell – Zeitgenössische Positionen russischer Kunst‹ gezeigt wurde.2

Das Spezifikum bei CO-TOUCH ist, dass die Teilnahme mit verbundenen Augen stattfindet. Um sich rezeptionsästhetisch einer Aufführung ohne Sichtbarkeit zu nähern, erscheint es methodisch sinnvoll, die Analyse auf einen persönlichen Erfahrungsbericht zu stützen, der die persönlichen Eindrücke der Autorin während einer Aufführung von CO-TOUCH schildert.3 Die Beschreibungsperspektive ist bewusst so gewählt, dass sie der hochgradig subjektiven Wahrnehmung der Geschehnisse Rechnung trägt. Die Verwendung der ich-Perspektive erscheint infolgedessen als die einzig konsequente. Im Folgenden soll ein Auszug aus besagtem Erfahrungsbericht wiedergegeben werden.

Eine Frauenstimme sagt: »breathe in… breathe out… imagine the cerebrospinal fluid running through your spine.« Eine Klangcollage wirkt auf mich ein, während ich gleichzeitig versuche, den Raum um mich herum wahrzunehmen. Irgendwie scheinen die Stühle ganz eng aneinandergerückt oder noch Stühle zwischen die stehenden Stühle geschoben zu werden, jedenfalls spüre ich rechts und links von mir nun andere, sehr dicht bei mir sitzende Körper, spüre deren Unterarme und Körperseiten, die mit meinen in Kontakt sind. Dann fühle ich plötzlich einen ersten ganz direkten Kontakt an meinen Händen: Zwei fremde Hände berühren meine. Sie sind kühl und etwas feucht, berühren mich sehr zart, vermitteln bei der ersten Berührung einen Eindruck von großer Feinfühligkeit – wobei hier der Begriff des Eindrucks durchweg wörtlich zu verstehen ist: Über den feinsten Druck, den die fremden Fingerkuppen auf meine eigenen ausüben, versuche ich mir ein Bild der Person zu machen, die mir nun mit ihren Händen signalisiert, aufzustehen und ein paar Schritte in den Raum hinein zu machen. Dann sind die Berührungen schon wieder verschwunden. Ich stehe und lausche den Geräuschen im Kopfhörer – jetzt auch Vogelzwitschern, Naturgeräusche und Stimmen –, die mal auf Russisch, mal auf Englisch sprechen. Ich fühle, dass ich etwas schwanke, es ist ungewohnt, mit geschlossenen Augen in einem unbekannten Raum zu stehen, zumal sich eigentlich zwei Räume überlappen: der, in dem ich tatsächlich physisch stehe und den ich eben beim Hereinkommen kurz gesehen habe und der, der durch die Klangwelt erzeugt wird, die sich ständig wieder ändert, etwas konfus ist, ohne lineares Zeitgeschehen. Ich fühle mich, als wäre ich schlaftrunken nach ewiger Fahrt aus einem Nachtzug ausgestiegen, an einem fremden Ort, an dem ich keinerlei Orientierung habe. Noch während ich überlege, ob ich mich nun auf eigene Faust in diesen Raum hineinwagen soll, bekomme ich wieder dieselben kühlen, leicht feuchten und zarten Hände zu fühlen – und ich spüre so etwas wie Erleichterung darüber. Sie passt auf mich auf, ›meine‹ Performerin, sie ist da um mich zu leiten. Ich gelange zu dem Schluss, dass ich mich hier gewissermaßen in feste Hände begeben habe: Ein und dieselbe Performerin wird mich berühren und durch Raum und Geschehen leiten. Sie berührt mich nun an verschiedenen Stellen meines Körpers, zunächst sehr vorsichtig, dann auch etwas fester und spielerischer. Sie hat einen angenehmen Händedruck und einen nur ganz fein wahrnehmbaren, angenehmen Körpergeruch, den ich als dezent ›öko‹ (irgendwie unchemisch, nach Naturseife und Wolle) einstufe. Doch warum sollte ich mich nur passiv berühren lassen? Ganz vorsichtig versuche ich, die Berührungen in eigene Bewegungen zu transferieren, hebe langsam den rechten Unterarm, den sie berührt, strecke ihn bis über den Kopf, wir beginnen eine zaghafte gemeinsame Erkundung.

Wie ist diese Szene zu verorten? Eine Performance, während der sich das ›Publikum‹ mit verbundenen Augen in einem Raum befindet, Klangfragmente und Stimmengewirr über Kopfhörer hört, Berührungen empfängt und gleichzeitig und unausweichlichdabei andere berührt. In der Textpassage werden haptische, auditive und olfaktorische Eindrücke, Berührungsempfindungen und  Befindlichkeiten geschildert. Kann man in Anbetracht dieser Palette subjektiv-körperlicher, um nicht zu sagen privater Eindrücke hier von einer Aufführung mit dem dazugehörigen Publikum sprechen? Ist das überhaupt Kunst (e. g. Choreografie, Performance) oder doch eher eine Art Selbsterfahrungsworkshop? Diese Fragen lassen sich angesichts der verwirrenden Gemengelage des beschriebenen Geschehens nicht leicht beantworten. Will man sich dem Gegenstand des Beispiels CO-TOUCH nähern, so scheint hingegen ein anderer Aspekt deutlich hervorzutreten: Ganz offenkundig handelt es sich hier um ein partizipatives Geschehen in einem künstlerischen Kontext.4 Als Teilnehmerin von CO-TOUCH empfange ich Berührungen, bewege mich durch den Raum und führe meinerseits Berührungen aus, ohne dabei sehen zu können.5 Ich bin ganz wörtlich mit Haut und Haar im choreografischen Geschehen drin, oder vielmehr: Ich bin zu einem großen Teil selbst das choreografische Geschehen.6 Die ›Aufführung‹, die ich erlebe, tritt erst durch mein aktives Zutun (das Bewegen durch den Raum und das Empfangen von Berührung mit der Haut meines Körpers) in Existenz. Es gibt nichts zu sehen, es gibt nur Mitmachen: Man  partizipiert.
Der Begriff der Partizipation bedarf dabei allerdings genauerer Erläuterungen. Partizipation leitet sich aus dem Lateinischen participare für »teilnehmen, teilhaben« ab, das sich wiederum zusammensetzt aus pars für »Teil« und capere für »nehmen, fassen, ergreifen«.7 In der beschriebenen Szene handelt es sich dabei ganz buchstäblich um eine Teilhabe mit Anfassen, so dass sich hier durchaus von einer »körperlichen Aktivierung« sprechen lässt – mit Kravagna eine der Voraussetzungen für Beteiligung in partizipativer Kunstpraxis.8 Darüber, was unter ›partizipativer Kunst‹ zu fassen sei, herrscht dabei allerdings Uneinigkeit.9 In theoretischen Beiträgen zum Begriff der Partizipation in den Künsten lassen sich hierzu im Großen und Ganzen zwei konträre Positionen bestimmen. Einerseits wird Partizipation verstanden als tatsächliche körperliche Teilhabe an einer Aufführung oder sonstigem Kunstgeschehen. Andererseits wird von vielen Theoretiker*innen in der Tradition Rancières bereits das Zuschauen im Theater für sich als aktiver und partizipativer Akt verstanden.10 Seitz folgend, lassen sich diese beiden Positionen als ›mentale Teilhabe‹ im Sinne einer konstruktivistischen Weltauffassung einerseits und ›performative Teilhabe‹ im Sinne eines praxistheoretischen Verständnisses andererseits unterscheiden.11 Diese beiden Positionen sollen im Folgenden kurz erörtert werden. Zunächst zu jenem Verständnis von Partizipation als ›mentaler Teilhabe‹, das hier mit Czirak »Partizipation der Blicke« genannt sei.12 In diesem Verständnis kommt, auf die performativen Künste bezogen, jegliche Anwesenheit von Zuschauer*innen einer Partizipation gleich, unabhängig davon, ob aktive Partizipation von den Künstler*innen konzipiert wurde oder nicht. Gerade im Kontext der Theaterwissenschaft wird häufig darauf verwiesen, dass der Akt der ästhetischen Rezeption als solcher bereits durch Mit-Sehen, Mit-Hören und Mit-Denken gekennzeichnet sei. Roselt umschreibt dies mit Rückbezug auf Waldenfels etwa mit dem Begriff der Responsivität.13 Diese Positionen orientieren sich an Rancière, der das (Zu-)Sehen als eigenständige und emanzipatorische Handlung beschreibt: »Die Emanzipation beginnt dann, wenn man den Gegensatz zwischen Sehen und Handeln in Frage stellt […].«14 Daraus folgt für Rancière in logischer Konsequenz ein »Verwischen der Grenze zwischen denen, die handeln, und denen, die zusehen […].«15 Liegt die Zuschauer*innen-Emanzipation dieser Auffassung zufolge darin, dass jede*r seine oder ihre eigene Interpretation machen kann, dann macht dies eine Unterteilung in aktive und (vermeintlich) passive Zuschauer*innen obsolet: Die Anwesenheit einer Zuschauerin im Theater bedeutet nach dieser Auffassung ganz automatisch, dass sie durch ihr Zusehen, Zuhören, Mit-Denken an der Aufführung Teil hat und Teil nimmt.16 Wenn jedoch das Zuschauen im Theater für sich als partizipativer Akt verstanden wird, wie lassen sich dann die zahlreichen performativen Formate auf Festivals, in Galerien und Spielstätten fassen, bei denen ganz bewusst mit einem Zuschauen aus der sicheren Distanz des Theatersessels gebrochen wird? Formate, in denen etwa gemeinsam gegessen,17 durch Schlamm gewatet18 oder kollektiv im Theater übernachtet wird?19 Zuschauer*innen werden hier dezidiert aufgefordert, sich bei der jeweiligen künstlerischen Arbeit körperlich zu involvieren, Handlungen auszuführen oder selbst Entscheidungen zu treffen.20 In der Fachliteratur wird Partizipation in solchen Projekten, wie oben bereits kurz umrissen, als Form tatsächlicher körperlicher Tätigkeit im Sinne einer performativen Publikumsteilhabe verstanden. In diesem Verständnis wird, wie Spohn herausarbeitet, eine »Analogie von Aktivität und physischem Handeln« vorausgesetzt.21 Dabei wird in partizipativer Kunst vielfach Teilhabe als solche bereits als per se politisch verstanden: »Die ›politische Dimension einer partizipativen Kunst‹«, so Spohn, »scheint somit alleine der Teilnahme, einer nach außen sichtbaren Beteiligung, geschuldet.« Differenziert benennt Claire Bishop in ihrem umfangreichen Werk zu Partizipation in der Kunst als deren zentrale Dimensionen emanzipatorische ›Ermächtigung‹ der Zuschauer*innen, die Auseinandersetzung mit Fragen der Autor*innenschaft sowie Gemeinschaft.22 Dabei sind partizipative künstlerische Formate durch Bishop und diverse andere Autor*innen starker Kritik ausgesetzt. Relevante Kritikpunkte sind etwa, dass die performative Teilhabe an einem Kunstgeschehen durch mangelnde Distanz ein ›wahres‹ ästhetisches Erleben behindere,23 dass faktisch bestehende Hierarchien im Sinne einer angestrebten ›Gleichheit aller‹ verwischt würden24 und dass die Projekte vielfach zu wirtschaftlichen Zwecken instrumentalisiert würden, etwa um Audience Development zu betreiben.25
An dieser Stelle zurück zu CO-TOUCH. Auch hier wird mit dem Vom-Zuschauersessel-aus-Zusehen gebrochen, sogar gleich zweifach: Denn einerseits sitzt hier niemand in einem Zuschauersessel und anderseits schaut niemand zu, weil allen Teilnehmer*innen die Augen verbunden sind.26 Da es nichts zu sehen gibt, stellt die direkte körperliche Involvierung qua Hautkontaktes und eigenen Bewegens hier offenbar das künstlerische Programm dar. Damit scheint keine der beiden oben umrissenen Positionen zu Partizipation das hier vorgestellte Beispiel angemessen zu fassen. Einerseits geht das Berühren, Berührt-Werden und gemeinsame Bewegen weit über eine Partizipation im Sinne eines rein intellektuellen Mit-Denkens hinaus. Anderseits lässt sich das blinde Durch-den-Raum-Tapsen zwar mit Kravagna durchaus als eine Form der Zuschauer*innen-Aktivierung bezeichnen, entzieht sich jedoch, zumindest auf den ersten Blick, der damit verbundenen Logik des Partizipierens als dezidiert politischem Akt.27 Vielmehr scheint hier Berührung gleichzeitig künstlerisches Mittel und künstlerischer Zweck: Petrova, Reshetnikova und Shchelkina erschaffen mit CO-TOUCH ein choreografisches Dispositiv, in welchem durch gezielte Ausschaltung des Sehsinns eine Fokussierung auf Berührungswahrnehmungen stattfindet.28 Die im Beispiel CO-TOUCH stattfindende Rezeption lässt sich, so mein Vorschlag, mit einem korporal-sensuellen Partizipationsbegriff fassen, welcher eine dezidierte Betonung auf Körper- bzw. Sinneswahrnehmung setzt. Hierfür schlage ich folgende Definition vor: Von korporal-sensueller Partizipation lässt sich dann sprechen, wenn sich verschiedene durch eine choreografische (e. g. künstlerische) Arbeit aktivierte sensuelle Wahrnehmungen erst durch und mit einer körperlichen Teilhabe des ›Publikums‹ entfalten können: Haut kann, wie bei CO-TOUCH, erst dann fühlen, wenn sie tatsächlich berührt oder berührt wird. Dabei will ich, Seitz folgend, dafür plädieren, korporal-sensuelle Partizipation wie das Berühren im hier ausgewählten Beispiel als einen spezifischen Modus von Rezeption zu verstehen, mit und in dem ich als teilnehmende Zuschauerin einer bestimmten Performance in einem bestimmten Moment begegne.29 Um diesen Vorschlag nachvollziehbar zu machen, werde ich etwas ausholen und die Diskurse zu Rezeptionsästhetik und der sogenannten Relationalen Ästhetik streifen, um dabei insbesondere die Rolle der Rezipient*innen in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund werde ich dann ein Verständnis von Berührungs-Rezeption als ästhetischer Praxis stark machen, die ein Gegenmodell zur gängigen Sinneshierarchie darstellt. Abschließend werde ich die gewonnenen Erkenntnisse vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie-Situation reflektieren.

2. Rezeption von Berührung im partizipativ-choreografischen Rahmen

Zunächst zur Rezeptionsästhetik: Aufs Gröbste vereinfacht, handelt es sich dabei um die Wissenschaft, die nach Wahrnehmungen einer literarischen oder künstlerischen Arbeit durch die Leser*innen bzw. Betrachter*innen fragt. Sie richtet also ihr Augenmerk auf die Position des- oder derjenigen, die ein Kunstwerk wahrnimmt, und damit gleichzeitig auf den Akt der Wahrnehmung als solchen. Während traditionell der Werksbegriff übergeordnet war – die Frage nach einer ›absoluten‹ Bedeutung des jeweiligen Kunstwerks –, wird, spätestens seitdem Roland Barthes den bekannten ›Tod des Autors‹ proklamiert hat, der Seite der Rezipierenden immer größere Aufmerksamkeit geschenkt.30 Kemp datiert ganz konkret die »Geburt der Rezeptionsästhetik« auf das Jahr 1967:31 dem Jahr, in dem sich Vertreter32 der Konstanzer Schule explizit dem Projekt ›Rezeptionsästhetik‹ zu widmen beginnen und damit der Rolle der Leser*in.33 Seither gilt, wie Schweppenhäuser festhält: »Das künstlerische Werk oder die Aktion wird erst im Akt der Rezeption durch die Betrachter – oder die Beteiligten – vervollständigt.«34 Damit wird den sogenannten Beteiligten bzw. dem nun nicht mehr nur zuschauenden Publikum ein ganz neuer Handlungsspielraum zuteil. Kemp schreibt dieser Tatsache eine enorme Bedeutung zu:

Die Rezeptionsästhetik war insofern der erfolgreichste der geistes-wissenschaftlichen Neuansätze der Nachkriegszeit, als die Größe, auf die sie sich konzentrierte, sehr bald zu einem leeren Signifikanten aufstieg: das Publikum, es konnte mit einem Mal nicht mehr geleugnet werden, es war da und wollte hofiert, erforscht, beschäftigt, unterhalten werden, es war da und es wollte mitreden, es war da und konnte als unübersehbare Größe auch Widerstand und Aggression auslösen […].35

Das Publikum war in den Künsten und ihren dazugehörigen Diskursen angekommen – und blieb: geliebt, verhasst, willkommen geheißen und sperrig.
Noch größer wurde die Wirkkraft des Publikums Ende der 1990er Jahre mit der durch Bourriaud begründeten Relationalen Ästhetik – einer, wenn man so will, radikalen Fortentwicklung der Rezeptionsästhetik. Hier geht es nicht mehr um einen Handlungsspielraum, der dem Publikum in der Rezeption der künstlerischen Arbeiten zuteilwird; hier werden die Handlungen zwischen Publikum und Akteur*innen nun selbst zur eigentlichen Kunst. Anstelle von ›Kunstwerken‹ treten durch Künstler*innen gestaltete Situationen, die in wie auch immer gearteter Weise Raum für Begegnung, Interaktion und Handlungen schaffen. »Meetings, encounters, events, various types of collaboration between people, games, festivals, and places of conviviality«, listet Bourriaud auf, »in a word all manner of encounter and relational invention thus represent, today, aesthetic objects likely to be looked at as such […].«36 Für Bourriaud selbst stellt dies eine Entwicklung von ebenso historischer Größe dar wie die Entwicklung der Rezeptionsästhetik für Kemp: Relationale Kunst habe, so konstatiert Bourriaud, die althergebrachte Ordnung abgelöst: »After the area of relations between Humankind and deity, and then between Humankind and the object, artistic practice is now focused upon the sphere of inter-human relations […]«37 Für den hier gesteckten Fokus soll angemerkt werden, dass Relationaler Kunst mit ihrer Betonung auf Begegnung und Prozess von Kemp ein »anti-okulärer Vorbehalt« zugeschrieben wird;38 vergleichbar konstatiert auch Bishop eine anti-visuelle Tendenz.39 Wenn nach dem Verständnis Bourriauds Intersubjektivität in Form von zwischenmenschlichen Beziehungen den Kern künstlerischer Praxis darstellt,40 dann erscheinen Begriffe wie ›Zuschauer*innen‹ oder ›Betrachter*innen‹ im Zusammenhang mit Relationaler Kunst vollkommen unzulängliche Termini. Bourriaud schlägt stattdessen Begriffe wie »witness, associate, customer, guest, coproducer, and protagonist« vor.41 Hierin liegt nun im Kern ein enger Zusammenhang zwischen Relationaler Kunst und partizipativer Kunst begründet. Eine Kunstform, deren Rezipient*innen sich als Verbraucher*innen, Co-Produzent*innen oder sogar Protagonist*innen verstehen dürfen, basiert auf deren Teilhabe und ist daher gewissermaßen qua definitonem partizipativ zu nennen. Von Kemp selbst werden die Begriffe ›partizipatorische Kunst‹ und ›relationale Kunst‹ tatsächlich als Synonyme verwendet.42 Basierend auf dem oben herausgearbeiteten aktiven Rezipient*innen-Verständnis in der Rezeptionsästhetik erscheint es somit gerechtfertigt, korporal-sensuelle Partizipation wie im Beispiel CO-TOUCH als spezifische Form der Rezeption zu bezeichnen.
Mit dieser Feststellung springe ich zurück zum Ausgangsbeispiel. Bis hierhin wurde festgestellt, dass das Aufführungsgeschehen bei CO-TOUCH sich erst mittels korporal-sensueller Partizipation der Teilnehmenden entfalten kann und dass diese Partizipation sich als eine spezifische und sehr aktive Form der Rezeption verstehen lässt. Doch was genau bedeutet Rezeption im Falle dieses Beispiels ganz konkret? Diese Frage beinhaltet, genau genommen, eigentlich zwei Fragen, nämlich erstens: Was wird hier rezipiert? Und zweitens: Wie wird hier rezipiert? Zur Erinnerung: Beschrieben wurde mit dem Beispiel CO-TOUCH eine Aufführungssituation, in der sich ca. 10 Teilnehmende pro Einlassrunde mit verbundenen Augen und Kopfhörern in einem großen Saal befinden. Während der ›Aufführung‹ interagieren Performer*innen mit den Teilnehmenden per Berührung. Damit erscheint CO-TOUCH als eine Art Anti-Spektakel, denn zu sehen ist hier: nichts! Dennoch ist der oben zitierte Auszug des Erfahrungsberichtes reich an Eindrücken, die aufgrund der Ausklammerung jeglicher visuellen Wahrnehmung nunmehr haptisch, kinästhetisch, akustisch und olfaktorisch sind. Wiederholt tauchen Beschreibungen von Berührungserfahrungen in dem exemplarisch ausgewählten Auszug des Erfahrungsberichtes auf, etwa hier:43»[…] jedenfalls spüre ich rechts und links von mir nun andere, sehr dicht bei mir sitzende Körper, spüre deren Unterarme und Körperseiten, die mit meinen in Kontakt sind.« Oder, etwas später: »Über den feinsten Druck, den die fremden Fingerkuppen auf meine eigenen ausüben […].« Beschrieben werden Berührungseindrücke unterschiedlicher Qualität: flächiger Körperkontakt und hochpräziser Hautkontakt der Fingerkuppen. Auch die Beschaffenheit der berührenden Körperteile wird in ihren spezifischen Qualitäten beschrieben, beispielsweise in dieser Passage: »Noch während ich überlege, […] bekomme ich wieder dieselben kühlen, leicht feuchten und zarten Hände zu fühlen […]« Die empfangene Berührung stellt dabei eine Form von Kommunikation zwischen mir als Teilnehmerin und den Performer*innen bzw. der Umgebung dar: Stellenweise scheinen sich die Berührungen als Aufforderung deuten zu lassen, etwa wenn von der Person die Rede ist, »die mir nun mit ihren Händen signalisiert, aufzustehen und ein paar Schritte in den Raum hinein zu machen.« Die Möglichkeit, nicht nur Berührung zu empfangen, sondern auch aktiv und eigenständig auf die Berührungen zu reagieren, etwa Schritte in den unbekannten Raum hinein zu wagen, ist hier deutlich angelegt. Zusammenfassend lässt sich als Antwort auf die Frage, was im Beispiel CO-TOUCH rezipiert wird, formulieren: Hier wird in erster Linie Berührung rezipiert. Diese Antwort wirkt gewiss zunächst vollkommen banal – zumal sie in Anbetracht des Wortes ›touch‹ im Titel wenig originell anmutet. Die Feststellung zieht jedoch interessante Erkenntnisse nach sich, wenn man die zweite der beiden oben gestellten Fragen hinzuzieht: Wie wird hier rezipiert?
Die Rezeption der Berührung findet über die Oberflächen meines Körpers statt, vor allem über die Haut. Wenn das Was der Rezeption Berührung darstellt, dann muss das Wie der Rezeption der Körper im Modus des Fühlens sein, also fühlend oder empfindend. Damit liegt es nahe, hier in der phänomenologischen Tradition Merleau-Pontys von leiblicher Wahrnehmung zu sprechen. Der phänomenologische Leib betont, wie es Bedorf zusammenfasst, den empfindenden »Eigenleib« im Unterschied zum Körper als einem zergliederbaren und vermeintlich objektivierbaren »Körperding«.44 Die Körper-Leib-Unterscheidung beschreibt Bedorf pointiert: »Dieser gelebte Leib, den wir nicht nur haben, sondern der wir immer stets schon sind, unterscheidet sich insofern vom objektiven Körperding, als wir nie um ihn herumgehen und ihn entsprechend nie völlig in den Blick nehmen können.«45 Der Leib wird so zum »Wahrnehmungsorgan«, zum »Nullpunkt der Orientierung«, zur »Weise des Weltzugangs«.46 Mit dem Verweis auf das phänomenologische Verständnis von ›Leib‹ soll für das Beispiel CO-TOUCH festgehalten werden, dass die Rezeption von Berührung hier über einen Zustand des leiblichen In-Berührung-Seins stattfindet. Die in der Performance stattfindende korporal-sensuelle Partizipation lässt sich damit spezifischer als eine leiblich-taktile Rezeption fassen. Dabei ist das Wahrnehmen von Berührung untrennbar verquickt mit Bewegen: Es kann keinen Hautkontakt geben ohne eine Körperbewegung zu diesem hin. Die Wahrnehmung bei CO-TOUCH geschieht damit über ein aktives Tun im Prozess. Ich rezipiere Berührungen und Bewegungsimpulse, indem ich hier tatsächlich ›mit Haut und Haar‹ teilnehme und mich selber durch den Raum bewege. Der re-sponsive Charakter dieser leiblich-taktilen Rezeption soll anhand einer weiteren Textstelle aufgeführt werden: »Doch warum sollte ich mich nur passiv berühren lassen? Ganz vorsichtig versuche ich, die Berührungen in eigene Bewegungen zu transferieren, hebe langsam den rechten Unterarm, den sie berührt, strecke ihn bis über den Kopf, wir beginnen eine zaghafte gemeinsame Erkundung.« Im Empfangen einer Bewegungsrichtung durch eine berührende Hand, deren Arm in Bewegung ist, liegt zugleich die Einladung, mich selbst zu bewegen, Bewegung und Berührung zurückzugeben, eine eigene Variation zu erfinden. So bleibt der Akt der Berührungsrezeption, dergestalt als aktiver Prozess verstanden, in seinem Verlauf offen. Mit Schmidt gesprochen beinhaltet er damit immer auch einen gewissen »Eigensinn«.47
Nachdem nun etwas genauer auf das Was und Wie der Rezeption in der choreografischen Arbeit CO-TOUCH eingegangen wurde, lässt sich folgendes Zwischenfazit ziehen: Die Kommunikation zwischen Teilnehmer*innen und Performer*innen erfolgt hier ausschließlich über Berührung.48 Durch die inszenierte Ausschaltung des Sehsinns schafft die Arbeit einen Rahmen, der die Wahrnehmung der Teilnehmenden auf das taktile Geschehen lenkt. Das, was hier als das choreografische Geschehen zu bezeichnen ist, erschließt sich so ausschließlich über das Empfangen und Weitergeben von Berührung in Kombination mit eigener Bewegung. Zugespitzt formuliert: Das Berühren, Berührt-Werden und Bewegen selbst sind die eigentliche Choreografie.49 Deren Rezeption findet physisch aktiv – berührend und bewegend – statt und setzt gleichzeitig einen Prozess des Wahrnehmens eben dieser Berührung und Bewegung in Gang. Um dem dergestalt aktiven, prozesshaften und leiblich-situierten Charakter der hier stattfindenden Rezeption gerecht zu werden, schlage ich vor, diese selbst als ästhetische Praxis zu begreifen.

3. Leiblich-taktile Rezeption als ästhetische Praxis

Um diesen Vorschlag plausibel zu machen, muss zunächst etwas ausgeholt werden. Der Versuch, in einem choreografischen Setting stattfindende Berührungen – Berührungen wohlgemerkt, die dabei nicht sichtbar, sondern ausschließlich fühlbar werden –, als ästhetische Praxis zu beschreiben, entpuppt sich als recht komplexes Unterfangen: Jeder der beiden Begriffe zieht seit der Antike eine lange und sehr kontroverse Theoriegeschichte nach sich, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann und soll. Sinnvoll erscheint jedoch ein gezielter Rückgriff auf den antiken Begriff der Aisthesis. Im Kontext von Aisthesis und Berührung soll außerdem der Begriff des Okularzentrismus vorgestellt werden. Schließlich werden auch einige wesentliche Merkmale des Praxisbegriffs vorgestellt, um präzise darstellen zu können, inwiefern leiblich-taktile Rezeption hier als ästhetische Praxis verstanden werden soll.
Im Zusammenhang mit dem Beispiel CO-TOUCH erscheint ein Rückgriff auf die ursprüngliche Wortherkunft des Ästhetikbegriffes weiterführend. Ästhetik leitet sich ab vom griechischen ›Aisthesis‹ für ›Wahrnehmung, Gewahrwerden‹ und bezieht sich in seiner ursprünglichen Wortbedeutung also stark auf die sinnliche Komponente des Wahrnehmens.50 Hetzel stellt heraus:

Die Ästhetik versteht sich zunächst als aisthetik, als Wahrnehmungslehre. Sie fragt danach, wie sich Wahrnehmungen von Dingen, die wir als schön bezeichnen, von Wahrnehmungen anderer Phänomene unterscheiden, die wir etwa als wahr oder gut charakterisieren würden.51

Damit fungiert Aisthesis, so Hetzel, als »Schlüsselbegriff der Aristotelischen Erkenntnistheorie, er steht dort für die sinnliche Wahrnehmung als Teil des Erkenntnisprozesses.«52 Während für das hier vorgestellte praktische Beispiel die Verwendung der Bezeichnung ›schön‹ zu Ambivalenzen führt und wenig zielführend wirkt, erscheint die Betonung des Vorgangs der Wahrnehmung in der Aisthesis durchausweiterführend. Allerdings muss hier auf eine Problematik verwiesen werden, die im Zusammenhang von Aisthesis und Berührung relevant ist. Im antiken Verständnis betont der Begriff der Aisthesis, wie ausgeführt, die sinnliche Wahrnehmung, unterscheidet dabei aber stark in der Relevanz der unterschiedlichen Sinne bzw. weist den Sinnen sogar eine Art Rangfolge zu. Auf diese Problematik verweist auch Hetzel: »Der Ausgang von der aisthesis bringt die Ästhetik dabei zunächst in eine okularzentristische  Schieflage, sie privilegiert den Gesichtssinn gegenüber allen anderen Sinnen.«53 Um Rezeption im Beispiel CO-TOUCH als ästhetische Praxis beschreiben zu können, erscheint es notwendig, auch den Begriff des Okularzentrismus zu erläutern.
Zur Erklärung des Terminus muss an vorderster Stelle auf die sogenannte ›Hierarchie der Sinne‹ verwiesen werden. Diese basiert auf einer grundsätzlichen Unterteilung in fünf verschiedene menschliche Sinne, die bereits auf Aristoteles’ De Anima zurückgeht.54 Wenngleich Wissenschaftler*innen inzwischen eine Unterteilung in wesentlich mehr Sinne vornehmen,55 so wird ihre aristotelische Fünfteilung doch auch noch heute in der Regel als gängig betrachtet. Jütte zeigt auf, dass Aristoteles diesen fünf Sinnen eine Art Rangordnung zuschreibt:56 An oberster Stelle stehe ›visus‹, der Sehsinn oder sogenannte Gesichtssinn, gefolgt von ›auditus‹, dem Gehör. In der Mitte befänden sich ›odoratus‹, der Geruchssinn, und ›gustus‹, der Geschmackssinn. Als ›niedersten‹ Sinn ganz am Ende der Skala nenne Aristoteles ›tactus‹, den Tastsinn.57 Somit kommt dem Sehsinn eine Art Vormachtstellung zu, die für den Erkenntnisgewinn in der westlichen Philosophiegeschichte eine entscheidende Rolle spielt. Verantwortlich hierfür ist die Verknüpfung des Sehens mit dem Verstehen bei gleichzeitiger oberster Priorisierung von rationaler Erkenntnis.58 Die Priorisierung des Sehsinns wurde, wie Jütte es ausführlich darlegt, nie wirklich in Frage gestellt; sie prägt letztlich das westliche, logozentristische Denken und damit die gesamte westliche Kultur bis heute:59 »Cogito ergo sum« basiert auf dem ›sehenden Verstand‹ und der Abspaltung dessen zu allem Leiblichen, an das ein Fühlen geknüpft wäre. Während dem Sehsinn Eigenschaften von Klarheit und Wahrheitsgewinn zugeordnet werden, fungiert der Tastsinn gewissermaßen als sein dunkler Gegenspieler: Dem Tasten und Fühlen wird gemeinhin eine niedere, bisweilen sogar schmutzige Funktion eingeräumt, die auf die stark sexuelle Konnotation dieses Sinns zurückzuführen ist.60 Das Tasten wurde, wie es Harrasser aufzeigt, als »subjektiv, zu ungenau, zu gefährlich nah an der Lust« erachtet und an den Rand gedrängt.61 Auf den Zusammenhang zwischen Berührung und Lust verweist auch Nancy: »The first and previously most widespread sense of rühr was that of sexual pleasure.«62 Er schreibt außerdem: »We understand that the most widespread taboo relates to touch.«63 Damit verortet sich der Tastsinn gesellschaftlich im Bereich des Vulgären, Unreinen, vom Begehren gesteuerten – potentiell sogar Verbotenen.64 Die ›verruchte‹ Konnotation des Tastsinns ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass dieser Sinn in der Wissenschaftsgeschichte verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit erfahren hat.65
Nachdem bereits aufgezeigt wurde, inwieweit die Priorisierung des Sehsinns abendländisches Denken und Kultur geprägt haben, erscheint es wenig verwunderlich, dass auch die westliche Theatertradition starke okularzentristische Tendenzen aufweist: Das Theater gilt als ein Ort des Sehens. Bereits die Etymologie des Begriffs ›Theater‹ verweist auf seinen engen Bezug zur Tätigkeit des Schauens bzw. Zu-Schauens.66 Spätestens seit der Entstehung der barocken Guckkastenbühne funktioniert das Theater als ein Schauraum, in welchem das – durch das Portal wie ein Bild gerahmte – Bühnengeschehen aus der Distanz heraus betrachtet wird.67 Somit ist die primäre Rezeptionstätigkeit im Theater (und damit auch die des Bühnentanzes) eine visuelle, die sich in die okularzentristisch-logozentristische Tradition eines ›Sehens um zu Verstehen‹ einfügt.
Nach dem kurzen Exkurs zum Okularzentrismus und seinen Implikationen für das Theater komme ich nun zurück zu den Berührungen, die im Rahmen des choreografischen Settings bei CO-TOUCH stattfinden. Weiter oben habe ich herausgestellt, dass das Berühren und Berührt-Werden hier die eigentliche Choreografie darstellen: In deren Rezeption wird das Fühlen als solches durch einen gezielt inszenierten Entzug des Sehsinns zur Sensation – zur Sensation im ursprünglichen Sinne, empfindend.68 Der Versuch, diese Aufführung rezeptionsästhetisch zu beschreiben, lässt daher einen Rückgriff auf die ursprüngliche Bedeutung von Ästhetik, die antike Aisthesis, als weiterführend erscheinen. Gleichzeitig untergräbt CO-TOUCH jedoch die in der Aisthesis traditionell angelegte okularzentristisch geprägte Sinneshierarchie: Vielmehr wird hier das Tasten und Fühlen sowohl zum Wahrnehmungsmodus als auch zum ästhetischen Material. Damit ist das In-Berührung-Sein gleichzeitig Mittel und ›Thema‹ der Arbeit. Es gibt hier keine Choreografie, deren Ästhetik sich nach visuellen Maßstäben beschreiben ließe. Das Ästhetische der Choreografie erschließt sich vielmehr ausschließlich mittels leiblich-taktiler Rezeption. Um dieser Feststellung gerecht zu werden, erscheint, wie oben vorgeschlagen, eine Ergänzung des Ästhetikbegriffes um den Begriff der Praxis als sehr fruchtbar.
Insbesondere drei Aspekte von Praxis erscheinen für die Rezeptionsbeschreibung einer taktilen partizipativen Choreografie anschlussfähig: Diese seien hier mit Prozesshaftigkeit, Leiblichkeit und Eigensinn bezeichnet und sollen im Folgenden kurz umrissen werden. Der Praxisbegriff richtet den Fokus auf das (menschliche) Tun in seiner Prozesshaftigkeit. Hetzel spricht in diesem Zusammenhang vom Vollzugscharakter der Praxis.69 Mit Bezug auf Aristoteles formuliert er: »Als praxis gilt in der griechischen Alltagssprache ein umfassendes Wirksamkeits- und Vollzugsgefüge, das nicht auf intentionale und regelgeleitete menschliche Handlungen im engeren Sinne beschränkt bleibt.«70 Vielmehr sei die Praxis selbstreferentiell, habe also ihr Ziel in sich selbst.71 Vergleichbar beschreibt auch Bedorf Praxis als ein Geschehen, »dessen Sinn im Vollzug selbst besteht.«72 Mit dem Fokus auf das Prozesshafte lässt sich mit dem Praxisbegriff im Beispiel CO- TOUCH die Tatsache hervorheben, dass es sich um eine Art Fühlen im Vollzug handelt. Die Rezeption als aktiver Zustand des In-Berührung-Seins scheint sich so angemessen fassen zu lassen. Ein zweiter, mit ihrer Prozesshaftigkeit verbundener Aspekt von Praxis ist die Tatsache, dass sich eine wie auch immer geartete Praxis erst durch ein Ausüben ihrer selbst begreifen und beschreiben lässt. Hetzel hält fest: »Was Praxis ist, lässt sich immer nur klären und erfahren, wenn wir uns in eine Praxis einüben. Praxis lässt sich insofern nicht soziologisch von außen beobachten.«73 Damit stellt sich gleichzeitig ein unmittelbarer Bezug zwischen Praxis und Körper ein, denn ein Erfahren von Praxis über das Einüben bedeutet unausweichlich ein körperliches Einüben: So betont Bedorf, dass sich »zwar Praktiken ohne Dinge, nicht aber ohne Körper denken« lassen.74 Diesen Aspekt machen auch Klein und Goebel stark:

Handeln ist in praxistheoretischen Ansätzen als Ausschnitt einer Praktik definiert, die vom Körper getragen oder wahrgenommen wird. Praktiken vollziehen sich somit immer in materieller und körperlicher Ko-Aktivität mit anderen Subjekten, Dingen, Artefakten, den räumlich-materiellen sowie situationalen Rahmungen.75

Bedorf verweist allerdings auf die Problematik, dass der Körperbegriff in den Praxistheorien implizit einen cartesianischen Körper-Geist-Dualismus weitertragen, den sie eigentlich überwinden wollen. Er schlägt stattdessen vor, Praxis mit einem phänomenologischen Leibbegriff zu denken. Somit wäre das körperliche Einüben der Praxis immer auch ein leibliches Einüben. Ein drittes relevantes Charakteristikum des Praxisbegriffes ist seine Betonung auf Offenheit und Weiterentwicklung. Praxis als menschliches Tun im leiblichen Vollzug zu verstehen, beinhaltet immer auch die Möglichkeit, diesen Vollzug zu erweitern und damit seine impliziten Regeln ›eigensinnig‹ zu überschreiten.76 Schmidt bezeichnet dies als die »inhärente Transformativität der Praxis, ihr Potential, mit jedem erneuten praktischen Vollzug Variationen hervorzubringen und somit in die Richtung abweichender, ebenso fragiler Ordnungsgefüge zu zeigen.«77 Vergleichbar versteht auch Hetzel mit Aristoteles Praxis als

denjenigen Bereich des Seins […], in dem alles immer auch ›anders sein, werden oder sich verhalten kann‹. Ästhetische Praktiken wären dann als Weisen des Umgangs mit
Offenheit und Kontingenz zu verstehen, die diese Kontingenz nicht einfach nur abarbeiten, sondern als Movens einer Bewegung nutzen, in deren Vollzug sich immer wieder neue Praxismöglichkeiten abzeichnen.78

Mit der Betonung des offenen Verlaufs von Praxis soll schließlich auf eine weitere Besonderheit bei der Rezeption von CO-TOUCH verwiesen werden, nämlich auf die Möglichkeit der aktiven Einflussnahme der Teilnehmenden auf das Geschehen.
Die Ausführungen zu den Begriffen Aisthetik und Praxis führen mich schließlich zum Begriffspaar ästhetische Praxis. Hetzel schlägt hierfür folgende Definition vor: »Als ästhetische Praxis verstehe ich im Anschluss an Aristoteles einen selbstzweckhaften und zugleich ›leiblichen, vollsinnlich eingebundenen‹ Vollzug, der sich nicht handlungstheoretisch beschreiben lässt.«79 Ausgehend von dieser Definition lässt sich das Berühren und Berührtwerden bei CO-TOUCH als eine Tätigkeit fassen, die sich über ihren aktiven und leiblichen Vollzug definiert, während dieser Vollzug in seiner spezifischen choreografischen Rahmung gleichzeitig als ein ästhetischer zu bezeichnen ist.80 Die leiblich-taktile Partizipation bei CO-TOUCH lässt sich damit nicht nur als spezifischer Rezeptionsmodus, sondern gleichzeitig auch als ästhetische Praxis verstehen. Dies bedeutet auch, die bedeutende Rolle anzuerkennen, die hier den partizipierenden Rezipient*innen zuteil wird: Vielleicht beginnt jemand so wild zu tanzen, dass die Situation außer Kontrolle gerät, vielleicht verweigert sich jemand der Berührung, vielleicht ist sich jemand zu unsicher, um überhaupt je vom Stuhl aufzustehen, vielleicht bringt die Berührung jemanden zum Weinen – unzählige Möglichkeiten potentieller Abweichungen sind denkbar. Während der Ablauf der Aufführung durch choreografische und akustische Setzungen strukturiert und durch das fürsorgliche Begleiten der Performer*innen durchaus gelenkt wird, ist der Verlauf der Choreografie, dort, wo sie sich auf die teilnehmenden Körper ausdehnt, offen. Mit dem Begriff der ästhetischen Praxis steht damit nicht die Frage nach CO-TOUCH als einem choreografischen Werk im Vordergrund, sondern es wird der Prozess des gemeinsamen Praktizierens im Rahmen der partizipativen Choreografie betont.
Sicherlich lassen sich, dies sei eingewendet, auch traditionelle, primär visuelle Formen der Kunst- oder Theaterrezeption als ästhetische Praxis im Sinne eines sinnlichen Vollzuges verstehen: Auch das Sehen (und Hören) sind an eine leibliche Wahrnehmung geknüpft. Ich habe aber ausgeführt, dass das Zuschauen im Theater von einer okularzentristisch-logozentristischen Tradition (»Sehen um zu Verstehen«) geprägt ist, die wiederum auf einem hierarchisch angelegten Körper-Geist-Dualismus basiert. Meine Ausführungen zur Rezeption taktiler Choreografie als ästhetische Praxis legen hingegen nahe, dass hier die leiblich-taktile Wahrnehmung im Vordergrund steht: Es entfaltet sich dabei eine taktile Ästhetik,81 welche ein Gegenmodell zur okularzentristischen Sinneshierarchie darstellt. In der exemplarisch vorgestellten Arbeit CO-TOUCH wird das Konzept des Theaters als Schauraum so unterlaufen. An seiner Stelle entsteht hier ein performativer Fühlraum. Die Fokussierung auf den Tastsinn qua gezielt inszeniertem ›Blind-Stellen‹ der Teilnehmerinnen lässt sich somit auch als eine Kritik an einem leib-feindlichen, gar bigotten Wertesystem westlicher Philosophie verstehen. Das Praktizieren eines berührenden In-Kontakt-Tretens ist hier nicht vulgär oder ›schmutzig‹, sondern ästhetische Quintessenz. Hierin liegt meines Erachtens die politische Potentialität einer solchen taktilen Choreografie begründet.

4. Berühren – eine ästhetische Praxis ohne aktuelle Praxis?

In Anbetracht der grassierenden Covid-19-Pandemie tritt uns die politische Dimension von Berührung nun plötzlich an unerwarteten Stellen und mit ungeahnter Wucht entgegen. Nachdem ich das in einem partizipativen choreografischen Rahmen stattfindende Berühren als ästhetische Praxis beschrieben habe, will ich daher zuletzt den Fokus auf den aktuellen zeitlichen Kontext lenken, während dem der vorliegende Artikel entstanden ist. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 hat sich unser Blick auf Berührung drastisch verschoben. Eine Fremde an der Hand zu berühren, so wie im Beispiel CO-TOUCH beschrieben, stellte zum Zeitpunkt der Aufführung im Januar 2020 eine alltägliche Geste dar, die innerhalb des beschriebenen performativ-choreografischen Kontextes ästhetisch bedeutsam wurde. Doch dieselbe Geste ist inzwischen alles andere als alltäglich, vielmehr ist sie mit Gefahr konnotiert; eine Geste, die in der Öffentlichkeit kaum noch gesehen, empfangen wird – schon gar nicht unter Fremden! Im folgenden letzten Abschnitt des Beitrags soll ein kurzer Blick auf den aktuellen gesellschaftlichen Status von Berührung geworfen werden, um schließlich zu fragen: Wie wirkt sich die gesellschaftliche ›Berührungsabstinenz‹ auf ein Nachdenken über  Berührung als ästhetische Praxis aus?
Seit März 2020 erlebt die gültige gesellschaftliche Berührungsordnung und die damit verbundene Konnotation von Berührung einen dramatischen Wandel: Ehemals taktvolle Verhaltensweisen wie Händeschütteln oder freundschaftliches Umarmen sind suspendiert, gewissermaßen ›über Nacht‹ in eine Gefahrenzone gerückt worden:82 »Durch die Corona-Pandemie verschiebt sich allgemein das Verhältnis von öffentlichem Raum und familiärem Nahraum. Wir werden daran gewöhnt, dass alle, die nicht zur familiären Nahgruppe gehören, potentiell bedrohlich sind.«83 Damit werden Gesten der Nähe, Zärtlichkeit oder freundschaftlicher körperlicher Kontaktaufnahme zu gefährlichem, sogar illegalem Verhalten.84 Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass Theater- und Tanzperformances, bei denen das Berühren gleichsam Form und Inhalt ist, zwischenzeitlich von der Bildfläche – oder besser gesagt: aus der Fühlzone – verschwunden sind: Wir (als Mitglieder der Gesellschaft) sollen überall außerhalb unseres eigenen Haushaltes voneinander Abstand halten.85 Der Staat greift dabei soweit in die Berührungsordnung der Gesellschaft ein, dass auch ein temporäres Aussetzen dieser Berührungsordnung mit künstlerischen Mitteln nicht mehr möglich (und epidemiologisch auch nicht sinnvoll) ist. Wenn schon der Aufenthalt in einer ›normalen‹ Theatersituation zum Ansteckungsrisiko wird, so erscheinen partizipative Aufführungsformate, die über Berührung funktionieren, aus aktueller Perspektive geradezu undenkbar. Während sich in der Theaterlandschaft in den vergangenen eineinhalb Jahren ein bisher so nicht dagewesener Digitalisierungsschub konstatieren lässt, so sind Formate, in denen es um eine taktile Partizipation geht, im Zuge dieser Digitalisierung buchstäblich von der Bildfläche verschwunden: Denn das leibliche Berühren und Berührtwerden lässt sich eben auf diese Bildfläche nicht übertragen. Auch im Hinblick auf Öffnungen der Theaterhäuser mit 2- oder 3-G-Regelung erscheint es fragwürdig, wann – oder ob überhaupt – künstlerische Formate, die mittels Taktilität (enges körperliches Beisammensein einschließlich gegenseitigen Anfassens!) funktionieren, wieder stattfinden werden. Es wurde festgestellt, dass die hier besprochene partizipative Performance einen künstlerischen Rahmen bietet, in dem Teilnehmende Berührung als ästhetische Praxis erleben bzw. vollziehen können. Das Angebot taktiler Choreografien wie der hier vorgestellten, qua Berührungen zwischen Teilnehmenden und Performer*innen einen anti-okularzentristischen Reflexionsrahmen für Berührung zu schaffen, entfällt damit pikanterweise just in dem Moment, in dem es gesellschaftlich besonders aktuell – und damit wahrscheinlich auch notwendig wäre.
Die aktuellen Entwicklungen scheinen sich nun wie eine zusätzliche Folie über die hier vorgestellten Erkenntnisse zu legen, hinter der diese merkwürdig zu oszillieren beginnen: Einerseits kommt es zu einer möglichen Verzerrung der Wahrnehmung und Beurteilung der hier beispielhaft angeführten Berührungsszene: Löst ihre Lektüre aufgrund der beschriebenen körperlichen Nähe Befremden, Angst, gar Ekel aus? In diese Richtung jedenfalls spekuliert Lindemann, wenn sie schreibt: »Es dürfte interessant sein, ob bzw. wie sich unter solchen Bedingungen neue Ekel- und Schamschwellen entwickeln.«86 Andererseits stellt sich beim Thematisieren von Berührung als ästhetischer Praxis fast zwangsläufig auch eine gewisse Melancholie ein, weil ihre Bedeutung in Anbetracht einer fortdauernden Berührungs-Abwesenheit umso plastischer hervorzutreten scheint. Womöglich weckt das Lesen der angeführten Beispiele eben nicht nur Befremden, sondern auch Sehnsucht. Wie sich der gesellschaftliche Umgang mit Berührung in Anbetracht aggressiver Pandemien entwickeln und verändern wird, darüber könnte an dieser Stelle allenfalls spekuliert werden. Pessimistische Stimmen prognostizieren eine nachhaltige Veränderung der gängigen Berührungsordnung.87 Womöglich werden sich aber auch neue Wege finden, Berührung außerhalb von Wohn- oder Lebensgemeinschaften und also auch in choreografisch-performativen Kontexten wieder möglich zu machen. Berührung stellt schlussendlich einen so wesentlichen Pfeiler menschlichen (ja überhaupt allen) Lebens dar, dass es fragwürdig erscheint, ob sie sich dauerhaft vermeiden und verbieten lässt. Wie Kearney schreibt: »Because without touch there is no life.«88

5. Fazit

Der Beitrag stellte die Frage nach den Möglichkeiten einer rezeptionsästhetischen Beschreibung von choreografischen oder performativen Formaten, die über eine taktile Involvierung des teilnehmenden Publikums funktionieren. Zur Beantwortung dieser Frage wurde zunächst aufgeführt, wie sich die hier stattfindende korporal-sensuelle bzw. leiblich-taktile Partizipation als spezifische Form von Rezeption verstehen lässt. In einem zweiten Schritt wurde dann anhand des Beispiels CO-TOUCH vorgeschlagen, die hier stattfindende Berührungsrezeption als ästhetische Praxis zu begreifen. Die Verwendung dieses Begriffspaars hebt die Bedeutung der leiblichen und präsentischen Dimension des performativen Geschehens hervor. Außerdem wird mit dem Verständnis der Rezeption von taktilen Choreografien als ästhetischer Praxis der individuelle Handlungsspielraum jedes*r partizipierend Rezipierenden und die damit verbundene Offenheit des Verlaufs betont. Berührung im Rahmen partizipativer künstlerischer Formate als ästhetische Praxis erfahrbar zu machen bedeutet, einen Raum zu schaffen, in dem die Wahrnehmung für Berührung geschärft und die Bedeutung von Berührung reflektiert werden kann – einen Raum, in dem, so lässt sich nach den hier angestellten Überlegungen folgern, Berühren und Berührt-Werden ästhetisch erfahrbar werden.
Diese Erfahrung lässt sich nur vermitteln, wenn Berührung gleichzeitig künstlerisches Mittel und Zweck ist: Eine taktile Choreografie kann ästhetisches Potential nur qua Taktilität entfalten. Dieses Spezifikum wurde zuletzt im Hinblick auf die aktuelle, durch die Corona-Pandemie geprägte gesellschaftliche Situation reflektiert. Die notgedrungenen Versuche vieler Spielstätten, mit ›digitalen Bühnen‹ und Livestreams auf die Pandemie-Situation zu reagieren, bedeuten für Formate, die über leiblich-taktile Rezeption funktionieren, einen Rückschlag. Gleichzeitig stellen aber gerade diese Formate, wie am Beispiel CO-TOUCH aufgezeigt, eine Möglichkeit dar, Berühren und Berührt-Werden als ästhetische Praxis jenseits der okularzentristischen Ästhetik-Tradition zu vollziehen. Diese Praxis entfällt bezeichnenderweise genau in dem Moment, in dem die Verordnung einer ›Berührungsabstinenz‹ in Kraft getreten ist und in dem eine künstlerische Reflexion darüber sicherlich besonders von Bedeutung wäre. Mit Spannung bleibt zu  beobachten, wie Praktiken des Berührens wieder aufgenommen, wie sie sich verändern oder weiter entwickeln werden – in künstlerischen Formaten und darüber hinaus.

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Fußnoten

1 Während dieser einführenden Instruktionen erklärt die Performerin, dass die Performance mit verbundenen Augen stattfinde, für die Sicherheit aller Teilnehmenden aber gesorgt sei. Sie gibt einige praktische Hinweise, z.B. wie mit Brillen zu verfahren sei, dass man bitte die Schuhe ausziehen möge etc. Sie verweist außerdem auf die Möglichkeit, mögliches Unwohlsein jederzeit zu signalisieren oder zu äußern. Die Einführung erscheint weichenstellend dafür, dass ich mich als Teilnehmerin willkommen und sicher fühle und sich die Bereitschaft einstellt, mich auf die ›blinde‹ Erfahrung einzulassen. 2 Die drei Künstlerinnen Kristina Petrova, Katia Reshetnikova und Vera Shchelkina arbeiten interdisziplinär zwischen Performance, Tanz, Bewegungsforschung und Sound Art. Vgl.: https://www.hellerau.org/de/event/co-touch/ (letzter Zugriff: 01.10.21). Der Begriff der Choreografie ist in diesem Beitrag weit gefasst und umfasst auch Arbeiten, die sich an der Schnittstelle zu Performance Art, Rauminstallation etc. verorten. 3 Der Aufführungsbesuch fand am 18.01.2020 um 18:30 Uhr in Hellerau statt. Der Erfahrungsbericht basiert auf Notizen, die unmittelbar nach der Teilnahme von der Autorin angefertigt wurden. 4 Auf den künstlerischen Kontext weisen sowohl der Veranstaltungsort Hellerau als auch die Bezeichnung des Festivals als »zeitgenössische Positionen russischer Kunst« eindeutig hin. 5 Da in einer Aufführungssituation, die mit verbundenen Augen stattfindet, schwerlich von Zuschauer*innen gesprochen werden kann, verwende ich hier das Wort Teilnehmer*innen. 6 Aufgrund der in der Performance dominanten Parameter von Bewegung/Körpern in Raum und Zeit (teilweise zu Musik) erscheint es gerechtfertigt, die künstlerische Arbeit im Bereich der Choreografie zu verorten, wenngleich die Grenzen zu Performance Art hier fließend sind. Auch die Tatsache, dass die teilnehmenden Performer*innen fast ausschließlich einen professionellen Tanzhintergrund haben, legt die Verwendung des Choreografiebegriffs nahe. 7 Vgl. Wolfgang Pfeifer et al. (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Eintrag ›partizipieren‹. https://www.dwds.de/wb/etymwb/partizipieren (letzter Zugriff: 20.09.21). 8 Vgl. Christian Kravagna (1999): »Arbeit an der Gemeinschaft. Modelle partizipatorischer Praxis.« Transversal: https://transversal.at/transversal/1204/kravagna/de (letzter Zugriff: 21.09.21). 9 Wenngleich hier der Fokus auf Choreografie liegt, so erscheint die Verwendung des Überbegriffes ›Künste‹ doch dienlich; zum einen, weil die Partizipationsdiskurse in den bildenden und darstellenden Künsten sich sehr ähneln, zum anderen, weil sich just partizipative Kunstprojekte sehr häufig an Schnittstellen zwischen verschiedenen Kunstgattungen verorten bzw. sich jeglicher Verortung entziehen. 10 Vgl. Jacques Rancière (2009): Der emanzipierte Zuschauer. Wien: Passagen Verlag. 11 Vgl. Hanne Seitz (2012): »Impulsvortrag Partizipation. Formen der Beteiligung im zeitgenössischen Theater.« http://www.was-geht-berlin.de/sites/default/files/hanne_seitz_partizipation_2012.pdf (letzter Zugriff: 13.05.20). 12 Adam Czirak (2012): Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance. Bielefeld: transcript. 13 Vgl. Jens Roselt (2012): Den Augen trauen: Theater und Phänomenologie. In: Fischer-Lichter, Erika/Czirak, Adam/Jost, Torsten et al. (Hg.): Die Aufführung. Diskurs – Macht – Analyse. München: Wilhelm Fink, S. 267-269. 14 Rancière 2009, S. 23. 15 Vgl. Rancière 2009, S. 30. 16 Vgl. hierzu auch Gerald Siegmund (2016): »Das Problem der Partizipation.« Goethe Institut: https://www.goethe.de/ins/es/de/kul/sup/bew/20708712.html (letzter Zugriff: 21.09.21). Dass im Umkehrschluss eine Aufführung ohne Zuschauer*innen wahrlich nicht dasselbe ist, wie eine Aufführung vor voller Tribüne, hat die Corona-Zeit für Theaterschaffende schmerzlich spürbar gemacht. 17 Z.B. bei Rirkrit Tiravanijas Dinners-Installationen. Vgl. Julia Keller (2021): »From Studio to Dining Table: Rirkrit Tiravanija.« Schirn: https://www.schirn.de/en/magazine/whats_cooking/vom_atelier_an_den_esstisch_rirkrit_tiravanija/ (letzter Zugriff: 11.10.21). 18  So geschah es beispielsweise bei Santiago Sierras »Haus im Schlamm« (2005) in der Kestner Gesellschaft Hannover. Vgl. Wolfgang Kemp (2015): Der explizite Betrachter. Konstanz: Konstanz University Press, S. 166 ff. 19 Etwa im Projekt »Hotel Berlin« von Stefan Nolte, Ruth Feindel und Paul Brodowsky, dass 2016 im Berliner Ballhaus Ost stattfand. Vgl. https://www.ballhausost.de/produktionen/hotel-berlin/ (letzter Zugriff: 11.10.21). 20  Für eine umfassende Kompilation und Analyse partizipativer Kunstformate vgl. Silke Feldhoff (2009): »Zwischen Spiel und Politik: Partizipation als Strategie und Praxis in der bildenden Kunst.« https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/deliver/index/docId/26/file/Feldhoff_Silke.pdf (letzter Zugriff: 20.09.21). 21 Anna Spohn (2016): Die Idee der Partizipation und der Begriff der Praxis. In: Kauppert, Michael/Eberl, Heidrun (Hg.): Ästhetische Praxis. Berlin: Springer VS, S. 43. 22 Claire Bishop (2006): Participation. Documents of Contemporary Art. London: MIT Press, S. 12. 23 Vgl. Kai van Eikels (2019): »Vorlesungsscript ›Partizipation. Ansprüche und Wirklichkeiten des Politischen in den Künsten‹.« Die Kunst des Kollektiven: https://kunstdeskollektiven.wordpress.com/2019/02/08/vorlesungsmanuskript-partizipation-ansprueche-und-wirklichkeiten-des-politischen-in-den-kuensten/ (letzter Zugriff: 21.09.21). 24 Vgl. Siegmund 2016: »Partizipation verspricht Gleichheit, die jedoch auch in einer offenen Aufführungssituation nicht einfach herzustellen ist. Schließlich gibt es immer eine Gruppe von Künstlern, die sich die Situation ausgedacht und die Spielregeln festgelegt hat, denen die Zuschauer folgen sollen.« Vgl. zu diesem Aspekt auch Seitz 2012, S. 9. 25 Vgl. Seitz 2012, S. 9/10. 26 Die Performer*innen selbst können zwar sehen und sind damit sicherlich ein stückweit ›Zuschauer*innen‹, aber eben innerhalb ihrer Rolle als Ausführende der Berührungen und die Teilnehmer*innen Begleitende. 27  Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht die Bereitschaft, sich auf das Berührungsgeschehen einzulassen bzw. dieses möglicherweise auch zu verweigern, durchaus eine politische Dimension beinhaltet. Ich beziehe mich hier aber zunächst auf die im Partizipationsdiskurs häufig stattfindende polemische Gleichsetzung von physischem Mitmachen als einem politischen Tun per se, mit dem sich, so will ich behaupten, die taktile Partizipation in CO-TOUCH nicht ausreichend fassen lässt. Dennoch entfaltet die Arbeit in ihrer Betonung des Taktilen durchaus ein relevantes politisches Potential, auf das ich an späterer Stelle noch eingehen werde. 28 Auch akustische Wahrnehmung spielt eine sehr große Rolle bei CO-TOUCH; diese scheint durch ihren fragmentierten Charakter jedoch stark zu dem Zweck eingesetzt, ein diffuses Raumgefühl zu schaffen bzw. sogar eine gewisse Orientierungslosigkeit hervorzurufen, was wiederum die Konzentration auf den Tastsinn als einzige Orientierungs- und Informationsquelle im tatsächlichen Raum des Geschehens umso stärker betont. 29 Vgl. Seitz 2012, S. 8: Die Autorin schlägt hier ein Verständnis von Partizipation als »besondere Form der Rezeption« vor. 30 Vgl. hierzu z.B. Kemp 2015, S. 11. 31 Kemp 2015, S. 9. 32 In diesem Fall waren es tatsächlich nur männlicher Vertreter, zu denen u.a. der Romanist Hans Robert Jauß und der Anglist Wolfgang Iser zählen. Vgl. Kemp 2015, S. 9. 33  Vgl. Kemp 2015, S. 9. 34 Gerhard Schweppenhäuser (2007): Ästhetik. Philosophische Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Frankfurt am Main: Campus, S. 275. 35 Kemp 2015, S. 50. 36  Nicolas Bourriaud (2010): Relational Aesthetics. Monts: Les presses du réel, S. 28/29. 37  Bourriaud 2010, S. 28. 38 Kemp 2015, S. 154. 39 Vgl. Claire Bishop (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London/New York: Verso, S. 6. 40  Vgl. Bourriaud 2010, S. 28: »As part of a ›relationist‹ theory of art, inter-subjectivity […] becomes the quintessence of artistic practice.« 41  Nicolas Bourriaud (Hg.) (2002): Postproduction. Culture as Screenplay: How Art Reprograms the World. New York: Sternberg Press, S. 58. 42 Vgl. Kemp 2015, S. 166. 43 Im hier formulierten Forschungsinteresse sei eine Vernachlässigung anderer nicht-visueller Wahrnehmungseindrücke zugunsten der haptisch-taktilen Momente gerechtfertigt. 44 Thomas Bedorf (2015): Leibliche Praxis. Zum Körperbegriff in den Praxistheorien. In: Alkemeyer, Thomas/Schürmann, Volker/Volbers, Jörg (Hg.): Praxis denken. Konzepte und Kritik. Wiesbaden: Springer VS, S. 139. Auf den umfassenden Diskurs zum Begriff der Leiblichkeit kann hier aus Gründen des Umfangs nicht weiter eingegangen werden. 45  Bedorf 2015, S. 139. 46 Bedorf 2015, S. 138. 47 Jens Schmidt (2021): Ästhetische Praxis als ökologische Konzeption. Situationen relational-divergierender Rezeptionspraxis. In: Corsten, Michael (Hg.): Praxis. Ausüben. Begreifen. Weilerswist: Velbrück Verlag, S. 198. 48 In dieser Hinsicht gibt es sicherlich Überschneidungen von CO-TOUCH mit der Tanzpraxis der Contact Improvisation. Auch die Contact Improvisation arbeitet mit einem stetigen Geben und Nehmen von Bewegung und einer offenen, responsiven Haltung der Praktizierenden, die als ›body listening‹ bezeichnet wird. Allerdings handelt es sich bei der Contact Improvisation um eine Technik, die, wenngleich prinzipiell offen für körperliche Diversität, vor einer Teilnahme an Jams durchaus erst zu einem gewissen Grad zu erlernen ist, z.B. in Workshops. Im Unterschied dazu erfordert die Teilnahme an CO-TOUCH keinerlei Vorerfahrung oder physische Vorbereitung (abgesehen vom Ausziehen der Schuhe). Zum Prinzip des ›listening‹ in der Contact Improvisation vgl. Gabriele Brandstetter (2013): »Listening«. Kinesthetic Awareness in Contemporary Dance, in: dies., Gerko Egert und Sabine Zubarik (Hg.): Touching and Being Touched. Kinesthesia and Empathy in Dance and Movement. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 163-179. 49  Hierin unterscheidet sich CO-TOUCH schließlich, um meine polemische Frage nach dem »Selbsterfahrungsworkshop« noch einmal aufzugreifen, ganz entscheidend von anderen, nicht-künstlerischen Situationen, in denen Berührung eine Rolle spielt, etwa bei Gesundheitsanwendungen, in therapeutischen oder pädagogischen Formaten. Dort wird Berührung als Mittel zu einem bestimmten Zweck angewendet, während CO-TOUCH einen Raum für ein ästhetisches Wahrnehmen von Bewegung als solcher schafft. Dabei sei nicht ausgeschlossen, dass sich die leiblich-taktile Rezeption einer Arbeit wie CO-TOUCH für Einzelne momentweise mit Erfahrungen aus anderen Berührungssituationen überschneiden mag. 50 Vgl. Bernd Ternes (2000): »Zum Begriff der Wahrnehmung/Aisthesis.« Aisthesis Verlag: https://www.aisthesis.de/epages/63645342.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/63645342/Categories/AboutUs/Aisthesis/Begriff_Aisthesis (letzter Zugriff: 21.09.21). 51 Andreas Hetzel (2021): Im Vollzug. Praxis als Grundbegriff einer Aristotelischen Ästhetik. In: Corsten, Michael (Hg.): Praxis. Ausüben. Begreifen. Weilerswist: Velbrück Verlag, S. 74. 52 Hetzel 2021, S. 74. 53 Hetzel 2021, S. 74. 54 Vgl. Aristoteles (2020): Über die Seele. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Stuttgart: Reclam. S. 127. 55 Über die genaue Anzahl scheint unter Forscher*innen keine Einigkeit zu herrschen. Angaben schwanken zwischen 6 und 13 Sinnen, je nachdem, welche Sinne genau hinzugezählt werden (beispielsweise Selbstwahrnehmung/Propiozeption, Schmerzempfinden/Nozizeption und Hunger-Durst-Empfinden/viszeraler Sinn). Vgl. z.B. Stefan Dörner (2010): »Wie viele Sinne hat der Mensch?« Handelsblatt: https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/schneller-schlau/schneller-schlau-wie-viele-sinne-hat-der-mensch/3646904.html (letzter Zugriff: 20.10.21). 56  Vgl. Robert Jütte (2000): »Die Geschichte der Sinne. Von der Antike bis zum Cyberspace.« München: C.H. Beck, S. 73. 57 Vgl. Jütte 2000, S. 73. 58 Vgl. Waltraud Naumann-Beyer (2003): Anatomie der Sinne im Spiegel von Philosophie, Ästhetik, Literatur. Köln: Böhlau Verlag, S. 204. 59 Vgl. Jütte 2000, S. 75. 60 Vgl. Jütte 2000, S. 113: »An der starken sexuellen Konnotation des Tastsinns bis weit in die Frühe Neuzeit hinein kann in der Tat kaum ein Zweifel bestehen.« Tatsächlich wird das Tastsinn in seiner reproduktiven Funktion von Aristoteles teilweise auch als »lebenserhaltend« hervorgehoben und also positiv gewertet – die Zuordnung von Tastsinn und Trieb bleibt damit aber aufrechterhalten. Vgl. Naumann-Beyer 2003, S. 206. 61  Katrin Harrasser (2017): »Einleitung.« In: dies. (Hg.): Wissensgeschichte des Tastsinns: Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. 11. Vgl. auch Sandra Fluhrer und Alexander Waszynski (2020): »Einleitung.« In: dies. (Hg.): Tangieren – Szenen des Berührens. Baden-Baden: Rombach Wissenschaft, S. 7. 62 Jean-Luc Nancy (2017): »Rühren, Berühren, Aufruhr.« In: ders./Van Reeth, Adèle (Hg.): Coming. New York: Fordham University Press, S. 111. 63 Nancy 2017, S. 112. 64 Vgl. Jütte 2000, S. 82. Auf die aktuelle Ausdehnung der Konnotation von Tasten/Berühren als etwas Verbotenem im Zuge der Corona-Pandemie werde ich weiter unten noch spezifisch eingehen. 65 Vgl. Jütte 2000, S. 22. Es muss an dieser Stelle angefügt werden, dass heute dem Tastsinn im Bereich Produktdesign neue Aufmerksamkeit zu Teil wird, etwa in der fortschreitenden Entwicklung von Touch-Screens. Eine Reflexion darüber, inwieweit dies jenseits von Zwecken der Konsumsteigerung auch eine Auswirkung auf die gesellschaftliche Rolle des Tastsinns haben mag, muss Aufgabe der Medienwissenschaften sein und kann an dieser Stelle nicht unternommen werden. 66 Der Begriff stammt aus dem griechischen ›theatron‹, welcher sich vom griechischen Verb ›theastai‹ für ›schauen‹, ›zuschauen‹, ›betrachten‹ ableitet. Vgl. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Eintrag ›Theater‹. https://www.dwds.de/wb/Theater (letzter Zugriff: 03.02.22). 67 Vgl. hierzu z.B. Erika Fischer-Lichte (1999): Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Basel und Tübingen: Francke, S. 109. Natürlich spielt neben dem Sehen auch das Hören als ein weiterer sogenannter Fernsinn im Theater eine wichtige Rolle. Das Tasten als Nahsinn ist dahingegen aus dem Schauraum Theater ausgeschlossen. 68 Die Herkunft des Wortes stammt aus dem Französischen »sensation«, »die Empfindung« bzw. aus dem Lateinischen »sensatus«: »empfindend«. Vgl. Wolfgang Pfeifer et al. (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Eintrag ›Sensation‹. https://www.dwds.de/wb/etymwb/Sensation (letzter Zugriff: 20.09.21). 69 Vgl. Hetzel 2021, S. 82: »Praxis erweist sich damit als ein durativer oder performativer Begriff, als ein Begriff, der den Vollzug des Tätigseins betont.« 70 Hetzel 2021, S. 72. 71 Vgl. Hetzel 2021, S. 85. 72 Bedorf 2015, S. 129. 73 Hetzel 2021, S. 89. 74  Bedorf 2015, S. 130. 75 Gabriele Klein und Hanna Katharina Göbel (2017): »Einleitung.« In: dies. (Hg.): Performance und Praxis. Bielefeld: transcript, S. 16. 76 Vgl. Schmidt 2021, S. 198. 77 Schmidt 2021, S. 198. 78 Hetzel 2021, S. 90. 79 Hetzel 2021, S. 89. Zum Begriffspaar ›ästhetische Praxis‹ vergleiche auch Rolf Elberfeld und Stefan Krankenhagen (2017): »Einleitung – Ästhetische Praxis als Gegenstand und Methode kulturwissenschaftlicher Forschung.» In: dies. (Hg.): Ästhetische Praxis als Gegenstand und Methode kulturwissenschaftlicher Forschung. Paderborn: Wilhelm Fink, S. 17. 80 Vgl. hierzu Fußnote 50. 81  Sie tritt, mit Seel, »in Erscheinung« und tut streng genommen genau das zugleich nicht, da es sich um eine Ästhetik handelt, die mit Licht-Metaphern nicht zu fassen ist. Vgl. Martin Seel (2000): Ästhetik des Erscheinens. München: Carl Hanser. 82 Vgl. hierzu Gesa Lindemann (2020): Die Ordnung der Berührung. Staat, Gewalt und Kritik in Zeiten der Coronakrise, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 12/13. Kritisch muss hierzu allerdings angemerkt werden, dass Lindemann von »familiärem Nahraum« spricht und damit nicht-familiäre Formen des Zusammenlebens ausschließt. 83 Lindemann 2020, S. 58. 84 Interessanterweise mutet den neuen freundschaftlichen ›Ersatzberührungen‹ wie etwa Ellbogen- oder Fußeinschlag etwas Grobes an, während zärtliche Gesten wie der Wangenkuss – zumindest zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags – tatsächlich aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. 85 Vgl. Lindemann 2020, S. 58. 86 Lindemann 2020, S. 59. 87 So sagt Lindemann beispielsweise tatsächlich einen Niedergang der Paartänze voraus. Vgl. Lindemann 2020, S. 59. 88 Richard Kearney (2015): What is Carnal Hermeneutics? In: New Literary History, 2015, Vol. 46, S. 103.