Stefan Herbrechter: Verbesserung… oder Posthumanismus ›jenseits‹ von Gewalt?
Abstract: This article questions the logic of human self-transcendence and enhancement that underlies all forms of humanism, including transhumanism, as well as the role technology is supposed to play in »improving« human nature and overcoming aggression, violence and self-destruction. It argues, instead, that a critical posthumanist stance has to undertake the deconstruction of the very notion of perfectibility as well as the purely instrumental understanding of technology that usually underlie discussions of human enhancement or »improvement«. Humanism with its inevitable anthropocentrism is unable to address the problem of violence (against humans) as long as it represses the issue of violence against nonhumans animals. The true challenge for a posthumanist politics (and ethics) that seeks to move closer towards the horizon of nonviolence and inter- and intraspecies justice, is to effectuate a fundamental change in attitude towards »our« animality.
Keywords: critical posthumanism, violence, animality, enhancement, perfectibility
1. Was ist denn eigentlich so schlimm am Humanismus? Oder: Wir müssen besser werden…
In einer nicht besonders subtilen Szene aus dem Science-Fiction-Klassiker Terminator 2: Judgment Day (1991) beobachtet der junge John Connor, zukünftiger Anführer des menschlichen Widerstands im finalen Krieg gegen die intelligenten Maschinen, wie sich seine Altersgenossen mit Spielzeugwaffen gegenseitig ›erschießen‹. Desillusioniert bemerkt er gegenüber seinem paternalistischen Cyborg-Beschützer, Arnold Schwarzenegger: »We’re not gonna make it, are we? People I mean«, womit er den Topos der gewaltbereiten Menschheit aufruft, die dazu verdammt ist, sich letztendlich selbst zugrunde zu richten und auszurotten. Die Kampfmaschine antwortet lapidar und nicht ohne eine gewisse Ironie: »It’s in your nature to destroy yourselves.«
Hier haben wir gewissermaßen eine Zusammenfassung all dessen, was mit ›uns‹ nicht stimmt. Ein Wesen, das nach allen Maßstäben der Kunst und Wissenschaft einzigartig ist, zu den großartigsten Dingen fähig, genauso wie zu den niederträchtigsten, Herrscher über die Natur sowie ihr brutalster Zerstörer, gottgleich und zugleich verteufelt, erfolgreich und doch so verletzlich. Ein Tier und doch keins – ein Tier, das keines mehr sein will und nun alles Tierische verabscheut. Ein Tier, das seine eigene tierische Restnatur austreiben will, bevor es zu spät ist. Ein »Untier« also, wie Ulrich Horstmann (1983) es nannte, das all das, was ihm am Menschen nicht gefällt, auf seine verworfene Tiernatur zurückführt und dieser durch Verdrängung entkommen will. Horstmann nannte dies »anthropofugale Weltwahrnehmung« (10).
Was also tun mit all dieser Aggression durch den Menschen, dieser Zerstörungswut, diesem Sadismus, dem ganzen Leid und dieser Unmenschlichkeit überall? Woher noch Hoffnung schöpfen? Sarah Connor, die Mutter des zukünftigen Erlösers aus dem Terminator-Film, bringt es auf den bizarren, ›transhumanistischen‹ Punkt: »if a machine can learn the value of human life, maybe we can too«. Maschinen als moralische Navis also, die den Menschen zeigen, wo es lang gehen soll?
2. Kritischer Posthumanismus zwischen Post- und Trans-, oder: Besser nicht…
Diesen primitiven, aber viszeralen Denkablauf, den der Terminator ausspielt, diesen Kulturmechanismus oder diese Kulturtechnik, wie man es nennen könnte, mit all ihren Grundannahmen und Werten auseinanderzunehmen und anders wieder zusammenzusetzen, also zu dekonstruieren, ist das, was einen kritischen Posthumanismus ausmacht. Die Logik der Selbstüberwindung durch eine wie auch immer definierte Perfektionierung oder Verbesserung des Menschen und seiner angeblichen ›Natur‹, sowie die Rolle der Technik, die diese hierbei spielen soll, das sind die beiden Aspekte, die es vom kritischen Posthumanismus aus betrachtet zu problematisieren gilt, denn beide – menschliche Verbesserung und technische Instrumentalisierung – sind seit jeher Quellen unsäglicher Gewalt, gegen ›uns‹ selbst und gegen nicht-menschliche ›Andere‹.
Spätestens seit den beiden Weltkriegen, dem Holocaust und der Bedrohung der Menschheit durch atomare Selbstvernichtung hat jeglicher Humanismus oder ›Neuhumanismus‹ einen schweren Stand und ein grundlegendes Legitimationsproblem. Da wirken selbst Errungenschaften wie Menschenrechte nur noch wie Rückzugsgefechte, angesichts der andauernden Gewalt von Menschen gegen Menschen, ständig wachsender ökonomisch-sozialer und ökologischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. All dies macht es sehr schwer, noch von Menschheit und Menschlichkeit im universalistisch-humanistischen Sinne zu sprechen. Stattdessen akzentuieren die gegenwärtige planetare ökologische Krise und die beschleunigte technologische Entwicklung die prekäre Lage des Menschen, ›seiner‹ Umwelt sowie die enormen sozialen, ökonomischen und in immer größerem Maße auch ökologischen Unterschiede zwischen Menschen weiter – man schaue auf die geographische Verteilung der sogenannten ›Verlierer‹ des Klimawandels im Zeitalter des sogenannten ›Anthropozäns‹. Ein Humanismus als Diskurs, der auf einem Begriff universaler und exklusiver menschlicher Natur aufbaut und sich hierdurch sowohl vom (nichtmenschlichen) Tier als auch von der (nichtorganischen) Maschine unterscheiden will, ist in vieler Hinsicht untragbar geworden. Die diversen posthumanistischen Reaktionen greifen folgerichtig die konzeptuellen Probleme und Selbstwidersprüche im Humanismus auf, radikalisieren sie und ebnen sie immer weiter ein.
Insbesondere kritische Posthumanisten sehen sich als Erben des vom Humanismus mitverschuldeten Chaos und der daraus resultierenden Ungerechtigkeit und existenziellen Bedrohung für menschliches und nichtmenschliches Leben. Der pragmatische Wert der Vorsilbe post– signalisiert hierbei keine Überwindung (des Humanismus oder gar des Menschen), sondern vielmehr den Prozess einer Durcharbeitung. Es ist ein allmählicher, parasitärer Prozess, der Risse und Widersprüche im Humanismus aufspürt, in der Hoffnung, diese zu forcieren, um schließlich einem völlig anderen Menschenverständnis zur Geburt zu verhelfen.
Transhumanisten hingegen setzen scheinbar einzig und allein auf »Technikaffirmation«, die wie Stefan Sorgner erklärt, »alternativlos« sei:
Entscheidend ist: Wir befinden uns auf dem Weg zum Übermenschen. Entweder wir entwickeln uns weiter oder wir sterben aus. Wir benötigen die neuesten Techniken, um uns an die sich ständig wandelnden Umweltbedingungen anzupassen und unsere Lebensqualität zu steigern […]. Nur durch einen angemessenen Technikeinsatz können wir langfristig inklusive Nachhaltigkeit realisieren. (Sorgner 2019: 105)
Die anthropozentrische Moderne wird somit in ihrer Alternativ- und Ausweglosigkeit nicht nur bestätigt, sondern radikalisiert. Der Transhumanismus ist deshalb eigentlich mit einer postanthropozentrischen Ethik unvereinbar, die ein neues Gleichgewicht aus Mensch, Technik und Natur sucht und der es um den intrinsischen Wert allen (gegenwärtigen und zukünftigen) Lebens geht.
Rosi Braidotti formuliert die entsprechende gegenwärtige Herausforderung unserer »conditio posthumana« sehr drastisch und klar:
The posthuman condition implies that ›we‹ – the human and non-human inhabitants of this particular planet – are currently positioned between the Fourth Industrial Revolution and the Sixth Extinction […]. Striking a balance between these conflicting forces, so as to keep the broader picture in mind, is the current posthuman[ist] challenge. (Braidotti 2019: 2)
Zwischen diesen beiden Diskursen – Post- und Transhumanismus – stehen jedoch nicht nur »kritische Posthumanisten«, die versuchen, einen Kurs zwischen Posthumansierung und Dehumanisierung zu finden, sondern auch jede Menge kompromissloser Misanthropen, Apokalyptiker und Kollapsologen, die ihrem Nihilismus freien Lauf lassen. Kein Wunder, denn wohin man auch schaut, das Gespenst, die Angst und die Faszination der Auslöschung – des Menschen, des Lebens, des Planeten – ist allgegenwärtig. Auch Ulrich Horstmanns Untier (1983) als »Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Selbstabschaffung des ›Untiers‹ Mensch« (Müller 2016: 143) gehörte hier schon dazu. Mit diesem Gespenst – einer Welt ohne Menschen – sowohl im Rücken als auch vor Augen, und ohne die Versuchung und den manchmal strategischen Nutzen eines Nihilismus abstreiten zu wollen, würde ich behaupten: Nihilismus in letzter Konsequenz, besser nicht. Schauen wir lieber die Eingeweide der anthropologischen »Maschine«, wie Giorgio Agamben (2003) sie genannt hat, etwas genauer an. Dann stellen wir fest…
3. Irgendetwas stimmt nicht mit der Perfektibilität, oder: Gute Besserung!
In Miriam Meckels Erzählung Next: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (2011), welche rückblickend auf die vollständige Digitalisierung des Menschen aus der doppelten Sicht des Algorithmus und der des »letzten Menschen« berichtet, heißt es:
Praktisch jeder wollte sich perfektionieren. Vervollkommnung war das Mantra dieser Zeit. Und solange sie das Gefühl hatten, den Prozess selbst steuern zu können, stiegen sie verrückt darauf ein. (Meckel 2011: 50)
Damit sind wohl ›wir‹ oder unsere Zeit gemeint. Wenn, wie Sorgner es provokativ behauptet, Transhumanismus »die gefährlichste Idee der Welt« ist (Sorgner 2016), dann doch wohl, weil er den »explosiven« Nietzsche und seine Idee von der bevorstehenden Ankunft des Übermenschen recht wörtlich zu nehmen scheint (vgl. Sorgner 2019: 7). Angesichts der gegenwärtigen globalen Bedrohung durch den Klimawandel und die Rückkehr der kriegerischen Aggression nach Europa wäre man fast geneigt, Sorgner beizupflichten, wenn er sagt:
Entweder entwickeln wir uns beständig weiter, um stets an unsere Umwelt angepasst zu sein, oder uns wird es schon bald nicht mehr geben. (Sorgner 2019: 7)
Was nun, als Antwort hierauf, den Kern eines spezifisch transhumanistischen Denkansatzes ausmacht, »liegt ausschließlich darin, den Gebrauch der neusten Technologien zu bejahen, um die Wahrscheinlichkeit eines guten Lebens zu fördern«, so Sorgner weiter (10). Transhumanisten stehen den technologisch induzierten radikalen Umbrüchen der Gegenwart und Zukunft »affirmativ« gegenüber und vertrauen auf ihr biologisches und soziales Transformationspotenzial (Ranisch & Sorgner 2014: 7-8) und darauf, dass »wir in nicht allzu ferner Zukunft zahlreiche bisherige Grenzen unseres Menschseins überwinden können« (Sorgner 2019: 11). In diesem Sinne, ist der Transhumanismus folgerichtig die zeitgenössische »Erneuerung des Humanismus«:
It embraces and amplifies central aspects of secular and Enlightenment humanist thought, such as belief in reason, individualism, science, progress, as well as self-perfection or cultivation. (Ranisch & Sorgner 2014: 8)
Was kann denn da so gefährlich sein an der guten alten humanistischen Selbstverbesserungsidee? Ist der Mensch als solcher nicht durch seinen Selbstoptimierungswillen oder das rousseauistische Prinzip der Perfektibilität definiert?
Wir wissen, dass Peter Sloterdijk den Humanismus nur noch als überkommene »Anthropotechnik« (vgl. Liggieri 2020: 309) der Selbstzähmung ansieht: »Und was zähmt noch den Menschen, wenn der Humanismus als Schule der Menschenzähmung scheitert?«, fragt Sloterdijk in seiner berühmt-berüchtigten Elmauer Rede, veröffentlicht als ein »Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus«:
Was zähmt den Menschen, wenn seine bisherigen Anstrengungen der Selbstzähmung in der Hauptsache doch nur zu seiner Machtergreifung über alles Seiende geführt haben? Was zähmt den Menschen, wenn nach allen bisherigen Experimenten mit der Erziehung des Menschengeschlechts unklar geblieben ist, wer oder was die Erzieher wozu erzieht? (Sloterdijk 1999: 31-32)
Eine Frage müsste man aus kritisch posthumanistischer Sicht an Sloterdijks Versuch, »Regeln für den Menschenpark« zu finden in diesem Zusammenhang jedoch stellen – und diese Frage betrifft auch den fundamentalen Unterschied zwischen Post- und Transhumanismus – wer ist denn dieser Mensch, wenn man von ›dem‹ Menschen spricht? Oder: wer ist dieses ›Selbst‹, das seine ›Selbstoptimierung‹ quasi gezwungenermaßen immer voraussetzt?
Diese Frage nach einem menschlichen Selbst-Bewusstsein ist sozusagen die Vorfrage, die Voraussetzung für die Perfektibilität, Verbesserung, Optimierung oder das Enhancement des Menschen ›an sich‹, und – das ist der Clou – sie ist unablösbar verbunden mit der Frage nach dem Ursprung von Gewalt und nach der Gerechtigkeit, die oben angesprochen wurde. Es geht hier nicht darum, diese Frage selbst in Frage zu stellen, denn im Grunde wollen wir doch alle nur, dass der Mensch besser wird, gerechter, weniger gewalttätig, umsichtiger, ökologisch verträglicher, nachhaltiger, intelligenter, empathischer, zufriedener mit sich selbst und anderen. Auch dies ist eigentlich eine »moralisch-ethische« Verbesserung, ein moral enhancement, das in Zeiten klimatischer Existenzbedrohung und wiederkehrender bzw. anhaltender kriegerischer Auseinandersetzungen immer dringlicher erscheint.
Aber die größte menschliche Verbesserung wäre es doch, ihn etwas weniger aggressiv zu machen und damit auch den Terminator Lügen zu strafen, nämlich dass es nicht unbedingt in unserer sogenannten ›Natur‹ liegt, uns gegenseitig umzubringen und, wie man anfügen könnte und sollte, dabei den Schaden an nichtmenschlichen Anderen, Umwelten und Objekten einfach billigend in Kauf zu nehmen. Es geht hier also nicht darum, wie z.B. bei Michael J. Sandel in seinem Plädoyer gegen Perfektion (2015), für oder gegen eine genauer zu definierende Verbesserung des Menschen einzutreten, die nun durch sogenannte neue technologische ›Mittel‹ angeblich zur Verfügung stehen, ob gentechnisch oder pharmakologisch. Es geht im Grunde auch nicht darum, ob ein ›posthumanistischer‹ oder gar ein ›posthumaner‹ Krieg besser wäre als der doch ziemlich konventionelle Angriffskrieg Russlands und die westliche Unterstützung zur legitimen Selbstverteidigung der Ukraine, die er logischerweise nach sich gezogen hat. Dass ein sogenannter posthuman war, nur weil er mit Drohnen, Robotern, Cyborgs und KIs geführt werden könnte, weniger grausam wäre für menschliche und nichtmenschliche Tiere sowie ihre Habitate, ist eher unwahrscheinlich, auch wenn diese Thematik dem Posthumanismus bereits seit den 1980ern anhaftet, was bei der engen Verbindung zwischen Technisierung und Militarisierung insbesondere unter technokapitalistischen Bedingungen keine Überraschung ist (vgl. den Kontext von Haraways Manifest für Cyborgs). Man könnte hier die komplementäre Lektüre von Texten wie Tim Blackmores War X (2005) oder Christopher Cokers The Future of War (2004) einerseits und die einer wachsenden Anzahl von Interventionen andererseits empfehlen, die aus kritisch posthumanistischer Sicht zeigen, wie Menschenkriege immer auch Nichtmenschen in Mitleidenschaft ziehen oder wie es nichtmenschlichen Tieren im Krieg so ergeht (z.B. Cudworth & Hobden 2015).
Es geht hier aus gegebenem Anlass also eher darum, Krieg und Gewalt zu erklären – trotz Humanismus und trotz Perfektibilität und Selbstoptimierung, und hier gibt es scheinbar zwei grundlegend verschiedene Ansätze: einen, der dieses menschliche ›Selbst‹ einfach weiter optimieren will und dabei mehr oder weniger aufklärerisch vorgeht, größtenteils darwinistisch argumentiert und hierfür Technik instrumentalisiert oder sogar autonomisiert. Unter diesen Ansatz fällt auch der Transhumanismus, der eben alles auf die Technokarte setzt und auf eine evolutionäre Ablösung des Menschen aktiv hinarbeitet, mit der Begründung, dass menschliche Intelligenz und moralische Natur für den unausweichlichen technologischen Fortschritt einfach nicht gut genug vorbereitet, ›antiquiert‹ oder einfach nicht nachrüstbar sind.
Der andere Ansatz, der ›kritisch posthumanistische‹, setzt auf eine Verbesserung nicht nur des Menschen, sondern der gesamten planetarischen Situation, und zwar durch eine weitere Aufweichung des menschlichen Selbstverständnisses – also auf seine weitere ›Dezentrierung‹, oder, wie man das auch ausdrücken könnte, auf eine Dekonstruktion von Anthropozentrik. Die Motivation ist eine ethische, ihre Implementierung jedoch eine radikal politische, und insofern kann man einen kritischen Posthumanismus durchaus als ›gefährlicher‹ oder radikaler empfinden als jegliche Form des Transhumanismus.
4. Posthumanistische Politik jenseits von Gut und Böse, oder: Jetzt machen wir die Verbesserung!
Schaut man sich nach Ansätzen posthumanistischer Politik um, trifft man selbstverständlich auf ganz verschiedene Formen. Braidottis neomaterialistischen Feminismus im Gefolge Haraways und einiger anderer wurde bereits erwähnt. Bruno Latours ökologische Wende in seinen jüngeren Texten hin zum »Terrianismus« (Face à Gaia (2015), Où atterrir? (2017) und Où suis-je? (2021)) zeugt ebenfalls von der Strategie, den Menschen wieder stärker an die ›Natur‹ anbinden zu wollen. Wie Delphine Batho in ihrem Écologie intégrale: Le Manifeste (2019) sagt: »Il s’agit de faire de notre appartenance à la Nature le nouveau moteur de l’histoire« (13).
Andererseits führt die drohende Natur-Kultur-Katastrophe nicht an einer Auseinandersetzung mit der Technik und ihrer immer größer werdenden Autonomie vorbei. Schon früh im (andauernden) Zeitalter der atomaren Bedrohung schrieb Ernst Tugendhat in Nachdenken über die Atomkriegsgefahr und warum man sie nicht sieht:
Ein Umdenken über die grundsätzlich neuen Formen der Politik, die heute erforderlich wären, findet nicht statt. So wird die Menschheit wahrscheinlich daran zugrunde gehen, daß sie sich offenbar von den politischen Druck- und Verhaltensformen nicht lösen kann, die zu einer technischen Umwelt paßten, welche der Vergangenheit angehört. (Tugendhat 1986: 84)
Dies dient heute als eines der wichtigsten Argumente, das von Transhumanisten für das moral enhancement angeführt wird: Technische und insbesondere pharmakologische Intervention ist nötig, um den pragmatischen Vorsprung der Technik gegenüber der moralischen Antiquiertheit des Menschen aufzuholen, oder wie es Jamie Suskind in Future Politics: Living Together in a World Transformed by Tech formuliert: »We are not yet ready – intellectually, philosophically or morally – for the world we are creating« (Suskind 2018: 1).
Es geht also um Zukunftspolitik – wörtlich genommen –, um die Politik der Zukunft, die Zukunft der Politik und Zukunft als Politik. Dies funktioniert natürlich nicht ohne Antizipation, oder genauer gesagt, ›Konstruktion‹ von Zukunft. Zentral wird hier die Machtverteilung, was diese politische Antizipationsmaschinerie angeht. Kein Wunder, dass Science-Fiction ein zentrales Genre unserer Zeit ist, nur dass es eben nicht mehr um Fiktion, sondern um Faktion geht – also um Science-Faction also (vgl. hierzu Herbrechter 2009: 95-120).
In der Zwischenzeit ist nun jedoch der Aggressionskrieg nach Europa zurückgekehrt – er war selbstverständlich nie ganz verschwunden, sondern allenfalls verdrängt – und weitet sich aus, trotz oder gerade wegen der sich intensivierenden globalen Vernetzung von Technologien, Ökonomien, sozialen Wirklichkeiten und Mikrobiologien, zu einem Krieg aller gegen alle: Militär, Zivilisten, Hacker, Staaten, Medien, Terroristen und zu einer Auseinandersetzung mit immer gefährlicheren ›unsichtbaren‹ Feinden wie Viren, Algorithmen und ›disruptiven‹ Technologien, die den sogenannten ›großen Umbruch‹ herbeiführen können oder werden, wie Klaus Schwab und Thierry Malleret das nennen (2020). The Great Reset ist interessanterweise der englische Titel des Buches, der auf eine Computeranalogie im Kontext ideologisch-ökonomischer Software rekurriert. Die Formel zielt auf die Vorstellung, dass für den Umbau oder Umbruch die globale digitalisierte Hardware oder die planetare Infrastruktur »zurückgesetzt« werden muss. Dies ist auch ein zentrales Ideologem dessen, was Frédéric Neyrat den zeitgenössischen transhumanistischen »Geokonstruktivismus« nennt. In La Part inconstructible de la terre: Critique du géo-constructivisme spricht Neyrat von einem grundlegenden Phantasma:
le géo-constructivisme […] soutient que la Terre, et tout ce qu’elle contient – écosystèmes et organismes, humains et non-humains –, peut et doit être reconstruite, réformée et reformée. Entièrement. (Neyrat 2016: 11)
Es ist eine rein phantasmatische Zukunftspolitik, da es diesen zweiten, neuen Planeten natürlich nicht gibt, in dessen Namen jedoch von gegenwärtigen Machtstrukturen und Ungleichheiten abgelenkt werden sollen. Alles im Namen einer »biopolitique des catastrophes«, wie Neyrat das nennt (Neyrat 2008), und letztendlich immer auch motiviert durch und im Namen eines Humanismus.
Krieg und Gegenkrieg, Gewalt und Gegengewalt oder Widerstand werden letztendlich immer aus mehr oder weniger zynischen ›humanistischen‹ Gründen geführt, die zudem meistens noch von beiden Seiten in Anspruch genommen werden, wie gerade wieder in Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zu sehen ist. Es gibt keine Opposition zwischen Humanismus und Krieg, eher eine Art problematische Interdependenz zwischen Gewalt und Gerechtigkeit, wie schon bei Walter Benjamin (1992) zu lesen und von Derrida (1991) in ihrer aporetischen Verquickung durchgearbeitet. Der zeitgenössische kosmopolitische und humanistische »Krieg-Frieden«, wie das Ulrich Beck genannt hat, ist sozusagen das ultimative Beispiel:
Die Hoffnung, nach dem Ende der bipolaren Ordnung entstünde ein kosmopolitisches Weltidyll und die Nationen würden sich unter dem Baldachin internationalen Rechts die Hand zum friedlichen Miteinander reichen, ist zerfallen. Nicht der Frieden des Rechts, sondern die offene, entgrenzte, molekulare Gewalt bildet zum Beginn des dritten Jahrtausends die Signatur der entstehenden Zweiten Moderne […]. Es hat sich eine Falle der doppelten Erpressung aufgetan: Wenn du gegen humanitäre Interventionen bist, dann bist du für ethnische Säuberungen, für Verbrechen gegen die Menschheit; wenn du jedoch gegen ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschheit bist, dann mußt du den neuen ›Krieg-Frieden‹ des ‚militärischen Humanismus‘ gutheißen. (Beck 2004: 232-233)
Wie soll man da noch irgendeine Linie hineinbringen bzw. sich nicht dem Schicksal der militärischen, technologischen, mikrobiologischen oder ökologischen Katastrophe oder einer Kombination aller hingeben und gar an eine neue, bessere Menschheit glauben? Aber vielleicht geht es bei der Politik der Zukunft gar nicht um Zukunftsutopien, sondern eher um ein gewisses Verlernen.
5. Humanismus ›verlernen‹ und die Frage nach Gerechtigkeit, oder: Besser ist noch lange nicht gut.
Es ist nicht nur die Digitalisierung oder die Biotechnologie oder ihre Kombination, die den Humanismus und seine Bildungspolitik als »Zähmungstechnik«, wie Sloterdijk das nennt, versagen lässt. Auch ein neuer »digitaler Humanismus«, wie ihn Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld (2018) einfordern, der »sowohl technik- als auch menschenfreundlich« wäre (15), greift hier zu kurz, wollte man es mit dem moral enhancement oder der Menschenverbesserung ernst nehmen. Denn es geht immer noch um die Frage nach der Gewalt und Gewaltbereitschaft der Spezies Mensch, welche den Menschen aus evolutionärer, demographischer und ökonomischer Sicht so erfolgreich gemacht haben. Erfolgreich ebenso wie vernichtend, schädlich und grausam aus ökologischer und sozialer Hinsicht – sowohl für Teile der Menschheit selbst als auch für ihre nicht-menschlichen Begleiter, Konkurrenten und Gegenspieler.
Immer mehr scheinen einzuräumen, dass die Welt ohne den Menschen wahrscheinlich eine bessere wäre, oder dass es weniger Gewalt und mehr Gerechtigkeit ›nach‹ oder ›ohne‹ den Menschen gäbe. Vielleicht wäre es sogar besser, es hätte sie (›die‹ Menschheit) oder ihn (›den‹ Menschen) nie gegeben. Doch besser ist eben noch lange nicht gut. Gewaltfreiheit, oder zumindest ihre Minimierung, und ethisch-politisch-soziale Gerechtigkeit bleiben daher selbstverständlich auch Ziele für einen kritischen Posthumanismus. Auch wenn sich dieser im Endeffekt nicht ›jenseits‹ von Gewalt positionieren kann, so ist er doch der zeitgenössischen ›Kritik der Gewalt‹ im Sinne Benjamins, Derridas und auch Judith Butlers verpflichtet. Dies ist jedoch nicht das gleiche wie ein ›gewaltloser‹ Posthumanismus oder die Vorstellung, dass irgendwelche technikaffine Posthumane, wie sie sich manche Transhumanisten vorstellen, ›jenseits‹ von Gewalt anzusiedeln wären. Dennoch bleibt der Horizont der Gewaltfreiheit intakt: »Die Welt von morgen wird, nein muss eine auf Gewaltfreiheit gegründete Gesellschaft sein«, wie Mahatma Ghandi es 1946 forderte (Ghandi 2014: 85).
Judith Butlers Ansatz kommt einer nicht-(mehr-)humanistischen Idee von Gewaltfreiheit sehr nahe. In The Force of Non-Violence (2020) greift sie ihren Begriff der »grievability«, also der Bedauerbarkeit, Trauerbarkeit oder Beklagbarkeit auf (vgl. Butler 2009) und verfolgt ihre Frage »when is (a) life grievable?« im Rahmen einer Theorie der Gewaltlosigkeit weiter. Diese baut auf einer, man könnte sagen originären, radikal-sozialen Interrelation auf:
There is a sense in which violence done to another is at once a violence done to the self […]. [I]f the one who practices nonviolence is related to the one against whom violence is contemplated, then there appears to be a prior social relation between them; they are part of one another, or one self is implicated in another self. Nonviolence would, then, be a way of acknowledging that social relation, however fraught it may be, and of affirming the normative aspirations that follow from that prior social relatedness. (2020: 9)
Dies setzt eine Interrelation voraus, die sich vor jeglicher möglicher Gewaltanwendung ansiedelt und welche als Vorbedingung erst die Idee eines Selbst und eines Anderen erlaubt – also eine Kombination der Ethiken von Derrida und Levinas. Die Frage nach der (legitimen) Selbstverteidigung, die in diesem Zusammenhang normalerweise benutzt wird, um die Idee der Gewaltlosigkeit auszuhebeln oder einzuschränken, wird von Butler dabei nicht zurückgewiesen, aber hinterfragt: Das Selbst, das bei der Selbstverteidigung immer schon vorausgesetzt ist und das notfalls auch mit gerechter Gewalt verteidigt werden muss, ist jedoch selbst das Ergebnis eines vorangegangenen Selektionsmechanismus. Dieser Auswahlmechanismus stellt erst eine Ipseität oder Autoaffektion her, wie Derrida dies wohl nennen würde. Und diese Selektion wird dann wiederum erst zu einer Definition dessen benutzt, was als ein Selbst zählen kann und welches bei Gewaltanwendung anschließend ›beklagbar‹ wird, oder dessen Recht auf ein Leben in Gewaltlosigkeit einklagbar wäre. Butler fragt deshalb:
Once we see that certain selves are considered worth defending while others are not, is there not a problem of inequality that follows from the justification of violence in the service of self-defense? (Butler 2020: 11)
Soweit so gut, soweit vielleicht auch noch mit einem radikalen Humanismus vereinbar, doch Butler zeigt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Perspektive auf – ohne sie jedoch selbst konsequent weiterzuverfolgen –, wenn sie sagt:
The relations that bind and define extend beyond the dyadic human encounter, which is why nonviolence pertains not only to human relations, but to all living and inter-constitutive relations. (2020: 9)
Und hier genau sollte eine posthumanistische Kritik der Gewalt einsetzen und die Idee einer Gewaltlosigkeit quasi vor und vielleicht sogar ohne den Menschen weiterverfolgen.
Auch im Krieg, wie wir wissen, gibt es nicht nur menschliche Verluste zu beklagen. Nicht nur Menschen tun einander Gewalt an, aber nicht-menschliche Lebensformen sind nur selten »grievable« in Butlers Sinne. Und genau das muss sich ändern, und zwar nicht aus reiner Tierliebe oder Sentimentalität – dies ist kein Luxusproblem im Zeitalter der globalen Freisetzung von Gewalt –, sondern schon aus ganz pragmatischen und normativen Gründen. Es braucht, könnte man sagen, einen Übergang von ›Anthropolitik‹, in der es immer zentral um menschliche Interessen geht, hin zu einer ›Postanthropolitik‹, und zwar jenseits der gängigen Dialektik aus Dehumanisierung und Animalisierung. Anders gesagt, die größte moralische Verbesserung wäre es doch wohl, wenn Menschen endlich ihre ambivalente Haltung gegenüber ihrem eigenen Tierkörper ablegen könnten. Genau hier müssen der Metaphysik des Humanismus die schwersten Vorwürfe gemacht werden, nämlich dass die humanistische Sonderstellung des Menschen immer schon auf der Verdrängung der eigenen biologischen Körperlichkeit und der daraus folgenden fundamentalen und gewaltträchtigen Ab- und Ausgrenzung von nichtmenschlichen Tieren beruht – ein Ausgrenzungsmechanismus, der quasi als Platzhalterfunktion in allen möglichen Kontexten fungieren kann, wie Florence Burgat es in ihrem Vorwort zu Patrice Rougets La Violence de l’humanisme (2014) sagt:
pourquoi nous faut-il persécuter les animaux? […] ce que forge l’humanisme métaphysique, c’est le mécanisme de l’exclusion, dont il fait uniquement varier le curseur. (Burgat 2014: 9-10)
Am besten auf den Punkt bringt dies Cary Wolfe in einem Interview mit der New York Times mit dem provokanten Titel »Is Humanism Really Humane?«:
As long as you take it for granted that it’s O.K. to commit violence against animals simply because of their biological designation, then that same logic will be available to you to commit violence against any other being, of whatever species, human or not, that you can characterize as ›lower‹ or more ›primitive‹ form of life. (Wolfe 2017)
Anthropozentrik basiert auf einer Art »deflection«, wie es Lynn Worsham nennt, einer Form von »Selbstablenkung« oder Verdrängung, die es erlaubt, vom »Menschen« (an sich) in Opposition zum »Tier« (als solchem) zu sprechen – eine gewaltsame und gewaltlegitimierende Kategorisierung, die eng mit einer substitutiven Opferlogik verwoben ist (Worsham 2013: 721ff). Diese basiert auf einer Ablenkung von der urtraumatischen Erkenntnis, dass wir alle als biologische Wesen vergänglich sind. Sie dient der Verdrängung, in Worshams Worten, unserer »problematic relation to our own animality« (730).
Hier ist also der Ansatzpunkt für eine kritisch posthumanistische Gewaltkritik, indem sie auf der gemeinsamen Verwundbarkeit und Endlichkeit alles Lebenden insistiert und eine Aufarbeitung und Dekonstruktion der traumatisierenden Opferlogik mit ihren Ausdrucksformen von Gewalt vornimmt. Und aus eben dieser Sicht – um auf den Ausganspunkt einer Differenzierung zwischen einer kritisch posthumanistischen und einer transhumanistischen Ausrichtung zurückzukommen – läuft der transhumanistische Traum von der technologischen Überführung des Tierkörpers in die digitale Unsterblichkeit Gefahr, nichts weiter zu sein als eine Fortführung dieser gewaltsamen und gewaltproduzierenden ›Ur‹-Verdrängung.
6. Und zum Schluss: Beste Grüße… vom Terminator
Um am Ende noch einmal auf den Terminator zurückzukommen und ›ihm‹ quasi probehalber das letzte Wort zu überlassen – das ist schließlich seine Aufgabe (das letzte Wort haben und auch zu sein): Die Hoffnung, dass die Maschine uns zum besseren Menschen macht, wird bezeichnenderweise am Ende des Films derselben Logik ›geopfert‹, wie sie allen anderen ›subhumanen‹ Spezies unter anthropozentrisch-humanistischen Bedingungen zu Teil wird. Auch der Terminator wird Opfer menschlicher Gewalt – symbolisch zumindest. Nachdem die Maschine uns gezeigt hat, was uns eigentlich zum Menschen macht, muss sie selbstverständlich verschwinden. Und die ›gute‹ Maschine sieht das auch ein, schlägt es sogar selbst vor und schaltet ›sich‹ quasi freiwillig ab. Immer mehr bezweifeln jedoch, dass uns die ›Maschine‹ diesen Gefallen in Zukunft weiterhin tun wird. Manche können es sogar kaum erwarten. Solange die Geschichte menschlicher Gewalt jedoch nicht aufgearbeitet ist, lässt es sich schwer vorstellen, dass eine etwaige posthumane (im Gegensatz zu einer posthumanistischen) Zukunft in irgendeiner Weise besser sein könnte als die Vergangenheit.