Erich Hörl: Im Epochenlosen. Bernard Stieglers Denken des Entropozäns1
Abstract: The paper outlines the thinking of suspension that characterizes the work of Bernard Stiegler. On the one hand, it lays out the problem of ›doubly epokhal redoubling‹ [double redoublement épokhal] Stiegler develops to work through the question of epochal change as the core of his techno-phenomenology of disorientation. On this basis, on the other hand, it presents Stiegler’s reflections on being-in-disruption, that define our present of the computational Gestell and the Entropocene, as the final stage of the Anthropocene, as an un-time of absence of epoch. It is this condition of epochlesness, this difficult constellation of a comprehensive absence, that enjoins, that forces us today to think care-fully, and thereby radically rearticulates the question of thinking in terms of care. The main thesis of the paper is that what is breaking through in Stiegler’s thinking of suspension is a new sense of sense, a trans-formative sense that, given the urgent new ›Great Transformation‹ of which we have seen merely the beginning, may be of great philosophical and political relevance.
Keywords: logic of epochality, computational Gestell, disruption, Entropocene, care-ful thinking
»To think […] is always to think and to care for and about the general form of what any age refers to as today.«
Bernard Stiegler2
1. Einleitung: ein epochales Denken
Die Schwelle von Bernard Stieglers Hauptwerk La technique et le temps wird von Maurice Blanchots »Sur un changement d’époque: l’exigence du retour« markiert. Dabei handelt es sich um eine äußerst weitreichende Anzeige. Der Text – ein für die Formierung von Blanchots eigener Programmatik zentrales Gespräch über die Zäsur, die Zeitenwende, das Ende der Geschichte, ja den Schritt ins absolut Andere von Geschichte durch die moderne Technik und die äußerste Gefahr, die diesen Übergang kennzeichnet3 – prangt über der allgemeinen Einleitung in das mehrbändige Vorhaben Stieglers.4 Er gibt einem ganzen Werk, das sodann in vielen Verzweigungen vorangetrieben werden wird, seinen Einsatz – einem Werk, das in gewisser Weise, wie sich heute rückblickend sagen lässt, eine riesige Auslegung und originäre Weiterführung von Blanchots Überlegungen zum Epochenwechsel gewesen sein wird. Incipit mit folgenden Worten:
– Räumen Sie mit Gewißheit ein: daß wir an einem Wendepunkt stehen?
– Wenn es eine Gewißheit ist, so stehen wir nicht an einem Wendepunkt. Die Tatsache, in dem Moment zu leben, in dem sich ein Epochenwechsel vollzieht (so es einen solchen gibt), nimmt auch das sichere Wissen in Beschlag, das ihn bestimmen möchte, indem sie die Gewißheit wie die Ungewißheit unangemessen macht. Wir können uns nie weniger konturieren als in einem solchen Moment: das vor allem ist die geheime Kraft des Wendepunktes.5
Genau diese schwierige Aufgabe der Konturierung im Moment der Wende, unter deren Banner sich Stieglers Denken ankündigt, ist in den Jahren, die uns von Blanchots Überlegungen trennen und dabei tief in die neue komputationale Bedingung hineingeführt haben, zu einer fast unmöglichen Herausforderung herangewachsen. So ist insbesondere das »Wir«, das sich hier konturieren und rekonstituieren soll, als wesentliches Moment dieser Umwendung selbst, geradezu im Zerfall begriffen, wird unentwegt von allen möglichen Desindividuationsprozessen, die Blanchot in ihrer Wucht noch kaum erahnen konnte, destituiert. Eben diese schwierige Aufgabe wird von Stiegler in extenso in Angriff genommen und als seine philosophische Lebensaufgabe übernommen. Das Problem des »Epochenwechsels« und seine Ausarbeitung zur Frage der Epochalität, die dieses Problem auf absolut einzigartige Weise aus der Perspektive und als Sache des Technologischen neu aufzuwerfen versteht – bis hin zur Neufassung des techno-logischen Sinns von Epochalität überhaupt, in dem ein »Wir« sich jeweils im Zusammenwirken eines »Wer« und eines »Was« komponiert und darin konsistiert –,6 genau dies skandiert und situiert dieses Denken von Beginn an und wird es durchgehend in seiner ganzen Struktur und in seinem Werden bestimmen, durch all die zu unterscheidenden Phasen hindurch, die es schließlich durchläuft – der technologischen, der pharmakologisch-organologischen, schließlich neganthropologischen Phase gleichermaßen.7
Blanchot, zum Zeitpunkt der fraglichen Überlegungen bereits tief in die genauere Bestimmung der Notwendigkeit fragmentarischen Schreibens und dessen präziser geschichtlichen Verortung verstrickt, hat das Problem des Epochenwechsels hauptsächlich als Sprach- und Sinnproblem aufgefasst. »Daß wir am Ende eines Diskurses stehen und daß wir uns beim Übergang zu einem anderen weiterhin aus Bequemlichkeit in einer alten, unangemessenen Sprache ausdrücken«, heißt es, »das ist die größte Gefahr.« Die »für geschichtliche Zeiten geeignete Terminologie« – allen voran Begriffe wie »Freiheit, Entscheidung, Person, Bewußtsein, Wahrheit und Eigenständigkeit« – könne dem »Ereignis, auf das wir stoßen« und das nach Blanchot infolge des »Vorherrschens des Maschinellen« und der »Indienstnahme der wesentlichen Kräfte der Materie« nunmehr »einen elementaren Zug, nämlich den Zug unpersönlicher Mächte«8 trägt, nicht mehr gerecht werden. Durch die romantischen Technokratiedeutungen eines Ernst Jünger oder Teilhard de Chardin hindurch – ohne Zweifel aber auch vor dem Hintergrund seiner genauen Kenntnis von Heideggers Überlegungen zum Gestell und insbesondere auch von dessen Vorlesung Was heißt Denken? – zeichnet sich ihm die Einsicht ab, »daß es, verborgen in dem, was man die moderne Technik nennt, eine Macht gibt, die alle Verhältnisse des Menschen zu dem, was ist, beherrschen und bestimmen wird. Wir verfügen über diese Macht, so wie sie gleichzeitig über uns verfügt. Aber wir kennen ihren Sinn nicht; wir begreifen ihn nicht völlig.«9 »Die Gefahr«, so Blanchot schließlich, »liegt vor allem in der Weigerung, den Epochenwechsel zu sehen und den Sinn dieser Wende zu bedenken. […] Ich behaupte sogar, daß die Gefahr möglicherweise einzig und allein durch unsere überkommene Sprache hervorgerufen wird, die uns nötigt, im Stil der Geschichte und im Diskurs der Vorstellung zu sprechen […].«10
Der auffällige Begriffsreichtum von Stieglers Arbeit, die eigentümliche, genau den Stil der Geschichte und das Vorstellungsdenken aus den Angeln hebende Begriffspolitik, die diese auszeichnet, seine enorme schöpferische Kraft zur Neubeschreibung, die – im Durchgang durch viele, nicht nur philosophische, sondern auch anthropologisch-ethnologische, physikalische, politisch-ökonomische, biologische, neurophysiologische, informatische Diskurse – mit dem von Blanchot attestierten Sprach- und Begriffsverlust im Angesicht der modernen Technik ringt, all dies findet genau in dieser Gefahr, die uns laut Blanchot am Rande der geschichtlichen Zeit widerfährt, seine Aufforderung und Begründung. Hier liegt Stieglers wesentlicher Anknüpfungspunkt: Es handelt sich dabei ohne Zweifel um den Versuch, aus einer alten, der zu bezeugenden epochalen Umwendung unangemessenen Terminologie zu einer durchgreifenden Rekonzeptualisierung der technologischen Bedingung als solcher vorzudringen, die dem epochalen Sinn des ›Wir‹ – Sinn des ›Wir‹, der je und je eine Epoche schreibt, eine Epochalität ausmacht – nicht nur gerecht zu werden vermag, sondern diesen vielleicht zum ersten Mal überhaupt in seiner genauen Verfasstheit zu denken erlaubt. Darin liegt für Stiegler die Herausforderung und Aufgabe der Dekonstruktion überhaupt, ihre geschichtliche Reichweite und ihr Einsatz, auf die hin er sie entwirft. Und es geht hier dann ganz folgerichtig nicht zuletzt auch, in einer Art Überwindung des ihr inhärenten Nihilismus, um eine Bejahung dieser Wende. Dieses Erfordernis hat Blanchot seinerseits bereits umgetrieben, was man daran erkennt, dass es sich bei ihm, wenn er von Epochenwechsel spricht, nicht bloß um die Negativität eines einfachen geschichtlichen Bruchs und um die naive Versuchung der Ausrufung eines neuen Zeitalters, eines Neubeginns, eines anderen Anfangs oder einer Neu(be)gründung handelt, sondern jenseits jedes dialektischen Voranschreitens von Geschichte um eine radikale Suspension, die auf eine unberechenbare und unvorhersehbare Zukunft öffnet durch eine radikale Bejahung, »die Bejahung selbst«,11 wie er schreibt, die nichts als bejaht, die Bejahung als solche bejaht und anstelle einer Dialektik die Bewegung von Differenz und Wiederholung erkennt.
Blanchots Problematisierung des Epochalen verdichtet sich bei Stiegler in die Programmatik einer Ausarbeitung des Verhältnisses von Technik und Zeit. Dabei wird nicht nur der Epochenwechsel, wie er im Verlaufe des 20. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Computerisierung und Kybernetisierung geschieht, von weit her in den Blick genommen – aus einer lang dauernden Geschichte der Grammatisierung, die Geschichte als überhaupt von der Schrift eröffnet und selbst als Schrift, damit immer schon als techno-logische Geschichte entfaltet.12 Der Epochenwechsel am Rande der geschichtlichen Zeit und zugleich als deren Bedrohung durch ihr inneres Außen der Technologie wird überhaupt das ganze Problem von Geschichte als solcher in ein anderes Licht tauchen – und wir werden noch sehen, wie genau die Bestimmung dieses Randes der geschichtlichen Zeit Stiegler mehr und mehr umtreiben, um nicht zu sagen heimsuchen wird, bis hin schließlich zu unserer eigenen Situierung in der Disruption, womit er unsere heutige unmögliche Epochalität am äußersten und als äußerstes Ende des Entropozäns beschreibt. Am Ende geht es darum, die Logik der Epochalität selbst, die hier, in dieser Epochenwende im Ende von Geschichte,13 auf bislang nie dagewesene Weise aufscheint, in ihrer wesentlichen Technologizität zu rekonstruieren und gerade darin, in dieser und als diese Neubestimmung von Epoche, den Sinn dieser Wende zu erschließen: Geschichte erscheint bei Stiegler als Zeit, die sich als eine immer schon verspätete, verzögerte unwahrscheinliche Antwort auf eine technologische Suspension vollzieht, als differierende Zeit, deren Klippe bzw. Abgrund eine Menschheit wäre – oder eher ein »Geschlecht«, wie Stiegler mit Derrida sagt –, die sich außerhalb der Zeit des aufschiebend-aufgeschobenen, darin stets Zukunft und mithin Geschichte eröffnenden Antwortens befindet, ein Geschlecht einer »Zeit ohne Zeit«14, ein Geschlecht im Zeit- und Epochenlosen, im Zusammenbruch des Antwortvermögens, ohne Vermögen zur differierenden Transformation.15 Es handelt sich schließlich um einen durch und durch transformativen Sinn, genauer gesagt einen transformativen Sinn von Sinn, der in dieser Epochenwende als deren Herausforderung Gestalt annimmt, um dessen Konzeptualisierung und sinngeschichtliche Verortung Stieglers Werk in immer wieder neuen Anläufen ringt, um uns schließlich, im Moment seines jähen Abbruchs, die Aufgabe der Transformation – als Aufgabe sorgsamen Denkens – als sein dringlichstes Erbe zu hinterlassen. Stieglers Denken ist im stärksten Sinne epochal, ein wahrhaftes Epochendenken. Dies ist die Problematik Stieglers.16
2. Ein Denken der Suspension: Erkundungen der Epochenlogik
Das Denken des Epochenwechsels, das Stiegler in Gestalt eines Denkens der Suspension vorlegt, beginnt mit einer absolut umstürzenden Reformulierung des Problems der épokhè, aus der sein einzigartiges philosophisch-diagnostisch-politisches Projekt erwächst – so meine These. Die épokhè gilt dabei nicht mehr wie bei Husserl als methodisches Prinzip der »Einklammerung« oder der »Ausschaltung« der natürlichen Welt (des Vorhandenen), nicht mehr als Leistung eines transzendentalen Egos, die den Übergang von der natürlichen zur theoretischen Einstellung auf seinem bisherigen Höhepunkt vollzieht.17 Vor jeder subjektiven épokhè, so könnte man sagen und als ihr ursprüngliches Supplement, gibt es immer schon das, was Stiegler »objektive épokhè« nennt. Die objektive – qua Exteriorisierung durch technische Objekte, oder, wie es in der späten neganthropologischen Werkphase mit Alfred Lotka gesprochen heißt, qua Exosomatisierung ausgelöste – épokhè erweist sich überhaupt als die bislang ungedachte Epochenbedingung, die jede Epochalität als solche grundiert. Diese Umwendung des Épokhè-Problems, die in der Umstellung von der subjektiven auf die objektive épokhè letztere von einem methodischen Prinzip zu einem zentralen geschichtlichen Moment wendet, diese Umwendung trägt zunächst sein pharmakologisch-organologisches Werk, das er seit La Faute d’Epimethée, dem ersten Band von La technique et le temps, ausarbeitet und das die begrifflich-geschichtliche Entfaltung und Verzweigung dieser Umwendung in all ihren Konsequenzen darstellt. Und der Übergang in die spätere neganthropologische Phase wird genau das Épokhè-Problem wiederaufnehmen und konzeptionell weiter vertiefen, es überhaupt zum entscheidenden Moment für die geschichtliche Bestimmung unserer Gegenwart als Epochen- und Weltloses machen. Dabei lautet der zentrale Begriff dieser weitreichenden Reformulierungsanstrengung, die die Phänomenologie gleichermaßen technisiert und politisiert (und den ich im Folgenden herausarbeiten werde): »epochale Verdoppelung« [redoublement épokhal].
Der Überlegung zur epochalen Verdoppelung kommt spätestens seit Beginn von La désorientation, dem zweiten Band von La technique et le temps, eine exponierte konzeptuelle Stellung zu, hier wird sie pointiert als das wesentliche Moment, welches das Problem des Epochenwechsels, wie er die ganze Unternehmung von Anfang an bestimmt, auf eine neue begriffliche Stufe hebt, die dann ab diesem Zeitpunkt das Denken Stieglers bis in dessen philosophisch-politische Strategien hinein durchgreifend prägt. Die entscheidende Passage lautet:
Ich habe in Der Fehler des Epimetheus gezeigt, dass die Erfüllung einer technischen Tendenz oder eines Bündels von Tendenzen, die zu einem Wechsel des technischen Systems führt, das ist, was die Verhaltensprogramme aussetzt, durch die eine Gesellschaft Gestalt annimmt; eine Form von objektiver épokhè, gegen die der soziale Körper zunächst Widerstand zu leisten versucht. Anpassung [ajustement] geschieht, sobald sich eine epochale Verdopplung [redoublement épokhal] vollzieht, das heißt die volle Erfüllung, die Vollendung der épokhè, in deren Zuge das Wer sich die Tatsache der Aussetzung [suspension], d.h. der programmatischen Unbestimmtheit, aneignet. Die technische Entwicklung ist ein Ausreißen aus den gültigen Programmen, das, wird es verdoppelt, eine neue Programmatik erzeugt. Diese neue Programmatik ist ein psychisch-kollektiver Individuationsprozeß. Die zeitgenössische Desorientierung ist die Erfahrung einer Unfähigkeit, die epochale Verdopplung zu vollziehen.18
Tatsächlich aber wird die Bewegung der ›epochalen Verdopplung‹ bereits in einem sehr frühen Text zu Charlie Parker und dem Grammophon, der der Veröffentlichung von La technique et le temps lange vorausgeht, auseinandergelegt – und es scheint, dass die ganze nachfolgende Entwicklung der Problematik von Technik und Zeit umgekehrt auf die breite Einholung der hier zuerst skizzierten Bewegung hindrängt. Ihre Freilegung markiert Stieglers bewegendsten, weitreichendsten Gedanken überhaupt:
The endurance of the improbable––that is to say: the suspension of pro-grams, clichés, attitudes, gestures, pre-juged words and actions, badly repeated stereotypes––stems from what philosophy calls epokhē, from common Greek. Epokhē means at once an interruption, the suspension of judgement, and the state of doubt: the point in the sky where a star seems to stop, a period of time, an epoch, an era.19
Und nachdem er auf den philosophischen Gebrauch des Wortes, insbesondere Husserls Gebrauch der épokhè als ›Einklammerung‹ und Heideggers Reformulierung der Frage der épokhè als Epochen des Seins und dessen Entzugs hinweist, kommt er dezidiert auf seinen eigenen Gebrauch zurück:
Epokhē, as I have come to use the word here, is first the very actuality of historical time, history in action: this epoch within the succession of epochs. That is how we understand the primary sense of the word today. But, to return to philosophical tradition, and against it, my aim is to argue that, just as Charlie Parker made history with his saxophone and another instrument (the phonograph), epokhē is always double and always supposes an epokhal techno-logical ground. Tekhnē suspends an epoch from tekhnē; tekhnē makes epokhē, and, in this suspension, there is an improbable response, a linkage, a making of time: it is epokhē that makes an epoch.20
Und noch einmal stärker: »What tekhnē requires is a ›response‹, a linkage that is im-probable, which it cannot as such give.«21 Die Technik ist im allerstärksten Sinne epochal: Sie unterbricht eine Epoche und macht genau darin Epoche, in dieser Unterbrechung und qua programmatischer Antwort auf diese Unterbrechung, die sie herausfordert.22
Dass bereits diese frühe Veröffentlichung im Keim den Schlüsselgedanken enthält, weist auf die konstitutive Rolle des Èpokhè-Problems für die Genese von Stieglers Problematik insgesamt hin. Faktisch ist es sogar direkt mit seinem Philosoph-Werden verbunden, zumindest wurde es so von ihm selbst 25 Jahre später entsprechend rekonstruiert: bereits vor aller Husserl-Lektüre sei »das, was man in der Philosophie phänomenologische Epoché nennt« – die »Aufhebung der Welt« –, im Rahmen einer »vollkommen singulären Erfahrung« des Weltentzugs, die er während seiner Einkerkerung in Saint-Michel bei Toulouse machte, »entdeckt« und schließlich in aller Apodiktizität, die das spätere Programm kennzeichnet, der Übergang von einer »empirischen« zu einer »vernünftigen, methodischen Praktik« der »Epoché«23 vollzogen worden – ein Übergang, der das Verständnis von epokhē (fortan wie wir gesehen haben als ›epochale Verdoppelung‹ gefasst) überhaupt grundlegend revidieren, deren Sinn gegenläufig zu der bei Husserl noch maßgebenden metaphysischen Einschreibung als Schlüsselakt transzendentaler Subjektivität dekonstruieren und als geschichtliches Momentum techno-logischer Gefüge dechiffrieren wird.
La Faute d’Épimethée, der erste Band von La technique et le temps, der zunächst durch eine Verschränkung der Überlegungen zur technischen Evolution von Bertrand Gille, Gilbert Simondon und André Leroi-Gourhan eine erste fulminante Durcharbeitung des Epochenproblems vorlegt, ist in seinem theoretischen Herzstück bereits durch eine auffällige Semantik der Verdoppelung gekennzeichnet – der legendären »Verdoppelung« der einsamen Figur des Prometheus durch seinen Bruder Epimetheus, des »doppelten Fehlers« am Ursprung, der im Sinne einer »ursprünglichen Verdoppelung« den Fehler des Prometheus als Verdoppelung des Fehlers des Epimetheus erscheinen lässt, des immer schon »doppelte(n) Schlag(s)« und der »ursprünglichen Duplizität«, die das Außer-Sich-Sein als »ursprüngliche Unvollständigkeit des technischen Wesens« charakterisieren.24 Durch diese Semantik der Verdoppelung hindurch beginnt sich die Signatur eines neuen Denkens techno-logischer Epochalität abzuzeichnen, die die ganze Problematik der Epochalität als eigentümliche Bewegung eines techno-logischen Differierens als das zentrale Moment von Geschichtlichkeit überhaupt neu aufrollt. Es ist das techno-logische Differieren, das nach Stiegler Differenzen erzeugt. Zur Beantwortung der Frage »Was ist das Epochale?«, die die letzten Abschnitte von La Faute d’Épimethée organisiert – Frage danach, wie sich eine Epoche der Geschichtlichkeit überhaupt (er)öffnen kann –, wird die Figur der ›epochalen Verdoppelung‹ mobilisiert, die die etablierten Formen einer bislang selber programmatischen Tradition technologisch außer Kraft setzt und zugleich ein neues Andauern der Vergangenheit, der Antizipation und der Gegenwart programmiert.25 Und in einer Passage, die Stiegler selbst viele Jahre später als den Ort markiert, an dem er den Begriff (freilich noch ohne dessen pharmakologische Pointierung) eingeführt hätte, heißt es (im Zuge einer Auseinandersetzung mit Heidegger): »Und die ›eigenste Möglichkeit‹ ist die der epochalen Außerkraftsetzung der ›Programme‹ der alltäglichen Öffentlichkeit – eine außergewöhnliche Möglichkeit, die konstitutiv ist für das Wer. […] Das Man funktioniert wie ein Programm, welches das Dasein eben auch außer Kraft setzen kann.«26
Erst La désorientation aber macht diese Grundproblematik der Epochalität zum eigentlichen Dreh- und Angelpunkt der ganzen Konzeption.27 Dabei wird das Problem des Epochenwechsels in die Frage des Epochenwechsels, die diesen Wandel zu ›denken‹ [penser], damit aber auch zu ›heilen‹ [panser] beginnt, überführt.28 Genau hier firmiert ›epochale Verdopplung‹ jedenfalls von Beginn an als die entscheidende Formel, die den Sinn des Epochenwechsels aufschließt – und zwar in Gestalt eines trans-formativen Sinns, der die genauere Bewegung von Transformation als geschichtliche Grundbewegung selbst auseinanderlegt. Zugleich wird damit die neue Perspektive der Problematisierung, die die Einführung der objektiven épokhè darstellt, in Richtung einer gewaltigen, erst noch zu leistenden Epochendiagnostik und einer regelrechten Politik der épokhè entfaltet:
Wenn die tekhné die gültigen Programme aussetzt [suspend], kommt das Wissen zurück, um seinerseits die stabilen Effekte, die ›Auswirkungen‹ der tekhné auszusetzen, indem es sie verdoppelt. Wir nennen dies die epochale Verdopplung [redoublement épokhal]. […] Die ›lineare und phonologische‹ Schrift ist eine programmatische épokhè, die die Formen einer zwar nicht als solche erscheinenden, ihrerseits aber selbst programmatischen Tradition aussetzt, und die, in dieser Aussetzung, ein anderes Erleben von Vergangenheit, Vorwegnahme und Gegenwart pro-grammiert, wobei letztere fortan als Präsenz oder Anwesenheit verstanden wird. Welches Heute programmierte also, unwahrscheinlicher Weise, die epochale Verdopplung der verschiedenen und differierenden [différantes] analogen, digitalen und biologischen Identitäten, die die Gegenwart, aus der das Heute besteht, in die Krise stürzten?29
Hier wird nicht nur unter dem Stichwort einer Krise der Gegenwart die heutige Gefährdung, wenn nicht gar Zerstörung der Fähigkeit zur epochalen Verdoppelung erstmals benannt, deren Folge eine fundamentale Desorientierung ist, um deren genauere Untersuchung und konzeptuelle Erschließung sich Stieglers gesamtes kritisches Projekt und insbesondere auch seine Politik, wie wir noch sehen werden, fortan dreht. Und es ist eben dies – ich werde im nächsten Abschnitt darauf zurückkommen –, was er in der letzten Werkphase, genau genommen seit der Überführung seines pharmakologisch-organologischen Denkens in die neganthropologische Kritik des Entropozäns unter dem Titel eines Seins-in-der-Disruption mit höchster Konzentration ausarbeitet. Umgekehrt kann die Bestimmung des Seins-in-der-Disruption als weitreichendste Konzeptualisierung der anfänglichen Intuition des Epochenproblems begriffen werden.
Darüber hinaus erweist sich in der eben zitierten Textpassage auch das ganze Vorhaben einer Dekonstruktion der Präsenz-Metaphysik, in dessen Tradition Stiegler selbst steht, seinerseits bereits als wesentlicher Teil einer epistemischen Antwort auf einen techno-logischen Schock, der genau die Präsenzfixierung einer ganzen Epoche, die von diesem Schock unterbrochen wird, in aller Schärfe exponiert – Stieglers Denken der Suspension führt genau in dem Maße, in dem es das Projekt der Dekonstruktion lesbar macht, dieses auf radikale Weise auf dessen Ungedachtes – das Ungedachte der Technik – hin weiter.30 Dergestalt wird jedenfalls ›die Dekonstruktion‹, wenn es sie denn geben sollte, auf ihre geschichtliche Bedingung gebracht: Sie wird überhaupt erst im und durch den Eintritt in die Zeit der Kybernetik und mithin des komputationalen Gestells, das die Epoche der phonologischen Schrift einschließlich des in dieser Epoche geprägten Sinns von Geschichtlichkeit beendet, herausgefordert und ermöglicht. Stieglers Denken der Suspension holt genau diesen geschichtlichen Einsatz der Dekonstruktion als Projekt selbst ein, es ist dieser Einsatz, der dadurch in seinem vollen Gehalt zur Darstellung gelangt.
Am wohl präzisesten wird der Begriff der doppelten epochalen Verdoppelung in Dans la Disruption auseinandergelegt – am präzisesten, weil er auf seine spezifische Zeitlichkeit hin gedacht wird, nämlich als zeitliche Verdoppelung bzw. Fügung oder Komposition zweier Zeiten. Dabei geht es auch um die Implikation, die diese Fügung für die Konzeptualisierung von Geschichtlichkeit und Epochalität hat. Die für alles weitere so bedeutende Passage, die vor allem die Zeitlichkeit von Epochenbildung herausarbeitet, lautet in extenso:
When a technical system engenders a new epoch, the emergence of new forms of thinking is translated into religious, spiritual, artistic, scientific and political movements, manners and styles, new institutions and new social organizations, changes in education, in law, in forms of power, and, of course, changes in the very foundations of knowledge – whether this is conceptual knowledge or work-knowledge [savoir-faire] or life-knowledge [savoir-vivre]. But this happens only in a second stage [un second temps], that is, after the techno-logical epokhē has taken place./This is why an epoch always occurs through a doubly epochal redoubling:
- double because it always occurs in two stages [en deux temps] – on the one hand, the technological epokhē, on the other hand, the epokhē of knowledge as forms of life and thought, that is, the constitution of a new transindividuation (characteristic of a particular time and place);
- redoubling because, starting from the already there forms of technics and time that are constituted as this or that established epoch, a new technical reality and a new historical reality (or, more precisely, historial – geschichtlich) redoubles and through that relegates to the past that which has engendered it, which seems, therefore, precisely to be the past;
- epochal because it is only as an interruption inaugurating a recommencement and a new current present that this double redoubling occurs, eventually by firmly establishing itself as what we call, precisely, an epoch.31
Noch die Funktion der Vernunft, wie sie Stiegler in einem seiner späten Schlüsseltexte vorschlägt, hängt an der ›doppelten epochalen Verdoppelung‹:
›Rational‹, here, does not mean logical, referring to apodictic truth as canon and so on (the logical and the apodictic constituting a specific configuration of the exosomatization of noetic functions and faculties), but everything that assumes the function of reason as the capacity to effect a noetic bifurcation after a doubly epochkal redoubling.32
Und nicht nur das. Auch was einmal unter dem Titel ›Seinsgeschichte‹ höhere Weihen genoss – Titel, in dem sich Heideggers Problematisierung von Epochalität verdichtet als Aneinanderreihung von Epochen der Seinsvergessenheit, ohne dass je geklärt worden wäre, von woher sich diese schreiben –, ist davon getrieben: »The ›history of being‹ is a succession of such crises […] generated by the tensions provoked by the succession of doubly epokhal redoublings in which the process of exosomatization and its acceleration consists […].«33
In der Formel von der epochalen Verdoppelung verdichtet sich nicht mehr und nicht weniger als das Kernproblem von Technik und Zeit überhaupt, dessen diagnostische Kraft und Reichweite diejenige von Sein und Zeit noch einmal deutlich überschreiten.
3. Sein in der Disruption: im Epochen- und Weltlosen des Entropozäns
Seinen ganzen Einsatz findet Stieglers Denken der Suspension da, wo es seine diagnostische Kraft zur Bestimmung der gegenwärtigen Epoche entfaltet – gegenwärtige Epoche, die, wie wir gleich sehen werden, überhaupt die Grenze der Epochenlogik als solcher markiert, und zwar als deren nihilistisches Ende: als Nicht-Epoche, Epochenloses oder Abwesen von Epoche. Diese Diagnostik organisiert sich genau um die Bestimmung der doppelten epochalen Verdoppelung, die im Lichte dieser Diagnostik aber mit neuer Vehemenz hervortritt und nun konzeptuell breit ausgearbeitet und vertieft wird. Denn es ist genau die doppelte epochale Verdoppelung – und eben dies weist Stiegler als Schlüsselmerkmal unseres »Heute« aus –, die nun als solche durchbrochen, beschädigt, in Frage gestellt wird. Dadurch gerät die darin ihren Grund findende epochale Logik selber, die die Bewegung der Geschichtlichkeit insgesamt trägt, aus den Fugen.34 Der ganze Sinn des Neudenkens der Epoche bzw. des Epochenwandels bei Stiegler, von dem her sich letztlich das Erbe seiner gewaltigen Ausarbeitung der Frage von Technik und Zeit bestimmt, kulminiert in dieser Diagnose; diese erscheint letztlich als der Horizont der Frage von Technik und Zeit überhaupt und das, was in der Ausarbeitung dieser Frage auf dem Spiel steht und sie als unsere Frage erzwingt: In der Konturierung dessen, was ich die Un-Zeit des Epochenlosen nenne – ›Un‹ eines doppelten Fehlens wiederum: Fehlen von Zeit und Epoche gleichermaßen –, zeigt sich der Kerngehalt dieses ganzen Unternehmens, erhält es seine Dringlichkeit, offenbart sich seine geschichtliche Signatur als Zusammenbruch von Geschichtlichkeit und Zeitigung gleichermaßen, den es zu denken ermöglicht.
Was heißt das nun genau: das Epochenlose? Und warum lässt es sich als Un-Zeit charakterisieren? Wenn die unwahrscheinliche, nicht-determinierte Antwort auf die Suspension, in der die nachträgliche Verdoppelung der techno-logischen épokhè geschieht, ausbleibt und damit der Epochenwechsel nicht gelingt, wenn also die technologische Unterbrechung des Programms, der Überlieferung, des Erbes, der Sorgesysteme, die zusammen jeweils eine Epochalität bilden, absolut ist, was dann eben Disruption heißt, und wenn also jede Epochalität zu zerspringen droht, sich alles Existieren in einer antwort- und verantwortungslosen epochalen Leere aufzulösen, jedwede Konsistenz zu verlieren beginnt, dann befinden wir uns in der unendlichen Entformung und Unterbrechung des Epochenlosen – wie es unser Sein als Sein in der Disruption, das Stiegler als unserer gegenwärtige Seinsbedingung zeichnet, charakterisiert. Nicht jede epochemachende Unterbrechung ist also disruptiv. Um Disruption handelt es sich nur, wenn die Unterbrechung nicht verdoppelt werden kann und einer absoluten Leere des Denkens stattgegeben wird. ›Die Disruption‹ ist also eine durch und durch geschichtliche Bestimmung. Wenn Dans la Disruption die doppelte epochale Verdoppelung im Detail auseinanderlegt und dabei an zentraler Stelle auf die zwei Zeiten, die hier ineinandergreifen, verweist – auf die technologische Zeit einerseits und die Zeit des Wissens, Zeit der Lebensformen und des Denkens andererseits –, dann fehlt in der Disruption die zweite Zeit der epochalen Verdoppelung.35
Im Kern fehlt die Zeit des Fragens, die in der technologischen Unterbrechung den Horizont des Unerwarteten zu eröffnen vermag. Wo Heidegger das Fragen, wie Derrida herausgearbeitet hat, für das Denken privilegiert, ja immer wieder Denken und Fragen gleichsetzte – das Fragen zur ›Frömmigkeit des Denkens‹ erklärte –, aber die Möglichkeit des Fragens selbst nicht weiter befragte, da legt Stiegler genau die Bedingung dieser Möglichkeit frei:
But Dasein can question only because it is itself put into question. And what puts it into question is the pharmakon. The pharmakon, as a technical (exosomatic) upheaval, is what puts into question the one who questions, which is to say the very possibility of questioning. Dasein, the privileged being, questions only inasmuch it is put into question by that what precedes it and at the same time exceeds it beyond all questions, thereby forming what Bergson called an obligation.36
Die Möglichkeit des Fragens ist direkt mit der Grundstruktur der doppelten epochalen Verdoppelung verbunden. Diese fundiert und aus ihr kommt gewissermaßen alle Erfahrung der Frage. Die dergestalt gegebene Refundierung der Frage führt zu einer Neubestimmung des Denkens als sorg-sames Denken, weil Denken selbst aus der herausfordernden Infragestellung durch das pharmakon der Technik kommend eben diese Infragestellung differantiell wenden, darin zuallererst eine »therapeutic activity« ausüben und die »Wunde« – die Wunde der (technologischen) Suspension – heilen soll. Stiegler pointiert: »To think [penser, E.H.] would therefore be to take care, to care for [panser, E.H.], which is also to say, to act, to do, to make – (the) différance: it would always be to think the wound.«37 Umgekehrt heißt das, dass in der Disruption genau diese Möglichkeit in einem bislang nie da gewesenen Ausmaß bedroht ist – Stiegler spricht sogar davon, dass in der Disruption die Produktion von différance zusammenbricht38 – und eine desaströse Herrschaft des Fraglosen beginnt. Unter diesen Bedingungen zunehmender Fraglosigkeit gibt es insbesondere auch keine Zeit der Transindividuation mehr, also differantielle Zeit, darin sich durch die diachrone Ko-Individuation der »Ichs« hindurch die synchronisierende Trans-Individuation eines »Wir« vollzieht, die die »Ichs« wiederum transformiert, sondern nur noch die Un-Zeit des Individuationsverlustes, der Desindividuation, in der auch das »Wir« seine Konsistenz verliert, überhaupt kein Konsistieren und kein Existieren mehr gelingt: »In the midst of disruption, the second stage of the doubly epokhal redoubling fails to occur; there is no transindividuation.«39
Diese Problematik steht im Zentrum der Ausarbeitung der Frage des vollendeten Nihilismus des komputationalen Gestells, die Stieglers letzte Arbeiten unternehmen – und zwar ganz folgerichtig unter dem Titel eines »Abwesens von Epoche« [absence d’époque].40 Der Weltverlust, den Heidegger in seinem Gestell-Denken als Horizont der technisierten Moderne und ihrer unbändigen Weltbildungsanstrengung problematisierte und den dann im Anschluss Gérard Granel, einer von Stieglers wesentlichen Lehrern, als großen Verunweltlichungsprozess aus dem Zusammenwirken der Verunendlichungsakteure Technik und Kapital rekonstruierte, diese Entweltlichung wird bei Stiegler total und rangiert als letzte Konsequenz epochalen Abwesens in der Disruption. Das Epochenlose ist so gesehen das Weltlose bzw. Stieglers Denken des Epochenlosen erscheint als konsequente Auslegung und Fassung des Unweltlichkeitsproblems.41 Wenn für Stieger »Welt« das Sinngefüge eines Konsistierens darstellt auf Basis einer immer schon entäußerten, wesentlich exosomatischen différance, so ist die totale Destitution des Epochenlosen – Kollaps der Bewegung des Differierens selbst, ist das möglich? – Gipfelpunkt der Entweltlichung und Verunweltlichung im Zenit der Moderne.
Dieses Abwesen – vielleicht können wir sogar sagen: die Zeit des Anwesens, die Zeit der Präsenzmetaphysik, wird durch eine Un-Zeit des Abwesens abgelöst – wird zuallererst verstanden als »Abwesen von geteilten und kultivierten Protentionen«42, an deren Stelle die automatischen Protentionen der algorithmischen Gouvernementalität und deren Zerstörung von Erwartungshorizonten, Zukünftigkeit und mithin überhaupt von Zeit treten. Die Zeit-Form, die die historisch-ontologische Grundverfasstheit der Disruption charakterisiert – Präemption (Rouvroy, Massumi), Feed-Forward (Hansen), Tertiäre Protention (Stiegler), um einige Beispiele für die im komputationalen Gestell hervortretende Zeit-Form der Environmentalität zu nennen43 – erweist sich letztlich als Un-Form der Entzeitigung, die ein fundamentales Abwesen über die ganze Epoche legt, die so vollends zum Epochenlosen gerät. Das Hervortreten der tertiären Protentionen durch die Digitalität und ihre Industrialisierung und Automatisierung durch die algorithmische Gouvernementalität, all dies hebt den epochemachenden Charakter der retentionellen Dispositive, wie er in geschichtlichen Zeiten in Kraft ist, aus den Angeln. Denn Epochen werden laut Stiegler durch »die Akkumulation kollektiver Retentionen und Protentionen«,44 die ein retentionales Dispositiv ausmachen, gebildet, sie sind aus der Teilung von Retentionen und Protentionen gemacht und die komputationalen tertiären Protentionen sind disruptiv, weil sie die Steuerung und Kontrolle dieser Teilung übernehmen.45 Schließlich verschwindet alle Zeit im Ereignislosen: »Im Abwesen von Epoche, in dem sich nichts bewahrheiten kann, kann sich auch nichts ereignen.«46
Dieser Begriff – ›Abwesen von Epoche‹ – verdichtet ohne Zweifel die gewaltige philosophische Diagnostik über das Anbrechen einer Un-Zeit, die spätestens seit dem ersten Band von La technique et le temps auf dem Weg ist, aber erst jetzt auf ihre Zielgerade kommt. Die verallgemeinerte Denoetisierung und totale Proletarisierung, die den Prozess der doppelten epochalen Verdoppelung unterminieren, münden in die »Nicht-Individuation, die das Abwesen von Epoche ist«.47 ›Abwesen von Epoche‹ ist also der Name für die Verwüstung in der absoluten Disruption, die den technologischen Nihilismus des Seins-in-der-Disruption vollendet. Wir leben in der unmöglichen Epoche des Abwesens von Epoche, im Epochenfehl, in dem kein Konsistieren mehr gelingt, das eine Epoche bilden und in dem das »Wir« einer Epoche erscheinen könnte. Ist das die allgemeine Form unseres Heute, auf deren Bestimmung jedwedes Denken, das den Namen verdient, nach Stiegler zielen muss?
Eben diese Bestimmung wirft ein neues Licht auf die Problematik der Sorge, ja macht sie überhaupt zum vielleicht zentralen ›Epochenthema‹, wenn man das noch so sagen kann, das deutete sich schon oben im Zusammenhang mit Stieglers Neudenken der Frage bzw. des Fraglosen an: »Ein solches Abwesen von Epoche ist mehr denn jemals zuvor vom Problem und der Frage der Sorge betroffen.«48 Die Frage der Sorge erweist sich bei Stiegler als die Frage des Epochenlosen schlechthin, die uns heute zustößt, und genau darin als unsere Frage – auch wenn dieses ›Wir‹, um dessen Problem und Frage es sich handelt, bereits seinerseits genau als Effekt der allgemeinen Sorglosigkeit mehr und mehr im Abwesen begriffen ist. Das Problem der Sorge tritt als solches in der Disruption mit aller Macht hervor und wird als Frage in direkter Verknüpfung mit der Technikfrage erkennbar, ja erweist sich sogar als deren Kerngehalt. Dabei ist die Sorgestruktur selbst immer schon in die Grundstruktur der doppelten epochalen Verdoppelung eingefaltet: In ihrer Zeitlichkeit, die Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart auf eigentümliche Weise miteinander verspannt, entspringt sie genau der fundamentalen Infragestellung durch die Technik. Sorge ist als Sorge-Tragen um die pharmaka der Technik stets Sorge um die différance, wie es sich nun aber im möglichen Übergang in »an age of indifférance«49 als unsere zentrale Herausforderung – und Aufgabe eines sorg-samen Denkens – herausstellt.50
Es ist dieses Epochen-, Zeit- und Sorglose der Disruption, das Stiegler schließlich als letztes Stadium nicht des Anthropozän, sondern des Entropozän tituliert:
Das Anthropozän ist also das, was man übereingekommen ist als eine Liquidation von Lokalitäten und als allgemeine und planetarische Steigerung der thermodynamischen Entropie als Steigerung der Dissipation von Energie, der biologischen Entropie als Steigerung der Zerstörung von Biodiversität und der informationellen Entropie als Zerstörung von Noodiversität zu charakterisieren. / Auf diese Weise bestimmt, kann das Anthropozän genauso gut als Entropozän bezeichnet werden.51
Insbesondere durch den Noodiversitätsverlust und die allgemeine Denoetisierung in der digitalen Disruption, die nach Stiegler eine strukturelle Sorglosigkeit ins Werk setzt, steht unsere Verantwortlichkeit – im Sinne der doppelten epochalen Verdoppelung verstanden als »our ability to respond to the challenge of being put into question«52 – insgesamt auf dem Spiel, damit die Fähigkeit, Werden in Zukunft, Entropie in Negentropie zu transformieren. Umgekehrt gilt die Suche nach der »Möglichkeit eines neuen Typus von doppelter epochaler Verdoppelung in der Abwesenheit von Epoche«53 – Stiegler nennt es die »neganthropologische différance«54 – als die zentrale Herausforderung des Entropozäns. Es geht um unwahrscheinliche Antworten auf die Disruption, die eine neue große Transformation heraufführen – genau dies ist unsere mögliche sinngeschichtliche Position eines trans-formativen Sinns – und uns dabei in eine »neue Epoche« eintreten lassen, die »curative, care-ful epoch«55 des Neganthropozäns.
Stieglers allgemeine Organologie – mit ihren drei miteinander verschränkten Perspektiven der psychischen, technischen und kollektiven Individuation – stellt einen Versuch dar, im entropozänen Abwesen von Epoche dennoch und trotz allem zu denken und dabei, darauf kommt es an, den totalen Nihilismus der Disruption umzuwerten.56 Sie ist genau darin der Kristallisationspunkt einer neuen Politik. Das Denken der Suspension, das in der Auslegung des Entropozäns ohne Zweifel auf seinen diagnostischen Höhepunkt gerät, mündet in eine breit angelegte Politik der épokhè. In der Un-Zeit des absoluten Nicht-Wissens, als die Stieglers Version einer Technophänomenologie des Geistes unsere Zeit des komputationalen Gestells nach dem Ende der Geschichte zeichnet, wird die Politik zuallererst zum Geheiß des Denkens selber: denn denken [penser] heißt heilen [panser]. Denken, das in der digitalen Disruption wie nie zuvor Sorge zu tragen hat um die verantwortliche Wiederherstellung epochaler (noetischer) Formen, die Leben auf der Höhe der technologischen Bedingung ermöglichen, dieses Denken, das damit nur die seit jeher bestehende, aber verstellte Aufgabe des Denkens übernimmt, heißt Heilen. Dies verdichtet sich im Begriff des sorg-samen Denkens.57 Stiegler wendet sich spät, in Qu’appelle-t-on panser, noch einmal Heidegger zu und zwar genau jenem Heidegger, der in seiner Freiburger Vorlesung Was heißt Denken? (1951-52) mit eben dem Epochenwechsel, von dem Blanchot schreibt, ringt. Schon Heideggers Neustellen der Frage, was Denken heißt, mag als Versuch einer Antwort auf die techno-logische Disruption gelesen werden, die damals unter dem Namen der Kybernetik mindestens in Anbahnung begriffen war und de facto das Sein in der Disruption einläutete.58 Stieglers Relektüre – die im Übrigen auch an die große Übersetzung von Heideggers Vorlesung durch Gérard Granel anschließt – erscheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts, da das Gestell als komputationales Gestell in seinen Zenit getreten ist, als nachgerade zwingend. Dass denken heilen heißt – eben dies markiert den Kern dieser programmatischen Wiederaufnahme der bei Heidegger nach Stiegler nicht weit genug gehenden Durcharbeitung der Aufgabe des Denkens.59
Im Grunde kreuzen sich hier aber streng genommen sogar zwei Wiederholungen. Denn das »a«, das in Stieglers Neuauslegung von »penser« als »panser« so auffällig an die Stelle des »e« tritt und in eben dieser Bewegung einen geschichtlichen Wendepunkt anzeigt, in dem die Frage des Denkens als Heilen und die Problematik des Epochenlosen so radikal hervortreten, wiederholt auf eigentümliche Weise die Operation Derridas. Dieser hat bekanntlich das »e« der »différence« durch ein »a« ersetzt, um damit die »différance« zu markieren, die eben nicht allein Differenz meint, sondern den Prozess des Differierens, der zugleich differiert und aufschiebt, nie abschließend stabilisiert werden kann und genau darin verzeitlicht und verräumlicht, die Schrift des Lebens selbst darstellt. Nun dreht sich schon bei Derrida die ganze Operation letztlich darum, unsere Epoche zu denken, die er selbst, zu Beginn der Grammatologie (1967), in eine Bewegung der Technologie einschreibt und mit dem Erscheinen der Kybernetik und der Implementierung einer neuen, nämlich mathematischen Schrift und von daher mit einer weitreichenden »Mutation in der Geschichte der Schrift, in der Geschichte als Schrift«,60 in Verbindung bringt: »Ich würde zunächst sagen, dass die différance, die weder ein Wort noch ein Begriff ist, mir strategisch am besten geeignet schien, das Irreduzibelste unserer ›Epoche‹ zu denken […].«61 Wohlgemerkt eine Epoche, die man schon nach Derrida »nicht einmal mehr ›Epoche‹«62 im strengen Sinn wird nennen können, was dann von Stiegler schließlich als Epoche des Abwesens von Epoche bzw. des Epochenfehls präzisiert und auf seine pharmakologische Bedingung gebracht wird – und darin, in diesem Abwesen und Fehlen, einen neuen Sinn des Denkens hervorkommen lässt: denken als heilen. Im Übergang von einem Denken der différance zum Denken als panser, das Sorge für (die) différance trägt und différance macht, wird das Sorgeproblem als solches in den Vordergrund gerückt und schreibt sich Dekonstruktion noch einmal stärker in ihre Zeit ein – die Zeit der Disruption, die den fundamentalen Zusammenhang von Technik und Sorge stärker als jemals zuvor offenbart. Und umgekehrt muss die Konturierung eines sorgenden Denkens, wie Stiegler es unternommen hat, als ein, vielleicht als das Erbe der Dekonstruktion gelten.
4. Schluss: das Melancholiforme im Ende geschichtlicher Zeiten
Sollte man dieses epochale Denken – Denken des Epochenwechsels, der uns gerade in ein schwarzes Loch des Epochenlosen und der Nicht-Epoche zu stürzen droht – fliehen, wie es unentwegt geschieht, anstatt sich ihm immer wieder neu auszusetzen, in immer neuen – vielleicht: heilsamen? – Lektüren, die uns womöglich zu einem Antworten und Verantworten bringen?
Stiegler litt ohne Zweifel seinerseits unter einer »geblendeten Klarsicht«, die sein Denken der Suspension auszeichnet. Sie hat ihm zugesetzt. Zwar hat die unablässige Ausarbeitung seiner Diagnostik des automatischen Nihilismus in der Disruption – von der ökonomisch-technologischen Disruption, den alle bisherigen Strukturen unterbrechenden Innovationen her gedacht als die in der digitalen Transformation stattfindende Unterwerfung der Gesellschaft unter Modelle, die ihre Strukturen zerstören und in die totale Desindividuation führen –, sein Denken wie nichts sonst vorangetrieben und dessen eigentümlichen Sound geprägt. Er hat aber auch bemerkt, dass genau diese Diagnostik, die stellenweise in einen hypernihilistischen Ton verfällt, eine gewisse Zumutung an seine Zeitgenossen darstellt und ihrerseits deren Verleugnung und Bestreitung anheimfällt. So spricht Stiegler jedenfalls davon, dass wir uns im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts
im permanenten und universellen Ausnahmezustand dessen befinden, was uns unlebbar zu werden geweiht zu sein scheint. Wir alle empfinden diese Sachlage durchaus. Aber die meiste Zeit leugnen wir sie, und zwar weil sie unerträglich ist – die meiste Zeit, außer wenn wir nicht mehr anders können, als ihre unmittelbaren, katastrophalen und massiven Auswirkungen in der Alltäglichkeit unserer Existenzen festzustellen. Dann ergreift uns Betroffenheit. Nennen wir diese Momente geblendeter Klarsicht – in denen Bestreitung und Leugnung uns umso stärker beherrschen, als sie unmöglich werden und auf diese Weise immense melancholiforme Leiden auslösen, die der Autor gut kennt – negative Unterbrechungen. Wie kann man es machen, damit – konfrontiert wie wir alle mit dieser mehr oder weniger hysterischen, melancholischen, zyklothymen, ›bipolaren‹ […] unterbrechenden Negativität sind –, wie kann man es machen, damit sich diese hellsichtig blinden Momente durch die heilenden Wirkungen einer Praxis der immer mehr als menschlichen, wenn nicht sogar ›übermenschlichen‹ Quasi-Kausalität in Momente positiver Unterbrechung umwenden […]?63
Ein seltsames, ein letztes »Wir« scheint hier auf, das sich in Momenten negativer Unterbrechung noch einmal einzustellen scheint, in der absoluten Gefahr des Zerfalls und schon melancholiform. Wieder das Problem der Umwendung. Bei Stiegler, das möchte ich noch ein letztes Mal festhalten, geht es stets um Umwendung. Dies ist die Kernbewegung des Sinns, wie sie seine Technophänomenologie des Sinns herausarbeitet, den ich deshalb als trans-formativen Sinn kennzeichnen möchte. Wenn Sinn nach Stiegler immer einen transformativen Moment kennt, er in der Antwort auf Unterbrechungen, die ihn bestreiten, als deren programmatische Umwendung ersteht und diese Umwendungsbewegung stets Sinn gibt, so wird der Sinn als trans-formativer Sinn erst in der Disruption, die diesen transformativen Moment vollends zu zerstören und in das schlechthin Sinnlose zu kippen droht, in aller Radikalität herausgestellt. Das zentrale Vorhaben, denken [penser] als heilen [panser] zu begreifen und dergestalt das Sorgeproblem pharmakologisch neu zu entfalten in Richtung einer Neubestimmung des Denkens als therapeia, das Stiegler im Anschluss an Derrida, Nietzsche, Heidegger, Canguilhem und Guattari unbeirrbar über die Jahre vorantreibt, gehört zur Ausarbeitung eines trans-formativen Sinns. All dies ist auch vor dem Hintergrund eines melancholiformen Leidens an den unhaltbaren Zuständen in der absoluten Gefahr des Entropozäns zu begreifen. Und vergessen wir nicht: Adorno, an dessen Diagnostik Stiegler ebenfalls früh anzuschließen beginnt und den er sich, als Vordenker der kommenden Barbarei, die bei ihm selbst als Abwesenheit von Epoche firmiert, immer wieder vornimmt, Adorno hat das Leid bzw. das Leiden explizit als kritischen Affekt stark gemacht. Das Leiden geht bei Adorno dem Denken voraus. Es ist das Produkt einer falschen Gesellschaft und ungerechter Zustände. In der Negativen Dialektik heißt es: »Worin der Gedanke hinaus ist über das, woran er widerstehend sich bindet, ist seine Freiheit. Sie folgt dem Ausdrucksdrang des Subjekts. Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt.«64 In gewisser Weise hat Stieglers Denken das Leiden in der Disruption beredt werden lassen, in einen regelrechten Begriffsstrom zu seiner heilenden Auslegung verwandelt – auch wenn am Ende zumindest für ihn persönlich das Melancholiforme über das Therapeutisch-heilend-Sorgende des Denkens die Oberhand gewonnen haben könnte. Die Überschrift, unter der der erste Teil von Dans la disruption steht, lautet: »Die épokhè meines Lebens. Philosophieren, um nicht verrückt zu werden.« Wenig später erscheint »die zeitgenössische Melancholie«,65 die wie ein Emblem über der Un-Zeit der Disruption steht: Sie verweist auf ein Sich-Ergeben in die Vergeblichkeit, in der Disruption Sorge für die Welt tragen zu können, weil in der Barbarei des Epochen- und Weltlosen die Disruption immer schon jeder sorgenden Transformation zuvorkäme, mithin die Epochen der Sorge ans Ende gekommen wären, keine Zeit der Transformation bliebe, also keine Zeit mehr gegeben werden könnte. Nur ein sorgendes Denken, das sich dem Melancholiformen der Disruption entzieht, vermag es, wenn überhaupt, das Epochen- und Weltlose noch einmal umzuwenden. Die große Frage lautet für mich, in welchem Maße dieses sorgende Denken die Kraft zur Reterritorialisierung aufbringen muss, gegen die heillosen Deterritorialisierungen der Disruption, aber auch gegen die Reterritorialisierungen des Ressentiments, die die allgemeine Sorglosigkeit nur noch einmal verstärken.
Literaturverzeichnis
Literatur
Nicht veröffentlichte Quellen
Fußnoten
1 Dieser Text wurde in verschiedenen Vorfassungen im Rahmen der Tagung Memory of the Future: Thinking with Bernard Stiegler (03.12.2020) am Leiden Centre for Continental Philosophy, im Rahmen des Seminar of Aesthetics der Universität Oslo (10.12.2020) und schließlich im Kolloquium Szenen der Kritik: zwischen postkolonialer, medienästhetischer und politischer Philosophie (30.05.2021) an der Universität Frankfurt/Oder vorgetragen. Ich bedanke mich bei Susanna Lindberg (Leiden) und bei Ina Blom, Ursula Münster und Eivind Røssaak (Oslo) sowie Katja Diefenbach und Andrea Allerkamp (Frankfurt/Oder) für die Einladung und bei allen Teilnehmer*innen für die intensive Diskussion und die wertvollen Hinweise. 2 Stiegler, Bernard (2018): »What is Called Caring?«. In: ders.: The Neganthropocene. Übersetzt von Daniel Ross. London: Open Humanities Press, S. 188-270, hier S. 212. 3 Der Text war in einer ersten Fassung im April 1960 unter dem Titel »Entretien sur un changemengent d’époque« in der Nouvelle Revue française erschienen. Einige Jahre später hat ihn Blanchot unter dem Titel »Sur un changement d’époque: l’exigence du retour« in L’Entretien infini aufgenommen, dabei den ursprünglichen Text geringfügig überarbeitet, vor allem aber um einen zweiten, Nietzsches Rede von der ›ewigen Wiederkehr des Gleichen‹ (ins Französische üblicherweise als ›éternel retour du même‹ übersetzt) gewidmeten Teil entscheidend ergänzt, was der verlängerte Titel anzeigt (Blanchot, Maurice (1969): L’Entretien infini. Paris: Gallimard). Die vorliegende deutsche Übersetzung des Textes bringt, obwohl der doppelte Titel aus L’Entretien infini erscheint, nur den ersten Teil (vgl. Blanchot, Maurice (1991): »Über einen Epochenwechsel: die Forderung der Rückkehr«. In: ders.: Das Unzerstörbare. Ein unendliches Gespräch über Sprache, Literatur und Existenz. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger und Bernd Wilczek. München: Hanser, S. 134-145). Tatsächlich verdiente das Verhältnis dieser beiden Teile, die Spannung, die zwischen ihnen besteht, eine eingehendere Betrachtung, was ich andernorts leisten werde. ›Changement d’époque‹ ist insgesamt eine, wenn nicht die Schlüsselformel Blanchots, die dieser Text geprägt hat und die seine ganze Programmatik des Fragmentarischen – an den Grenzen des Nihilismus, aus diesem aufsteigend und ihn überschreitend – trägt (Vgl. Hill, Leslie (2012): Maurice Blanchot and Fragmentary Writing. A Change of Epoch. London/ New York: Continuum). 4 Das Vorhaben La technique et le temps ist mit den drei Bänden, die 1994 (Vol. 1: La faute d’Epiméthée), 1996 (Vol. 2: La désorientation) und 2001 (Vol. 3: Le temps du cinéma et la question du mal-être) erschienen, nicht beendet. Es durchquert alle folgenden Arbeitsphasen Stieglers. In den Fußnoten anderer Schriften, insbesondere von Qu’appelle-t-on panser? 1. L’immense régression (Éditions Les Liens Qui Libèrent, 2018), sind weitere Bände angekündigt: Vol. 4: L’épreuve de la vérité dans l’ère post-véridique; Vol. 5: Symboles et diaboles; Vol. 6: La guerre des esprits; Vol. 7: Le défaut qu’il faut. Idiome, idios, idiotie. Das Manuskript des erwähnten vierten Bandes wurde am 01.09.2017 von Stiegler an Freunde und Kollegen verschickt. Der Band blieb bisher im Original unveröffentlicht. Dan Ross hat eine bislang ebenso unveröffentlichte englische Übersetzung des Bandes angefertigt: Technics and Time 4. Faculties and Functions of Noesis in the Post-Truth Age. 5 Blanchot: »Über einen Epochenwechsel«, S. 134. 6 Die Differenz des »Wer« und des »Was« organisiert den zweiten Teil von Stieglers Technik und Zeit: Der Fehler des Epimetheus, der der Lektüre von Heideggers Sein und Zeit gewidmet ist und dabei insbesondere die »Hypothese einer technologischen Zeit (der Zeit des Was), die konstitutiv für die Zeitlichkeit des Wer ist« (S. 275, Hervorhebungen im Original), ausarbeitet (Stiegler, Bernard (2009): Technik und Zeit. Der Fehler des Epimetheus. Zürich/Berlin: Diaphanes). 7 Diese drei Phasen hat Daniel Ross überzeugend unterschieden in seiner Einleitung zu Stieglers The Neganthropocene (Ross, Daniel (2018): »Introduction«. In: Stiegler: The Neganthropocene, S. 7-32, hier S. 22-26). 8 Blanchot: »Über einen Epochenwechsel«, S. 136 (Hervorhebung E.H.). 9 Blanchot: »Über einen Epochenwechsel«, S. 140. Blanchot operiert hier terminologisch – über die Problematik der (Un-)Verfügbarkeit der Technik, die an die Stelle der Unverfügbarkeit des Kapitals tritt, beides Variationen der Grunderfahrung einer »Nicht-Verfügbarkeit der Geschichte« (Heinz-Dieter Kittsteiner) – in nächster Nähe zum Diskurs des reactionary modernism (Jeffrey Herf). 10 Blanchot: »Über einen Epochenwechsel«, S. 144. Blanchot erwägt, dass wir uns »das Recht auf eine Sprache« geben könnten, »in der die Kategorien, die sie bisher zu tragen schienen, ihre Geltungsmacht verlieren: Einheit, Identität, Vorrang des Selben, Erfordernis des Ich-Subjekts – Kategorien, die von ihrem Mangel postuliert werden und zwar ausgehend von ihrer Abwesenheit als das Versprechen ihres Kommens in der Zeit und durch die Arbeit der Zeit.« (Blanchot: L’Entretien Infini, S. 406 (Übers. E.H.)). 11 Blanchot: L’Éntretien infini, S. 409. Genau darum geht es im zweiten Teil von »Sur un changement d’époque: l’exigence du retour«, der den Text von 1960 supplementiert. 12 Stieglers Geschichtskonstruktion, die im Sinne Blanchots mit dem Stil der Geschichte bricht, lässt sich als eine technologische Auslegung von Derridas Denken der différance begreifen. Stiegler, Bernard (2011): »Allgemeine Organologie und positive Pharmakologie«. Übersetzt von Ksymena Wojtyczka. In: Hörl, Erich (Hg.): Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Berlin: Suhrkamp, S. 110-146, hier S. 131-146; ders. (2009): »Derrida und die Technologie«. In: Stiegler, Bernard: Denken bis an die Grenzen der Maschine. Hg. v. Erich Hörl. Übersetzt von Ksymena Wojtyczka. Zürich und Berlin: Diaphanes, S. 111-153. 13 D.h. im Ende eines bestimmten Begriffs und Sinns von Geschichte, der Geschichte selber oder als solcher, des Kollektivsingulars der Geschichte, dessen Hervortreten in der sogenannten ›Sattelzeit‹ (1750-1850) Reinhart Koselleck beschrieben hat. Vgl. auch Hörl, Erich (2023): »The Break In and With History: Nancy’s Thinking of History in Light of the Disruptive Condition«. In: Lindberg, Susanna / Magun, Artemy / Tatari, Marita (Hgg.): Thinking With – Jean-Luc Nancy. Zürich: Diaphanes, S. 185-199. 14 Stiegler: Der Fehler des Epimetheus, S. 290. 15 Vgl. Stiegler: Der Fehler des Epimetheus, S. 298. 16 Im Sinne von Althussers Verständnis einer Problematik vereinigt, wie zu sehen sein wird, die Epochenproblematik die wesentlichen Elemente von Stieglers Denken. 17 Vgl. §§31 u. 32 von Husserl, Edmund (1992): Ideen zu einer reinen Phänomenologie. Gesammelte Schriften 5. Hg. v. Elisabeth Ströker. Hamburg: Felix Meiner Verlag. Epoché (griech. ›anhalten‹) meint ursprünglich in der pyrrhonischen – der ältesten griechischen Form der – Skepsis eine grundsätzliche »Urteilsenthaltung« aus der Einsicht in die Ungewissheit allen Wissens, ein »Innehalten« mit der Suche nach dem Wahren, eine »Zurückhaltung«, Aufgabe des Strebens, überhaupt jemals aus der unhintergehbaren Urteilslosigkeit herauszukommen. Der Begriff bezeichnet also eine eigentümliche und weitreichende Form der Suspension, die mit einer ganzen Existenzweise verbunden ist und die erst in der Moderne umgearbeitet wird zum bloß methodischen Zweifel und zu einer entsprechenden Operation des Subjekts, ein voraussetzungsloses Erkennen herzustellen (Vgl. Malte Hossenfelders »Einleitung« in das von ihm herausgegebene Werk von Sextus Empiricus (1985): Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 9-88). 18 Stiegler, Bernard (1996) : La technique et le temps. 2. La désorientation. Paris: Galilée, S. 15. Dieses und auch alle folgenden Zitate Stieglers daraus wurden von Laura Strack und mir aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. 19 Stiegler, Bernard (2014 [1986]): »Programs of the improbable, short circuits of the unheard-of«. In: Diacritics, 42/1, S. 70-109, hier S. 84 f. 20 Stiegler: »Programs of the improbable«, S. 84. 21 Stiegler: »Programs of the improbable«, S. 86. 22 Durchgespielt wird das entlang der Unterbrechung der Schrift, die eine neue Epoche – die Zeit der Geschichte – eröffnet. Und diese ganze Reflexion auf die technologische Bedingung geschieht bereits hier im Lichte der neuen technologischen Bedingung der epokhē, der informatischen oder digitalen epokhē, die sich laut Stiegler, eben das zeigt bereits die ganze Virulenz des Unterfangens an und den Horizont der sich in diesem Denken zunehmend ausdrückende Sorge, bei all ihren deterritorialisierenden und detemporalisierenden Effekten als wenig produktiv erweist, was die nötigen Verdoppelungen betrifft, die eine neue Epoche eröffnen, als wenig gastfreundlich dem Unwahrscheinlichen, Unerhörten, Außergewöhnlichen gegenüber, das eine neue epochale Programmatik erschafft und das förmlich eliminiert zu werden droht (Vgl. Stiegler: »Programs of the improbable« S. 94). 23 Stiegler, Bernard (2007): Zum Akt. Übersetzt von Elisa Barth und Alexandre Plank. Berlin: Merve, S. 43 f. 24 Vgl. Stiegler: Der Fehler des Epimetheus. S. 243-266. 25 Vgl. Stiegler: Der Fehler des Epimetheus, S. 301-310, insb. S. 306. Die lineare und phonologische Schrift wird hier als »eine programmatische épokhè« angesetzt. Auf S. 304 ist gar von der »epimetheische(n) epochale(n) Verdoppelung« die Rede: »Und was ist eine Epoche des Seins, was ist das Epochale? Die Epochalität ist immer eine epimetheische epochale Verdoppelung (Verdoppelung des Fehlers des Prometheus, der den ursprünglichen Fehler des Epimetheus verdoppelt).« 26 Stiegler: Der Fehler des Epimetheus, S. 335. Stiegler zitiert diese Stelle in extenso in Qu’appelle-t-on panser? (S. 53). Diese »existenziale Epochalität« (Stiegler: Technik und Zeit, S. 335), die die geschichtliche Epochalität vorbereitet, würde einer geduldigen Auslegung bedürfen, ich muss es hier aus Zeitgründen als bloße archäologische Markierung stehen lassen. 27 Das hat Stiegler selbst gesehen. Er verweist in Qu’appelle-t-on- panser? (S. 141) im Vorbeigehen darauf, dass der Begriff der ›doppelten epochalen Verdoppelung‹ die gesamte Arbeit, die nach Der Fehler des Epimetheus geleistet worden wäre, unterstützt und trägt. 28 Ich möchte an dieser Stelle auf die absolut originäre Differenz von Problem und Frage hinweisen, wie sie Stiegler entwirft: »Das Problem ist das, was ein exosomatischer Schock bewirkt, und die Frage ist das, was sich darum zu kümmern versucht – wo heilen denken heißt.« (Stiegler : Qu’appelle-t-on panser?, S. 71 f.). 29 Stiegler : La désorientation, S. 74 f. 30 Stiegler sieht schließlich, ungeheuerlicher Verdacht, die objektive Dekonstruktion sogar in gewisser Weise verwickelt in die entropozäne Bewegung der Denoetisierung und totalen Proletarisierung – und zumindest da, wo sie sich ihrerseits einem Denken des Techno-Logischen verweigert, etwa durch ihr Vergessen des Problems der Sorge, verwickelt in die Ideologie der Disruption. Vgl. Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 148 f. 31 Stiegler, Bernard (2019): The Age of Disruption. Technology and Madness in Computational Capitalism. Übersetzt von Daniel Ross. Cambridge: Polity, S. 14 f. 32 Stiegler: „What is Called Caring?«, S. 191. 33 Stiegler: »What is Called Caring?«, S. 191 f. 34 Stiegler, Bernard: »The Anthropocene and Neganthropology«. In: Stiegler: The Neganthropocene, S. 24-50, hier S. 36. 35 Auch dies ist immer noch ein Gespräch mit Blanchot, denn Blanchot hat auch den Text »L’Interruption« aus 1964 in L‘Entretien infini aufgenommen: Auch hier geht es um das »Innehalten« [arrêt] und ein »Aussetzen« [intermittence]; und hier heißt es auch: »die Unterbrechung [interruption] macht die Zukunft möglich« (Blanchot, Maurice (2010): »Unterbrechung«. Übersetzt von Marcus Coelen. In: ders.: Das Neutrale. Philosophische Schriften und Fragmente. Hg. von Marcus Coelen. Zürich und Berlin: Diaphanes, S. 171-177, hier S. 172). 36 Stiegler: »What is Called Caring?«, S. 198. (Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Text zu einem kleinen Teil (S. 191-204) Auszüge aus Qu’appelle-t-on panser? enthält: die Abschnitte 30-36.) Derrida untersucht das »Privileg des Fragens« bei Heidegger in Derrida, Jacques (1998): Vom Geist. Heidegger und die Frage. Übersetzt von Alexander García Düttmann. Frankfurt/Main: Suhrkamp, insb. S. 16 ff. Derrida verweist hier auch bereits auf die »nicht befragte Möglichkeit der Frage« und darauf, dass »das Privileg der Frage schon etwas mit der Irreduktibilität der Technik zu tun« hat. Pharmakon, altgr. ›Gift‹ und ›Heilmittel‹, ist der zentrale Begriff von Stieglers Pharmakologie der Technik. Jedes technische Objekt ist demnach pharmakologisch, d.h. Gift und Heilmittel zugleich. »The pharmakon is at once what enables care to be taken and that of which care must be taken – in the sense that it is necessary to pay attention: its power is curative to the immeasurable extent [dans la mesure et la démesure] that it is also destructive.« (Stiegler, Bernard (2013): What Makes Life Worth Living. Übersetzt von Daniel Ross. Cambridge/UK: Polity, S. 4) Für die Skizze einer »Pharmakologie der Frage« vgl. Stiegler: What Makes Life Worth Living, S. 101-118. 37 Vgl. Stiegler, »What is Called Caring?«, S. 214 f. 38 Stiegler: »What is Called Caring?«, S. 209. 39 Stiegler: In the Age of Disruption, S. 35. 40 Die Formel »›Epoche‹ der Abwesenheit von Epoche« (mit dem Zusatz: »oder Epoche der Programmindustrien«), die unsere Epoche beschreiben soll, taucht zum ersten Mal bereits in Der Fehler des Epimetheus auf (Stiegler: Der Fehler des Epimetheus,S. 279). Allerdings wird sie erst später präziser und mit großer diagnostischer Reichweite ausgearbeitet. 41 Das Weltlose, um das es hier geht, betrifft strenggenommen beide Bedeutungen des Weltbegriffs, wie sie Badiou so treffend unterschied: als »Sinnhorizont jeglicher Erfahrung« und »als logische Figur, als konsistente Distribution des Erscheinens«. Vgl. Badiou, Alain (2018): Der zeitgenössische Nihilismus. Bilder der Gegenwart I. Wien: Passagen, S. 85, bzw. S. 80. Der Weltbegriff Stieglers bleibt genauer auszuarbeiten. Zu Granels Denken des Weltlosen vgl. Hörl, Erich (2020): »Die Problematik Granels«. In: Granel, Gérard: Die totale Produktion. Technik, Kapital und die Logik der Unendlichkeit. Hg. von Erich Hörl, übersetzt von Laura Strack. Wien: Turia+Kant, S. 7-37). 42 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 51. 43 Ich habe diese Zeit-Form unter dem Titel der »Zeit-Form der Environmentalität« ausgearbeitet. Vgl. Hörl, Erich (2021): »Critique of Environmentality: On the World-Wide Axiomatics of Environmentalitarian Time«. Übersetzt von Nils F. Schott. In: Hörl, Erich/ Pinkrah, Nelly/ Warnsholdt, Lotte (Hgg.): Critique and the Digital. Zürich: Diaphanes, S. 109-144. 44 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 143. 45 Stiegler: Dans la Disruption, S. 39. 46 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 57. 47 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 58. 48 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 128. 49 Stiegler: »What is Called Caring?«, S. 268. 50 Die zeitliche Bestimmung der Sorgenstruktur als »Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-)als-Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)« wird bei Heidegger in den §§41 u. 65 von Sein und Zeit formuliert. Ich kann an dieser Stelle dem Sorgeproblem nicht mehr im Detail folgen. Aber – das ist der springende Punkt – Stiegler fokussiert seine späte Heideggerlektüre zunehmend auf das Problem der Sorge, problematisiert immer wieder, dass Derridas Heidegger-Lektüren genau diese Aufmerksamkeit für das Sorgeproblem fehlt. Von hier aus wäre auch der problematische Ort der Dekonstruktion in der Disruption zu markieren: sammelt sie vielleicht am Ende, gerade durch das Vergessen der Sorge, nur »die Defabrikation vorheriger noetischer Kreisläufe durch die disruptiven Fabrikationen des Kapitalismus« auf? Vgl. Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 150. 51 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 77; Vgl. auch S. 149-159. 52 Stiegler: »The Anthropocene and Neganthropology«, S. 36. Auf die In-Frage-Stellung durch die Technologie antworten zu können ist im Kern das Vermögen der doppelten epochalen Verdoppelung. 53 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 155. 54 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 158. 55 Stiegler: »The Anthropocene and Neganthropology«, S. 45. 56 Vgl. Stiegler: »What is Called Caring?«, S. 206-9. Zum Begriff der »general organology« vgl. z.B. Stiegler: »The Anthropocene and Neganthropology«, S. 43-45. 57 Verena Andermatt Conley hat eine insbesondere immanenzphilosophische, Menschen und Nicht-Menschen gleichermaßen betreffende Neuauslegung des Sorgeproblems rund um die Frage des Möglichen und neuer Wege des Werdens beobachtet. (Vgl. Conley, Verena A. (2016): »The Care of the Possible. In: Cultural Politics, 12/4, S. 339-354). Stiegler wäre nicht nur in diese Erneuerungsoperation mit einzutragen, sondern er formuliert womöglich sogar deren geschichtliche Gründe und erkennt deren Epochalität. 58 Vgl. Hörl, Erich (2004): »Parmenideische Variationen. McCulloch, Heidegger und das kybernetische Ende der Philosophie«. In: Pias, Claus (Hg.): Cybernetics – Kybernetik. The Macy-Conferences 1946-1953. Essays & Dokumente. Zürich-Berlin: Diaphanes, S. 209-225. 59 Stieglers Ersetzung des ›e› durch ein ›a‹ wiederholt dabei Heideggers zentrale Operation aus der Vorlesung Was heißt Denken?, die die nämliche Ersetzung vollzieht: hier wird, freilich auf etymologischer Grundlage, ›Denken‹ als ein ›Danken‹ – »der höchste Dank« – ausgelegt. Vgl. Heidegger, Martin (2002): Was heißt Denken?. Gesamtausgabe Band 8. Frankfurt/Main: Klostermann. (Ich danke Lars Koch für den Hinweis). 60 Derrida, Jacques (1974): Grammatologie. Übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 20. 61 Ders.(1988): »Die différance«. Übersetzt von Eva Pfaffenberger-Brückner. In: ders.: Randgänge der Philosophie. Wien: Passagen, S. 29-52, hier S. 33. 62 Derrida: »Die différance«, S. 47. 63 Stiegler: Qu’appelle-t-on panser?, S. 163 f. 64 Adorno, Theodor W. (1975): Negative Dialektik. Gesammelte Schriften Band 6. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 29. 65 Stiegler: Dans la disruption, S. 44. Und vergessen wir nicht: Die »zeitgenössische Melancholie«, wie sie hier am Ende eines Werkes erscheint, antwortet letztlich auf »die ewige Melancholie des genos anthropos«, die bereits in Der Fehler des Epimetheus festgestellt worden war. Vgl. Stiegler: Technik und Zeit, S. 249.