Jonas Nesselhauf: Zur lyrischen Inszenierung ‚natürlicher Heimat‘ — Der Blick auf den ‚Heimatplaneten‘ in Durs Grünbeins Gedicht Tacchini (2014)

Abstract: Das kurze Gedicht „Tacchini“ des deutschen Lyrikers Durs Grünbein, 1962 in Dresden geboren, aus dem Zyklus Cyrano, oder: Die Rückkehr vom Mond (2014), nimmt sich einem fast schon vergessenen lyrischen Topos an: Denn noch ein klassisches (Sehnsuchts-)Symbol in Gedichten des 18. und 19. Jahrhunderts, scheint die Lyrik der Gegenwart deutlich das Interesse am Mond verloren zu haben. Diese regelrechte ‚Entmystifizierung‘ mag an der ersten Mondlandung liegen, seit aus dem Erdtrabanten im Sommer 1969 ein nun konkret ‚erreichbarer‘ Ort geworden ist. Doch die ‚Eroberung‘ des Weltalls hatte auch einen überraschenden Nebeneffekt, nämlich die ‚Wiederentdeckung‘ der Erde, führte doch der Blick auf den ‚Heimatplaneten‘ erstmals zu einer bewussten Reflektion des Umgangs mit der Natur.
Grünbein greift diese Bedeutungsverschiebung auf, wenn sein Zyklus nun den Topos lyrischer Mondgedichte regelrecht zu dekonstruieren scheint oder die Perspektive dezidiert vom Mond auf die Erde gerichtet wird. So inszeniert das Gedicht „Tacchini“ einen ‚Blick von oben‘ auf die Erde und dreht damit die klassische Betrachterposition um; vielmehr beschreibt das lyrische Ich die vom Weltraum aus sichtbare menschliche Zivilisationstätigkeit und die Eingriffe in die Umwelt.
In Dialog mit philosophischen Ansätzen von Richard Buckminster-Fuller und Günther Anders sowie der Theorie des Anthropozän gesetzt, soll Grünbeins Gedicht der Ausgangspunkt für eine Diskussion des Konzepts vom ‚Heimatplaneten‘ darstellen und die Grenzen ‚natürlicher Heimat‘ hinterfragen.

The short poem “Tacchini” by German poet Durs Grünbein, born 1962 in Dresden, from his cycle Cyrano, oder: Die Rückkehr vom Mond (2014), takes on an almost forgotten lyrical topos: Being a classic symbol in 18th and 19th century poems, the moon apparently became less present in recent poetry. The reason for this proper ‘demystification’ may have been the first actual landing in 1969, making the moon a ‘mere’ place within reach. But the ‘conquest’ of space also had a surprising side effect, namely, the ‘rediscovery’ of the Earth, when the view on the ‘home planet’ led for the first time to a deliberate reflection on the relation between humans and nature.
Grünbein refers to this shift of meaning when his cycle seems to deconstruct the history of moon poems by introducing the new perspective from the moon to the Earth. Thereby, “Tacchini” adopts the ‘view from above’ and thus reverses the classical observing position when the lyrical narrator describes traces of human civilization and environmental pollution visible from outer space. Set in dialogue with philosophical approaches by Richard Buckminster-Fuller and Günther Anders as well as the Anthropocene theory, Grünbein’s poem will be the starting point for a discussion of the concept of the ‘home planet’ and the boundaries of the ‘natural home’.

Keywords: Whole Earth, Spaceship Earth, Durs Grünbein, Lyrik, Heimatplanet, Richard Buckminster- Fuller, Günther Anders

1. Nachts aber strahlen die Städte. Ein geiles Glitzern
2. Dringt aus den Ballungszentren durch alle Sphären,
3. Daß die Sterne verblassen, der Mond ergraut.
4. Sie nennen es Lichtschmutz, und meinen den Dunst,
5. Der die Erde umschleiert. Von ihrer Raumstation
6. Schaut die Crew voller Wehmut herab auf das Fest.
7. Weithin sind die Urstromtäler erhellt, elektrifiziert
8. Die Küsten, in den Wüsten die Casino-Oasen.
9. Tritt ein, Cyrano, in den Kristallpalast Erde.

Das kurze Gedicht „Tacchini“ des deutschen Lyrikers Durs Grünbein, 1962 in Dresden geboren, entstammt dem Zyklus Cyrano, oder: Die Rückkehr vom Mond (2014) (Grünbein 2014, 89). Diese lyrische Sammlung besteht aus 84 Gedichten, in acht Sektionen gruppiert, und nimmt sich eines fast schon vergessenen Topos‘ an: Denn, noch ein klassisches (Sehnsuchts-) Symbol in Gedichten des 18. und 19. Jahrhunderts, scheint die Lyrik der Gegenwart deutlich das Interesse am Mond verloren zu haben. Diese regelrechte ‚Entmystifizierung‘ mag auch nicht zuletzt an der ersten tatsächlichen Mondlandung von Apollo 11 liegen, seit aus dem Erdtrabanten im Sommer 1969 ein nun konkret ‚erreichbarer‘ Ort geworden ist.

Doch die ‚Eroberung‘ des Weltalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte auch einen überraschenden Nebeneffekt, nämlich die ‚Wiederentdeckung‘ der Erde, führte doch der Blick auf den ‚Heimatplaneten‘ erstmals zu einer bewussten Reflektion des Umgangs mit der Natur. Die einflussreiche „Earthrise“-Fotografie vom Dezember 1968 bzw. die „Blue Marble“-Fotografie vom Dezember 1972 wurden von der Umweltschutzbewegung der Zeit aufgegriffen, und so ermöglichte die Perspektive von oben nun einerseits eine damit verbundene ‚Neuentdeckung‘ der Erde durch die ‚Außensicht‘, während diese planetare Perspektive andererseits zu einem völlig neuen Verständnis systemischer Zusammenhänge führte. Dies brachte spannende Metaphern und Denkfiguren hervor, die zunächst Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs – etwa die Erde als „riesenhaftes Artifizium“ (Sloterdijk 2011, 94) oder als Raumfahrzeug, als Personifikation der ‚göttliche‘ Gaia bzw. als das Bewusstsein der idealen Bedingungen für (pflanzliches, tierisches und menschliches) Leben oder als „Life Support System“ –, dann auch in Kunst und Literatur fanden.

Auch Grünbein greift diese Bedeutungsverschiebung der späten 1960er Jahre auf, wenn sein Zyklus nun den Topos lyrischer Mondgedichte regelrecht zu dekonstruieren scheint und die Perspektive dezidiert vom Mond auf die Erde gerichtet wird – etwa im kurzen, auch paratextuell auf dem Schutzumschlag der Erstausgabe abgedruckten Gedicht „Tacchini“, das einen ‚Blick von oben‘ auf die Erde wirft und damit die klassische Betrachterposition der Lyrikgeschichte umkehrt. Durch die ideengeschichtliche Verbindung von Konzepten Richard Buckminster-Fullers und Günther Anders’ wie auch der Anthropozän-Hypothese, sollen zunächst theoretische Ansätze des ‚Heimatplaneten‘ und der Erde als ‚natürlicher Heimat‘ umrissen und anschließend in einem zweiten Schritt mit Grünbeins Gedicht zusammengebracht werden.

1 ‚Heimatraumschiff‘ ohne Bedienungsanleitung (Richard Buckminster-Fuller)

In den vergangenen Jahren ist ein Text des US-amerikanischen Architekten Richard Buckminster-Fuller (1895–1983) regelrecht ‚wiederentdeckt‘ worden, in dem der visionäre Baumeister, Designer und Philosoph seine Überlegungen eines ‚Raumschiffs Erde‘ zusammenträgt. „We are all astronauts.“ (Buckminster-Fuller 2008, 56), fasst er in seinem Operating Manual for Spaceship Earth(1968) zusammen, bevor Buckminster-Fuller „our spherical Spaceship Earth“ (Buckminster-Fuller 2008, 56) beschreibt und die Funktionsweisen dieses „big planetary spaceship“ (Buckminster-Fuller 2008, 58) erläutert.

Sein Blick ist dabei ein unverkennbar technologisch-naturwissenschaftlicher und ebenso pragmatischer: Die Erde ist unsere Heimat (unser ‚Heimatplanet‘), weil sich dort aufgrund optimaler Rahmenbedingungen organisches Leben generell und menschliches Leben speziell entwickeln konnte:

Spaceship Earth was so extraordinarily well invented and designed that to our knowledge humans have been on board it for two million years not even knowing that they were on board a ship. And our spaceship is so superbly designed as to be able to keep life regenerating on board despite the phenomenon, entropy, by which all local physical systems lose energy. (Buckminster-Fuller 2008, 58)

So begünstigten und ermöglichten der ideale Abstand zur Sonne, gleichzeitig (vor einer zu starken UV-Einstrahlung) schützende Faktoren oder auch die breite Flora und Fauna der Erde überhaupt erst die Entwicklung menschlichen Lebens und damit menschlicher Zivilisationstätigkeit. Aufgrund dieser glücklichen und (im Vergleich zu anderen Planeten unseres Sonnensystems) einzigartigen astronomischen und biologischen Grundkonstellation,1 wählt Buckminster-Fuller die Metapher eines durch das All schwebenden ‚Raumschiffs Erde‘. Dies geht einher mit einer Überführung der ‚natürlichen Heimat‘ (im Sinne eines biologischen ‚Lebensraums‘ oder ‚Biotopos‘) in ein technologisches Dispositiv (nämlich ‚Raumschiff‘) und ist vor dem Hintergrund der Fortschrittsbegeisterung während des bisherigen Höhepunkts menschlicher Raumfahrt wenig überraschend.2

Auffällig ist jedoch, dass Buckminster-Fuller den ‚Schöpfer‘ (oder besser: den ‚Konstrukteur‘) dieser „integrally-designed machine“ (Buckminster-Fuller 2008, 60) ausklammert, und einerseits menschliche ‚Errungenschaften‘ wie die Neolithische Revolution (und in deren Folge: systematischer Ackerbau und Viehzucht) wie auch menschliche Erfindungen (etwa Chemie oder Kernenergie) andererseits in einem Atemzug als logische Konsequenz dieser idealen Ausgangslage anführt. Denn letztlich ist ja auch der Mensch – denke man an Charles Darwins On the Origin of Species (1859) – kaum mehr als ein ‚evolutionäres Zufallsprodukt‘, und folglich auch alle daraus resultierenden Zivilisationstätigkeiten.

Und dies bedeutet letztlich, dass ‚Spaceship Earth‘ zwar die ‚natürliche Heimat‘ der Menschheit ist, insofern es keine andere gibt und sie theoretisch ideale Bedingungen für das Leben auf ihr bietet, die Erde selbst aber ihre Natürlichkeit im Sinne nicht-menschlicher Agenzialität verloren hat. Schließlich hat sich der Mensch nicht nur (geologisch und lokal begrenzt) durch Rodungen, die Begradigung von Flüssen oder die Trockenlegung von Feuchtgebieten nachhaltig in die Erdgeschichte eingeschrieben, sondern ebenso (global) durch Abgase die Atmosphäre verschmutzt (‚Ozonloch‘) oder durch Kernwaffentests seit 1945 radioaktive Strahlung (mit unterschiedlicher Halbwertszeit) freigesetzt.

Eine solche inzwischen teilweise nicht mehr rückgängig zu machende ‚menschliche Handschrift‘ ist auf eine zentrale Eigenschaft dieses ‚irdischen Raumschiffs‘ zurückzuführen – denn für das ‚Spaceship Earth‘ liegt keine Bedienungsanleitung vor:

I would say that designed into this Spaceship Earth's total wealth was a big safety factor which allowed man to be very ignorant for a long time until he had amassed enough experiences from which to extract progressively the system of generalized principles governing the increases of energy managing advantages over environment. (Buckminster-Fuller 2008, 61)

Buckminster-Fullers Argumentation lässt sich hier leicht als eine durchaus prokapitalistische Position verstehen, wonach die bisherige Ausbeutung der Natur erst die Fortschritte der Industriellen Revolution oder der ‚großen Beschleunigung‘ (great acceleration) überhaupt möglich gemacht hätten. Dies scheint letztlich auch den Umgang des Menschen mit der Natur zu legitimieren, schließlich haben Eingriffe in die natürliche Umwelt den menschlichen Fortschritt erst vorangebracht und das moderne Lebensniveau überhaupt ermöglicht. Eine solche Argumentation ist jedoch nicht ungefährlich, denn natürlich schließt sich daran die Frage an: ‚Wann ist es genug?‘ Also: Ab welchem Zeitpunkt müssen Industrie und Wissenschaft hinter den Umweltschutz zurücktreten, auch wenn dies Einschränkungen bedeutet?

Es ist ein interessanter Zufall, dass noch im Jahr des Erscheinens von Buckminster-Fullers Spaceship Earth-Traktat auch der „Club of Rome“ gegründet wird, der 1972 seinen Bericht unter dem Titel The Limits to Growth vorlegen und die Wunschvorstellung eines ‚grenzenlosen Wachstums‘ auf globaler Ebene beenden wird.3 Diese spätere Erkenntnis wird bereits bei Buckminster-Fuller in einem „entirely new relationship to the universe“ (Buckminster-Fuller 2008, 66) antizipiert:

This is the essence of human evolution upon Spaceship Earth. If the present planting of humanity upon Spaceship Earth cannot comprehend this inexorable process and discipline itself to serve exclusively that function of metaphysical mastering of the physical it will be discontinued, and its potential mission in universe will be carried on by the metaphysically endowed capabilities of other beings on other spaceship planets of universe. (Buckminster-Fuller 2008, 46)

Und tatsächlich hat Buckminster-Fullers Metapher des „Spaceship Earth“ zur Popularisierung einer wichtigen Erkenntnis beigetragen, nämlich zum Verständnis systemischer Zusammenhänge auf planetarer Ebene.

Dies wurde beispielsweise in den 1970er Jahren weitergeführt, am prominentesten sicherlich mit der sogenannten „Gaia-Hypothese“ der Mikrobiologin Lynn Margulis (1938–2011) und des Chemikers James Lovelock (1919–). Diese (bis heute durchaus umstrittene) Theorie modelliert den Planeten nun nicht mehr als technologisches Raumschiff, sondern geht davon aus, dass die Erde ähnlich einem gigantischen ‚Lebewesen‘ funktioniere, der ein Umfeld für organisches Leben schaffe, sich selbst reguliere und somit Eingriffe und Veränderungen (vor allem in die Atmosphäre) auf lokaler Ebene ausgleichen könne.

Eine solche Vorstellung der „biosphere as an active adaptive control system able to maintain the Earth in homeostasis“ (Lovelock/Margulis 1974, 3) wirft allerdings die Frage auf – und das ist einer der Knackpunkte der Hypothese –, ob es sich dabei um einen bewussten, aktiven Vorgang handelt. Also: Reagiert die Erde als ‚Gaia‘ selbst und mit Blick auf die Erhaltung der Lebensbedingungen auf Abweichungen jeglicher Art, oder werden lediglich passive Prozesse in Gang gesetzt? (Lovelock/Margulis 1974, 8f.).

What makes the Gaia hypothesis interesting is that it proposes that the beneficence of Nature is neither an accident nor the work of a benevolent deity, but instead is the inevitable result of interactions between organisms and their environment. (Kirchner 2002, 392)

Somit ist das Zusammenspiel zwischen ‚Gaia‘ und der Menschheit äußert fragil und erinnert an eine symbiotische Gemeinschaft; dies bedeutet aber auch, dass die Folgen menschlicher Eingriffe (wie die Veränderung der Vegetation durch Rodungen oder Monokulturen, die Konsequenzen invasiver Tier- und Pflanzenarten, die Ausbeutung von Bodenschätzen, die Ausrottung oder gentechnische Veränderung von Tieren und Pflanzen, die Verschmutzung der Erdatmosphäre oder der Ozeane usw.) nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden können: „The Gaia hypothesis implies that the stable state of our planet includes man as a part of, or a partner in a very democratic entity“ (Lovelock 1979, 145).

In diesem Sinne unterstreichen sowohl die Metapher des „Spaceship Earth“ wie auch die Gaia-Hypothese als Denkmodelle die systemischen Zusammenhänge auf planetarer Perspektive, die Menschheit als handelndes Kollektiv, und die Erde als menschliches Leben befördernde ‚natürliche Heimat‘. Doch gerade dieser Aspekt ist problematisch, und statt einer ‚Technologisierung‘ (Raumschiff) oder ‚Personifikation‘ (‚Gaia‘4) von Natur wäre die Frage spannender, inwieweit es denn überhaupt (noch) eine ‚natürliche Heimat‘ geben kann, wenn menschliche Eingriffe durch die Kernenergie (Atombombe, Kernschmelzen), Genetik (Reproduktives Klonen, gentechnisch veränderte Organismen, transgene Nutzpflanzen) oder Abfälle und Abgase (Öl, Giftmüll, Plastik, CO2-Ausstoß) die ‚ursprüngliche‘ Natürlichkeit des Planeten auf dem Land, im Wasser und in der Luft dauerhaft zerstört haben.

Bereits am Ende der 1980er Jahre sprach der US-amerikanische Umweltaktivist Bill McKibben (1960–) vom „end of nature“ (McKibben 2006, 7), und inzwischen gehen Wissenschaftler*innen davon aus, dass drei Viertel der Erdoberfläche längst aus „Anthromen“ besteht, also aus vom Menschen überformten ökologischen Großlebensräumen – nun nicht mehr Biome genannt, sondern „human biomes“. (Ellis/Ramankutty 2008, 445) Damit ist ‚Natur‘ mittlerweile in großem (und planetarem) Maßstab anthropogen, vom Menschen kultiviert und nachhaltig verändert.

Mit dem Wissen um die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur in planetarer Perspektive oder der Begrenztheit natürlicher Ressourcen kann es somit längst nicht mehr um die Anpassung der Natur an die Bedürfnisse des Menschen gehen, sondern darum, dass sich der Mensch in seinem Leben der Natur anpasst:

In organizing our grand strategy we must first discover where we are now; that is, what our present navigational position in the universal scheme of evolution is. To begin our position-fixing aboard our Spaceship Earth we must first acknowledge that the abundance of immediately consumable, obviously desirable or utterly essential resources have been sufficient until now to allow us to carry on despite our ignorance. (Buckminster-Fuller 2008, 65)

Dieses ‚we‘ versteht die Menschheit als handelndes Kollektiv – eine Einschätzung, die nicht nur sehr idealistisch erscheint, sondern bei der Veröffentlichung von Buckminster-Fullers Text absolut utopisch war. Denn Mitten im Kalten Krieg, im Jahr der Tet-Offensive in Vietnam, dem Guerillakampf der Roten Khmer in Kambodscha und einer Hungerkatastrophe in Nigeria, ist sowohl ein gemeinsamer Nenner in dieser Diskussion oder gar ein vereintes Handeln kaum vorstellbar.5 Bezeichnenderweise waren es dann ausgerechnet Fortschritte in der Raumfahrt, die ein neues und globales Bewusstsein für den ‚blauen Planeten‘ schaffen sollten.

2 Der Blick von oben, oder: Ein neuer ‚Zuhause-Begriff‘ (Günther Anders)

Vielleicht auch auf eine gewisse ‚Ernüchterung‘ zurückzuführen, (noch) kein außerirdisches Leben gefunden zu haben, hat das Interesse am Mond und der ‚Eroberung‘ des Weltalls in den Jahrzehnten nach 1969 spürbar nachgelassen. Der Wettlauf zum Mond – während des ‚Kalten Krieges‘ zu einem regelrechten ‚Stellvertreterkrieg‘ zwischen USA und UdSSR und damit zu einem ‚Nebenkriegsschauplatz‘ des technologischen Aufrüstens geworden – ist längst entschieden, der Weg zum Mars noch zu weit und viele Raumprogramme aus Kostengründen reduziert oder gar eingespart.6 Stattdessen liegt ein Schwerpunkt der Investitionen derzeit auf der (Weiter-)Entwicklung von Raumsonden und Satelliten, beispielsweise für wissenschaftliche Missionen zu anderen Planeten (etwa mit der Raumsonde „Juno“, die 2016 die Umlaufbahn des Jupiters erreicht hat) oder für den Ausbau von Satellitennavigationssystemen (wie dem US-amerikanischen „GPS“ oder dem europäischen „Galileo“).

Diese Schwerpunktverschiebung von bemannten Raumflügen – teilweise ähnlich ‚kolonialistisch‘ anmutend wie die ‚Entdeckungsreisen‘ des 16. bis 18. Jahrhunderts auf der Erde – hin zu ‚beobachtenden‘ Satelliten ist keinesfalls überraschend und spiegelt das in den 1960er Jahren aufgekommene Interesse an einer neuen, dauerhaften Perspektive auf den ‚Heimatplaneten‘, angeregt durch die fotografischen Aufnahmen der ‚blauen Kugel‘ im schwarzen Raum des Weltalls. Denn dieser Blick auf das ‚Eigene‘ aus der Ferne ist eine verstetigte Umkehrung der bisherigen Perspektive, die über Jahrtausende darin bestand, von der Erde aus Aussagen über das Verhältnis innerhalb des Sonnensystems zu treffen – und weder den Kosmologen der antiken Hochkulturen in Mittelamerika, Mesopotamien oder Griechenland noch den vormodernen Astrologen wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Galileo Galilei (1564–1642) oder Johannes Kepler (1571–1630) stand dieser Blick von außen für ihre wissenschaftlichen Vermutungen zur Verfügung.

Diese „umgekehrte Astronomie“ (Sloterdijk 1990, 57) ermöglicht seit den 1960er Jahren mit NASA-Aufnahmen wie „Earthrise“ oder „Blue Marble“ nun aber nicht nur dem Menschen erstmals einen verlässlichen Blick auf ebenjenen Raum, den er (im Falle des homo sapiens) seit etwa 300.000 Jahren bewohnt, und den er bis zu diesem Zeitpunkt ‚höchstens‘ von Bergen oder Türmen in sehr begrenztem Rahmen aus überblicken konnte. Denn vor allem eröffnet der Blick von außen neue Informationen über die Erde selbst (Boulding 2017, 29) – was in planetarem Maßstab erst mit der Raumfahrt (nämlich der nötigen Distanz und dem ‚Überblick‘) möglich wurde.7

Der Grundstein dafür wurde bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelegt, als das US-amerikanische Raketenprogramm des National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) um Wernher von Braun (1912–1977) von New Mexico aus Raketen auf Grundlage der deutschen „V2“ etwa 90 Kilometer hoch in die Erdatmosphäre schießt. Die dabei gemachten schwarz-weiß-Aufnahmen zeigen bereits deutlich die Erdkrümmung und – so ein beteiligter Wissenschaftler kurz darauf im Magazin National Geographic – „the V2 photos showed for the first time how our Earth would look to visitors from another planet coming in a spaceship“ (Vázquez/Pallé/Montañés 2010, 10). Und nahezu gleichzeitig vermutet der britische Astronom Fred Hoyle:

Once a photograph of the Earth, taken from outside is available […], once let the sheer isolation of the Earth become plain to every man whatever his nationality or creed, and a new idea as powerful as any in history will be let loose. (Hoyle 1960, 9f.)

Und tatsächlich führten die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren von der NASA veröffentlichten Fotografien stellvertretend zum ‚kollektiven‘ Erleben einer bis dahin nicht gekannten Perspektive, die ohnehin nur sehr wenige Menschen tatsächlich mit eigenen Augen sehen konnten. So machte der ‚Heimatplanet‘ auf die Astronauten und Kosmonauten „einen zauberhaften, einen wundervollen, zugleich aber auch verletzlichen Eindruck“ (Merbold 1986, 216f.), etwa wenn sich James Irwin (1930–1991), Pilot der Apollo 15-Mission, erinnert:

That beautiful, warm, living object looked so fragile, so delicate, that if you touched it with a finger it would crumble and fall apart. Seeing this has to change a man, has to make a man appreciate the creation of God and the love of God. (Kelley 1989, 82)8

Es brauche wohl gerade die Höhe und die Perspektive von oben, wie der vietnamesische Kosmonaut Pham Tuan (1947–) nach seiner Rückkehr resümiert, „um die Erde, die so vieles durchlitten hat, besser zu verstehen und manches zu erkennen, was aus der Nähe nicht wahrgenommen werden kann“ (Kelley 1989, 143). Dieses als „overview effect“ (White 1998, 4f.) bekannt gewordene Phänomen des ‚überwältigenden‘ wie ‚erschreckenden‘ Anblicks zugleich betraf alle Raumfahrer*innen, unabhängig von ihrer Nationalität (bzw. in dieser Zeit: unabhängig von „Ost“ oder „West“), und führte somit zu einer ersten wahrlich ‚kollektiven‘ Erfahrung als gesamte Menschheit, die ‚Ganzheitlichkeit‘ der nun vorliegenden Fotos („whole Earth“) spiegelnd (Nitzke/Pethes 2017, 8).

In einem zweiten Schritt führten die NASA-Fotografien „unserer nie zuvor aus solcher Ferne gesehenen und dadurch aufs abenteuerlichste verfremdeten und wahrgemachten Erdkugel“ (Anders 1994, 90) als Perspektivwechsel schließlich auch zu einem Diskurswandel, wie der Philosoph Günther Anders (1902–1992) in seiner Schrift Der Blick vom Mond (1970)9 nachzeichnet: Dieser ‚Blick von oben‘ habe weniger dazu beigetragen, die bisherigen wissenschaftlichen Annahmen endgültig zu bestätigen10 – Galileo wurde ohnehin erst 1992 durch die katholische Kirche rehabilitiert – denn zu einem ‚Schock‘ über die ‚Winzigkeit‘ und scheinbare ‚Zerbrechlichkeit‘ der Erdkugel geführt (Anders 1994, 60, 65). Die (vielleicht schmerzhafte, auf jeden Fall aber Kopernikus bestätigende) Erkenntnis, dass die Erde nicht den Mittelpunkt des Universums darstellt, sondern lediglich ein Planet wie jeder andere ist, (Anders 1994, 60, 63) geht mit dem Bewusstsein der Erde als eines ‚Raumschiffes‘ einher, das unablässig durch das All fliegt (Anders 1994, 61).

Man könnte hier, im Sinne von Jacques Lacans ‚Spiegelstadium‘, von der planetaren Perspektive als einem radikalen Moment der Selbsterkenntnis und der eigenen Bewusstwerdung sprechen. Denn dieses nun einsetzende „kosmische […] Minderwertigkeitsgefühl“ (Anders 1994, 61), der „Verlust der Egozentrik“ (61) und die „neue Degradierung“ (64) wirken aber, so scheint es, als katharsis – als ‚reinigende‘ Erkenntnis und als „Selbstbegegnung der Erde“ (89). Vor allem aber betreffen sie die gesamte Menschheit, die (ähnlich wie auch bei Buckminster-Fuller) in planetarer Perspektive zu einem Kollektiv, zu einem handelnden ‚Wir‘ wird:

Seit der Explosion der ersten Atombombe besteht die sehr reale Möglichkeit, da[ss] wir unseren Erdball in eine tote Kugel verwandeln. Ist es nicht höchst sonderbar und vielleicht mehr als eine Koinzidenz, da[ss] wir in derselben Epoche, in der wir fähig geworden sind, dieses Totsein herzustellen, auch fähig geworden sind, das Bild des toten Planeten mit eigenen Augen zu sehen? (Anders 1994, 67)

Der ‚neue‘ Blick auf die Erde bedeutet damit auch, die Erde neu zu entdecken. Denn ausgerechnet mit der Veröffentlichung der NASA-Aufnahmen lagen nun Fotos der Erde vor, die als Symbol der ‚Zerbrechlichkeit‘ und als Mahnung vor grenzenlosem Wachstum zur Umweltschutzbewegung beitrugen.11 Dieser Weg vom Foto zu einem kollektiven Verständnis, vom fotografischen Bild der Welt zu einem allgemeinen Weltbild, knüpft durchaus an Martin Heidegger (1889–1976) und dessen im Jahre 1938 gehaltenen Vortrag „Die Zeit des Weltbildes“ an, wo der Philosoph gut drei Jahrzehnte vor „Earthrise“ und „Blue Marble“ feststellte: „Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild“ (Heidegger 1980, 92) – und das eben nicht nur im Sinne einer fotografischen Aufnahme, sondern einer kollektiven Vorstellung:

Weltbild, wesentlich verstanden, meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen. Das Seiende im Ganzen wird jetzt so genommen, da[ss] es erst und nur seiend ist, sofern es durch den vorstellend-herstellenden Menschen gestellt ist. (Heidegger 1980, 87)12

Gerade das Medium der Fotografie als ‚objektive‘ Form der Abbildung „verleiht der Erde Evidenz“ (Sachs 1992, 16) und scheint durch die Visualität eine andere Aussagekraft zu erzeugen als dies vereinfachte Modelle (wie etwa ein auf den Westen zentrierter Globus) je könnten. Die eindrücklichen und ikonischen Aufnahmen der Erde aus dem Weltall führten damit nicht nur zu einer Reflektion unseres Umgangs mit der natürlichen Umwelt (Poole 2008, 9f.), sondern unterstrichen ebenso die Notwendigkeit für einen neuen ‚Zuhause-Begriff‘ (Anders 1994, 127), der nun idealerweise eine globale, planetare Perspektive umfasst.

3 ‚Natürliche Heimat‘ im Anthropozän

Der Begriff einer ‚natürlichen Heimat‘ klingt – besonders nach dem bereits proklamierten ‚Ende der Natur‘ und im Zeitalter der „Anthrome“ – zunächst nach einer anachronistischen Utopie und erscheint schwierig, denn zwar unterstreichen Philosophen wie Zygmunt Bauman (1925–2017) unsere ‚Identität‘ als „‚natural home‘“, (Baumann 2001, 15) doch ist diese ‚natürliche Heimat‘13 längst nicht mehr

available in our rapidly privatized and individualized, fast globalizing world, and for that reason [it] can be safely, with no fear of practical test, imagined as a cosy shelter of security and confidence and for that reason hotly desired. (Baumann 2001, 15f.)

Folgt man dieser Argumentation, wäre eine ‚Heimat‘ aufgrund der Globalisierung kaum noch möglich, wohl aber eine ‚globale‘ Heimat. Ein solcher globaler Kosmopolitismus könnte den altmodisch erscheinenden Begriff ‚Heimat‘ für die Welt der (nahezu) offenen Märkte und Grenzen im frühen 21. Jahrhundert aktualisieren und die Erde als ‚Heimatplanet‘ verstehen – auch wenn dieser Begriff politisch durchaus heikel ist, was sich sehr gut am Beispiel der NASA und einem vergleichenden Blick auf deren selbstformulierte Zielsetzungen zeigt (NASA 2018, 14, 23):

Year Vision Mission
2003 To improve life here,

To extend life there,

To find life beyond.

To understand and protect our home planet,

To explore the universe and search for life,

To inspire the next generation of explorers

…as only NASA can.

2006 To advance U.S. scientific, security, and economic interests through a robust space exploration program. To pioneer the future in space exploration, scientific discovery, and aeronautics research.
2011 To reach for new heights and reveal the unknown, so that what we do and learn will benefit all humankind. Drive advances in science, technology, and exploration to enhance knowledge, education, innovation, economic vitality, and stewardship of Earth.
2014 We reach for new heights and reveal the unknown for the benefit of humankind. Drive advances in science, technology, aeronautics, and space exploration to enhance knowledge, education, innovation, economic vitality, and stewardship of Earth.
2018 To discover and expand knowledge for the benefit of humanity. Lead an innovative and sustainable program of exploration with commercial and international partners to enable human expansion across the Solar System and bring new knowledge and opportunities back to Earth. Support growth of the Nation’s economy in space and aeronautics, increase understanding of the Universe and our place in it, work with industry to improve America’s aerospace technologies, and advance American leadership.

So gab es im Jahre 2006 starke Kritik an der Löschung der Formulierung des Begriffs ‚Heimatplaneten‘ („home planet“) aus dem ‚Mission Statement‘ der US-amerikanischen Raumfahrtagentur bei einer gleichzeitigen Aufwertung naturwissenschaftlicher Versuche und extraterrestrischer Entdeckungen (Reykin 2006). Man vermutete vielmehr, die neue und ‚progressiv‘ ausgerichtete Devise könnte zu Lasten weiterer Bemühungen um Umweltschutz und Nachhaltigkeit gehen: Da die offizielle Agenda einer Bundesbehörde ja nicht nur die bindenden Leitlinien der nächsten Jahre vorgibt, sondern beispielsweise ebenso Auswirkungen auf die Förderung bestehender Projektvorhaben und künftiger Forschungsanträge hat, war nun eine Schwerpunktverschiebung von der Erde (Klima und Klimawandel, Atmosphäre usw.) hin zur Wiederaufnahme bemannter Raumfahrtprogramme richtungweisend. Umso auffälliger wiederum sind die beiden unter der Präsidentschaft von Barack Obama verfassten ‚Mission Statements‘ von 2011 und 2014, die dezidiert von einem „stewardship of Earth“ sprechen.14

Die Idee eines solchen planetaren „stewardship“ ist inzwischen eng verbunden mit dem Konzept des Anthropozän, das in dieser Form und Benennung vom Atmosphärenchemiker Paul Crutzen (1933–) und dem Biologen Eugene Stoermer (1934–2012) zur Jahrtausendwende in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht wurde.15 Die Grundaussage ist nicht neu, nun aber aufgrund des interdisziplinären Blicks und zahlreicher wissenschaftlicher Ergebnisse erstmals fundiert zu beweisen: Der Mensch hat in der (im relativen Vergleich der Erdgeschichte) verhältnismäßig kurzen Zeit seiner Zivilisationstätigkeit dauerhafte Spuren hinterlassen, die Umwelt in planetarem Maßstab beeinflusst und teils irreversible Schäden in der Biosphäre verursacht.

Eine Arbeitsgruppe innerhalb der „International Union of Geological Sciences“ (IUGS) gab im Sommer 2016 nach mehr als ein halbes Jahrzehnt dauernden Beratungen die Empfehlung, das Anthropozän als neues Erdzeitalter auf das Holozän (die seit etwa 11.700 Jahren andauernde Warmzeit) folgen zu lassen. Würde dieser Vorschlag abschließend angenommen werden – mit einer endgültigen Entscheidung ist wohl zu Beginn des nächsten Jahrzehnts zu rechnen – wäre dies revolutionär und erschreckend zugleich, schließlich würden nun nicht mehr (nur) Klimaschwankungen wie Eis- oder Warmzeiten, sondern gar ein ‚menschgemachter Klimawandel‘ die Erdgeschichte beeinflussen.

Klimawissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass eine (von vielen) Erkenntnissen des Anthropozän daher lauten müsse, der Mensch solle sich seiner Verantwortung bewusst werden und gezielt auf globaler Ebene handeln (Vgl. Dürbeck 2015, 107–119). Immer wieder wird dabei vom Menschen als ‚steward‘ gesprochen – ein Begriff, der bereits in ähnlicher Weise von den zurückkehrenden Raumfahrer*innen gebraucht wurde, etwa wenn der sowjetische Sojus 14-Kosmonaut Juri Artjuchin (1930–1998) feststellte:

Es spielt keine Rolle, in welchem See oder Meer du Verschmutzungen entdeckt hast, in den Wäldern welches Landes du das Ausbrechen von Bränden bemerkt hast, oder über welchem Kontinent ein Wirbelsturm entsteht. Du bist der Hüter deiner ganzen Erde. (Kelley 1989, 122)

Das „Paris Agreement“ von 2015 ist zweifellos ein wichtiger Schritt zu einem globalen „stewardship“, wenn sich hier alle Nationen der Welt16 zur ‚Zwei-Grad-Grenze‘ bekennen, doch meint der Begriff des ‚steward‘ ja nicht nur den eher passiven ‚Beschützer‘ oder ‚(Be-)Hüter‘, sondern kann auch den ‚Verwalter‘ oder gar den produktiven ‚Gestalter‘ der Erde zur Bedeutung haben:

We are the first generation with widespread knowledge of how our activities influence the Earth System, and thus the first generation with the power and the responsibility to change our relationship with the planet. Responsible stewardship entails emulating nature in terms of resource use and waste transformation and recycling, and the transformation of agricultural, energy and transport systems. (Steffen et al 2011, 19)

Und so fordern inzwischen zahlreiche Wissenschaftler*innen, die sich für das Konzept des Anthropozän aussprechen, ein aktives „planetary stewardship“, das mit Verfahren wie dem sogenannten „Geo-Engineering“ oder der Idee einer „Technosphäre“ (erneut) in die natürliche Umwelt eingreifen soll. Diese Erscheinungsformen einer regelrechten ‚Management-Perspektive‘ auf das Anthropozän hat allerdings nur schwer absehbare Nebenwirkungen und ‚unintended consequences‘ und stellen ein großes Risiko dar.

4 Rückkehr vom Mond

Der kulturgeschichtlich neue Blickwinkel durch fotografische Aufnahmen wie „Earthrise“ oder „Blue Marble“ kehrt aber nicht nur die Perspektive um, sondern hat auch Folgen für die Tradition der ‚Mondbetrachtung‘ als klassisch lyrischem und bildkünstlerischem Topos (Nesselhauf 2014, 49–64). Denn nach Jahrhunderten von in den Himmel blickenden Dichtern und Malern weicht die Verklärung des Erdtrabanten im 19. Jahrhundert mit neuen astronomischen Erkenntnissen und einer zunehmenden technologischen Entwicklung (zunächst von Teleskopen, später von Fluggeräten) zunehmend dem Gefühl der Ungeduld. So schrieb etwa der Weimarer ‚Dichterfürst‘ Johann Wolfgang Goethe im April 1800 an seinen Kollegen Friedrich Schiller, längst wolle man den Mond nicht mehr „nur empfinden“: „Jetzt will man ihn sehen“ (Briefwechsel 1829, 275).

Vermeintliche wissenschaftliche Entdeckungen – selbst Immanuel Kant forschte über die „Vulkane im Monde“ (1785) – und gar historische ‚Fake News‘ wie der „Great Moon Hoax“ vom Sommer 183517 trieben die ‚Science Fiction‘ als neues literarisches Genre (etwa mit Werken von Edgar Allan Poe oder Jules Verne18) an. Die Literatur wird hier zum Imaginationsraum dessen, was noch nicht wirklich erfahrbar oder technisch möglich ist.

Dies scheint sich jedoch mit der Mondlandung als ‚Medienereignis‘ (Engell 2008, 150–171) und ‚modernem Mythos‘ (Schetsche 2014, 263–266) abzuschwächen oder gar umzukehren: Nach 1969 lässt das Interesse am Mond und Mondflügen in Literatur und Film deutlich nach und führt im Zuge der entstehenden Umweltbewegung zu einem ähnlichen Perspektivwechsel auf die Erde:

Das große Erlebnis auf dieser Mondfahrt war nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt; nicht das Unbekannte, sondern das Bekannte; nicht das Fremde, sondern das Verfremdete; nicht der Mond, sondern die Erde. (Anders 1994, 89)

So resümiert das erzählende Ich der Kurzgeschichte Excelsior! We’re going to the Moon! Excelsior! (1969) des US-amerikanischen Schriftstellers Kurt Vonnegut – drei Tage vor dem Start von Apollo 11 und eine Woche vor der Mondlandung erschienen! – paradigmatisch19:

Earth is such a pretty blue and pink and white pearl in the pictures NASA sent me. It looks so clean. You can’t see all the hungry, angry Earthlings down there—and the smoke and the sewage and trash and sophisticated weaponry (Vonnegut 2006, 85).

Auch hier führt die Perspektive von oben zur Selbstreflektion – nun allerdings als ein vermeintlich ‚gereinigter‘ Blick: Denn die Vergrößerung spart natürlich den Hunger oder die Gewalt zwischen den ‚Erdlingen‘ (eine passenderweise aus der Science Fiction stammende Bezeichnung) aus und legt den Fokus nur auf den Planeten als solchen. Die vermeintliche ‚Reinheit‘ ist daher letztlich auch nur eine Frage der Skalierung, zeigt diese Betrachterperspektive doch keine sichtbaren Spuren menschlicher Zivilisationstätigkeit und suggeriert vielmehr eine ‚Natürlichkeit‘ der Erde (Nitzke 2017, 3ff.).

Der Gedichtband Cyrano, oder: Die Rückkehr vom Mond knüpft an diesen Perspektivwechsel literarisch an. Durs Grünbein ist dabei keinesfalls der erste Schriftsteller, der sich in Gedichten mit dem selbstreflexiven Blick auf die Erde auseinandersetzt (Nesselhauf 2019, 143–166; Paulsen 2018, 131–149) – spannend aber sind die gleich mehrfachen Reflektionsebenen der lyrischen Sammlung. So verweist ja bereits der Titel einerseits auf den Schriftsteller Cyrano de Bergerac (1619–1655), dessen L’Histoire comique des États et Empires de la Lune (posthum 1657) zu den einflussreichsten utopischen Romanen der europäischen Literaturgeschichte zählt. Gleichzeitig wird mit der Rückkehr (als letzter Station des Monomythos nach Joseph Campbell (2008) auf die „‚Weltraumhelden‘“ (Anders 1994, 27) Bezug genommen, die durch ihre Perspektive nun mit einem neuen ‚Wissen‘ auf die Erde zurückkehren.

Wie jedes der 84 Gedichte ist auch „Tacchini“ nach einem Mondkrater betitelt20 und freirhythmisch gestaltet; es besteht aus drei Strophen mit jeweils drei (und damit insgesamt: neun) Versen ohne durchgängiges Reimschema. Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass jede Strophe über die drei Verse hinweg aus zwei vollständigen und abgeschlossenen Sätzen besteht, die aber jeweils einmal pro Strophe durch ein hartes Enjambement aufgebrochen werden.21

Ort und Zeit werden direkt zum Einstieg mit der antithetischen Konjunktion „aber“ vorgestellt, wobei der Gegensatz (wahrscheinlich: „tagsüber“) ungenannt bleibt. Denn nachts ist das ‚geile Glitzern‘ (/g/-Alliteration) der „Ballungszentren“22 weithin sichtbar und lässt „die Sterne verblassen“ und den ‚Mond ergrauen‘. Diese erste Strophe knüpft an die ikonischen Fotografien (und inzwischen: Tweets23) der Raumfahrer*innen an, allerdings lässt der ‚objektive‘ Blick von außen vermuten, dass der ‚ungetrübte‘ Blick in den Himmel (in der Lyrik und der Wirklichkeit) nicht mehr möglich ist, die Sterne und der Mond – der ja (von der Erd-Perspektive aus) selbst nur angestrahlt wird – längst vom irdischen Licht des hell erleuchteten ‚Raumschiff Erde‘ überblendet werden.

Dies setzt sich in der zweiten Strophe fort, wenn die Erde nun durch die Lichtimmission quasi künstlich „umschleiert“ wird, also der menschliche Einfluss (man könnte von einer regelrechten ‚Strahlkraft‘ sprechen) längst bis in die Erdatmosphäre reicht. Das elektrische Licht steht hier paradigmatisch und pars pro toto für den technologischen Fortschritt, der längst den jahrtausendealten Tag-Nacht-Rhythmus aufhebt, und gleicht, die Anthropozän-Hypothese aufgreifend, als Form der Zivilisationstätigkeit und als menschlicher ‚Abdruck‘, einem anthropogenen ‚Einschreiben‘ in die verschiedenen Schichten der Atmosphäre.24

Die Natur wird somit durch die Technologie in den Schatten gestellt – „die Sterne verblassen, der Mond ergraut“ – und verliert ihre ‚Reinheit‘, die in der Lyrikgeschichte eigentlich gerade besungen wurde: Das poetische Bild vom ‚silbernen Mond‘25 und den ‚goldnen Sternlein‘26, deren ‚klarer und reiner‘ Schein27 aufhellt, ‚was Nacht ist‘28, dürfte angesichts der Lichtverschmutzung für immer der Vergangenheit angehören. Dementsprechend wird in Grünbeins Gedicht der menschliche Einfluss („Städte“/„Ballungszentren“ und „Casino-Oasen“29) durch die neue Betrachterperspektive von außen rahmend der Natur („Sterne“, „Mond“ und „Urstromtäler“, „Küsten“) gegenübergestellt. Das lyrische Ich beschreibt den (ambivalenten30) Blick der Raumfahrer*innen auf die hell erleuchtete Erde als großes „Fest“, was durchaus als Kritik an (Ressourcen-)Verschwendung und Exzess verstanden werden kann. Andererseits mag die vom Weltraum aus sichtbare menschliche Zivilisationstätigkeit inzwischen auch schlicht als gegenwärtiger Zustand festgestellt werden. In diesem Sinne scheint der nicht mehr aufzuhaltende technologische Fortschritt, der kolonialistisch die ‚Natürlichkeit‘ der Erde unterwirft, schließlich im abschließenden Bild vom „Kristallpalast Erde“31 zu kulminieren.

Dies lässt eine ‚neue Natürlichkeit‘ des ‚Heimatplaneten‘ vermuten, und das durchaus im Sinne von Buckminster-Fullers technologischer Denkfigur des „Spaceship Earth“, wenn das durch die Atmosphäre schimmernde Licht der Großstädte regelrecht zur Außenbeleuchtung des ‚Raumschiffs‘ wird. Und ohnehin unterstreicht der Blick auf die gesamte Erde – nicht nur auf einen bestimmten Erdteil oder lediglich auf die westlichen Industrienationen – die planetare Perspektive des Anthropozän. Die ‚natürliche Heimat‘ existiert, wie von Bauman konstatiert, nur noch in der Imagination und ist im frühen 21. Jahrhundert einer ‚globalen Heimat‘ gewichen.

Eine solche ‚Bewusstwerdung‘ setzt zwar spät ein, hoffentlich jedoch nicht zu spät. Denn sowohl als natürlicher wie auch als globaler ‚Heimatplanet‘ wird die Erde und ihre Zukunft (und damit verbunden auch die Zukunft der Menschen) ja insofern prekär, als dass sich die Menschheit in gerade jenem Moment als Weltenmacher setzt, an dem sie erkennt, von der Weltgestaltungsfähigkeit auf unheimliche Weise wieder eingeholt zu werden. Damit bietet das Konzept des Anthropozän selbst keine Lösungsansätze, es erzeugt jedoch die Reflektionsgrundlage für Veränderungen.

Dementsprechend muss sich auch die Lyrik anpassen: Indem Grünbeins Gedicht „Tacchini“ den Blick von oben als Reflektionsperspektive und Moment der (Selbst-)Erkenntnis wählt und durch die Skalierung eine globale Dimension einnimmt, und indem sein Zyklus Cyrano, oder: Die Rückkehr vom Mond mit lyrischen Traditionslinien spielt und diese postmodern bricht32, bemüht er sich um eine engagierte Lyrik im Zeitalter des Anthropozän. Denn gerade Kunst und Literatur könnten als Vermittler theoretische Diskussionen und Ansätze aufgreifen und einem breiten Publikum zugänglich machen – und das natürlich besonders eindrücklich im Blick von oben auf die Erde, sei es in Grünbeins Gedicht oder in millionenfach aufgerufenen Tweets und Instagram-Postings von Astronauten.

Literatur

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Fußnoten

1 Vgl. dazu die auf Erkenntnissen des britischen Astronomen Fred Hoyle (1915–2001) aufbauende These des ‚anthropischen Prinzips‘ (d.h. unser Universum ist exakt so beschaffen, dass es (menschliches) Leben ermöglicht), die letztlich zur Stringtheorie und der Multiversen-Hypothese führte. 2 Buckminster-Fullers Text – erstmals 1968 in der Southern Illinois University Press erschienen – wurde damit ja nur wenige Monate vor der Landung von Apollo 11 auf dem Mond veröffentlicht. 3 Vor diesem Hintergrund deutet der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk (1947–) Buckminster-Fuller um und stellt fest: „[D]as Raumschiff Erde besitzt keine Ausgänge, weder für den Notfall noch für den Normalfall.“ (Sloterdijk 2011, 94f.) 4 Dieser von Lovelock im Gespräch mit dem Schriftsteller William Golding (1911–1993) gewählte Begriff geht auf die gleichnamige Urgöttin zurück, die in der griechischen Mythologie aus dem Chaos hervorgeht und sich mit Uranos vereint und so Berge und Meere sowie die erste Generation der Götter ‚gebiert‘ (vgl. Hesiod: „Theogonie.“ In: Ders.: Werke in einem Band. Berlin: Aufbau 1994, S. 1–42, hier S. 4 f. und S. 8 f.). Diese Benennung unterstreicht natürlich erneut die Gaia der Lovelock'schen Hypothese als eine ‚beschützende Mutterfigur‘ („Mutter Erde“), später bereute Lovelock allerdings offenbar, sich von einem Dichter zu dieser aufgeladenen Namensgebung angeregt haben zu lassen (vgl. Clark 2017, 85f.). 5 Dies ist auch heute noch bei den UN-Klimakonferenzen ein zähes Ringen – zwar konnte beispielsweise im „Paris Agreement“ vom Dezember 2015 der Versuch festgeschrieben werden, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, doch kündigten die USA unter Präsident Donald Trump im Sommer 2017 an, zum Jahr 2020 (als einzige Nation der Welt) aus dem Klimaprotokoll aussteigen zu wollen. 6 Die US-amerikanische Weltraumbehörde NASA hat das Space Shuttle-Programm im Jahre 2011 eingestellt, sodass für Versorgungs- und Transportflüge zur Internationalen Raumstation (ISS) nun auf die russischen Sojus-Raketen zurückgegriffen wird. Pläne für eine dauerhafte Mondbasis wurden von der NASA zwischenzeitlich auf Eis gelegt, und auch die russische Weltraumorganisation Roskosmos arbeitet derzeit an keinen neuen Mondmissionen. Dafür ist aber die Volksrepublik China inzwischen in der Lage, bemannte Raumflüge durchzuführen und plant bis Mitte des kommenden Jahrzehnts die Landung eines Taikonauten auf dem Mond. Die von US-Präsident Donald Trump geplante Einführung einer „United States Space Force“ als sechster Zweig der Streitkräfte und deren mögliches Aufgabenspektrum bleibt abzuwarten. 7 Natürlich ebenso durch technologische Fortschritte in der Fotografie. 8 Eine solche Verbindung zwischen Raumfahrt und Religion (Edgar Mitchell (1930–2016) erinnerte sich: „My view of our planet was a glimpse of divinity.“ (ebd., o.P. [S. 94])) ist in diesen Jahren keine Seltenheit, beispielsweise wenn die Besatzung von Apollo 8 aus ihrem Shuttle zu Weihnachten aus der Schöpfungsgeschichte vorlas oder die „Earthrise“-Fotografie im Jahre 1969 vom United States Postal Service als sechs Cent-Briefmarke mit der Aufschrift „In the beginnig God…“ herausgegeben wurde. 9 Der Text erschien bereits in den Jahren 1963 und 1969 zu Teilen in der Zeitschrift 'Merkur' und erst 1970 als Buchausgabe. 10 Etwa mit dem durch den reinen Blick aus größerer Distanz endgültig erbrachten Nachweis, dass die Erde eine ‚Kugel‘ und zweifellos keine flache ‚Scheibe‘ ist. 11 Wenig überraschend verweist daher beispielsweise auch Bill McKibben in 'The End of Nature' (S. xiv) auf die NASA-Aufnahmen. 12 An anderer Stelle (und viele Jahre vor den ersten Fotoaufnahmen aus dem All) äußerte Heidegger die Sorge, die ‚Erde als Erde preiszugeben‘, was einer regelrechten ‚Entzauberung‘ gleichkäme; in 'Unterwegs zur Sprache' (1959) schreibt er: „Weil jedoch das heutige Denken immer entschiedener und ausschließlicher zum Rechnen wird, setzt es alle nur bestellbaren Kräfte und ‚Interessen‘ daran, zu errechnen, wie sich der Mensch demnächst im weltlosen kosmischen Raum einrichten könnte. Dieses Denken ist im Begriff, die Erde als Erde preiszugeben.“ (Heidegger 1985, 189f.) 13 So übrigens auch die deutsche Übersetzung von Frank Jakubzik (vgl. Bauman 2009, 23). 14 Die unter Präsident Donald Trump gefassten Ziele wiederum rücken von diesem „stewardship“ deutlich ab und heben vielmehr die wirtschaftlichen Interessen („commercial“, „economy“) sowie eine US-amerikanische Vormachtsstellung („American leadership“) hervor, die ja auch mit der vom White House geplanten „Space Force“ (vgl. Fußnote 6 zuvor) einhergehen. 15 Zunächst in einem kurzen und eher ‚unscheinbaren‘ Artikel (Crutzen/Stoermer 2000, 16–17), später dann in der Fachzeitschrift 'Nature' (Crutzen 2002, 23). 16 Vgl. Fußnote 5 zuvor. 17 In der 'New York Sun' erscheint Ende August 1835 eine Aufsehen erregende und weltweit nachgedruckte Artikelserie des vermeintlichen Astronomen Sir John Herschel, der neben fliegenden Wesen auch eine erdähnliche Vegetation auf dem Mond beobachtet haben will (vgl. Becker 2014, 149ff.). 18 Vgl. etwa Edgar Allan Poes Kurzgeschichte 'The Unparalleled Adventure of One Hans Pfaall' (1835) oder Jules Vernes Romane 'De la Terre à la Lune' (1865) und 'Autour de la Lune' (1870). 19 Erstveröffentlichung im 'New York Times Magazine' vom 13. Juli 1969, S. 9–11. 20 Der fast kreisrunde Krater mit einem Durchmesser von etwa 42 Kilometern – benannt nach dem italienischen Astronom Pietro Tacchini (1838–1905) – befindet sich am östlichen Rand der Mondvorderseite (vgl. ). 21 Dabei werden entweder Subjekt und Prädikat (vgl. „Glitzern / dringt“ (Verse 1/2) und „elektrifiziert [sind] / die Küsten“ (Verse 7/8)) oder Objekt und Prädikat (vgl. „Raumstation / schaut“ (Verse 5/6)) getrennt. Diese syntaktischen Brüche können durchaus in einen poetologischen Zusammenhang zwischen Form und Inhalt gestellt werden, schließlich thematisiert das Gedicht ja gerade die Zerstörung von ‚Natürlichkeit‘. Dass dennoch jeder neue Vers mit einer Majuskel beginnt, kann dementsprechend als Versuch der Ordnung und Vereinheitlichung (und als ein Eingriff in die ‚Natur‘ der Sprache) verstanden werden. 22 Hier, wie auch beim „Lichtschmutz“ danach, scheint das lyrische Ich auf den wissenschaftlichen Fachbegriff zurückgreifen zu müssen, und es nicht bei einer poetischen Umschreibung ausdrücken zu wollen (oder zu können). 23 Vgl. etwa die tausendfach abgerufenen Tweets des deutschen Astronauten Alexander Gerst, der bei seinem ersten Einsatz auf der Internationalen Raumstation im Jahre 2014 beispielsweise Aufnahmen verschiedener Landstriche oder der schützenden Atmosphäre ( vom 06.06.2014; vom 21.09.2014) machte. Ein Foto von aus dem Weltraum sichtbaren Polarlichtern kommentierte er: „Manchmal scheint es fast so, als sei unser Planet ein lebendiges Wesen“ ( vom 14.09.2014). 24 Die internationale Raumstation ISS umkreist die Erde in etwa 400 km Höhe, also noch innerhalb der bis ca. 500 km reichenden Thermosphäre; darunter liegen die Mesosphäre (bis ca. 80 km), die Stratosphäre (bis ca. 50 km) sowie die Troposphäre (bis ca. 15 km). 25 In Friedrich Gottlieb Klopstocks Gedicht „Die frühen Gräber“ (1764). 26 In Matthias Claudius’ „Abendlied“ (1779). 27 In Clemens Brentanos „Der Spinnerin Nachtlied“ (1802). 28 In Johann Gottfried Herders Gedicht „Der Mond“ (1787). 29 Sicherlich eine Referenz auf das in der Mojave-Wüste erbaute Las Vegas (in Nevada, USA) oder das am Persischen Golf errichtete Dubai (in den Vereinigten Arabischen Emiraten), die beide als künstlich errichtete Planstädte als exemplarische Beispiele einer regelrechten Hybris im Umgang mit der Natur verstanden werden können – schließlich dienen diese Anthrome nicht etwa dem landwirtschaftlichen Anbau, sondern rein der Unterhaltung. 30 Die „Wehmut“ (Vers 6) erscheint durchaus doppeldeutig – als Wunsch, am irdischen „Fest“ teilzunehmen oder als Trauer angesichts der verlorenen ‚Natürlichkeit‘. 31 Der Begriff „Kristallpalast“ wiederum – in Grünbeins Dresdner ‚Heimat‘ bis 1945 die Bezeichnung eines legendären Tanztheaters und heute der Name eines UFA-Kinos, das 1999 mit dem deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde – erinnert an den Crystal Palace in London: Das zur Weltausstellung 1851 errichtete Gebäude steht architekturgeschichtlich wie kaum ein anderes Bauwerk für den Fortschritt der Industriellen Revolution. Gleichzeitig scheint der „Kristallpalast“ letztlich aber auch Dantes „Kristallhimmel“ (der „cielo cristallino“ aus dem 28. Gesang des „Paradiso“ innerhalb seiner wohl zwischen 1307 und 1321 entstandenen 'Divina Commedia') umzudrehen. 32 Vgl. etwa Nesselhauf 2014, 58ff.