Loth/Waszynski: Problemgeschichten. ‚Rezeption‘ in Hans Blumenbergs frühen Schriften

Abstract: Der Artikel erschließt den heuristischen Stellenwert des Begriffs der Rezeption für Hans Blumenbergs frühe Schriften. Blumenberg führt diesen Begriff in seiner Dissertation (1947) zur mittelalterlich-scholastischen Ontologie ein, um eine Dynamik zu beschreiben, in der die unausdrücklichen Voraussetzungen geschichtlicher Transformationsprozesse geschaffen werden, mit der aber auch die Thematisierbarkeit ontologischer oder historischer Probleme insgesamt fraglich wird. Anhand der Sammelrezension Epochenschwelle und Rezeption (1958) und des Aufsatzes Kritik und Rezeption (1959) lässt sich verdeutlichen, dass das Konzept zwischen Kontinuität und Diskontinuität einerseits, zwischen Textzeugnissen und Latenz andererseits vermittelt. Blumenbergs früher Rezeptionsbegriff ist nicht nur, wie von Hans Robert Jauß später nahegelegt, ein Baustein der Vorgeschichte der Konstanzer Rezeptionstheorie; neben der konzeptuell-heuristischen Funktion ist mit seiner Perspektive vielmehr ein grundlegendes verfahrenstechnisches Problem verbunden, das hier als Vorform einer Philologie der Unbegrifflichkeit gefasst wird.

Keywords: Rezeption, Hans Blumenberg

1 Rezeption vs. Substanz1

Die Relevanz von Rezeptionsdispositiven in Hans Blumenbergs Schriften ist früh gesehen worden.2 Allerdings entwickelt er bereits vor der Arbeit an den großen Monographien einen eigenen Begriff der Rezeption, dessen Spuren sich von der Kieler Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit in der mittelalterlich-scholastischen Ontologie (1947),3 die erst seit Kurzem in veröffentlichter Form vorliegt,4 bis zu den Studien der späten 1950er Jahre nachzeichnen lassen. Der Stellenwert dieser frühen Überlegungen ist bislang vor allem von der Zusammenarbeit mit Hans Robert Jauß und den Vertretern der Konstanzer Schule her wahrgenommen worden: So handele es sich in Blumenbergs 1958 veröffentlichter Sammelrezension Epochenschwelle und Rezeption „gewissermaßen um eine Keimzelle der Rezeptionstheorie“; eine „ausgearbeitete Begrifflichkeit“ sei jedoch „noch nicht recht zu erkennen“.5 Jauß selbst hatte in seiner Abschiedsvorlesung anerkannt, dass es Blumenberg gewesen sei, der den Rezeptionsbegriff „[1958] in Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte […] eingebracht“ habe.6 Die Umrisse des Begriffs bleiben aber in der Tat undeutlich, wenn man sie, wie Jauß, als „Vorgeschichte“ der Rezeptionsästhetik zu fassen versucht.7

Der Grund, warum der von Blumenberg spätestens seit 1946 konsequent gebrauchte8 und durchaus scharf umrissene Begriff in Epochenschwelle und Rezeption zwölf Jahre später als noch nicht ausgearbeitet erscheint, mag darin liegen, dass er auf Verfahrensebene angebracht, d.h. an der jeweils zu diskutierenden Problemstellung ausgerichtet wird.9 Schon in der Dissertation, die zunächst als Arbeit über Martin Heidegger geplant gewesen war, ist ‚Rezeption‘ Kernstück des methodologischen Zugangs. Die These, dass „die Heideggersche Destruktion […] der Inbegriff von Blumenbergs ursprünglichem, an der rhetorischen Tradition der Antike geschulten Rezeptionsbegriff“ sei,10 benennt zwar dessen philosophische Tragweite, verstellt aber den eigentlichen Einsatzpunkt. So lässt sich anhand von im Nachlass erhaltenen Vorarbeiten zeigen, dass der Begriff in die systematische Anlage der Dissertation in dem Moment eingeht, als sie sich von Heideggers Konzept zu lösen und eine eigene Methodologie zu entwickeln beginnt.11 Die im vorliegenden Beitrag verfolgten Beobachtungen können daran anschließen: ‚Rezeption‘ ist geradezu ein Gegenentwurf zu Heideggers Destruktionskonzept und bezeichnet eine eigentümliche Frageperspektive, die sich für die unausdrücklichen Voraussetzungen und Transformationen historischer Aussagen interessiert. Im Folgenden soll der Stellenwert dieser Perspektive für Blumenbergs Historiographie beschrieben werden. Unsere leitende Überlegung ist, dass Blumenberg Rezeptionsprozesse untersucht, um einen geschichtsphänomenologischen Zugang zu einer historischen Tiefenschicht zu erlangen, die er bereits in den Beiträgen zum Problem der Ursprünglichkeit unter dem Stichwort des ‚Wirklichkeitsbegriffs‘ adressiert hat. Insofern mit dessen Ausarbeitung seit Beginn der 1960er Jahre eine entschiedene Historisierung von Wirklichkeit verbunden ist,12 wird ein an der Kontinuität der Ereignisse ausgerichtetes Geschichtsmodell zugunsten einer an ‚Problemgeschichten‘ interessierten Geschichtsschreibung abgelöst. Geschichte bezeichnet dann nicht die Summe historischer Neuerungen, die als Vorlauf der jeweils deutenden Gegenwart notwendigerweise auf diese zulaufen.13 ‚Problemgeschichte‘ hat es also weder mit Teleologie noch mit Fortschritt zu tun. Vielmehr verändert sich durch Blumenbergs Abkehr vom Ereignis hin zum Problem das, was überhaupt als historisches Phänomen verstanden werden kann: etwa Begriffe von Wirklichkeit selbst. Nimmt man in diesem Sinne Geschichte nicht als übergeordnete Ganzheit, sondern als Möglichkeitsraum und Grenze geschichtlicher Dynamiken ernst, drängt sich die Frage auf, inwiefern Epochen in ihrem von Blumenberg antimorphologisch erfassten Wandel14 beschrieben werden können, ohne Diskontinuität und den linearen Verlauf von Zeit gegeneinander auszuspielen. Blumenberg geht es also einerseits um die Frage, wie der Eigenwert geschichtlicher Epochen (Blumenbergs „Legitimität“) hinreichend erfasst werden kann. Andererseits betont gerade die Frage nach Rezeptionsprozessen sein Interesse an historischen Übergängen, insofern der Philosoph dem Wortsinn von ‚recipere‘ gemäß – „to admit [of]“, „to be willing to take, accept“, „to pull out, withdraw“, „to regain, recover“15 – unter dem (theoretischen) Stichwort ‚Rezeption‘ von Beginn an Probleme historischer „Metakinesen“ verhandelt.16 Für Blumenbergs frühe Schriften stellt sich die Frage, wie sie mit diesen unterschiedlichen Akzentuierungen umgehen: mit der erneuten Aufnahme oder der fraglosen Übernahme von etwas, mit dem Rückzug, dem Vorenthalt oder der Duldung. Vor dem Hintergrund dieser einleitenden Beobachtungen lässt sich folgende Arbeitshypothese formulieren: Blumenbergs früher Rezeptionsbegriff nutzt den ideengeschichtlich relevanten Bedeutungsumfang von ‚Rezeption‘ – „Aufnahme, Übernahme fremden Gedanken-, Kulturgutes, bes. die Übernahme des römischen Rechts“17 – gezielt, um die Darstellbarkeit geschichtlicher Prozesse zu thematisieren und die Selbstverständlichkeit des historisch jeweils Gegebenen zu hinterfragen. Möglich wird so eine Historiographie der Probleme anstelle der Ereignisse. Diese Entwicklung ist für die Metaphorologie und die historiographischen Strategien der späteren Werke grundlegend, und sie erklärt auch Blumenbergs Zurückhaltung gegenüber der Konstanzer Rezeptionsästhetik.18

2 Zwischen Zeugnis und Ereignis

Wo es Fälle von Rezeption gibt, bleiben Rezeptionsunfälle nicht aus.19 Blumenberg hat diesem Umstand einiges Interesse entgegengebracht. Der Ausdruck ‚Rezeptionsunfall‘, besonders hervorgehoben in der Überschrift eines der Schlusskapitel der Höhlenausgänge (1989), ist aber keineswegs selbsterklärend. Er zielt darauf, dass sich zwischen Produktion und Rezeption eines Textes etwas ereignet, das einem hermeneutischen Irrtum gleichkommen kann. Bezogen auf seine eigene Theorie der Geschichte sprach etwa Siegfried Kracauer in diesem Sinne davon, dass „[d]ie Geschichte der Ideen“ durchaus als eine „Geschichte von Missverständnissen“ beschreibbar sei.20 Wie eine/r gelesen werden will und wie er/sie mithin gelesen wird, auch das kann unter Umständen zur „Problemgeschichte“ geraten. Blumenberg hat das in einem seiner ‚unerlaubten Fragmente‘ am Paradigma des Kopernikus näher ausgeführt. Dieser kurze Text, überschrieben mit Paradigmawechsel. Der Autor als Produzent seines Werkes und seiner Rezeption,21 bespricht zunächst einen Vortrag Thomas S. Kuhns, den dieser ausgehend von der Frage „Was sind wissenschaftliche Revolutionen?“ am 24. Februar 1981 in München hielt. Blumenberg zeigt sich verwundert darüber, dass Kuhn den Begriff ‚Paradigmawechsel‘, wie er ihn in The Structure of Scientific Revolutions (1962) eingeführt hatte, „anläßlich der Münchener Heisenbergvorlesung […] höchst eigenhändig aus dem Verkehr zog“.22 Der kurze Nachlasstext erhebt schließlich – wie so oft bei Blumenberg – die Überschrift zur These:

Kopernikus, der sein Werk dem Papst widmete, wollte mit seiner Umkonstruktion des Planetensystems ‚rezipiert‘ werden und ließ es auf zusätzliche Risiken nicht ankommen. […] Kopernikus schrieb im Blick auf die, die ihn verstehen sollten und blieb auf dem Minimalniveau der Zumutungen an diese. Sorgfältige Leser meines Buches [gemeint ist Die Genesis der Kopernikanischen Welt] – und es hat sie sogar in Konstanz gegeben! – konnten nicht übersehen, daß ich das Mitschöpfertum der Rezipienten am Werk ablehnte, ohne den Vorrang der Rezeption damit zu nivellieren. Meine einschlägige These wäre am ehesten gewesen: Der Autor des Werkes ist auch der Autor der Rezeption desselben, die er sich ‚heranzieht‘ im Doppelsinn des Wortes. Das freilich schließt ‚revolutionäre‘ Rundumschläge oder Kahlschläge aus: produktionsästhetisch bleibt auch die Rezeptionsästhetik, sofern sie die Bedingungen am Werk selbst erkennt, wie der Autor sie als für die Akzeptanz desselben gültig erkennen konnte und beachtet hat.23

Uns interessiert hier nicht, ob diese Überlegungen nach den literaturwissenschaftlichen Debatten um Tod und Wiederauferstehung des/r Autors/in noch anschlussfähig sind. Bemerkenswert ist vor allem der Vorwurf gegenüber Konstanz. Denn Blumenbergs mit Bezug auf die Genesis der kopernikanischen Welt (1975) geäußerter Einwand legt ein Verhältnis von Rezeption und (Wissenschafts-) Geschichte nahe, das von einer produktionsästhetischen Dimension auch aufseiten der Rezeption ausgeht. Das Argument, auch die Rezeptionsästhetik bleibe mithin produktionsästhetisch, insofern sie die Bedingung der Rezeption eines Werkes an diesem selbst ablese, bringt dabei zugleich eine andere historiographische Figur Blumenbergs ins Spiel: die Vorgeschichte.24 In der „‚immanent[en] Vorgeschichte‘“ nämlich greife ein Autor auf „das Maß für die Rezeptionsbedingungen seiner Leser“ und „für deren Modifikation“ vor.25 Was Blumenberg als ‚immanente Vorgeschichte‘ fasst, bezeichnet die Vorbereitung dessen, was als Aussage in einer geschichtlichen Situation und ihren jeweiligen Gegebenheiten möglich wurde. Als solche eröffnen Vorgeschichten, was als Rezeption zum Gegenstand historiographischer Beschreibung werden kann. Vorgeschichten in Blumenbergs Verständnis umfassen deshalb immer auch das, was er schon in seinen frühen Arbeiten als „‚Spielraum‘ der Geschichte“26 zu beschreiben versuchte. In dieser Hinsicht erschließen Blumenbergs Schriften die Bedingungen der Möglichkeit von Rezeption. Sie machen aber zugleich deutlich, dass Rezeptionsprozesse bereits Teil eben dieser Bedingungen sein können. Paradox formuliert: Blumenbergs Phänomenologie der Geschichte beschreibt Rezeption als Bedingung von Rezeptionsprozessen. Die Besonderheit seines Ansatzes soll dabei darin bestehen, „die Inkongruenz von Zeugnis- und Ereignisschicht“27 in den Blick zu rücken und als gleichermaßen erkenntnistheoretisches wie historiographisches Problem erkennbar zu machen. Jauß benennt daher treffend den Einsatzpunkt, wenn er schreibt:

Seine [d.h. Blumenbergs] Interpretation der Ablösung antiker Philosophie durch die christliche Theologie der Spätantike revidiert in eins die substantialistische Auffassung von Tradition und den mythisierten Begriff des Ereignisses.28

Die als ‚Rezeptionsunfälle‘ angesprochenen Missverständnisse lassen sich von hier aus genauer fassen: Umdeutung und ‚Umbesetzung‘29 treffen sich darin, dass Rezeption als funktionales Phänomen verstanden wird, das einen geltenden Wirklichkeitsbegriff entweder stützt oder ihn fraglich werden lässt. Die hermeneutische Öffnung,30 die hier zutage tritt, betrifft dann allerdings nicht nur den ‚Spielraum‘ von ‚Epochenschwellen‘. Vielmehr birgt sie eine Funktion,31 in der Rezeption und Geschichte zusammenfallen, ohne Rezeptionsgeschichte im engeren Sinn zu sein. Es geht um die Beobachtung,

daß die Verformung und das Mißverständnis eines Gedankens oder einer Gestalt in deren Rezeptionsgeschichte etwas über den geschichtlichen Prozeß, der solche Verformung und Verständnisindifferenz bewirkt, aussagen können […].32

3 Traditionsbildung und Destruktion: Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit (1947)

In der Einleitung der Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit entwirft Blumenberg ein Konzept der Rezeption, das einerseits die Verfestigung, andererseits die Lockerung von Traditionsbeständen beschreiben soll. Es zielt damit auf die Frage, ob etwas bruchlos fortbesteht oder in Auflösung begriffen ist. Diese Unterscheidung ist der Kern des im Hauptteil begründeten und gegen Martin Heideggers Destruktionsthese aus Sein und Zeit (1927) gerichteten Arguments, die mittelalterlich-scholastische Philosophie habe bereits das traditionelle, d.h. antike Seinsverständnis durchbrochen und auch ohne die im 20. Jahrhundert an sie herangetragene Klärung ontologische Fragen ursprünglich neu aufgeworfen. Blumenbergs Auffassung von ‚Rezeption‘ bleibt zwar „an Heideggers Begriff der ‚Destruktion‘ orientiert“,33 allerdings bringen die Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit ihr Programm in Form einer Heidegger-Rezeption vor, um diese Anleihen gerade gegen Heidegger zu wenden. Kurt Flasch, der dem Begriff der Rezeption in seiner Studie zur frühen Philosophie Blumenbergs keinen großen Stellenwert beimisst, kommt zu einer etwas anderen Einschätzung: Blumenberg beziehe, indem er Konzeptionen Heideggers übernehme, klar Position gegen Edmund Husserl.34 Gleichzeitig zeige er, „daß Heidegger die Destruktion der traditionellen Ontologie ungeschichtlich“ auslege.35 Er versuche nachzuweisen, dass die mittelalterliche Ontologie die Frage nach dem Sein erstmals ‚ursprünglich‘, weil auf das Sein überhaupt gerichtet, gestellt und sich damit aus der aristotelischen Tradition der Wesensontologie befreit habe.36
Es geht Blumenberg um den Eigenwert, die Legitimität der mittelalterlichen Scholastik. Über ihr Verfahren nimmt Blumenbergs Dissertation, die gar keine philosophiehistorische Abhandlung sein will, nun aber selbst in Anspruch, was sie in der Geschichte der Ontologie als grundlegenden, sogar ‚Ursprünglichkeit‘ philosophischer Fragestellungen gewährleistenden Vorgang erkennt. Das gänzlich Neue, das Argument der eingereichten Doktorarbeit, entsteht methodisch aus einer Situation der Rezeption heraus. Blumenberg verformt Heideggers Phänomenologie, indem er die Verformungen der Rezeptionsgeschichte an die Stelle der Behauptung ursprünglichen Fragens treten lässt. Das Gerüst dazu bezieht er von Étienne Henri Gilson, dessen Verdienst es gewesen sei, „den literarisch-quellenhistorischen Begriff der direkten Rezeption […] durch den Begriff einer ursprünglichen, in der Ungebrochenheit des Wirklichkeitsbezuges selbst sich vollziehenden indirekten Rezeption [unterbaut zu haben].“37 In der ‚direkten Rezeption‘ handelt es sich um eine explizite Aufnahme, etwa in Form eines wörtlichen Zitats oder übernommenen Gedankens. Sie verfährt „literarisch ausdrücklich[]“,38 bis hin zur Schaffung „literarisch-doktrinale[r] Autorität“.39 Als herausgehobenes Beispiel einer solchen „Entlehnung von fertigen Aussagen und Denkformen“40 nennt Blumenberg die mittelalterliche Aristoteles-Rezeption.41 Während diese durch Herausbildung von Schulrichtungen einerseits in Bezug auf die Überlieferung verfestigend gewirkt habe, habe sie andererseits den mittelalterlichen Wirklichkeitsbegriff, die „lebendige[] Kontinuität der Wirklichkeitssicht“, aufgebrochen.42 Gegenüber dieser Rezeptionsweise erfasst der Begriff ‚indirekte Rezeption‘ ein latentes Geschehen. Dieses hebt einen Wirklichkeitsbegriff nicht auf, sondern trägt zunächst zu dessen Erhalt bei, indem Elemente des Früheren derart in eine gegenwärtige Wirklichkeitssicht eingegliedert werden, dass sie keinen Anlass zur Aufgabe geteilter Grundüberzeugungen bieten. Da die ‚indirekte Rezeption‘ die Bedingung der Möglichkeit bildet, sich überhaupt auf etwas beziehen zu können, das nicht selbstverständlich ist, hat sie dennoch Teil an der Lockerung des herrschenden Wirklichkeitsbegriffs. In dieser Weise hat sich das antike Denken bereits vor der direkten Aristoteles-Rezeption weitergetragen. In Verbindung mit der mittelalterlich-christlichen Ontologie konnte sich so ein gänzlich neues Seinsverständnis ausbilden. Der Unterbau der ‚indirekten‘ schafft die Voraussetzungen der ‚direkten Rezeption‘: „Erst der seiner selbst sichere und zu einer homogenen Einheit geschlossene neue Horizont gibt den Boden für eine literarisch ausdrückliche Rezeption ab.“43 Deswegen ist die „Durchbrechung der traditionellen ontologischen Interpretationsweisen“ – nämlich hinsichtlich des Verständnisses von Sein als „Hergestelltsein“, „Vorhandensein“, „Wesenheit“ oder „Gegenständlichkeit“44 – bereits in der ‚indirekten Rezeption‘ angelegt. Detailanalysen von Augustinus, Bonaventura, Thomas von Aquin und Duns Scotus sollen den Nachweis erbringen, dass das Mittelalter die Seinsfrage durchaus ‚ursprünglich‘ gestellt und nicht, wie Heidegger meint, ‚verdeckt‘ hat. Das Konzept der Rezeption ist das methodologische Mittel, das es erlaubt, unbemerkt vollzogene Umbrüche von ideengeschichtlicher wie philosophischer Bedeutsamkeit herauszuarbeiten.
Grundlegende Einsicht der ersten beiden Abschnitte der Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit ist deshalb, dass es nicht selbstverständlich ist, überhaupt von ontologischen Problemen handeln zu können, denn offenbar sind sie dem späteren Blick nicht unmittelbar zugänglich. Sie lassen sich nicht allein über Ausdrücke wie ‚Sein‘, ‚ens‘ oder ‚esse‘ erschließen. Den Fehler, nur auf das Thematische und Ausdrückliche zu achten, begeht Heidegger in seiner Einordnung der mittelalterlich-scholastischen Ontologie. Er übersieht die mittelbar aufweisbaren, d.h. auch die nicht zwingend begrifflichen Aussagemöglichkeiten. Am Konzept der Rezeption bereitet sich somit die Aufmerksamkeit für die in der Dissertation bereits angedeutete und später ausführlich erschlossene ‚Unbegrifflichkeit‘ vor.45 Im Hintergrund dieser Überlegungen lässt sich bereits eine indirekte Aufnahme des von Husserl in der Krisis-Schrift ausgearbeiteten Lebenswelt-Konzepts erkennen, und zwar hinsichtlich der Relevanz des strukturell Übersehenen. Die kurze Zeit nach der Dissertation abgeschlossene Habilitationsschrift greift dieses Konzept entschieden auf.

4 Listige Kontinuität: Epochenschwelle und Rezeption (1958)

Mit dem Vorzug der ‚indirekten‘ gegenüber der ‚direkten‘ Rezeption in den Beiträgen zum Problem der Ursprünglichkeit rücken die geschichtlichen Übergänge in den Blick. Es ist daher nicht überraschend, dass die Schwierigkeit, diese Übergänge genau zu beschreiben, seit den 1950er Jahren zur Analyse von ‚Epochenschwellen‘ führt.46 Damit hat sich für Blumenberg die Aufgabe verbunden, „das Problem der Geschichte aus seiner entmutigenden Massivität ins Faßliche zu transformieren.“47 Die „große Frage‘ nach dem, was ‚Geschichte‘ sei“,48 könne zugunsten der handlicheren Frage danach zurückgestellt werden, was „denn nun eine Epoche sei, welche Struktur der Epochenwandel habe“ und wie die schon erwähnte „Inkongruenz von Zeugnis- und Ereignisschicht zu verstehen und ob sie methodologisch zu bewältigen sei“.49 Für unseren Zusammenhang ist dabei interessant, dass Blumenberg das Problem der Epochenschwelle zunächst als Gegenstück zu Rezeptionsprozessen versteht,50 insofern Rezeption dort Kontinuität nahelegt, wo die Diskontinuität „eines radikal gewandelten Seinsverständnisses“51 bereits zum Problem des historisch jeweils geltenden ‚Wirklichkeitsbegriffs‘ geworden ist.
Im Titel einer 1958 in der Philosophischen Rundschau erschienenen Sammelrezension zu vier mit der ‚Geistesgeschichte‘ der Spätantike befassten Büchern bilden Epochenschwelle und Rezeption denn auch einen unmittelbaren Zusammenhang. Neben Arbeiten von Carl Schneider,52 Martin Werner,53 und André-Jean Festugière54 bespricht Blumenberg auch die um den zweiten Band ergänzte Neuauflage von Hans Jonas’ Monographie Gnosis und Spätantiker Geist,55 der bei Erscheinen 1934 bedingt durch den Nationalsozialismus und die Flucht ihres Autors eine Rezeption in der deutschsprachigen philosophischen Landschaft zunächst verwehrt blieb. Dass Blumenberg Jonas’ Darstellung den meisten Raum in seiner Besprechung gibt, mag dem Umstand Rechnung tragen, dass Jonas’ Buch, wie Blumenberg schreibt, ein „Schicksal“ hatte, insofern der

erste Band […] gerade noch rechtzeitig [erschienen war], um seine alsbald unterdrückte Existenz wenigstens noch so deutlich rechtfertigen zu können, daß seine 1954 vorgelegte Neuauflage zu einem der dringendsten Desiderate unter den vielen aufgelaufenen geworden war.56

Blumenbergs Sympathien für die Studie – besonders in ihrer ergänzten Form – lediglich auf ihre historischen Umwege zurückzuführen, wäre allerdings verfehlt. Denn schon in seiner Habilitation von 1950 hatte er davon gesprochen, dass die dort entwickelten „Durchblicke zur historischen Morphologie der ontologischen Distanz“57 Jonas’ Methode für den Nachvollzug des „Umbruchs der griechischen Ontologie“ einiges zu verdanken habe.58 Es wundert daher nicht, dass Blumenberg 1958 das Potential von Jonas’ Gnosis-Darstellung ebenfalls in deren methodologischer Voraussetzung59 und der Einsicht erkennt, dass die

immanente Genese der geschichtlichen Formation des Welt- und Seinsverständnisses […] in der dokumentarisch faßbaren Erscheinung historischer Gestaltungen immer nur eine sporadisch-diskrete Manifestation [findet], deren Instanzen nicht in erweisbaren Einflußkontakt stehen müssen.60

Insofern Jonas für ein Verständnis der Gnosis als genuin geschichtliches Phänomen auf deren „immanenten Begründungszusammenhang“ besteht,61 kommt seine Darstellung Blumenbergs eigenen Bemühungen um eine an Epochenschwellen interessierte Problemgeschichte entgegen. Eine zentrale Überlegung ist auch hier, dass „epochale[] Metakinesen“62 nicht als kausale Chronooder Teleologie aus den Quellen ableitbar seien.63 Für Blumenberg besteht der Wert von Jonas’ Ansatz deshalb gerade darin, keine „kausalgenetische Sukzession“64 geschichtlicher Ereignis-Ketten herzustellen, um damit die „‚Leerstellen‘ der Rezeption“65 historiographisch zu schließen. Tatsächlich sei ein Phänomen wie die Gnosis nicht verstanden, solange man nicht ihre Konstitutions- und Möglichkeitsbedingungen beschreibt. Das vor allem deshalb, weil

[d]ie Sinnstruktur einer geschichtlichen Epoche66 […] von radikal anderer Artung [ist]: sie tritt in Zeugnissen in Erscheinung, die auf ihre Elemente hin analysiert und genetisch reduziert werden können, ohne dass damit ihr Zusammenschluß als ein sinngeleiteter schon ‚erklärt‘ wäre; vielmehr ist ein ‚Vorgriff‘ mit im Spiel, der die Selektion der Elemente vollzieht, ein regulatives Prinzip ihrer bezeugenden Funktion, das zwar nur über die historische Dokumentation erschlossen werden kann, aber seinerseits erst reflexiv diese Zeugnisschicht in ihrer Sinnhaltigkeit indiziert […].67

Diese Verschiebung des Blicks markiert in Blumenbergs Verständnis das methodisch Neue an Jonas’ Auseinandersetzung mit der Gnosis. Im Hinblick auf die Frage nach der Funktion von Rezeptionsprozessen aber ist die vom Rezensenten geäußerte Kritik fast interessanter als sein Lob.
Wie schon in den Beiträgen zum Problem der Ursprünglichkeit äußert Blumenberg nämlich auch in Epochenschwelle und Rezeption einige Vorbehalte gegenüber „einer nur historisch-quellenkritischen Bestandsaufnahme“.68 Das härteste Urteil trifft in dieser Hinsicht Carl Schneiders Geistesgeschichte des antiken Christentums, in der er trotz – oder gerade angesichts – der Fülle des Materials kaum mehr als eine solche ‚Bestandsaufnahme‘ ausmachen konnte: Diese ‚Geistesgeschichte‘ sei eben keine Geschichte, weil schlichtweg „nichts geschieht, so voll immanenter Teleologie ist sie.“69 Das Problem dieser eigentümlich „geschichtslosen Geistesgeschichte70 liege darin, dass Schneider methodisch auf die trügerische „Kontinuität der Zeugnisschicht“71 vertraue. In seiner Darstellung füge sich „das frühe Christentum […] so ‚genau‘ in die Kontinuität der hellenistischen Geisteswelt ein, daß die Vorstellung des Auf- und Übernehmens ihr Fundament verliert.“72 Blumenbergs Vorwurf ist bemerkenswert. Denn er besteht nicht nur darin, dass Schneider die „Sinndifferenzen“ von Hellenismus und frühem Christentum einebne und mit der daraus abgeleiteten ‚Morphologie‘ des antiken Christentums den Eindruck erwecke, es gäbe „das Problem der Rezeption […] im Grunde überhaupt nicht“.73 Die Kritik Blumenbergs weist Schneiders ‚Morphologie‘ vielmehr auch deswegen zurück, weil in der durch sie nahegelegten Kontinuität das eigentlich Geschichtliche einer Epoche verfehlt sei. Wie schon bezüglich der Unterscheidung zwischen ‚direkter Rezeption‘ und ‚indirekter Rezeption‘ in den Beiträgen besteht Blumenberg auf einem engen Wechselverhältnis von Epochenschwelle und Rezeption. Die geschichtliche Dimension ist deswegen nur anhand von Rezeptionsprozessen zu erschließen, weil sie dadurch, dass sie Kontinuität vorgeben, im Grunde Diskontinuität74 kompensieren. Diese wird in der Rezeption rhetorisch geglättet, um die ‚Andringlichkeit‘75 des Neuen mit der fraglich gewordenen Geltung des Alten zu verbinden. In Blumenbergs Darstellung kann es entsprechend geschichtlich keine problemlosen, d.h. kontinuierlich-teleologischen Übergänge geben. Das hängt mit seinem Verständnis von Epochen als geltenden ‚Sinnhorizonten‘ zusammen. Insofern diese nämlich als einheitlicher ‚Sinnhorizont‘ verstanden werden, ist der Epochenwandel nur als Folge aus der Verunsicherung dieser Einheitlichkeit denkbar.76 Erst dann lässt sich die ‚Epochenschwelle‘ als Zeitraum beschreiben, in dem (historisch) Neues zum Problem wird. Eben diese Dimension von Geschichte als einem nur jeweils geltenden Wirklichkeitsbewusstsein ist angesprochen, wenn Blumenberg schreibt: „Problemgeschichte ist also nicht eine historische Spezifität unter anderen, sondern Geschichte ist Problemgeschichte“.77 Das allerdings birgt die Schwierigkeit, aus der ‚Zeugnisschicht‘ herauslesen zu müssen, was als ‚Wirklichkeitsbegriff‘ einer Aussage zwar zugrunde liegt, aber in dieser selbst allenfalls unausdrücklich gefasst wird. Hier gewinnt Blumenbergs Rezeptionsbegriff sein heuristisches Potential.
Schon in den Qualifikationsschriften war ‚Rezeption‘ hinsichtlich der Geltung einer auf Kontinuitätserhalt ausgerichteten Tradition befragt und mit dem Hinweis versehen worden, dass „die Metakinetik des Geschichtlichen“ als „offenkundige“ unerträglich sei. 78 Blumenbergs Ende der 1950er Jahre formulierte Thesen zu Epochenschwelle und Rezeption schließen an diese früheren Überlegungen unmittelbar an. Dass nämlich ‚direkte‘ Rezeptionsprozesse stets darum bemüht sind, kontinuierliche ‚Morphologien‘ zu behaupten, wo bestenfalls „Pseudomorphose[n]“ ausgemacht werden können,79 heißt im Umkehrschluss, dass „so etwas wie Rezeption der Antike“80 eine „Schwelle oder Differenz“ voraussetzt.81 Damit Rezeption die epochale Einheit und deren ‚Sinnhorizont‘ festigen kann, muss deren durch die Schwelle markierter Bruch bereits vorliegen. Da Schneiders „morphologische Identifizierung“ des antiken Christentums mit dem Hellenismus sich im Wesentlichen an der „Schicht philologisch greifbarer Ausdrücklichkeit“ orientiere, gingen ihr, so Blumenbergs zentraler Einwand, die qua Rezeption verdeckten „Sinndifferenzen verloren“.82 Blumenberg gesteht Schneider zwar zu, dass die Quellen selbst die Stoßrichtung seiner Darstellung stützen. Doch gerade dieser Umstand biete Anlass zur Skepsis, insofern man „mit einem ‚Interesse‘ der Aussage zu rechnen [hat], das Homogeneität zu schaffen intendiert, […] um sich der Infragestellung als das Befremdlich-Neue zu entziehen.“83 An diesem Kritikpunkt wird die geschichtsphänomenologische Pointe Blumenbergs deutlich, ebenso das Potential seiner „funktionalen Interpretation der Aussagen“ gegenüber „einer nur morphologischen“.84 Wenn nämlich „der Sinn der Rezeption“ tatsächlich darin besteht, „den Grund von Rezeption unsichtbar zu machen“,85 lässt sie in einer paradoxen Wendung diejenigen Phänomene überhaupt erst erkennbar werden, die Blumenberg „Probleme“ nennt. Anders gesagt: Ohne Rezeption wäre der Zwischenraum von Zeugnis und Ereignis und also „die Schicht der Probleme“, in der liegt, „was sich wirklich ereignet“, methodisch nicht greifbar.86 In dem als ‚Umbesetzung‘ bekannten Frage-Antwort-Schema historischer Transformationen,87 in dessen Rahmen sich Blumenbergs Geschichte der Wirklichkeitsbegriffe bewegt, kommt Rezeptionsprozessen ein bisher zu wenig beachteter Stellenwert zu: Der historische Hintergrund bliebe ohne den Vordergrund der (nachträglich erschließbaren) Rezeption kaum zugänglich. Blumenberg verweist also bezüglich der Ko-Relation von Epochenschwelle und Rezeption auf den ‚Möglichkeitssinn‘ der Quellen, um zu deren ‚Wirklichkeitssinn‘ einen methodisch plausiblen Zugang zu gewinnen.88

5 Jenseits der Antithesen: Kritik und Rezeption (1959)

Das noch in den späten Arbeiten zu Technik und Anthropologie wiederkehrende argumentative Muster sieht vor, eine Antithese – wie die zwischen Tradition und Ursprünglichkeit – derart zu lockern, dass beide Positionen zugleich in Geltung bleiben und sich sogar gegenseitig bedingen können. Eine Schlüsselrolle kommt dabei auch dem 1959 erschienenen Aufsatz Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik. Strukturanalysen zu einer Morphologie der Tradition zu, der die Epochenschwelle zum Mittelalter von der Spätantike her in den Blick nimmt. Er setzt bei der geschichtsphilosophischen und ihrerseits durch Aufklärung und Romantik überlieferten Antithese zwischen ‚Einbruch‘ und ‚Beharrung‘ an. Im gleichen Maße wie das Christentum als quasi-göttlicher Einbruch in die antike Welt verstanden worden sei, habe man in späteren Epochen den Fortbestand des antiken Denkens im Sinne eines Beharrens verstanden. Blumenberg will dieses geradezu mechanische Schema durch ein eigenes ersetzen. Dabei greift er den Zugang aus Epochenschwelle und Rezeption wieder auf. Um der Schwierigkeit der Geschichtsschreibung, eine der beiden Positionen vorziehen zu müssen, zu begegnen, wird die strikte Entgegensetzung aufgelöst: Die Terme ‚Einbruch‘ und ‚Beharrung‘ werden in ‚Kritik‘ und ‚Rezeption‘ umgeformt. Dies erlaubt es, einen „höchst komplexe[n] Prozeß“ zu beschreiben, „in dem Kritik und Rezeption des vorgegebenen Bestandes nicht nur nebeneinanderherlaufen und sich nicht ausschließen, sondern darüber hinaus funktional ineinanderspielen.“89 Zum einen müsse es noch in der schärfsten Kritik einen mit dem Kritisierten geteilten „gemeinsamen Boden“90 geben; zum Zwecke der Überwindung von Traditionsbeständen geäußerte Kritik schließt somit, indem der gemeinsame Bezug bestehen bleibt, eine gewisse Form der Verdauerung ein. Zum anderen meint ‚Rezeption‘ für Blumenberg nicht die fraglose Übernahme eines Vorgegebenen. Als ‚indirekte Rezeption‘ kann sie vielmehr die Aufgabe übernehmen, zur Verfestigung eines Wirklichkeitsbegriffs beizutragen, innerhalb dessen sich das gänzlich ‚Neue‘ einer Epoche erst ergibt. Sie lässt sich selbst undurchsichtig werden. Vor dem Hintergrund der Dissertation erscheint dies widersprüchlich, richtete sich das Konzept der Rezeption dort doch gerade gegen Heideggers Verdeckungsthese: Die Aufmerksamkeit für Rezeptionsprozesse soll – mittels eines auch auf Unbegriffliches gerichteten Rezeptionsverfahrens – einen bereits in der Tradition liegenden, ursprünglichen Ansatz des Fragens herausarbeiten. Allerdings betrifft Heideggers Überlegung den Umgang mit der Tradition hinsichtlich der Verdeckung der Seinsfrage, nicht hinsichtlich dieses Umgangs selbst. Indem Blumenberg den Fokus darauf verschiebt, lässt sich die der Verdeckung entgegengesetzte Bewegung gerade aus der Verschleierung ihres eigenen Tuns heraus verstehen. Hinzu kommt, dass ‚verschleiern‘ nicht gleichbedeutend ist mit ‚verdecken‘. Der latenzphilosophische Ansatzpunkt liegt bei dem, was im Verfahren der Rezeption unausdrücklich mitgegenwärtig gehalten wird. Es geht dabei um weit mehr als die Frage, ob zu einer bestimmten Zeit ein Autor herangezogen worden ist oder nicht.

‚Rezeption‘ bedeutet das Einströmen einer ganzen Welt in die ursprüngliche Weltlosigkeit einer eschatologisch begründeten Lehre; ‚Kritik‘ bedeutet den Inbegriff der Regulationen, die diesen Strom im Dienst seiner Funktionalität halten sollen.91

Rezeption trägt zum Erhalt eines Wirklichkeitsbegriffs bei, während sie zugleich die Geltung einer Lehre die sich aus diesem Wirklichkeitsbegriff heraus formt, anzweifeln kann. Blumenbergs Schriften setzen die Ansprüche des systematisch Nivellierten ins Recht, und sie tun dies, indem sie zeigen, in welcher Weise es sich geschichtlich bereits Bahn gebrochen hat. Hier rückt die antike Welt gegenüber der christlichen Lehre in die Rolle eines solchen ‚Andringlichen‘; qua Kritik sei ihr Erbe jedoch derart verwaltet worden, dass es die neue Lehre stützen und nicht gefährden sollte. Blumenbergs Überlegungen stehen im Kontext einer Auseinandersetzung mit der Patristik; aber sie bleiben zugleich offen für Fragen, die mit seiner etwa zeitgleich ausgearbeiteten Metaphorologie zusammenhängen. In den Schriften von Laktanz (240–320) findet er einen Beleg für den Stellenwert der Rezeption innerhalb der ‚Geistesgeschichte‘: Schrittweise habe Laktanz, zugunsten einer Annäherung an die antike Wahrheitslehre, auf den Anspruch, gänzlich neue theoretische Elemente einzuführen, verzichtet. Bezeichnenderweise ist es Laktanz, an dem die Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960) den ‚pragmatischen Sinn‘ der absoluten Metapher herausarbeiten und dazu auf das Gerüst und sogar Formulierungen aus dem Patristik-Aufsatz zurückgreifen.92 Fluchtpunkt der Diskussion dort ist die Geltung der Rhetorik. Blumenberg verlagert die Antithese von Ursprünglichkeit und Tradition über den Zwischenschritt der „strukturelle[n] Komplexion von Kritik und Rezeption“93 letztlich in den Widerstreit zwischen Wahrheit und Rhetorik.94 Das Erbe, das die Metaphorologie antritt, hängt auch in dieser Hinsicht mit dem Rezeptionsbegriff zusammen.

6 Rezeption als Vorform einer Philologie der Unbegrifflichkeit?

Es gehört zu den wesentlichen Merkmalen von Blumenbergs Rezeptionsbegriff, dass er darauf ausgelegt ist, die eigene Begrifflichkeit problematisch werden zu lassen. Da die Pointe des Neuansatzes bei der ‚Rezeption‘ darin liegt, auch das nicht ausdrücklich Gewordene in die Interpretation einzubeziehen, ist das Unterfangen, einen eigenen ‚Rezeptionsbegriff‘ Blumenbergs zu bestimmen, im Grunde paradox: Der Begriff besagt, dass eine Analyse, die beim bloßen ‚Wortvorkommen‘ ansetzt (wie hier bei ‚Rezeption‘), die problemgeschichtliche Dimension, die unausdrücklich bleibt, verfehlen muss. Insofern ist die Beobachtung, dass eine „ausgearbeitete Begrifflichkeit“ im Aufsatz Epochenschwelle und Rezeption „nicht recht zu erkennen“ sei,95 wiederum doch zutreffend. Wenn die Tragfähigkeit eines historiographischen Ansatzes bei der „philologisch greifbaren Ausdrücklichkeit“96 mehrfach zurückgewiesen wird, um stattdessen die weniger gut greifbaren, dafür historisch drängenderen Probleme zu bearbeiten, ist vollkommen unklar, wie dieses Andere sprachlich erfasst werden soll, zumal ja Quellen herangezogen werden müssen. Der durchaus scharf umrissene Begriff der Rezeption macht einen weniger deutlich beschriebenen Zugang zum überlieferten Material erforderlich, das heißt eine spezifische Rezeptionshaltung. Aus werkgeschichtlicher Sicht führt dies zur Untersuchung sprachlicher Zusammenhänge, die sich gerade durch ihre Unausdrücklichkeit auszeichnen. Die eine – die philologische – Ungreifbarkeit soll also die andere – die geschichtliche – erhellen, um auf diese Weise einen umso entschiedeneren Zugriff auf das zu bekommen, was ausgeschlossen wird, wenn man bloß auf die leicht wahrnehmbaren Schlagwörter achtet. Es bedarf des Begriffs der Rezeption, um ein Verfahren einzuführen, das es erlaubt, Geschichte von dem her zu denken, was sich begrifflich nicht bewältigen, aber im Nachhinein lesen lässt. So besteht auch die Radikalität der absoluten Metapher nicht in ihrem unüberbrückbaren Abstand zum Begriff, sondern in ihrer unauflöslichen Verbindung mit einem Verfahren, das sich ebensowenig erfassen lässt: Als Lexem kann es die absolute Metapher nicht geben; ebenso wenig gibt es Metaphorologie als begrifflich verfahrende Wissenschaft.97 In einer Art Rückwendung wird das stockende In-Erscheinung-Treten metaphorischer Konfigurationen zur Aufdeckung des stockenden In-Erscheinung-Tretens historischer Phänomene herangezogen. Blumenbergs Rezeptions‚begriff‘ zielt somit auf den Zwischenraum von Zeugnis und Ereignis, aber er macht auch eine andere Philologie notwendig, die deswegen historisch verfährt, weil ihr Geschichte gerade nicht zum ausdrücklichen Thema werden kann.

Literaturverzeichnis

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Fußnoten

1 Für zentrale Hinweise danken wir den anonymen Gutacher:innen. 2 Für die metaphorologischen Arbeiten: „[E]ach work emphasizes the extent to which the observer and the act of observation are themselves metaphorical and constituted by the very metaphors being studied. The ambiguity of the position of the author and reader of these works and the preoccupation with the concept of the observer—whether as Betrachter, Beobachter, Zuschauer, Anschauer, or Leser—indicate the self-consciousness of Blumenberg’s attempts to describe and to create his relation to the past.“ Adams 1991, S. 163. 3 Vgl. zum Entstehungskontext und philosophischen Bezugspunkten: Zill 2020, S. 134–146. 4 Vgl. Blumenberg 2020. 5 Schmidt-Biggemann 2019, S. 192. 6 Jauß 1987, S. 16. Ähnlich machte Jauß auch im Rahmen der Arbeitsgruppe „Poetik und Hermeneutik“, die Blumenberg gemeinsam mit dem Germanisten Clemens Hesselhaus und Jauß am Beginn der 1960er Jahre in Gießen gegründet hatte, nie einen Hehl daraus, dass Blumenberg für die auf den Kolloquien der Folgejahre verhandelten Probleme der in theoretischer Hinsicht wesentliche Stichwortgeber war (Vgl. Amslinger 2017, S. 66 ff.). 7 Besonders prominent im von Hans Robert Jauß verantworteten Artikel ‚Rezeption‘ im Historischen Wörterbuch der Philosophie. Auch die geschichtliche Einordnung des Begriffs insgesamt findet ihren Ausgangs- und Zielpunkt in der eigenen Theoriebildung. Der Eintrag beginnt wie folgt: „Die Rezeptionsästhetik [Rä.] gehört zu den Theorien, die sich mit einer neuen Fragestellung so erfolgreich durchgesetzt haben, daß post festum unverständlich wird, warum ihre Probleme jemals Probleme waren. ‚Rezeption‘ [R.] als methodischer Begriff erscheint nach 1950 zunächst in der Jurisprudenz, der Theologie und der Philosophie. Er zeigt dort eine Umorientierung der historischen Forschung an, die sich von dogmatischen Vorgaben des Positivismus wie des Traditionalismus befreite und unter analogen hermeneutischen Prinzipien eine neue Historik zu entwickeln begann. Eine vergleichbare Umorientierung der herkömmlichen Philologien ging seit 1967 von dem neuen Konzept einer R.- und Wirkungsästhetik aus.“ 8 Vgl. Waszynski 2021, S. 61. 9 DS Mayfield hat Blumenbergs induktiver Herangehensweise eine umfassende Analyse gewidmet und gezeigt, wie sich die sachliche Verteidigung der Kontingenz methodisch abbildet und wie sie sprachlich eingelöst wird: „Not only dis-, but specifically excursive, Blumenberg’s mode is marked by detours (not without a grain of ‚makeshiftiness‘). Contingency, the resultant polysemy – plus a measure of indirection, circumambulating data under scrutiny – are reflected on the page itself, in turns of phrase at the textual surface.“ Mayfield 2020, S. 234–235. 10 Haverkamp 2004, S. 54. 11 Vgl. Waszynski 2021, S. 52–73. 12 Vgl. Gehring 2015; Gehring 2011. 13 Vgl. Blumenberg 1981, S. 168. 14 Vgl. Geulen 2020, S. 208–210. 15 Glare 2012, S. 1742–1743. 16 Den vermutlich von Walter Bröcker übernommenen Ausdruck ‚Metakinetik‘ nutzt Blumenberg seit seiner Dissertation zur Beschreibung latent gebliebener Verschiebungen „geschichtlicher Sinnhorizonte“. Blumenberg 2013, S. 16. Vgl. dazu auch Haverkamp 2013, S. 272 f. 17 Duden 1998, 709. Zum Abgleich der vollständige und in der Reihenfolge seiner Beispiele irritierende Eintrag aus dem Neuen deutschen Wörterbuch (Mackensen 1952, 629): „An-, Aufnahme (des Studenten in die Verbindung, des Kranken ins Spital, des röm. Rechts in Deutschland)“. 18 Vgl. exemplarisch Blumenberg 1998, S. 162: „Die Rezeptionsästhetik begünstigt den Empfänger und macht den Autor zu dem armen Anstifter, der nur seine Geschichte kennt, während jeder spätere Leser dazu noch die Geschichte der Geschichte kennt – mehr noch: sie um sein Stück weiterführt für alle, die nach ihm seine Geschichte mit der Geschichte jener erzählten Geschichte kennen werden.“ 19 Vgl. Blumenberg 1989, S. 719–740. 20 Kracauer 2009, S. 14. 21 Vgl. Blumenberg 1981c. Für den Hinweis auf diesen Text danken wir Dorit Krusche, für die Abdruckgenehmigung Bettina Blumenberg und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. 22 Blumenberg 1981c. 23 Blumenberg 1981c. Die aus heterogenen Ansätzen zur „Rezeptionsästhetik“ zusammengefasste Theorie ist „als Überwinderin traditioneller Formen der Produktions- und Darstellungsästhetik“ (Warning 1975, S. 9) beschrieben und emphatisch gegen die vermeintliche Nivellierung von Leser- und Adressateninstanzen in Stellung gebracht worden. Allerdings kündigt Warnings prominente Formulierung bereits an, dass an nicht-traditionelle produktionsästhetische Formen durchaus noch zu denken ist. Dies betrifft etwa die im Werk verankerten Unbestimmtheitsstellen, wie sie mit und nach dem Prager Strukturalismus thematisch geworden waren, oder das ‚Sinnpotenzial‘, das gemäß der These von Hans Robert Jauß in einem Werk angelegt ist und sich erst in der Rezeptionsgeschichte entfaltet (vgl. dazu zusammenfassend Warning 1975). 24 Vgl. Blumenberg 1981b; Blumenberg 2014, S. 149–161. 25 Blumenberg 1981c. 26 Blumenberg 1950, S. 188. 27 Vgl. Blumenberg 1958, S. 95. 28 Jauß 1987, S. 16 29 Zum Theorem der Umbesetzung bei Hans Blumenberg vgl. Kopp-Oberstebrink 2014. 30 Vgl. Stoellger 2013, S. 225. 31 Zu „Funktion statt Morphologie“ vgl. Zill 2017, S. 21–22. 32 Blumenberg 2014, S. 21. 33 Haverkamp 2013, S. 267. 34 Vgl. Flasch 2017, S. 113. 35 Flasch 2017, S. 155. 36 Vgl. Flasch 2017, S. 101. 37 Blumenbergs entscheidender Beleg in Anm. 1 zu § 2 – „Etienne Gilson, Platonisme, Aristotélisme et Christianisme“ (Blumenberg 2020, S. 32) – lässt sich nicht verifizieren. Es scheint sich um einen ‚Rezeptionsunfall‘ zu handeln: „Vermutlich stützte er sich auf eine ganzseitige Inhaltsangabe, die in der Zeitschrift Universitas I (1946), 1130, erschienen war. Sie mag wie eine Rezension wirken, doch handelt es sich um Angaben, die entweder der Verlag Presses universitaires de France oder das Institut Français geliefert hatte (vgl. ebd., 1183).“ Dahlke/Laarmann 2020, S. 220, Anm. 7. 38 Blumenberg 2020, S. 34. 39 Blumenberg 2020, S. 37. 40 Blumenberg 2020, S. 34. 41 Zur Frühgeschichte dieser Rezeption vgl. Honefelder 2003. 42 Blumenberg 2020, S. 37. Zu Blumenbergs später prominent ausgearbeitetem Konzept des Wirklichkeitsbegriffs vgl. Sommer 2014; Gehring 2011; Zambon 2020; Feger 2020. Zur Interdependenz der insgesamt ‚vier‘ von Blumenberg bestimmten Wirklichkeitsbegriffe und insbesondere zum prekären ‚vierten‘ vgl. Mahler 2016. 43 Blumenberg 2020, S. 34. 44 Vgl. Blumenberg 2020, S. 5–6 (Inhaltsübersicht). 45 Vgl. Blumenberg 2007. 46 Vgl. Brient 2014; Müller 1981. 47 Blumenberg 1958, S. 95. 48 Vgl. Blumenberg 1958, S. 95. 49 Blumenberg 1958, S. 95. 50 D.h. bereits deutlich vor der umfassenden Diskussion der ‚Aspekte der Epochenschwelle‘ in der überarbeiteten Neufassung des vierten Teils der ‚Legitimität der Neuzeit‘ (vgl. Blumenberg 1985). 51 Blumenberg 1958, S. 116. 52 Vgl. Schneider 1954. 53 Vgl. Werner 1954. 54 Vgl. Festugière 1954. 55 Vgl. Jonas 1954. 56 Blumenberg 1958, S. 107. 57 Vgl. Blumenberg 1950, S. 37–94 58 Blumenberg 1950, S. 221. 59 Vgl. Jonas 2003, S. 117. 60 Blumenberg 1958, S. 109. 61 Blumenberg 1958, S. 108. 62 Blumenberg 1958, S. 94. 63 Blumenberg 1958, S. 94. 64 Blumenberg 1958, S. 109. 65 Blumenberg 1958, S. 119. 66 Es ist hierbei wichtig zu sehen, dass Blumenbergs Sinn-Begriff keinerlei normative Implikationen aufweist und in ‚Verfallsformen‘ wie Sinnverlust oder Ähnliches übersetzbar wäre. Vgl. Heidenreich 2005, S. 44–47. 67 Blumenberg 1958, S. 109. 68 Blumenberg 2020, S. 20. 69 Blumenberg 1958, S. 98. 70 Blumenberg 1958, S. 101. 71 Blumenberg 1958, S. 102. 72 Blumenberg 1958, S. 97. 73 Blumenberg 1958, S. 97. 74 Zu Blumenbergs Verständnis historischer Diskontinuität vgl. Monod 2019. 75 Blumenberg benutzt den Ausdruck ‚Andringlichkeit‘ bereits in seiner Habilitation. Was er in diesem frühen Text darunter versteht, weist eine strukturelle Ähnlichkeit zu dem auf, was Arbeit am Mythos (1979) unter dem Stichwort des „Absolutismus der Wirklichkeit“ verhandeln wird. 76 Vgl. Goldstein 2004. 77 Blumenberg 1958, S. 102. 78 Blumenberg 1950, S. 225. 79 Blumenberg 1958, S. 118. Zu Blumenbergs Verwendung dieses von Jonas übernommenen und auf Oswald Spengler zurückgehenden Ausdrucks vgl. Geulen 2018. 80 Blumenberg 1958, S. 98. 81 Blumenberg 1958, S. 98. 82 Blumenberg 1958, S. 97. 83 Blumenberg 1958, S. 101. 84 Blumenberg 1958, S. 101. 85 Blumenberg 1958, S. 117. 86 Blumenberg 1958, S. 102. 87 Zu Blumenbergs ‚Hermeneutik von Frage und Antwort‘ vgl. Kopp-Oberstebrink 2014, S. 359–361. 88 Zu der daraus resultierenden Tendenz einer Pluralisierung von ‚Geschichte‘ bei Blumenberg vgl. Krauthausen 2012 und Koch 2014. 89 Blumenberg 2001, S. 267. 90 Blumenberg 2001, S. 268. 91 Blumenberg 2001, S. 270. 92 Vgl. Blumenberg 2013, S. 52–62. 93 Blumenberg 2001, S. 288. 94 Vgl. Zill 2007; Zill 2019. 95 Schmidt-Biggemann 2019, S. 192. 96 Blumenberg 1958, S. 97. 97 Ähnlich zuletzt Mayfield 2020, S. 614: „a logifying co-optation of his ‚work on metaphor‘ must be guarded against“.