Milan Stürmer: Die Errettung der Zivilisation. Über das Versprechen der Onto-Epistemologie des Neuen Animismus

Abstract: Der jüngsten Konjunktur des Animismus, die sich mittlerweile unter der Bezeichnung ‘Neuer Animismus’ (New Animism) zu einer mehr oder minder kohärenten Strömung formiert hat, gilt die animistische Onto-Epistemologie als Gegenmodell zur Moderne, als alternative und für die heutige Zeit opportune Weltanschauung. Als bestimmte Spielart des Turns zu relationalen Onto-Epistemologien wird der Neue Animismus genealogisch innerhalb der Geschichte der anthropologischen Animismusforschung sowie innerhalb der symbolischen Ordnung der ‘westlichen Zivilisation’ verortet. Mit Edward Tylors ‘altem’ Animismus aus den Ursprüngen der Disziplin wird die Kontrastfolie für den Neuen Animismus entwickelt; mit Alfred Irving Hallowells Ethno-Metaphysik zur Mitte des 20. Jahrhunderts wird sein Vorläufer vorgestellt; und mit Nurit Bird-Davids wegweisender Wiederaufnahme von Hallowell, erweitert durch James Gibsons Umweltbegriff und Marilyn Stratherns Dividuum, wird schließlich die ‘Gründungsschrift’ des Neuen Animismus präsentiert. Vor dem Hintergrund dieser genealogischen Rekonstruktion wird anhand des programmatischen The Handbook of Contemporary Animism (2013) das zentrale Motiv des Versprechens der Rettung der Zivilisation durch die Bewältigung der Krise der Vorstellung exponiert. Ziel der Rekonstruktion ist, die Grundlage für eine Kritik des Neuen Animismus zu legen, die nicht stets aufs Neue die Differenz zu Moderne und Aufklärung betont, sondern den Begriff der Zivilisation zum Ausgangspunkt hat.

Keywords: Animismus, Zivilisation, Anthropologie, relational turn, Onto-Epistemologie, Moderne

Dass der Animismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Konjunktur erfahren würde, hätte den ersten Professor für Anthropologie, Sir Edward Burnett Tylor, wohl melancholisch gestimmt.1 Animismus war dezidiert ein Irrglaube der ‘primitiven’ Völker, selbst wenn er mancherorts noch in der modernen Zivilisation zu überleben schien. Es lässt sich mutmaßen, dass Tylor – dem evolutionären Bild kultureller Entwicklung folgend – es als tragisch empfunden hätte, dass auch heute die „Wilden und Barbaren” (Tylor [1871] 2010, 260)2 noch nicht die Höhen moderner Epistemologie erreicht haben. Vielleicht wäre die Enttäuschung über fehlenden Fortschritt und Reform völliger Fassungslosigkeit3 gewichen, hätte man hinzugefügt, dass wir vermeintlich Zivilisierten keinesfalls aus sicherer Distanz den ‘Animismus der Wilden’ betrachten, sondern den Animismus nun ‘im eigenen Haus’ verorten, ja ihn sogar will-kommen heißen. So findet sich beispielsweise bei Anselm Franke, dem Kuratoren der wohl einflussreichsten4 zeitgenössischen Ausstellung zum Thema ‘Animismus,’ der Animismus zwar noch klar als das (wenn auch konstitutive) ‘Außen’ der Moderne, jedoch stellt sich die „Aufgabe dieses konstitutive Andere […] zurück in das relationale Diagramm der Moderne” (Franke 2012b, 1) zu bringen. Tatsächlich scheint Animismus heute „eine akzeptierte, wenn auch nicht vollauf respektierte Art des Wissens und Handels in der Welt” zu sein (Garuba 2012, 1).

Im Folgenden soll der Nachweis erbracht werden, dass die jüngste Konjunktur des Animismus, die sich unter dem Signum „Neuer Animismus” (New Animism) bereits zu einer mehr oder minder kohärenten Strömung formiert hat, ihre Rechtfertigung sowie ihren Reiz auf nicht weniger als dem Versprechen gründet, die Zivilisation zu retten. Anhand einer detaillierten Lektüre des 500 Seiten fassenden, programmatischen The Handbook of Contemporary Animism (Harvey 2013b), welches 40 Protagonist:innen des Neuen Animismus versammelt, soll das Motiv des Animismus als rettende Antwort auf eine zivilisatorische Krise exponiert werden, einer Krise die mit dem Physiker und populären Tiefenökologen Fritjof Capra auf den Begriff einer Krise der Vorstellung gebracht werden kann. Bevor allerdings mit der Darstellung des Handbooks begonnen werden kann, gilt es, um dem Neuen Animismus als einer bestimmten Spielart relationaler Onto-Epistemologie gewahr zu werden, zunächst genealogisch die Entwicklung des neuen animistischen Denkens nachzuzeichnen. Hierbei wird keine erschöpfende Geschichte des Animismusbegriffs entfaltet – eine solche Geschichte müsste mindestens auch die Arbeiten von James Frazer (1894), Robert R. Marett (1909), Émile Durkheim (1912), Jean Piaget (1926) und Stewart Guthrie (1993, 2002) umfassen – sondern es soll anhand dreier wegweisender Autor:innen (Edward Tylor, Alfred Irving Hallowell, Nurit Bird-David) der Rahmen der heutigen Animismusdebatte abgesteckt werden. Schematisch wird erst mit Tylor die Kontrastfolie, die das ‘Neue’ des Neuen Animismus animiert, mit Hallowell dann der Vorläufer und Taufpate und mit Bird-David schließlich das Gründungsmoment des Neuen Animismus präsentiert.

Komplementiert wird diese interne, genealogische Beschreibung durch die originelle und wenig beachtet gebliebene Rahmung der Anthropologie und Ethnografie als die Wissenschaft im Savage Slot, die Michel-Rolph Trouillot entwickelt hat.5 Das im Folgenden entwickelte Bedeutungsfeld, das Trouillots komplexe Dialektik zwischen Ordnung, Utopie und Wildheit aufspannt, kann nicht nur, wie von Trouillot intendiert, die Formation der Anthropologie erhellen, sondern bietet einen ersten Ansatz zur Durcharbeitung an, auf dessen Grundlage sich kritische Fragen an den Neuen Animismus entwickeln lassen. Anstatt die – vom Neuen Animismus stets selbst als heroischen Bruch stilisierten – anti-modernen und sogar gegenaufklärerischen Tendenzen zum Ausgangspunkt zu verklären, verortet der vorliegende Beitrag den Neuen Animismus in der Geografie der Imagination des Westens.

Bruno Latour, der wie kein anderer dazu beigetragen hat, anthropologische Forschung jenseits der disziplinären Grenzen im Kontext eines, durch die anthropozänen Verwüstungen vor sich hergetrieben Forschungsprogramms (Latour 2017) populär zu machen, hat mit seinem berühmten Satz, dass wir nie modern gewesen seien, die Weichen dahingehend gestellt, das eine Analyse des Selbst(miss)verständnisses der Moderne im Mittelpunkt vieler, an den Animismus anschließenden Überlegungen steht.6 Eine überzeugende Deutung Latours Diktum, die mit Trouillots Ansatz teilt, die sogenannten ‘Primitiven’ nicht als Objekt sondern als Kategorie westlichen Denkens zu begreifen, findet sich bei Erhard Schüttpelz (2005). Die Auseinandersetzung mit der Kategorie des Primitiven, die sich stark auf die Arbeiten von Johannes Fabian und Fritz Kramer stützt, führt Schüttpelz zu einer abschließenden Auslegung von Latours Satz als Forderung nach dem „Verzicht auf Originalität” (Schüttpelz 2005, 410) der Moderne. Eine Auseinandersetzung mit dem Neuen Animismus qua Trouillot verschiebt hingegen das Problemfeld: Nichtmehr dem vermeintlichen Selbstverständnis der Moderne gilt das Augenmerk, sondern der zivilisatorischen Ordnung die beerbt – und das heißt eben auch: weiter perpetuiert – werden soll.

1 Ethnografien des Animismus heute oder ‘Neuer Animismus?’

Um die heutige Diskurslandschaft des Animismus besser abbilden zu können, gilt es zwischen drei distinktiven Strömungen der Auseinandersetzung mit Animismus zu differenzieren. Erstens gibt es eine Vielzahl anthropologischer und ethnologischer Arbeiten zu ‘real existierenden Animismen,’ wie sie besonders prominent in der Amazonasregion untersucht werden (vgl. Chaumeil 2000). Selbstverständlich sind aber die Studien des Animismus nicht auf Südamerika und Afrika beschränkt (siehe z. B. Arbeiten in Schweden (Lindquist 1997) oder in Sibirien (Willerslev 2007; Skvirskaja 2012)). Zudem ist im Zuge dieser Arbeiten heute nur noch selten – wie bei Descola – vom Animismus als klarer und kohärenter Ontologie die Rede, sondern meist von „animistic sensibilities” (Swancutt 2019, 2), die in bestimmten Momenten, in manchen Situationen und bezogen auf manche Wesen, Dinge, Kräfte oder Erfahrungen, Ausdruck finden. Damit lässt sich, zumindest potenziell, der Animismus überall und jederzeit diagnostizieren. Auch wenn die konkreten Beschreibungen animistischer Rituale beispielsweise bei den Yagua oft vom Neuen Animismus aufgegriffen werden und ihre Autor:innen selbst oft auch Arbeiten zum Neuen Animismus vorlegen, ist es wenig produktiv, diese wissenschaftlichen Beschreibungen und Auseinandersetzungen an sich bereits der im folgenden diskutierten Strömung des Neuen Animismus zuzuordnen. Vielmehr haben wir es hierbei mit in erster Linie ethnologischen und anthropologischen Arbeiten zu tun, die sich dem konkreten Phänomen dieser oder jener animistischen Praxis widmen.

Zweitens erscheint der Begriff des Animismus in Arbeiten, die animistische Tendenzen in der heutigen Form des Kapitalismus oder der Gouvernmentalität diagnostizieren (Mbembe 2014, 2017; Povinelli 2016). So läuft Achille Mbembes „Beitrag zur Kritik unserer Zeit” (Mbembe 2017, 9) darauf hinaus, eine „Verschmelzung von Kapitalismus und Animismus” (Mbembe 2017, 225) zu konstatieren. Für Mbembe ist der „Neoliberalismus […] das Zeitalter [in dem es] nicht mehr sicher [ist], dass die menschliche Person sich sonderlich vom Objekt, vom Tier oder von der Maschine unterscheidet” (Mbembe 2017, 217). Dass es sich hierbei um eine vom Kapitalismus getragene Entwicklung handelt, liegt nicht nur am „Gesetz des ‘generalisierten Tauschs’” (Mbembe 2017, 216), das Menschen gleich Tieren gleich Dingen behandelt und austauschbar macht, sondern auch am Eingang in den – um mit Moscovici (1990) zu sprechen – synthetischen (d. h. kybernetischen) Naturzustand, allerdings konkret unter kapitalistischen Vorzeichen, da die Frage der Produktion nun so gewendet wird, dass sie die für die Verschmelzung von Animismus und Kapitalismus entscheidende „Vorstellung, alles könnte nun hergestellt werden, auch Lebewesen” (Mbembe 2017, 219) stützt.

Drittens, und nur dies ist im Kontext der vorliegenden Arbeit im emphatischen Sinne als ‘Neuer Animismus’ zu bezeichnen, geht es um Beschreibungen animistischer Onto-Epistemologien, die allerdings nicht auf der Ebene einer ethnologischen Beschreibung animistischer Sensibilitäten verbleiben, sondern in diesen ein Gegenmodell zur Moderne, ein alternatives und – dies ist entscheidend – für die heutige Zeit opportunes Denkmodell finden. Es ist dieser, vor allem im anglophonen Raum verbreitete Zug der jüngeren Animismusforschung, der auch jenseits disziplinärer Grenzen auf großen Anklang stößt, wie beispielsweise in Bruno Latours Ansprache an die American Anthropological Association deutlich wird. Unter dem Titel Anthropology at the Time of the Anthropocene: A Personal View of What Is to Be Studied beschreibt Latour ein Klima, in dem selbst Naturwissenschaftler:innen durch „die umfassenden ökologischen Veränderungen vor sich hergetrieben, und von Philosoph:innen, Historiker:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen [dahingehend] hinter sich hergezogen werden” (Latour 2017, 36), dass sie sich der Frage der Handlungsmacht im Anthropozän so widmen, wie es bereits in der Anthropologie Gang und Gäbe sei. Es ist genau diese Bewegung, der wir uns im Folgenden widmen.

2 Der ‘alte’ Animismus Tylors

Obwohl der Begriff ‘Animismus’ sich bis ins frühe 18. Jahrhundert auf den deutschen Chemiker und Mediziner Georg Ernst Stahl zurückverfolgen7 lässt, ist es vor allem der Anthropologe Tylor, der als Gründervater der Erforschung des Animismus gesehen werden muss (Borck 2012; Swancutt 2019; Nerlich 2020). Auch wenn Tylor, dem in erster Linie am Wesen der Religion8 gelegen war, eigentlich den Begriff des ‘Spiritualismus’ bevorzugt hätte (vgl. Tylor [1871] 2010, 385; s. a. Stringer 1999, 543; Harvey 2017a, 7; Bird-David 1999, 69), eignete er sich in seinen zweibändigen, unter dem Titel Primitive Culture 1871 erschienenen „Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte” den Begriff von Stahl endgültig9 an. Da es sich bei Primitive Culture um „das Gründungsdokument der Kulturanthropologie” (Schüttpelz 2010, 161) handelt, ist Animismus mithin „einer der frühesten, wenn nicht sogar der erste, Begriff der Anthropologie” (Bird-David 1999, 67).

Für Tylor entwickelt sich der Animismus aus der universellen Erfahrung zweier ‘biologischer Probleme’, die die Menschheit seit jeher schwer beeindruckt haben: Der Unterschied zwischen einem lebendigen Körper und einer Leiche einerseits sowie andererseits die Existenz von Träumen, in denen menschliche Gestalten erscheinen. Dies führe dazu, die Existenz einer eigenständigen, vom Körper unabhängigen Seele anzunehmen. Damit ist bereits der Kern der „ziemlich konsequenten und rationalen primitiven Philosophie” (Tylor [1871] 2010, 387) genannt, die einerseits in der Lage ist, den ‘Fakten’ der Erfahrung Rechnung zu tragen, andererseits die „Grundlage für die Philosophie der Religion” bildet (Tylor [1871] 2010, 358).

Among races within the limits of savagery, the general doctrine of souls is found worked out with remarkable breadth and consistency. The souls of animals are recognized by a natural extension from the theory of human souls; the souls of trees and plants follow in some vague partial way; and the souls of inanimate objects expand the general category to its extremest boundary. (Tylor [1871] 2010, 452)

Die Seele, als belebende und unabhängige Kraft, die ihren „Platz im modernen Denken in der Metaphysik der Religion” hat, ist was „Animismus von Materialismus trennt” (Tylor [1871] 2010, 453).

Wie auch sein weitaus berühmterer Schüler James Frazer, der mit The Golden Bough (Frazer 1894) Weltruhm erlangen sollte, folgte Tylor einem evolutionären Modell, nach dem sich eine klare Entwicklung von wildem (savagery) über barbarisches (barbaric) bis zum zivilisierten (civilized) Leben feststellen lassen sollte. Bereits im frühen 20. Jahrhundert begann allerdings „die evolutionäre Brille, die Tylors Anthropologie rahmte, Risse zu zeigen” (Tremlett, Harvey, und Sutherland 2017, 2). Tatsächlich war (und ist) der Widerspruch gegen die evolutionären Ansätze und die ‘großen Synthesen’ derart vehement, dass heute meist Frazer, Franz Boas, Bronisław Malinowski, Alfred Radcliffe-Brown und Marcel Mauss als Väter moderner Anthropologie genannt werden und Tylor „in den Nebel der Geschichte verbannt wird” (Eriksen 2010, 20). Dies ist umso bemerkenswerter, da in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein Einfluss dergestalt war, dass beispielsweise Max Müller die Anthropologie als ‘Mr. Tylor’s science’ bezeichnen konnte (vgl. Lienhardt 1969, 84). Für Evans-Pritchard bereits steht allerdings zweifellos fest, dass Tylor zwar den Status eines Klassikers hat, darüber hinaus seinen Studierenden aber nichts mehr bieten kann (Evans-Pritchard 1965, 100). Darwinistische Modelle sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts derart diskreditiert, dass vereinzelte Versuche der Rehabilitation von Tylor gerade hierauf antworten müssen (vgl. u. a. Stocking 1968). Tim Ingold (1986) stellt mithin die grundlegend nicht-darwinistische Struktur von Tylors Argument heraus. Der ‘darwinistische’ Tylor sei eine Fehllektüre (für die er vor allem Boas verantwortlich macht), die übersehe, dass Tylor ‘culture’ stets im Singular benutze und somit nicht von unterschiedlichen ‘cultures’ ausgeht, so wie darwinistisch notwendigerweise von ‘populations’ im Plural ausgegangen wird (Ingold 1986, 32–35).

Auch wenn die generelle Kritik an soziokulturellen Evolutionsmodellen nicht notwendigerweise Aufschluss über die konkreten Untersuchungen zu Animismus gibt (Stringer 1999, 541f), wurden, da Tylor in seinen Studien zum Animismus einen „Beleg für den soziokulturell evolutionären Ansatz sah, die beiden [Animismus und kulturelle Evolution, MS] für lange Zeit als Synonym behandelt” (Swancutt 2019, 6). Entsprechend wurde spätestens seit den 1920ern der Begriff des Animismus weitgehend gemieden, ein Zustand der bis in die 1990er anhalten sollte. Die Anthropologin Signe Howell erinnert sich, dass ihr Doktorvater Ende der 1970er noch davon abriet, das Wort ‘Animismus’ zu benutzen—und das obwohl es eigentlich zu dem in ihrer Dissertation verhandelten Material passte (Howell 2013, 104; vgl. auch 2017, 145). Ähnlich berichtet Martin D. Stringer, wie er selbst 2010 noch den Gebrauch des Begriffs als ‘befremdlich’ („disconcerting”) empfand, da es sich um ein „Wort aus den Ursprüngen der Disziplin handelte, ein Wort und ein Begriff der vollständig verworfen und verrufen war” (Stringer 2013, 63). Es ist kein Zufall, dass Nurit Bird-Davids (1999) berühmter Artikel „‘Animism’ Revisited” – ein zentraler Referenzpunkt und ‘Meilenstein’ (Harvey 2013a, 15) für die neueren Animismus-Debatten – im Titel den Begriff noch vorsichtig in Anführungszeichen führt. Es ist nämlich gerade nicht einfach der Animismus von Tylor, der hier aufgerufen wird. Auch die heute gängige Bezeichnung des ‘Neuen Animismus’ soll unmissverständlich klarmachen, dass es sich nicht um den alten Animismus10 handelt (Harvey 2017a).

Da die Vorstellung von gerichteter und geradliniger kultureller Evolution allerdings in den heutigen (akademischen) Debatten eine derart marginale und unbedeutende Position einnimmt, eignet sie sich für die neuen Animist:innen nur schlecht als Kontrastfolie. Stattdessen wird die Verortung des Animismus außerhalb der (bewussten) Kultur der Moderne zum entscheidenden Makel des ‘alten’ Animismus stilisiert (für eine Kritik dieses Narratives siehe Schüttpelz 2005). Animismus wurde einst, so die gängige Erzählung, überall dort beschrieben, wo das rationale, aufgeklärte Subjekt (noch) nicht war: In der Vergangenheit der eigenen Geschichte, bei den wilden Völkern der Gegenwart, bei Kindern (wie bspw. in den Arbeiten des berühmten Psychologen Jean Piaget), im Unbewussten (wie beispielsweise bei Sigmund Freud) oder bei Tieren (wie beispielsweise in Charles Darwins Beschreibungen seines Hunds, vgl. hierzu Papapetros 2012; für einen anderen Ansatz hierzu siehe Guthrie 2002). Differenziertere Versionen dieses Arguments – wie bspw. von Franke – gehen nicht einfach davon aus, dass Animismus damals ‘außen’ war, sondern beschreiben die wissenschaftlichen – und damit stets auch gesellschaftspädagogischen (vgl. Lewis 1999) – Anstrengungen des frühen Animismusdiskurses als einen Vorgang des Exports, der gewisse (animistische) Tendenzen überhaupt erst nach außen tragen sollte (in der ersten Hochphase des Animismus in u. a. Tylors ‘primitive Kulturen’ oder Freuds ‘Unbewusstes’ vgl. Franke 2012a, 11). Vor allem im Lichte des neuen Animismus, welcher, wie wir sehen werden, auf ein Innen bzw. einen Import setzt, ist diese Charakterisierung durchaus plausibel.

3 Ethno-Metaphysik: Hallowells 'other-than-human persons'

Da Tylors Schriften zu sehr mit dem kolonialistischen Projekt, das die „Zerstörung der Kulturen der Anderen befürwortet” (Harvey 2017a, 28), identifiziert sind und noch dazu einem Modell soziokultureller Evolution folgen, wird sich heute (außerhalb der Anthropologie der Religion) nur selten auf seinen Animismusbegriff bezogen. Dieser sei, trotz seines enormen Einflusses in der zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert, je nach Couleur der Kritik, entweder gefährlich oder schlichtweg falsch. Lediglich die Tatsache, dass der Animismus bei Tylor außerhalb der bewussten Moderne verortet ist, dient noch als handliche Kontrastfolie. Ansonsten habe man, so Harvey, die „Behauptungen von ‘primitivem Aberglaube’ und die Beschuldigungen ‘infantiler Kategorienfehler’ hinter sich gelassen” (Harvey 2017a, 28). Trotzdem mussten die Neuen Animist:innen den Animismusbegriff nicht neu erfinden. Mehr als Tylors gründende Schriften aus dem Nebel der frühen Anthropologie sind es nämlich vor allem Alfred Irving Hallowells Studien (1954, 1960), die für den Neuen Animismus Pate stehen (vgl. Swancutt 2019; Harvey 2017a, 2017b; Bird-David 1999), selbst wenn dies nur selten explizit anerkannt wird (siehe hierzu Strong 2017). Im Unterschied zu Tylor war Animismus für Hallowell nämlich eine „relationale Ontologie und Epistemologie, die Rituale und Narrative nicht-übernatürlicher Religionen innerhalb des breiter gefassten kulturellen Lebens generierte” (Harvey 2017b, 29). Hallowell fungiert somit als Brücke zwischen dem Animismus der frühen Anthropolog:innen und der heutigen Wiederaufnahme.

Hallowells vorsichtige Studien versuchen weder Ursprung noch Urtümlichkeit auszumachen, sondern eine bestimmte ‘Weltanschauung’ zu fassen. Explizit schließt er damit an Paul Radins Buch The Primitive Man as Philosopher (1927) an, in welchem Radin beklagt, dass „nur wenige Ethnolog:innen je versucht hätten, von den Einheimischen eine systematische Beschreibung ihrer eigenen Theorie zu erhalten” (Radin 1927, 260; auch zitiert in Hallowell 1955b, 78). Den Begriff der Weltanschauung (world view) übernimmt er allerdings von Robert Redfields The Primitive World View (1952). „Weltanschauung,” so Redfield, „befasst sich damit, wie ein Mensch, in einer bestimmten Gesellschaft, sich selbst in Relation zu allem anderen sieht. Es geht um die Eigenschaften der Existenz, unterschieden von und bezogen auf das Selbst” (Redfield 1952, 30). Für Redfield ist die Weltanschauung nicht weniger als „a man’s idea of the universe,” wie sie sich in den zentralen, praktischen Fragen „Among what do I move? What are my relations to these things?” (Redfield, 1952, S. 30) widerspiegelt. Redfield zielt darauf ab, dass die bestimmte Form der Trennung zwischen Mensch, Gott und Natur, die für den Westen charakteristisch ist – also dessen bestimmte Weltanschauung – keinesfalls universell ist. Die Konzeption der Weltanschauung weist somit eine große Nähe zu Descolas einflussreichem Begriff der Ontologie auf (siehe Descola 2013b; zur Ontologie vgl. auch Black 1977, 92–93). Diese Relativierung des Universalitätsanspruchs bestimmter onto-epistemologischer Annahmen ist das zentrale Programm bei Hallowell. So schreibt er beispielsweise über die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt:

The ‘line’ that we think should always be drawn precisely ‘here’ may not be drawn sharply at all, although it may appear somewhere else as a recognizable boundary. (Hallowell 1955b, 85)

Wie eng dieser Zugriff auf die Frage der Weltanschauung mit einem emphatischen Umweltbegriff zusammenhängt, zeigt sich eindeutig in Hallowells Studien der Ojibwa, in denen er sein Hauptaugenmerk auf die Grammatik der Sprache richtet. 1954 legt Hallowell mit The Self in Its Behavioral Environment (1954), später getrennt als The Self in Its Behavioral Environment (1955b) und The Ojibwa Self and Its Behavioral Environment (1955a) in Culture and Experience veröffentlicht) seine entwickelten Thesen prägnant dar. Hallowell unterscheidet zwischen zwei Begriffen von environment. Er kontrastiert den herkömmlichen Umweltbegriff, der die ‘physische’ oder ‘geografische’ Umwelt als etwas Externes, mit klar und objektiv zu definierenden Eigenschaften begreift, mit dem Begriff der ‘behavioral environment’ (Hallowell 1955b, 86), welcher der Beziehung zwischen Organismus und Umwelt Rechnung tragen soll. In einer Fußnote verweist Hallowell darauf, dass diese Unterscheidung mittlerweile bekannt genug sei, auch wenn sich noch keine begriffliche Einigung ergeben habe (Hallowell 1955b, 388n33). Als weitere Begriffspaare, die auf den gleichen Sachverhalt abzielen, nennt er unter anderen Jakob von Uexkülls Unterscheidung zwischen ‘Umwelt’ und ‘Umgebung’ (vgl. Uexküll 1928) oder Andras Angyals Unterscheidung zwischen ‘external world’ und ‘environment’ (vgl. Angyal 1941). Basierend auf diesem Befund plädiert der Kulturanthropologe Hallowell überraschenderweise, dem Begriff der ‘behavioral environment’ einen höheren Stellenwert einzuräumen als dem der Kultur, da Kultur lediglich als ‘objektiver Kontext’ gedacht werden würde.11

Wenn also das Hauptaugenmerk auf der Frage der Umwelt als Beziehung zwischen Organismus und Umgebung liegt, dann ist die Weltanschauung, eben genau die Frage der Beziehung des Selbst zur Umwelt, im Herzen der Ethnografie. Oder besser, wir haben es vielmehr mit einer „Ethno-Metaphysik” (ethno-metaphysics) zu tun, da es darum geht, „das Wesen der Welt des Seins, wie es von anderen begriffen wird” (Hallowell 1960, 20) zu beschreiben. Während eine Untersuchung der Kultur als Kultur westliche Kategorien auf den Untersuchungsgegenstand projiziert, geht es bei der Frage der Weltanschauung darum, die grundlegende Orientierung des Selbst in der ‘behavioral environment’ zu beschreiben. Viele ethnografische Untersuchungen von Kultur operieren beispielsweise mit der Unterscheidung zwischen natürlichen und übernatürlichen Phänomenen, und untersuchen dann, wie sich diese Phänomene unterscheiden. Dabei wird übersehen, dass

[t]his dichotomy simply reflects the outcome of metaphysical speculation in latter-day thought in Western culture. Instead of assuming a priori that this dichotomy is really meaningful in other cultures, it might be more profitable to discover the metaphysical principles that actually exist. […] In any case, the individual must be quite as aware of his status in relation to other-than-human beings, as he is in relation to his human associates. […] In other words, the ‘social’ relations of the self when considered in its total behavioral environment may be far more inclusive than ordinarily conceived. (Hallowell 1955b, 92)

Gerade der Fokus auf die ‘other-than-human persons’ nicht als Kategorienfehler, sondern als Teil einer grundlegend anderen Weltanschauung bzw. Metaphysik, lässt Hallowell für den Neuen Animismus Pate stehen. Er selbst weist darauf hin, dass die Ojibwe keine ‘Animist:innen’ im klassischen Sinne sind, die überall Lebensgeister vermuten (Hallowell 1955b, 109). Vielmehr haben, je nach Orientierung des Selbst in der ‘behavioral environment,’ manche Dinge Personenstatus, während andere schlicht unbelebt sind. So antwortet Hallowells Informant auf die Frage, ob denn alle Steine belebt seien, mit einem lakonischen „Some are” (Hallowell 1955b, 109). Die kategoriale Unterscheidung zwischen Mensch und Nicht-Mensch spielt also keine (signifikante) Rolle in der Metaphysik der Ojibwe. Für Hallowell ist dies keine Frage der Kultur, sondern der Orientierung in der ‘behavioral environment.’

The Ojibwa self is not oriented to a behavioral environment in which a distinction between human beings and supernatural beings is stressed. … All the effective agents of events throughout the entire behavioral environment of the Ojibwa are selves—my own self or other selves. Impersonal forces are never the causes of events. Somebody is always responsible. (Hallowell 1955a, 181)

Welche ‘Selves’ Personenstatus haben, hängt damit davon ab, welche Art von Beziehungen man mit ihnen eingehen kann, und dies hängt von ihrem jeweiligen Wirken in der ‘behavioral environment’ ab. In seinem vielzitierten Text zur Weltanschauung zieht Hallowell den Schluss:

The more deeply we penetrate the world view of the Ojibwa the more apparent it is that ‘social relations’ between human beings (dnicindbek) and other-than-human ‘persons’ are of cardinal significance. (Hallowell 1960, 22–23)

Zwischen Tylor und Hallowell lassen sich damit die beiden zentralen Topoi des Animismus klar erkennen: Während für Tylor Animismus den ‘Spiritualismus’ bezeichnet, geht es Hallowell um die Frage der “other-than-human ‘persons’” (Hallowell 1960, 23). Genau diese Zweiteilung des Feldes wird auch von Katherine Swancutt (2019) im Eintrag zu Animismus in der autoritativen Cambridge Encyclopedia of Anthropology hervorgehoben (vgl. auch Harvey 2017a, 3). Als die beiden „wegweisenden Themen” beschreibt Swancutt einerseits „die Existenz verschiedener Arten von ‘Geistern’ und ‘Seelen’” und andererseits die unterschiedliche „Zuweisung von Personen-Status” (Swancutt 2019, 2).

Während sich beide Topoi auch heute noch in den Diskussionen widerspiegeln, ist es vor allem die Frage der (nicht-menschlichen) Person, die im Neuen Animismus das bestimmende Thema darstellt. So beginnt Harvey das 2005 geschriebene Vorwort zu Animism: Respecting the Living World, der programmatischsten und umfangreichsten Monografie zum Neuen Animismus, mit einem Satz, der beinahe als Mantra der Neuen Animist:innen gesehen werden kann: „Animists are people who recognize that the world is full of persons, only some of whom are human, and that life is always lived in relationships with others” (Harvey 2017axvii). Ernst Halbmayer fasst die „zentralen und grundlegenden Aspekte der allgemein als ‘Neuer Animismus’ bezeichneten Kosmologien” (Halbmayer 2012a, 106) mit zwei distinkten Punkten zusammen: Erstens gibt es mehr-als-menschliche Personen, die mit Agens, Reflexivität und Intentionalität ausgestattet sind und zweitens sind eine Vielzahl von Relationen (Kommunikation, Transformation, Interaktion, etc.) zwischen diesen Personen möglich.

4 Neuer Animismus und die Krise der Vorstellung

Wenn Hallowells Studien zu den Ojibwa ein Vorläufer des Neuen Animismus sind, dann lässt sich Nurit Bird-Davids 1999 erschienener Aufsatz ‘Animism’ Revisited: Personhood, Environment and Relational Epistemology als seine Gründungsschrift bezeichnen. Im Zusammenführen von „current environment theory” (nach Gibson [1979] 2015) und „current personhood theory” (nach Strathern 1988) entwickelt Bird-David einen Animismusbegriff, der jenseits der Dualismen von Mensch/Umwelt, Körper/Geist angesiedelt ist, Dualismen die Bird-David (widerwillig)12 als „modern” bezeichnet (Bird-David 1999, 68). Nachdem Bird-Davids Text mit einer Kritik der modernistischen Animismusbegriffe nach Tylor (Durkheim, Levi-Strauss, Guthrie) einleitet – welche allesamt versuchen den Animismus mit modernen Kategorien zu fassen –, findet sie folglich in Hallowells Schriften nicht nur einen konstruktiven Ansatz, sondern auch das Desiderat für ihre Arbeit.

Hallowell’s contribution is to free the study of animistic beliefs and practices first from modernist person concepts and second from the presumption that these notions and practices are erroneous. However, the case needs to be further pursued. (Bird-David 1999, 71)

Die entscheidende Erweiterung, die Bird-David nun exponiert, ist, dass sie den Personenbegriff von Hallowells „other-than-human persons” nicht als Spielart des modernen Individuums versteht, wie sie es noch Hallowell vorwirft, sondern stattdessen durch Marilyn Stratherns Entwurf der Person als Dividuum ersetzt. Sich auf Stratherns berühmtestes Werk The Gender of the Gift (1988) beziehend, ein Buch das selbst bereits eine Kritik und ein „unwriting” (Strathern in Viveiros de Castro und Fausto 2017, 40) ihrer ersten Monografie Women in Between (1972) darstellt, präsentiert13 Bird-David eine Gegenüberstellung von Individuum und Dividuum, die auf die Rolle der Relationalität abzielt.

I derive from Strathern’s ‘dividual’ (a person constitutive of relationships) the verb ‘to dividuate,’ which is crucial to my analysis. When I individuate a human being I am conscious of her ‘in herself’ (as a single separate entity); when I dividuate her I am conscious of how she relates with me. This is not to say that I am conscious of the relationship with her ‘in itself,’ as a thing. Rather, I am conscious of the relatedness with my interlocutor as I engage with her, attentive to what she does in relation to what I do, to how she talks and listens to me as I talk and listen to her, to what happens simultaneously and mutually to me, to her, to us. (Bird-David 1999, 72)

Eine Person von ihren Relationen ausgehend zu denken, ermöglicht ein Bild des animistischen Denkens, welches beinahe eine komplette Umkehrung der klassischen Vorstellung von Animismus darstellt. Man unterhält keine Beziehungen mit einem Baum, weil man (fälschlicherweise) annimmt, dieser sei eine Person, wie es von Tylor über Durkheim bis Guthrie unterstellt wurde. Vielmehr weil man Beziehungen zu diesem oder jenem bestimmten Baum unterhält, lässt sich dieser als Person begreifen (Bird-David 1999, 73). Diese Beziehungen sind keinesfalls willkürlich, sondern bestehen im Aushandeln diverser Affordanzen, gleichsam Fragen der Umwelt und des Verhaltens. Auf dieser Grundlage – der Lektüre von Hallowell qua Strathern und Gibson – entwirft Bird-David den Animismus als relationale Epistemologie:14

If the object of modernist epistemology is a totalizing scheme of separated essences, approached ideally from a separated viewpoint, the object of this animistic knowledge is understanding relatedness from a related point of view within the shifting horizons of the related viewer. […] It involves dividuating the environment rather than dichotomizing it and turning attention to ‘we-ness,’ which absorbs differences, rather than to ‘otherness,’ which highlights and eclipses commonalities. Against ‘I think, therefore I am’ stand ‘I relate, therefore I am’ and ‘I know as I relate.’ (Bird-David 1999, 76–77)

Was nun für unser Verständnis des Neuen Animismus entscheidend ist, ist nicht die Arbeit an einer angemesseneren, ‘besseren,’ das heißt zutreffenderen und verantwortungsvolleren Beschreibung der Epistemologie und Ontologie bestimmter animistischer Arten des In-der-Welt-Seins (Viveiros de Castro 1999; Descola 2013b), sondern die Exposition jener relationaler Onto-Epistemologien jenseits der innerdisziplinären Frage ethnografischer Beschreibungen. Nicht nur wird dies in der Rezeption von Bird-Davids Aufsatz deutlich – so geht es für Alf Hornborg bei der Frage der An- oder Abwesenheit von Bezogenheit (relatedness) in Bird-Davids ‘Animism’ Revisited um „nicht weniger als das Problem der Moderne selbst” (Hornborg 1999, 80) – Bird-David selbst verweist am Ende des Aufsatzes explizit auf die Verbindungen zu „Strömungen wie der Tiefenökologie, der sozialen Ökologie und dem Ökofeminismus, die sich eine allumfassende moralische Gemeinschaft aus Menschen und Nichtmenschen vorstellen” (Bird-David 1999, 89). Dieser Anspruch wird im Laufe der Jahre immer deutlicher, so heißt es in einem zusammen mit Danny Naveh verfassten Aufsatz:

So-called ‘primitive animism,’ once it is better understood in the way we suggest, can open another way of looking that can help us think about the environmental crisis. … [T]he strengths of perspectives such as animism [is] that [it] can help in dealing with the environmental crisis. (Bird-David und Naveh 2013, 37)

Während Naveh und Bird-David noch hinzufügen, dass aufgrund der notwendigen Unmittelbarkeit der Bezüge im Animismus dieser zwar keine global anwendbaren Organisationsmodelle liefern könne, die der planetaren Klimakatastrophe gewachsen seien (vgl. Bird-David und Naveh 2013, 36), tritt die Onto-Epistemologie des Animismus zweifellos als Hoffnungsträger und Ausweg aus der derzeitigen Krise hervor.

Die Vorstellung der Krise, die einer solchen Konzeption zu Grunde liegt, lässt sich mit Fritjof Capra (1996) als „Krise der Vorstellung” (crisis of perception) bezeichnen. In seinem The Web of Life, einem für weite Teile des heutigen Umweltdiskurses zentralen, wenn auch selten zitierten Werk (vgl. u. a. Moore 2015, 4), versucht Capra die Vielzahl an Problemen des späten 20. Jahrhunderts, die vom „Aussterben von Tier- und Pflanzenarten […über] massive Verschuldung […zu] Ressourcenknappheit […und] ethnisch und tribalistisch motivierter Gewalt” (Capra 1996, 4) reichen, als eine einzige Krise, als die Krise der Vorstellung zu fassen. Auch wenn die Wortwahl „perception” hier leicht zu Missverständnissen führen kann, geht es ihm letztendlich darum, dass all diese Probleme auf eine bestimmte „perception” der Welt zurückzuführen sind, und deshalb eine „radikale Veränderung in unseren Vorstellungen (perceptions), unserem Denken, unseren Werten” (Capra 1996, 4) vonnöten ist. Und genau dies scheint der Neue Animismus zu versprechen.

5 Ein Handbuch fürs Überleben der Zivilisation

Die Hoffnung auf die rettende Kraft des Animismus ist keinesfalls eine Eigentümlichkeit von Naveh und Bird-David, sondern sie durchzieht als ein entscheidendes Kennzeichen den gesamten Diskurs des Neuen Animismus. Die wohl eingehendste Darstellung des Neuen Animismus findet sich in dem über 500 Seiten fassenden, programmatischen Handbook of Contemporary Animism (2013). Von Graham Harvey ediert, versammelt das Handbuch 40 Protagonist:innen des Neuen Animismus, darunter auch Naveh und Bird-David. Während eine der Stärken des Handbooks gerade darin liegt, dass es eine große Breite an Positionen und Ansätzen abdeckt – die von zeitgenössischer Ethnografie über Re-Lektüren klassischer Texte bis hin zu diffuser Esoterik reichen15 – und somit die lebhaft geführte Diskussion widerspiegelt, soll im Folgenden gerade die Gemeinsamkeit, die sich durch nahezu alle Beiträge zieht, hervorgehoben werden. Aufgrund der Zentralität der versprochenen Rettung für das hier entwickelte Argument soll ausführlich aus dem Handbook zitiert werden. Um den – trotz diverser Uneinigkeiten (siehe bspw. Rivals Kritik an Descola und Viveiros de Castro (Rival 2013, 97)) – bemerkenswerten verbalen Gleichklang der Beiträge zu wahren, sind die Zitate im Folgenden nicht übersetzt.

Die Dringlichkeit der animistischen Rettung wird bereits von Herausgeber Harvey in seiner Einleitung zum zweiten Buchteil unmissverständlich hervorgehoben: „The nature of the world, of humans, and all life, is at stake” (Harvey 2013a, 75). Es gehe um nicht weniger als „the fate of the earth” (Grimes 2013, 504). Was dem Diskurs seine Dringlichkeit verleiht, ist ganz unmissverständlich die Klimakatastrophe, da wir heute mit einer „world coming undone” (Hogan 2013, 21) konfrontiert sind. So spricht Deborah Bird Rose ganz generell von “ecologically sparked-up animist thinking” (Rose 2013, 139).

It seems increasingly possible that our immediate descendants, and perhaps many of those now living, will face the ultimate challenge of human viability: reversing our drive towards destroying our planetary habitat. […] The appearance of ecological crises on the multiple fronts of energy, climate change and ecosystem degradation suggests we need much more than a narrow focus on energy substitutes. We need a thorough and open rethink which has the courage to question our most basic cultural narratives. (Plumwood 2013, 441)

Das westliche Denken, mit seiner Trennung zwischen Mensch und Natur, „is consistently identified as a key root cause of many current environmental problems” (Barrett 2013, 416). Genau weil das westliche Denken in eine Sackgasse geraten ist, die das Überleben des ganzen Planeten bedroht, brauchen wir nicht-westliches Denken: „[W]e need the new animists. We need change” (Hogan 2013, 21).

Only then [when we listen to other, animist cultures, MS] can we hope for a future when the reassuring boundaries between nature and culture will have blurred for good, opening an era when an emerging cosmopolitan human reason will have brought forth new ecological values and shared normative practices. (Rival 2013, 100)

Um der „greatest political challenge of our time,” die die biologische und kulturelle Diversität betrifft, zu begegnen, brauchen wir eine „cultural revolution in the way we think about nature” (Rival 2013, 99). Entsprechend gilt es für „[t]hose who wish to move Western society towards greater sustainability and a more sustainable story” (Stuckey 2013, 206) einen „new myth to live by in our imperilled times” (Harding 2013, 378) zu finden. Mit Ausnahme von Douglas Ezzy, der in den animistischen Mythologien populärer, westlicher Science Fiction Literatur die „most promising possibilities for a more general transformation of ‘Western’ culture” (Ezzy 2013, 188) sieht, liegt der Fokus in erster Linie auf allem, was ‘außerhalb’ des westlichen Denkens liegt. Neuer Animismus versuche „to take animism seriously by reversing the primacy of Western metaphysics over indigenous understandings and follow the lead of the animists themselves in what they are saying about spirits, souls and the like” (Willerslev 2013, 275). „My goal,” so Priscilla Stuckey, “is to learn from these animist stories” (Stuckey 2013, 191), weshalb sie sich auf „cultural stories that challenge – and therefore provide alternatives to – that of the modern West” (Stuckey 2013, 200) konzentriere.

Our world suffers now from the ecological devastations of a warming planet, extinctions of species and degraded soils and waters, and from profound inequalities of race, gender and class within societies and enormous gaps between wealthy and poor countries. If stories are what we are, then the stories we have been telling ourselves must be profoundly broken. The fundamental tale we tell ourselves will need to change. (Stuckey 2013, 191)

Hier tritt besonders deutlich Capras Motiv der Krise der Vorstellung zu Tage: Umweltkatastrophe, ökonomische Ungleichheit, Rassismus, Geschlechterbeziehungen, die Wurzel all dieser Probleme ist grundlegend in unseren Vorstellungen, in unserem Denken zu verorten. Für Val Plumwood, die sich selbst als „philosophical animist” bezeichnet (Plumwood 2013, 447), ist es gerade der „failure to understand our ecological situation, being out of touch with what is happening to our ecological world and with ourselves as ecological beings” (Plumwood 2013, 445), der im Herzen der Krise liegt.

Modernist reductionism is highly relevant to the ecological crisis. This ideology has been functional for Western culture in enabling it to colonize and exploit the nonhuman world and so-called ‘primitive’ cultures with less constraint. But it also inherits the dangerous illusions that deny human embeddedness in and dependency on nature. (Plumwood 2013, 446)

So wichtig das Denken auch für die Entwicklung des Westens gewesen sein mag, heute hat es ausgedient:

I found that, however useful this constitutional division [between the realm of nature and the abode of speaking creatures, MS] may have been in triggering the accomplishments of modernity, it has now outlived its moral and epistemological efficiency, thus making way for what I believe will be a new exciting period of intellectual and political turmoil. (Descola 2013a, 91)

Ganz grundlegend tritt also der Animismus als Gegenmodell zur Moderne auf, ein Motiv, das sich – mit Ausnahme von Casey Brienzas Studie zur Rolle des Animismus, Fetischismus und Konsums (Brienza 2013) – durch beinahe alle Beiträge zieht. So findet sich die Beschreibung von „other than Western ways of knowing” (Hogan 2013, 18), deren animistische Kosmologien „a contrast to the Western story” (Stuckey 2013, 191) bieten und sich der „simple Western categorization” (Wallis 2013, 310) widersetzen. Wir befinden uns „a far cry from the conventions of the individual subject in Western thinking” (Willerslev 2013, 157). Alf Hornborg hält unmissverständlich fest: „Animism suggests the very antithesis of this objectifying modern stance” (Hornborg 2013, 246). Weiter spricht er von der Notwendigkeit „Europa und den ‘Westen’ zu entthronen” (Hornborg 2013, 245).

Given the severity of our present ecological crisis, an ecocide that is in fact a suicide, an unraveling of the centuries-long Western story may be needed before a new fabric can be woven, a new story of our own nature told, one that is closer in alignment with reality, which is to say, nature itself. (Stuckey 2013, 206)

Hier zeigt sich zudem ein weiterer Aspekt, der sich durch das Handbook zieht, und zwar die Behauptung, dass nicht nur die Weltsicht des modernen Westens „profoundly at odds with reality” (Stuckey 2013, 206) sei, sondern gerade, dass der Animismus in ‘größerer Nähe zur Realität’ stehe.

In vielen der Beiträge tritt ein, für die neuere Anthropologie nicht untypischer, „sense of frustration at the seemingly impregnable self-belief of Western epistemology, its certainty that, eventually, it will know everything” (Letcher 2013, 341) zu Tage, der – ganz dem ‘alten Animismus’ von Tylor und Frazer treu bleibend – animistisches Denken schlicht als falsch betrachtet. So beginnt auch Colin Scott damit, entschieden hervorzuheben, dass es „no basis for imagining that animistic ontology produces less accurate knowledge of the world than naturalist ontologies of science” (Scott 2013, 165) gebe, dass man also den Animismus keinenfalls als ‘falsch’ betrachten könne. Später kehrt sich dann allerdings diese epistemische Bescheidenheit und es heißt, dass in der heutigen Welt der Animismus eine „truer vision” (Scott 2013, 166) bieten könnte. Auch Plumwood spricht von einem „false sense” (Plumwood 2013, 44), den das nicht-animistische Denken vermittle, Harris von etwas, das „more fundamental to human experience than conventional Western dualist consciousness” (Harris 2013, 403) sei. Olu Taiwo spricht schlicht von der „truth of an animate universe” (Taiwo 2013, 500) und für Rose „is [kinship] the way of life on earth” (Rose 2013, 145, Hervorhebung im Original). Auch wenn die „solidarity with the more-than-human terrain” (Abram 2013, 130) ein entscheidendes Kennzeichen ist, und der Animismus beispielsweise ein „significant behavioural model for relations between human being and the plant lives which sustain the biosphere” (Hall 2013, 393) liefert, ist es keinesfalls darauf zu reduzieren. Es geht nicht lediglich um eine neue Ethik – darum, zivilisierter im Umgang mit Tieren und Pflanzen zu sein – sondern gleichsam um nicht weniger als die Frage, wie das Universum tatsächlich beschaffen ist. Ganz explizit wird diese Tendenz zur Ontologie beispielsweise bei Tim Ingold. Sich gegen das hylemorphistische Denken richtend, welches das Denken des Westens in den letzten 2000 Jahren bestimmt habe, formuliert Ingold sein Ziel explizit so: „My ultimate aim, however, is to overthrow the model itself, and to replace it with an ontology… This is the ontology of animism” (Ingold 2013, 214). Es ist der Animismus der heute eine größere ‘Wahrheit’ zu versprechen scheint.

Western scientific culture, for its part, faces undeniable crises stemming from attempted evacuation of values and sacred meaning from its model of objective reality. […] Our present and worsening environmental relations indicate that a world constituted of relations of reciprocity is a truer vision, from the standpoint of longer-term adaption and evolution, than a world of competitive opposition and exploitation. (Scott 2013, 166)

Bei den onto-epistemologischen Ausführungen der Animist:innen geht es also um die Frage der Ontologie als Frage des Überlebens. Für Plumwood stellt der Versuch der Neuen Animist:innen anders zu Denken „a basic survival project in our present context” (Plumwood 2013, 452) dar, während auch für Hogan unmissverständlich fest steht: „Animism, where every particle in the universe is alive, is implicit in all our work for future survival” (Hogan 2013, 22). Auch für Ronald Grimes handelt es sich hierbei um eine Frage des „planetary survival” (Grimes 2013, 503). Nicht länger bloß Makel in einem unabgeschlossenen Zivilisationsprozess, steht für die animistische Neuorientierung nicht weniger auf dem Spiel als das mittlerweile utopische „survival of civilization itself” (Harding 2013, 373).

6 Ordnung, Utopie, Wildheit: Anthropologie im Savage Slot

Wie lässt sich die versprochene Rettung durch relationale Onto-Epistemologie, wie sie im Neuen Animismus in Erscheinung tritt, kritisch hinterfragen, ohne gleichsam das ganze Projekt einfach von der Hand zu weisen und noch hinter die Theorieanstrengungen des 20. Jahrhunderts zurückzufallen und die aktivistischen Errungenschaften, beispielsweise zum „legal animism” (vgl. hierzu u.a. Biemann und Tavares 2014), und die indigenen Kritiken (z. B. Todd 2015) zu ignorieren. Eine analytisch vielversprechende Option wird derzeit von Mayanthi Fernando verfolgt, die die Beweislast im Diskurs verschiebt, indem sie fragt, warum gerade der Animismus und nicht beispielsweise der Fetischismus, warum gerade die belebte Natur und nicht das Übernatürliche, warum gerade das Agens von Bäumen, aber nicht Geistern oder Dschinns (im akademischen Kontext) akzeptiert ist und als opportunes Denkmodell erscheint (Fernando work-in-progress). Sich – wie auch Fernando – den Arbeiten von Michel-Rolph Trouillot zuwendend, möchte ich im Verbleibenden eine andere, unmittelbar politische Option skizzieren.

Die Grundlage für Trouillots Argument ist ebenso evident, wie sie (vor allem in Kritiken der Anthropologie) oft ignoriert wird: Die Geschichte des Westens einerseits, und die Geschichte der Anthropologie andererseits, sind trotz enger Verwobenheit nicht ein und dasselbe. Berechtigte Kritiken an kolonialistischen Praktiken und Macht-Formen greifen nicht notwendigerweise auf die Anthropologie und umgekehrt besteht auch keine notwendige Korrelation zwischen dem, was Trouillot als die „postmoderne Kritik der Anthropologie” (Trouillot 2003, 7) bezeichnet – mit ihrer starken Emphase auf die „Reevaluation der Ethnografie als Text” (Trouillot 2003, 8) – und ihrer politischen Relevanz. „Wie alle akademischen Disziplinen,” so fasst Trouillot zusammen, „erbte auch die Anthropologie ein Bedeutungsfeld, das ihrer Formalisierung vorausging” (Trouillot 2003, 9). Weniger als der Anthropologie selbst, ist es dem Bedeutungsfeld, welches die Anthropologie diszipliniert, dem sich Trouillot widmet.

Im Herzen seiner Erzählung steht dabei eine komplexe, dreigliedrige Beziehung (tripartite relation, Trouillot 2003, 24), die als Dialektik entlang dreier Slots entfaltet wird: Ordnung (order), Utopie (utopia) und Wildheit (savagery). Ordnung, Utopie und Wildheit kartieren die „Geografie der Imagination” des Westens als westlicher Zivilisation (Trouillot 2003, 2–11, 119). Trouillot spricht hierbei explizit nicht von ‘der Moderne’ 16 und schon gar nicht von ‘Aufklärung,’ sondern vom Westen (the west) als der für die Formation des Bedeutungsfelds der Anthropologie entscheidenden Projektion (vgl. Trouillot 2003, 136). Diese Verlagerung ist entscheidend, da sie erstens hervorhebt, dass die durch Trouillot entwickelte Kritik weder anti-aufklärerischer Natur ist (vgl. Trouillot 2003, 17, 20, 69), noch (notwendigerweise) anti-modern.

Im Gegenzug hierzu werden ‘Aufklärung’ und ‘Moderne’ zu den großen Widersachern in den Diskursen des Neuen Animismus stilisiert. Im Lichte von Adorno und Horkheimers berühmten Ausführungen zum Begriff der Aufklärung, in welchen es heißt, die „Entzauberung der Welt [sei] die Ausrottung des Animismus” (Horkheimer und Adorno 1947, 15), treten die gegenaufklärerischen Tendenzen vieler neuer Animismen besonders deutlich zu Tage. So sprechen viele Autor:innen explizit vom Neuen Animismus als Aspekt der Wieder-Verzauberung (re-enchantment) der Welt (explizit als solche bezeichnet u. a. in Garuba 2003, 2012; Curry 1999). Ebenso beschreibt Harvey den Animismus als einen der „other-than-modern ways of being human” (Harvey 2017a, xxvii) und das „Projekt der Moderne [als] schlecht durchdacht und gefährlich ausgeführt” (Harvey 2017a, xviii). Somit hilft das Augenmerk auf die Rolle des ‘Westens’ zweitens, den neuen Animismus nicht als Bruch mit der anthropologischen Tradition zu stilisieren. Die Koexistenz aufklärerischer und anti-aufklärerischer, moderner und nicht-moderner Strömungen innerhalb der Geschichte der Anthropologie scheint mithin auch deshalb so leicht miteinander vereinbar, da der formierende Bezugsrahmen der Disziplin weder die Aufklärung noch die Moderne, sondern der Westen, die westliche Zivilisation, ist.17 Kritiken des Neuen Animismus haben folglich am Begriff der Zivilisation anzusetzen, anstatt seine Proklamationen einer Abkehr von der (dabei ständig selbst beschworenen) Aufklärung und Moderne als grundlegende Geste zu akzeptieren.

In einer skizzenhaften Wiedergabe von Trouillots Argument beginnt der Westen im Jahre 1492. Allerdings ereignete sich die wichtigste Szene (vgl. Trouillot 2003, 20–21; siehe auch 1995, 108–56) dieser Erzählung knapp zwei Wochen bevor Christopher Columbus Isabella I. und Ferdinand II. von seinem Vorhaben, in See zu stechen, überzeugen konnte. Am 2. Januar 1492 endete die zehnjährige Eroberung des Sultanats Granada durch die katholische Kirche mit der Kapitulation von Muhammad XII. Boabdil und brachte damit die lange Reconquista zu ihrem Abschluss. Anstelle der bekannten Erzählung, laut derer die Entdeckung der neuen Welt, des Anderswo, der Others, die Dualität von Utopie/Wildheit gebiert, beginnt Trouillot mit der Etablierung einer inneren Ordnung, welche dann in Utopie und Wildheit ihre Vermittlung findet. Trouillot merkt trocken an, dass „Thomas More nicht auf ethnografische Berichte aus den Amerikas gewartet hat, bevor er seine Utopia verfasste” (Trouillot 2003, 20) und dass das „Anderswo auch tatsächlich irgendwo war, habe lediglich einige Spezialisten interessiert” (Trouillot 2003, 16). Die Frage der Ordnung, in ihren politischen wie ideologischen, theoretischen wie praktischen Wendungen, war das zentrale Thema der Zeit—wie der Fall von Granada vor der Entdeckung Amerikas ist auch Machiavellis Il Principe drei Jahre vor Mores Utopia datiert (Trouillot 2003, 21).

Die chronologischen Bemerkungen illustrieren lediglich das grundlegende Argument: „Utopie macht nur vor einer absoluten Ordnung, gegen die sie projiziert werden kann, Sinn” (Trouillot 2003, 20). Trouillot zeichnet nun nach, wie sich diese Figuration in der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert (unter anderem via Rousseaus Naturzustand und Kants Teleologie) dahingehend auffaltet, dass eine klare Unterscheidung zwischen dem Platz (Slot) der Utopie und dem der Wildheit zu treffen ist. Utopie und Wildheit stehen folglich nicht im Verhältnis von Eutopie und Dystopie, wie oft in vereinfachenden Darstellungen angenommen wird; vielmehr hat der Anspruch universeller Ordnung, der seine Vermittlung in der Utopie findet, seine Negation in der Wildheit. Anders gesagt: Die konkrete Ordnung des Westens findet ihre Verabsolutierung in der Allgemeinheit der Utopie, die ihre Negation in der Besonderheit der Wilden hat. Die ethnografischen Arbeiten, die Faszination der Anthropologie mit den detaillierten Beschreibungen dieses oder jenes Stammes in seiner Einzigartigkeit, sind strukturelle Eigenschaften der Wissenschaft im Slot der Wilden. Umgekehrt fasst Trouillot zusammen:

[…] for just as the Savage is in an unequal relationship with utopia, so is utopia in an uneven relationship with order. Just as the Savage is a metaphorical argument for or against utopia, so is utopia (and the Savage it encompasses) a metaphorical argument for or against order, conceived of as an expression of legitimate universality. It is the mediation of universal order as the ultimate signified of the Savage-utopia relation that gives its full sense to the triad. In defense of a particular vision of order, the Savage became evidence for a particular type of utopia. (Trouillot 2003, 22)

Die Emergenz des Slots der Wilden geht also der Anthropologie voraus und ist ein integraler Bestandteil der Geografie der Imagination des Westens. Trouillot folgend entstand die Anthropologie gerade als die18 Wissenschaft, die „den Slot der Wilden in der Trias Ordnung-Utopie-Wildheit ausfüllen sollte, einer Trias die der Institutionalisierung der Anthropologie vorgängig ist und ihr kontinuierliche Kohärenz trotz innerdisziplinärer Verschiebungen gibt” (Trouillot 2003, 28).

In den 1990ern sieht Trouillot nun eine grundlegende Krise für die Anthropologie: Was tun, als Wissenschaft des Slots der Wilden, wenn die Wilden verschwinden, wenn unter postmodernen Bedingungen die Rede von Wilden zunehmend an Plausibilität verliert?

The portrait of the postmodernist anthropologist that emerges from this dual exercise is not a happy one indeed. Camera and notebooks in hand, [she] is looking for the Savage, but the Savage has vanished. … The world that the anthropologist inherits has wiped out the empirical trace of the Savage-object: Coke bottles and cartridges now obscure the familiar tracks. To be sure, one could reinvent the Savage, or create new Savages within the West itself. (Trouillot 2003, 24, Hervorhebung MS)

Während sich Trouillots Untersuchungen hier in andere Richtungen entwickeln, führt uns diese Anmerkung zurück zum Neuen Animismus. Wie weiter oben bereits ausgeführt, ist nämlich das charakteristischste Merkmal des Neuen Animismus, dass es sich nicht mehr um ein ‘Außen,’ um einen ‘Exportvorgang,’ sondern um das ‘Innen,’ um einen ‘Importvorgang’ handelt. Strukturell bleibt somit der Neue Animismus, genau als „Savage-utopia relation” (Trouillot 2003, 22), seinem Platz in der symbolischen Ordnung der westlichen Zivilisation treu. Als Zeugnis für eine bestimmte Utopie, die wiederum als Verteidigung einer bestimmten Ordnung aufgehoben ist, nimmt die animistische Onto-Epistemologie ihren Slot in Trouillots dreigliedrigen Schema ein. Da jeder Schritt jedoch vermittelt und nicht mechanistisch ableitbar ist, lässt sich die symbolische Ordnung nicht einfach bruchlos aus einem ihrer Momente rekonstruieren. Was ist also die utopische Projektion, die der Animismus bezeugt? Und was ist die Ordnung, die in und durch diese Projektion verteidigt wird? Es ist mit diesen Fragen, so hoffe ich gezeigt zu haben, dass eine Kritik des Neuen Animismus zu beginnen hat.

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Fußnoten

1 Mein Dank gilt allen Mitgliedern der DFG-Forschungsgruppe Mediale Teilhabe, die seit 2017 auf Projekttreffen diverse Versionen dieses Manuskripts mit mir diskutiert haben, dabei insbesondere Michel Schreiber und Mathias Denecke für ihre ausführlichen, schriftlichen Kommentare. Erich Hörl und Jana Bacevic danke ich für ihre frühe Be-kräftigung sowie Daniel Bella und den beiden anonymen Gutachtenden für ihre hilfreichen Kommentare und Präzisierungen zum fertigen Manuskript. 2 Um den Lesefluss zu erleichtern sind in den Fließtext eingebundenen Zitate ins Deutsche übersetzt. 3 Diese Szene ist selbstverständlich karikaturistisch überspitzt. Ob Tylor wirklich fassungslos gewesen wäre, ist zu bezweifeln. Bereits zu Beginn des ersten Bandes seiner Primitive Culture beschreibt Tylor am Beispiel einer alten Frau aus Somersetshire, wie bestimmte Praktiken bis in die heutige Zeit überleben (survival) oder sogar wiederbelebt werden (revival). „Progress, degradation, survival, revival, modification, are all modes of the connexion that binds together the complex network of civilization. (Tylor [1871] 2010) Erhard Schüttpelz hebt hervor, dass Tylor den Animismus gleichsam universalisiert und bekämpft (Schüttpelz 2005, 385). 4  Für eine Kritik der Ausstellung siehe Halbmayer 2012b. 5 Obwohl nicht direkt zitiert, haben die Arbeiten von Mayanthi Fernando das hier entwickelte Argument stark beeinflusst (vgl. u. a. Fernando 2014). 6  Ich danke Reviewer 2 für diesen klärenden Hinweis. Für Latour sind es v. a. der ‘typologisierende’ Philippe Descola und der ‘dekolonialisierende’ Eduardo Viveiros de Castro (vgl. Latour 2009), deren Diskussionen den Rahmen des Problemfelds abstecken (für eine Diskussion des Neuen Animismus, die auch Descola und Viveiros de Castro berücksichtigt, siehe Nerlich 2020). 7 Stahls Arbeiten spielen folglich vor allem in Bezug auf die Diskussionen um Auslösungskausalität in Anschluss an Mayer eine Rolle (vgl. Mayer 1893, s. a. Stengers und Prigogine 1983, 90), finden aber in der Anthropologie wenig Beachtung. Ich danke Viktor Hois für diesen Hinweis. 8 Für eine ausführliche Darstellung von Tylors Arbeit im Kontext der heutigen Religionswissenschaft siehe Jenny Nerlich (2020), die den aktuellen sozialanthropologischen Animismus überzeugend von Tylors Definition abgrenzt. Neben den auch im vorliegenden Artikel besprochenen Sozialanthropolog:innen Hallowell und Bird-David geht Nerlich darüber hinaus mit Descola und Viveiros de Castro auf weitere wichtige Vertreter ein. 9  Zum ersten Mal scheint Tylor den Begriff bereits 1866 als ‘geeignete’ (convenient) Bezeichnung für das Ausstatten von Naturphänomenen mit „personal life” (Tylor 1866, 82) zu verwenden. 10  Harvey spricht explizit vom „old animism” (Harvey 2006, 3–17). 11 Genau die Frage der ‘behavioral environment,’ der Umwelt, bringt Hallowell unversehens – noch bevor er überhaupt auf die Metaphysik der Ojibwa eingeht – auf die Frage des Animismus. So weist er als erstes darauf hin, dass die Vorstellung der mechanischen, objektiven Umwelt erst im 17. Jahrhundert die Vorstellung der belebten (animated) Umwelt innerhalb der westlichen Kultur abzulösen begann. Bei Hallowell tritt die Nähe der hier behandelten Bewegung zu dem, was Erich Hörl als „Allgemeine Ökologie” beschrieben hat, besonders deutlich zu Tage (siehe v. a. Hörl und Burton 2017; Hörl 2013). 12 „These dualistic conceptions are historical constructs of a specific culture which, for want of a better term, will henceforth be referred to by the circumlocution ‘modernist.’” (Bird-David 1999, 68; Hervorhebung MS) 13 Ob diese Darstellung auch tatsächlich Stratherns Begriff der Relation entspricht, ist hierbei irrelevant. Viveiros de Castro beispielsweise widerspricht Bird-Davids Darstellung vehement und weist darauf hin, dass Stratherns Relationen gerade das sind, was trennt, und nicht das, was verbindet (Viveiros de Castro 1999, 80). Auch Brian Morris zweifelt die so vollzogene Gegenüberstellung von Individuum und Dividuum an (Morris 1999, 83). 14 Zur Unterscheidung zwischen den stärker epistemologisch und den stärker ontologisch ausgerichteten Ansätzen der jüngeren Animismusforschung siehe Halbmayer (2012a). 15 Ich danke Reviewer 1 für die Präzisierung sowie die treffende Formulierung. 16 Auch wenn Trouillot selbst „quite ambivalent about the extent to which modernity can be fully conceptualized” (Trouillot 2003, 36) ist, liefert er doch detailliertere Beschreibungen von Moderne und Modernisierung (vgl. Trouillot 2003, 37–39). 17 Diese Privilegierung der Kategorie der westlichen Zivilisation ist häufig sogar explizit, selbst wenn sie weitgehend unhinterfragt bleibt. So beschreibt beispielsweise Isabelle Stengers ihre Kritik an Aufklärung und Moderne bereits im Titel ihres Buchs unverblümt als den Versuch, die Moderne zu zivilisieren (vgl. Stengers 2017). 18 Auch wenn die Anthropologie ein gewisses Vorrecht auf den Savage Slot zu haben scheint, ist sie doch bei Weitem nicht die einzige Wissenschaft, die versucht, den Slot zu füllen. So legt u. a. Cobb (2005) nahe, dass dies auch für weite Teile der Archäologie zu gelten scheint.