Oliver Lubrich/Nina Peter: Emotionen im Feld – Emotionen in der Wissenschaft: Tagebuch und Monographie bei Bronisław Malinowski

Abstract: Welche Rolle spielen Emotionen in der Ethnografie? Zwei Texte von Bronisław Malinowski (1884–1942) werden einer kontrastiven Analyse unterzogen: sein postum herausgegebenes Tagebuch, A Diary in the Strict Sense of the Term (1967), und seine wissenschaftliche Monografie, Argonauts of the Western Pacific (1922). Mit der teilnehmenden Beobachtung begründete Malinowski einen Forschungsstil, der die Forschenden in die Lebenswelt der Beforschten auch emotional involvierte. Die Publikation seines Tagebuches löste jedoch einen Skandal aus, weil seine Einträge dem Ideal des empathischen Beobachters zu widersprechen schienen. Da beide Texte auf der gleichen Periode der Feldforschung auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neuguinea (1914–1918) beruhen, ermöglichen sie eine vergleichende Versuchsanordnung: Wie unterscheiden sich die Darstellungen der Emotionen des Forschers? Werden im Tagebuch Emotionen verhandelt, die aus der Monografie ,verdrängt‘ wurden? Gibt es umgekehrt Emotionen, die in der Monografie einen größeren Raum einnehmen? Und wie verhalten sich die Darstellung eigener Emotionen, die Darstellung der Emotionen anderer und die Wirkabsicht der Texte zueinander? Die Studie verbindet quantitative und qualitative Verfahren und verfolgt damit ein methodologisches Interesse: Das Vokabular wird anhand von Emotionsdiktionären digital ausgewertet. Schlüsselpassagen werden im close reading rhetorisch und narratologisch verglichen. Die Ergebnisse zeigen, wie Malinowski Emotionen, die im Tagebuch breiten Raum einnehmen, in der Monografie ausspart oder nur andeutet. Zugleich zeigen sie die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Philologie.

Keywords: Anthropology, emotions, quantitative and qualitative analysis, Bronislaw Malinowski

 

 

„[U]nder certain circumstances it is easier to succumb to emotional beliefs than to resist them.“

Bronisław Malinowski, Tagebuch, 6. Mai 1918

1 Private und öffentliche Emotionen

Der polnische Sozialanthropologe und Ethnograf Bronisław Malinowski (1884–1942) gilt als Pionier der Feldforschung und Begründer der teilnehmenden Beobachtung. Dieser Ruf geht auf seine Arbeit auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neuguinea in den Jahren 1914 bis 1918 zurück, deren Ergebnisse er unter anderem in der Monografie Argonauts of the Western Pacific (1922) veröffentlichte.1 In dieser Studie, die auch jenseits der Ethnologie wahrgenommen wurde, beschreibt er die komplexe Praxis des Austauschs von Gaben (Kula), die zwischen den Inseln zirkulär weitergegeben wurden. Einleitend formuliert er programmatische Überlegungen zur Feldforschung – die zwangsläufig durch Emotionen beeinflusst wird.2

Vor dem Hintergrund seiner kanonisch gewordenen Forscherleistung löste die Publikation von Malinowskis Tagebuch einen Skandal aus.3 Die vom Verfasser nicht zur Veröffentlichung bestimmten Notizen erschienen nach seinem Tod, initiiert von seiner Witwe, Valetta Swann, und übersetzt aus dem Polnischen, unter dem Titel A Diary in the Strict Sense of the Term (1967).4 Die privaten Aufzeichnungen ließen den Feldforscher in einem neuen Licht erscheinen. Denn sie eröffneten einen Zugang zu Gedanken und Emotionen, die keinen Eingang in seine wissenschaftliche Monografie gefunden hatten. Sie gaben Einblicke, die der öffentlichen Persona des Forschers widersprachen.5 Malinowski schreibt hier über seine täglichen Routinen und Erlebnisse sowie seine Emotionen gegenüber den Einheimischen, aber auch über sein Leben vor dem Aufenthalt in Melanesien, seine Freundschaften, eine beendete und eine sich anbahnende Liebesbeziehung sowie sein sexuelles Begehren.6

In der wissenschaftlichen Community wurde das Tagebuch kontrovers diskutiert. Clifford Geertz, selbst ein einflussreicher Ethnologe, änderte seine Meinung über Malinowskis Tagebuch mehrfach. Zunächst erschien es ihm als ein peinliches Zeugnis („embarrassing7), das eine problematische Persönlichkeit offenbare („a crabbed, self-preoccupied, hypochondriacal narcissist, whose fellow feeling for the people he lived with was limited in the extreme8). Später deutete er es als realistische Korrektur eines Idealbildes der teilnehmenden Beobachtung: „The myth of the chameleon fieldworker, perfectly self-tuned to his exotic surroundings, a walking miracle of empathy, tact, patience, and cosmopolitanism was demolished by the man who had perhaps done most to create it.9 Gut zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen schließlich erklärte Geertz das Tagebuch zum „backstage masterpiece of anthropology, our The Double Helix“.10 Diese Neubewertung ist vor dem Hintergrund der Writing-Culture-Debatte in den 1980er-Jahren zu sehen, welche die Rolle von Ethnograf*innen während der Feldforschung sowie bei deren Vermittlung diskutierte und darauf aufmerksam machte, dass Beobachtungen nie unabhängig von den Beobachtenden und den rhetorischen Verfahren ihrer Darstellung zu verstehen sind.11

Malinowskis Monografie und sein Tagebuch fordern uns zu einer vergleichenden Lektüre heraus, die sich auf die dargestellten Emotionen konzentriert, und zwar nicht nur rhetorisch, sondern mit alternativen Verfahren der Analyse, sodass sie als methodologisches Experiment über die Problematik ethnografischer Beobachtung hinausweisen wird.

2 Formatierte Emotionen

Als Quelle, die es ermöglicht, die Bedingungen und die Praxis ethnologischer Forschung an einem Fallbeispiel zu studieren und zu reflektieren, wurden Malinowskis Tagebuch-Aufzeichnungen wiederholt untersucht.12 Überraschenderweise jedoch liegt bislang keine vergleichende Analyse der im Tagebuch und in der Monografie erwähnten und beschriebenen Emotionen vor, obwohl deren nicht nur anekdotisch, sondern auch epistemisch bedeutende Rolle für die ethnografische Praxis mittlerweile Eingang in die Selbstreflexion des Fachs gefunden hat.13

Wer beide Texte zu lesen beginnt, das Diary und die Argonauts, kann bereits auf den ersten Seiten feststellen, wie unterschiedlich sie mit Affekten, Gefühlen und Emotionen umgehen, das heißt: wie sie als Gattungen jeweils affektpoetisch angelegt sind.14 Der erste Eintrag im Tagebuch, datiert auf „Port Moresby, September 20, 1914“, eröffnet mit der dramatischen Feststellung: „September 1st began a new epoch in my life: an expedition all on my own to the tropics.15 In einer Emotionalität, die dieser dramatischen Zäsur zu entsprechen scheint, erinnert sich der Tagebuchschreiber an seine Wut auf einen Jugendfreund („my anger“, „which became a deep resentment“), und er beschreibt das Gefühl der Einsamkeit am Anfang seiner Expedition („I felt quite deserted“).16 Auf der folgenden Seite kommt ein Gefühl der Wärme hinzu (die sich hier auf Bekannte in Brisbane bezieht: „I treated them with a warmth which was not, however, reciprocated“), im Gegensatz dazu vor allem jedoch Angst: „I didn’t feel well in Brisbane. Strong fear of the tropics; abhorrence of heat and sultriness – a kind of panic fear […].“17 Die Folge sind Niedergeschlagenheit („depressed“) und die Sorge, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein („afraid I might not feel equal to the task before me“).18

In der Monografie ist von all dem zunächst keine Rede. Allerdings ist der Ethnograf auch hier das Subjekt der Darstellung. Nach zwei Absätzen, in denen zuerst die Indigenen in der dritten Person beschrieben werden („The coastal populations of the South Sea Islands […] are, or were before their extinction, expert navigators and traders.“19) und die scientific community in der ersten Person Plural zur Geltung kommt („We possess in Professor Seligman’s book an excellent description“20), tritt er schließlich auch grammatisch als Erzählerfigur hervor, die in der ersten Person zu sprechen beginnt („This trading system, the Kula, is the subject I am setting out to describe“21). Die erste Fotografie des Bandes bildet sogar seine Unterkunft ab, wodurch die autobiografische Perspektive des berichtenden Feldforschers auch visuell deutlich wird: „The Ethnographer’s Tent“.22

Als Malinowski sich anschickt, die Bedingungen zu beschreiben, unter denen er seine Beobachtungen anstellte, kommt er auf seine Erfahrung zu Beginn der Feldforschung („my first initiation“) zu sprechen, zu der ganz wesentlich auch Emotionen wie Langeweile, Verzweiflung, aber auch Hoffnung gehören: „the feeling of hopelessness and despair“,23tropical depression and boredom“ sowie „my hope“.24

Der Autor versetzt seine Leser*innen, die er in der zweiten Person anredet, mit rhetorischen Verfahren der Veranschaulichung (die in der griechisch-lateinischen Tradition der Rhetorik unter Begriffen wie enargeia oder evidentia als besonders wirksame Mittel der Emotionalisierung konzipiert wurden) sogar szenisch und suggestiv in die Lage, ihrerseits nachempfinden zu können, wie er sich in einer bestimmten Situation gefühlt habe: „Imagine yourself suddenly set down surrounded by all your gear, alone on a tropical beach close to a native village, while the launch or dinghy which has brought you sails away out of sight.“25 Dass es sich bei Malinowskis Eröffnung seiner Ethnografie um einen ,authentischen‘ Gefühlsausdruck handele, ist allerdings fraglich. Mary Louise Pratt zum Beispiel sieht in dieser Passage weniger die Beschreibung eigener Emotionen als die Aktualisierung eines Topos aus der Reise- und Abenteuerliteratur, jenem des castaway, den er zur Selbstinszenierung genutzt habe.26

Es ist keineswegs so, dass Emotionen, einschließlich der Emotionen des Forschers, in der Monografie ausgeblendet würden. Aber sie scheinen zurückgenommen und verobjektiviert zu werden, anders ausgewählt und dargestellt als im Tagebuch. Und ebenso wie die Produktion der Ethnografie hat auch ihre Rezeption, die der Text rhetorisch beeinflusst, nicht nur im engeren Sinn eine ästhetische, sondern auch im weiteren Sinn eine affektive Dimension.

In verschiedenen Textsorten werden Emotionen unterschiedlich vermittelt, sie werden generisch formatiert. Das heißt, ihre Darstellung ist bedingt durch die Konventionen der Gattung.27 Als journal intime hat ein Tagebuch die Funktion, den Empfindungen eines erzählenden Ich Ausdruck zu geben. Psychologisch dient dies der Selbstreflexion, aber auch der Selbststabilisierung, ganz besonders in Ausnahmesituationen wie auf einer Expedition oder im Krieg.28 Diese Funktion seines Tagebuchs („the meaning of a diary29) diskutiert Malinowski in seinen Aufzeichnungen wiederholt selbst, zum Beispiel:

it occurred to me that the purpose in keeping a diary and trying to control one’s life and thoughts at every moment must be to consolidate life, to integrate one’s thinking, to avoid fragmenting themes. – Also gives a chance for reflection.30

Ausdrücklich versteht Malinowski sein Tagebuch als Mittel des Emotionsmanagements.31 Und er notiert Vorsätze und Richtlinien für seine Forscheremotionalität:

The most important thing would be to eliminate elements of worry out of my work. To have a feeling of the ultimate mastery of things.32

Auch wenn sein Tagebuch damit in einem engen Zusammenhang mit seiner Forschung steht (und er in der Feldforschung entwickelte Methoden auch auf seine persönlichen Aufzeichnungen anwendet33), hat es für Malinowski eine entschieden andere Funktion als seine wissenschaftlichen Feldnotizen. 1918 notiert er auf der Rückseite seines Tagebuchs:

Main thing to do is to reflect on the two branches: my ethnological work & my diary & to take the clue from both. They are well-nigh as complementary as complementary can be.34

Narratologisch gesprochen, handelt es sich bei Tagebüchern um autodiegetische Texte.35 Das heißt: Ihre Erzählinstanz erzählt von sich selbst. Sie machen den Lesenden das Angebot eines „autobiografischen Pakts“, demzufolge die schreibende, die erzählende und die handelnde Instanz einander entsprechen.36 Bei wissenschaftlichen Monografien oder Feldforschungsberichten ist dies nicht der Fall; hier steht nicht die Subjektivität des oder der Beobachtenden im Mittelpunkt, sondern das Leben der Beobachteten. Die erzählerische Konstruktion ist hier allenfalls homodiegetisch. Das heißt: Die Erzählinstanz erzählt von Ihresgleichen. Beziehungsweise bei Malinowski: Der Erzähler ist als teilnehmender Beobachter zwar Teil der erzählten Handlung, aber nicht ihr zentraler Akteur.37 Die Darstellung seiner Affekte liegt daher weniger nahe.

Wie können wir nun aber die Unterschiede in der Darstellung von Emotionen zwischen verschiedenen Gattungen en détail methodisch erfassen? Wie intensiv werden Emotionen in der Monografie und im Tagebuch thematisiert? Welche Emotionen spielen eine Rolle? Werden im Tagebuch Emotionen verhandelt, die aus der Monografie ausgeschlossen oder sogar ,verdrängt‘ wurden? Werden (gewisse) Emotionen im wissenschaftlichen Diskurs tabuisiert? Gibt es umgekehrt aber auch Emotionen, die in der Monografie einen größeren Raum erhalten als im Tagebuch? Welche Gemeinsamkeiten und welche Widersprüche ergeben sich zwischen beiden Texten und ihren Emotionsdarstellungen? Und wie verhält sich die Darstellung eigener Emotionen zur Darstellung der Emotionen anderer sowie zur rhetorisch gestalteten Wirkabsicht der Texte?

Aus dieser ethnografischen, emotionswissenschaftlichen und philologischen Fragestellung ergibt sich eine methodische, die uns in das aktuell vieldiskutierte und umstrittene Feld der Digital Humanities führt. Denn Malinowskis vorliegende Texte – einerseits die privaten Aufzeichnungen, andererseits die veröffentlichte Monografie, die auf Beobachtungen aus demselben Zeitraum beruht – ermöglichen eine besondere Versuchsanordnung: die Auswertung des jeweils verwendeten Emotionsvokabulars und seinen Vergleich. Methodologisch bietet dieses Vorgehen die Möglichkeit, nach den Reichweiten und Grenzen verschiedener Auswertungs- und Analyseverfahren zu fragen: Wie aussagekräftig ist eine computerbasierte Kodierung von Emotionswörtern der beiden Texte? Wie lassen sich die Emotionswörter quantifizieren? Und auf welche Weise können wir die quantitativen Daten durch qualitative Analysen überprüfen, ergänzen und einordnen? Über den paradigmatischen Fall hinaus geht es also noch viel grundsätzlicher darum, quantitative Verfahren der Text- und Emotionsanalyse, die in den Humanities häufig von vornherein skeptisch betrachtet oder instinktiv abgelehnt werden, möglichst unvoreingenommen zu erproben, um ihre Vorteile und Nachteile kritisch abwägen zu können. Auf dem Spiel steht die Methode der Ethnografie ebenso wie die ihrer Erforschung.

3 Emotionsvokabular

Um die Fragen nach der Darstellung von Emotionen in Malinowskis Texten zu beantworten, steht ein breites Spektrum von Methoden zur Verfügung – sowohl qualitativer wie auch quantitativer. Wir können die Texte lesen und deuten. Aber wir können ihr Vokabular auch mithilfe von Computern identifizieren und kategorisieren.

Ein Werkzeug für digitale Quantifizierungen bieten systematische Diktionäre, mit denen ein gegebener Text abgeglichen wird.38 Für die vorliegende Studie wurden zwei Emotionslexika eingesetzt, die nach unterschiedlichen Prinzipien erstellt worden sind.

Geneva Affect Label Coder (GALC):39 Dieses Diktionär ordnet Wörter, die affektive Zustände bezeichnen, bestimmten Emotionen und Gruppen von Emotionen zu. Es wurde mit dem Ziel entwickelt, „36 Affektkategorien zu erkennen, die in natürlichen Sprachen üblicherweise durch Wörter unterschieden werden“.40 Als Verzeichnis von insgesamt 280 Wortstämmen bildet der Geneva Affect Label Coder die Grundlage für eine automatisierte Textcodierung und eine quantitative Auswertung der im Text adressierten Emotionskategorien.41 Der Ansatz ermöglicht es also, zwei Fragen zu beantworten: wie viele Emotionswörter in einem Text im Verhältnis zur Gesamtzahl der Wörter vorkommen, d. h. wie groß der Anteil des Emotionsvokabulars am Gesamtvokabular ist; und welchen distinkten Emotionen sich diese Emotionswörter zuordnen lassen, d. h. wie sich das Emotionsvokabular auf die verschiedenen Emotionen bzw. Emotionsgruppen verteilt. Auf diese Weise lassen sich Aussagen sowohl über die generelle Emotionalität eines Textes wie auch über die relative Gewichtung spezifischer Emotionen treffen – beides auf der Ebene ihrer expliziten Benennung.42

NRC Word-Emotion Association Lexicon (EmoLex):43 Anders als der Geneva Affect Label Coder verzeichnet das EmoLex nicht nur Wörter, die Emotionen explizit benennen („affect labels“), sondern auch solche, die Emotionen assoziieren („emotion association“). Das Diktionär enthält 14.182 englischsprachige Wörter, die nach ihrer Valenz (positiv oder negativ) und dem Grad ihrer Assoziation (weakly, moderately oder strongly associated)44 mit acht Basis-Emotionen (anger, anticipation, disgust, fear, joy, sadness, surprise, trust) eingestuft wurden.45 Nicht die Frage, welche Emotionen in einem Text benannt werden, sondern welche Emotionen mit dem Wortmaterial eines Textes assoziiert werden, ist also der Gegenstand einer Untersuchung mit EmoLex. Das Diktionär erfasst so einen größeren Teil des Wortmaterials mit einem weniger direkten Emotionsbezug. Und es unterteilt das Spektrum der Emotionen weniger differenziert in lediglich acht anstelle von 36 Kategorien.

4 Sind Emotionen quantifizierbar?

Welche quantitativen Ergebnisse haben die automatisiert vorgenommenen Codierungen mit den beiden Emotionswörterbüchern?

Ganz allgemein lässt sich zunächst die Häufigkeit der Emotionswörter beschreiben, die in Malinowskis Diary bzw. Argonauts identifiziert werden.

Häufigkeit der Emotionswörter: GALC

Wortzahl Erkannte Emotionswörter Anteil am Gesamttext
Diary 102.774 2791 2,716 %
Argonauts 213.905 2233 10,58 %

 

Setzen wir die Zahl der Emotionswörter, die mit dem Geneva Affect Label Coder erkannt werden, ins Verhältnis zur Wortzahl des jeweiligen Textes, so erhalten wir Aufschluss über den Anteil des Emotionsvokabulars am Gesamttext. Dieser Anteil liegt mit rund 2,7 Prozent für das Tagebuch deutlich höher als mit rund 1,0 Prozent für die Monografie. An der Oberfläche des Textes ist der explizite Emotionsdiskurs im Tagebuch also 2,7-mal dichter und damit wesentlich intensiver als in der Monografie.

Ein anderes Ergebnis zeigt sich bei der Anwendung des Emotionsdiktionärs EmoLex:

Häufigkeit der Emotionswörter: EmoLex

Wortzahl Erkannte Wörter mit Emotionsbezug Anteil am Gesamttext
Diary 102.774 12.004 11,68 %
Argonauts 213.905 22.641 10,58 %

 

Im Diary lassen sich 12.004 Wörter identifizieren, die diesem Wörterbuch zufolge als „emotion-related“ einzustufen sind, in den Argonauts sind es 22.641. Der Unterschied der Anteile am jeweiligen Gesamttext ist hier viel geringer als bei der Anwendung des Geneva Affect Label Coder: 11,68 Prozent der Wörter im Diary werden als emotionsbezogen eingeordnet gegenüber 10,58 Prozent in den Argonauts.46

Der Unterschied zwischen Tagebuch und Monografie, der auf der Ebene benannter Emotionen sehr deutlich war, ist auf der Ebene assoziierter Emotionen beinahe verschwunden. Während der Anteil des Wortmaterials, das Emotionen direkt bezeichnet, im Tagebuch wesentlich größer ist als in der Monografie, ist der Anteil des Wortmaterials, das sich indirekt auf Emotionen bezieht, in beiden Textgattungen fast gleich groß. Das bedeutet: Der emotionale Diskurs ist zwar im Tagebuch klar expliziter, in impliziter Form jedoch ist er in der Monografie gleichwohl in ähnlichem Ausmaß vorhanden.

In einem zweiten Schritt lässt sich die Valenz der emotionsbezogenen Wörter erfassen. Wie positiv oder negativ sind diese im Tagebuch und in der Monografie insgesamt?

Valenz der Emotionswörter: GALC (Prozentualer Anteil am Gesamttext)

Diary Argonauts
Negativ 0,132 % 0,033 %
Positiv 0,300 %

 

Ein Vergleich der Wörter, die Emotionen benennen, ergibt, dass bei einer generellen Abnahme des Emotionsvokabulars vom Diary zu den Argonauts der Anteil negativer Emotionswörter noch stärker zurückgeht (um drei Viertel) als der Anteil positiver Emotionswörter (um lediglich ein Drittel).

Valenz der emotionsbezogenen Wörter: EmoLex (Prozentualer Anteil am Gesamttext)

Diary Argonauts
Negativ 4,96 % 3,350 %
Positiv 6,582 % 0,193 %

 

Nach der Auswertung mit EmoLex finden sich in den Argonauts im Vergleich zum Diary nicht nur deutlich weniger Wörter, die negative Assoziationen haben, sondern auch deutlich mehr Wörter, die positive Assoziationen auslösen. Die privaten Aufzeichnungen im Tagebuch sind also emotional weniger angenehm, erfreulich und optimistisch als die öffentlichen Mitteilungen in der Monografie. Die Publikation ging einher mit einer Positivierung.

Konkretere Unterschiede ergeben sich hinsichtlich spezifischer Emotionen, wie eine Auswertung nach Kategorien zeigt.

Meistgenannte Emotionen: GALC

Diary Argonauts
Longing 0,318 % Anger 0,202 %
Anger 0,260 % Longing 0,112 %
Feeling Love 0,260 % Interest/Enthusiasm,0,089 %
Pleasure/Enjoyment,0,108 % Feeling Love 0,061 %
Interest/Enthusiasm,0,107 % Tension/Stress 0,050 %

 

Nach der Analyse mit dem Geneva Affect Label Coder führen für beide Texte Wut (anger) und Sehnsucht (longing) die Liste der am häufigsten erwähnten Emotionen an, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge und mit gewissen Unterschieden hinsichtlich des Anteils am Gesamttext (rund 0,32 Prozent zu 0,26 Prozent bzw. 0,20 Prozent zu 0,11 Prozent). Interesse (interest) und Begeisterung (enthusiasm) haben in der Monografie einen höheren Rang (Position 3) als im Tagebuch (Position 5), auch wenn ihr relativer Anteil am jeweiligen Wortmaterial dort immer noch größer ausfällt. Anspannung und Stress, deren Erwähnung im Tagebuch auf den ersten Blick eher zu erwarten gewesen wäre, nehmen in den Argonauts (0,050 Prozent des Gesamttextes) prozentual einen größeren Raum ein als im Diary (0,031 Prozent des Gesamttextes). Dieser Befund könnte damit erklärt werden, dass sie in der Monografie als Motive der Authentifizierung dienen und entsprechend als rhetorische Strategie eingesetzt werden: Die emotionalen Herausforderungen beglaubigen die Augenzeugenschaft. Zwischen den Emotionen des Wissenschaftlers und den Emotionen der Wissenschaft bzw. in der Wissenschaft sind jedenfalls Verschiebungen festzustellen.

Meistassoziierte Emotionen: EmoLex

Diary Argonauts
Anticipation 2,148 % Trust 2,597 %
Trust 1,917 % Anticipation 1,929 %
Joy 1,571 % Joy 1,537 %
Sadness 1,525 % Fear 1,208 %
Fear 1,224 % Surprise 1,081 %
Anger 1,147 % Sadness 0,880 %
Disgust 1,039 % Anger 0,795 %
Surprise 0,970 % Disgust 0,582 %

 

Auch im Hinblick auf die Priorität bestimmter Emotionen zeigt sich bei der Anwendung von EmoLex ein anderes Ergebnis als bei der Anwendung des GALC. Die Gewichtung von Kategorien assoziierter Emotionen fällt anders aus als die Gewichtung von Kategorien benannter Emotionen.

Die deutlichsten Unterschiede in der prozentualen Häufigkeit ergeben sich zwischen dem Diary und den Argonauts in den Emotionskategorien von Ekel, Traurigkeit, Wut und Vertrauen. Im Tagebuch finden sich deutlich mehr Wörter, die mit Ekel assoziiert sind (in den Argonauts machen diese nur 61 Prozent der vergleichbaren Menge im Diary aus, nämlich 0,582 Prozent gegenüber 1,039 Prozent), ebenso Traurigkeit (62,9 Prozent) und Wut (83 Prozent); im Diary finden sich dagegen deutlich weniger Wörter, die mit Vertrauen verbunden werden (67 Prozent der Vergleichsmenge in den Argonauts). Weniger Wut und mehr Vertrauen – in der veröffentlichten Ethnografie werden bestimmte Emotionen privilegiert.

Dass ausgerechnet der Ekel im Tagebuch eine im Vergleich mit den Argonauts so große Rolle spielt, ist besonders bemerkenswert, wenn wir ihn als Anzeichen unüberwindlicher Andersheit betrachten.47 Als unwillkürliche psycho-physische Reaktion, nämlich als Reflex, sich zu übergeben, blockiert er die ästhetische Wahrnehmung und das kognitive Verstehen.48 Je stärker dieser Affekt instinktiver Abwehr sich einstellt (ohne dass er als Gefühl kognitiv erfasst oder als Emotion begrifflich benannt werden muss), desto größer ist der Widerwille gegen die erforschte Wirklichkeit. Dieses Eingeständnis, das Malinowski in seinen privaten Notizen dokumentiert hatte, hat er in der publizierten Monografie zurückgenommen. Im Diary entspricht das Ekel-Vokabular 0,039 Prozent des Gesamttextes, in den Argonauts nur noch 0,007 Prozent (GALC), bzw. es entspricht 1,039 Prozent der emotionsbezogenen Wörter im Diary gegenüber nur noch 0,582 Prozent in den Argonauts (EmoLex).

Allerdings ist dieser Befund für beide Methoden inhaltlich zu relativieren: Von 40 Ekel-Nennungen im Diary beziehen sich nur elf auf die Lebenswelt der Indigenen. Und die Ekel-Assoziationen des Vokabulars im EmoLex wurden durch Proband*innen ermittelt, d. h. es handelt sich um Wortmaterial, das diese ekelhaft finden, nicht unbedingt aber der Ethnograf.

5 Vom Nutzen und Nachteil digitaler Verfahren

Sowohl bei quantitativen als auch bei qualitativen Methoden sind einige Besonderheiten des Materials zu berücksichtigen:

Die Ausgabe des Diary ist nicht vollständig. Die Notizen wurden vor der Veröffentlichung von Malinowskis Witwe ,zensiert‘. Eine historisch-kritische Edition, die das Original-Manuskript mit dem publizierten Text abgleichen würde, existiert noch nicht.

Die Aufzeichnungen sind überwiegend auf Polnisch verfasst. Es handelt sich bei dem untersuchten Text des Diary also um eine Übersetzung,49 während der Text der Argonauts von vornherein auf Englisch erschien.50

Malinowski führte nicht während der ganzen Zeit seiner Feldforschungsaufenthalte Tagebuch. In den Argonauts bezieht er sich auf Beobachtungen von drei Aufenthalten: vom August 1914 bis März 1915, vom Mai 1915 bis Mai 1916 und vom Oktober 1917 bis Oktober 1918. Die Tagebücher umfassen den Zeitraum vom 20. September 1914 bis zum 3. April 1915, einen einzelnen Eintrag vom 1. August 1915 und den Zeitraum vom 28. Oktober 1917 bis zum 18. Juli 1918. Es liegt mithin keine kontinuierliche Aufzeichnung vor.

Eine quantitative Analyse der verwendeten Emotionswörter, die automatisiert vorgenommen wird, bringt darüber hinaus eine Reihe methodischer Schwierigkeiten mit sich, die erst in der konkreten Untersuchung genau einzuschätzen sind:

Mit einer automatischen Analyse, die sich auf die Erfassung einzelner Wörter beschränkt, ist nicht zu unterscheiden, von wessen Emotionen jeweils die Rede ist. Beschreibt Malinowski seine eigenen Emotionen, die der Indigenen oder die seiner europäischen, amerikanischen oder australischen Brief- und Gesprächspartner*innen?

Ebenso wenig lässt sich aus der quantitativen Analyse von Wörtern, die unabhängig von ihrem Kontext erfasst werden, ersehen, worauf sich die genannten oder assoziierten Emotionen beziehen, was jeweils ihr Objekt bzw. ihr Auslöser ist. Da Malinowski in seinem Tagebuch keineswegs ausschließlich über seine Feldforschung schreibt, sondern diverse persönliche Beziehungen und Themen zur Sprache bringt, historische Ereignisse oder eigene Lektüren kommentiert, wäre auch hier eine Differenzierung erforderlich. Denn auch wenn Malinowskis allgemeine Stimmung einen Einfluss auf sein Verhalten im Feld, auf seine Beobachtungen und auf deren Interpretation hat, so macht es doch einen Unterschied, ob er Wut auf seine indigenen Gesprächspartner oder auf einen Schulfreund im Tagebuch festhält und dann aus der wissenschaftlichen Monografie ausklammert, ob die Sehnsucht nach seiner Geliebten oder das Begehren für eine Einheimische hier beschrieben wird und dort dann keine Erwähnung mehr findet.

Es werden nur die Emotionswörter selbst erfasst, nicht aber ihre Verneinungen, Umkehrungen, Bewertungen oder Reflexionen. Negationen werden ebenso wenig berücksichtigt wie verstärkende oder abschwächende Adverbien – ganz zu schweigen von Ironie. Digitalphilologische Verfahren versagen vor linguistischen und rhetorischen Feinheiten.

Automatische Programme der Worterkennung können mehrdeutige Wörter nicht als solche identifizieren. So kann „warmth“ nicht nur eine emotionale „Wärme“ bezeichnen, sondern auch ganz neutral eine Temperatur. Ob es sich um ein Emotionswort handelt, ergibt sich aus dem Kontext, den der Computer (noch) nicht zuverlässig berücksichtigen kann.

Eine quantitative Analyse ist auf die explizite Benennung bzw. eine festgelegte Assoziation von Emotionen beschränkt – ungebräuchliche Bezeichnungen oder individuelle Umschreibungen werden nicht erfasst.

Hinzu kommt eine historische Differenz. Denn im Fall der EmoLex-Wortliste wurden die Wörter von heutigen Proband*innen bewertet, deren Einschätzungen zeitlich und perspektivisch von jener des professionellen Ethnografen und seines Adressatenkreises vor 100 Jahren abweichen können.

Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, können mehrere Maßnahmen getroffen werden:

Die automatisierte Codierung der Emotionswörter wird durch eine manuelle Codierung ergänzt. Sämtliche Emotionswörter werden in einer eigenen Lektüre des Textes markiert. Wenn wir nicht nur deduktiv ein vorgegebenes Diktionär auf einen Text anwenden, sondern auch induktiv ein Verzeichnis von Wörtern aus einem vorliegenden Text gewinnen, hat diese aufwendige Arbeit mehrere Folgen: Die Treffsicherheit der verwendeten Emotionswörterlisten kann überprüft werden. Wörter, die vorgegebene Diktionäre nicht enthalten, können ein für Malinowski typisches Emotionsvokabular bilden, gewissermaßen ein „Malinowski Emotion Dictionary“. An der Universität Bern wurde ein derartiges Emotionsvokabular aus Malinowskis Diary erstellt, das mit 990 Wortstämmen 710 Wortstämme mehr umfasst als das standardisierte Diktionär des GALC. Das Emotionsvokabular der Argonauts ist mit 1274 Wortstämmen sogar noch umfangreicher; hier sind besonders viele Grenzfälle zu verzeichnen, also Wörter, die eine emotionale Bedeutung haben können, aber nicht immer mit dieser Semantik verwendet werden. Die Schnittmenge zwischen Malinowskis Emotionswortschatz und dem GALC ist durchaus beträchtlich. 161 im Diary und 143 in den Argonauts enthaltene Wortstämme stimmen mit dem GALC überein. Aber es gibt auch beträchtliche Abweichungen. Malinowskis Emotionsvokabular im Diary enthält 343 Wortstämme von Emotionswörtern sowie zusätzlich 486 Wortstämme von Grenzfällen, die der GALC nicht kennt.51 In den Argonauts enthalten sind 330 Wortstämme von Emotionswörtern sowie zusätzlich 801 Wortstämme von Grenzfällen, die im GALC nicht verzeichnet sind. Umgekehrt kommen 119 Wortstämme aus dessen Verzeichnis im Wortschatz des Diary und 137 im Wortschatz der Argonauts nicht vor.

Ein solches Vorgehen sensibilisiert für Grenzfälle, das heißt für die Frage, welche Begriffe als Bezeichnungen für Emotionen oder emotionale Zustände noch oder nicht mehr infrage kommen.52 Jedes Diktionär ist immer auch eine Setzung.

Schließlich lassen sich nicht nur einzelne Wörter, sondern systematisch verschiedene Wortgruppen beschreiben, die durch die standardisierte Wortliste nicht erfasst werden: beispielsweise fremdsprachige Wörter (z. B. „debolezza“, „générosité“, „Glück“, „intimement“, „joie de vivre tropicale“, „Komplex[]“, „Schwung“, „Sehnsucht“, „surchauffage“, „Tropenkoller“, „Wahn“, „Weltschmerz“).

Zusammengesetzte Emotionsausdrücke, die häufig eine besondere Qualität einer Emotion beschreiben (z. B. „desperate love“, „frightfully tired“, „hysterical fear“, „madly happy“, „nervous restlessness“, „petty threads“, „delightful sensation“, „keen enjoyment“), werden jeweils nur den Einzelkategorien zugeordnet, obwohl sie auch mixed emotions und damit eine besondere emotionale Qualität beschreiben.

Abkürzungen werden nicht erfasst (z. B. „felt symp.“, „skept.“, „uncomf.“). Gleiches gilt für emotionale Ausrufe, die in den schriftlichen Text integriert sind (z. B. „O“, „Oh“, „Alas!“).

Häufig werden Adjektive zu Emotionsausdrücken, wenn sie in Verbindung mit entsprechenden Begriffen als Attribute verwendeten werden (z. B. „excellent mood“, „fatherly feelings“, „inner emptiness“, „inner fuss“, „mental fogg“, „moral disorder“, „sensual attitude“, „good form“). Die GALC-Liste erfasst diese Form des Emotionsausdrucks nur sehr unzureichend. Insbesondere Adjektive, die in Kombination mit dem Verb to feel verwendet werden, dienen in der Regel dem Emotionsausdruck (z. B. „feel safe“, „feel worthy“, „feel broken“, „feel obstrusive“, „feel very dejected“, „feel brisk“, „feel empty“, „feel mentally balanced“, „feel shouldered“, „feel snowed under“, „feel stifled“, „feel vulgar“ oder auch „feel very much at home“). Hier finden sich auch besonders häufig verstärkende, abschwächende oder relationale Partikel (z. B. „feel a bit strong“, „feel a little knocked out“, „feel fairly low“, „feel quite well“, „feel too bad“, „feel a certain relief“, „feel completely broken“, „feel dinstinctly tired“, „feel not too exhausted“, „feel rather miserable“, „feel greatly relieved“, „feel so energetic“) oder Vergleiche (z. B. „feel better“, „feel decidedly better“, „feel incomparably better“, „feel much better“, „feel a bit worse“, „feel healthier“, „feel more lively“, „feel less hopeless“), die bei der automatischen Codierung ebenfalls keine Berücksichtigung finden.

Verstärkende Erweiterungen, die besonders intensive Emotionen anzeigen (z. B. „super-energized“, „super-tension“, „superirritability“, „supersensitiveness“), und auch eigenständige Verneinungen, Verstärkungen oder Abschwächungen (z. B. „inability to concentrate“, „lack of energy“, „loss of hope“, „absolutely candid“, „deep desire“, „deep resentment“, „deeply believe“, „real desire“) werden ebenfalls nicht erfasst.

Besonders deutlich wird die Relevanz zusätzlich informierender Wörter am Beispiel des Begriffs „rotten“. Malinowski fühlt sich in unterschiedlichen Abstufungen ,scheußlich‘ und formuliert so eine ganze Klaviatur des schlechten Gefühls: „feel rotten“, „feel so rotten“, „feel especially rotten“, „feel pretty rotten“, „feel quite rotten“, „feel rather rotten“, „feel really rotten“, „feel simply rotten“, „feel too rotten“, „feel very rotten“. All dies wird nicht durch die verwendeten Emotionslexika erfasst.

Auch Schimpfwörter (z. B. „scum“, „useless cripple“) implizieren eine Emotionalität und könnten daher ergänzend zum GALC aufgenommen werden. Gleiches gilt für idiomatische Wendungen, die häufig für einen Emotionsausdruck genutzt werden (z. B. „it’s too much“).

Eine Überprüfung des Emotionsvokabulars durch eine eigene Erfassung stellt die Aussagekraft der quantitativen Ergebnisse auch hinsichtlich des Emotionsbezugs infrage. Denn ein Abgleich zwischen beiden Textsorten zeigt, dass Malinowski im Tagebuch sehr häufig, in der Monografie dagegen fast nie über eigene Emotionen schreibt. Dafür werden dort sehr häufig die Emotionen der Indigenen beschrieben. Die erfassten Emotionswörter dienen also der Beschreibung unterschiedlicher Emotionssubjekte: im ersten Fall der Emotionen des Forschers, im zweiten Fall der Emotionen der Erforschten. Ein quantitativer Vergleich der Werte ist daher nur mit dieser Einschränkung aussagekräftig.

Emotionswörter oder -kategorien, die in der quantitativen Analyse besonders auffallen – gerade auch kontraintuitive Befunde (zum Beispiel der vergleichsweise hohe Ekel-Wert für das Diary oder der hohe Wut-Wert und der hohe Stress-Wert für die Argonauts) –, können qualitativ weiterverfolgt werden. Beobachtungen, die aus den quantitativen Daten gewonnen werden, können durch close readings erklärt werden. Idealerweise macht die quantitative Auswertung überhaupt erst auf solche Phänomene aufmerksam, die einer herkömmlichen Lektüre entgangen wären, aber in einer solchen dann weiter untersucht werden.

Die qualitative Überprüfung der codierten Wörter ergibt dabei für die Erwähnung von Ekel im Tagebuch, dass sich diese zwar nur in weniger als der Hälfte der Fälle auf die erforschte Lebenswelt der Indigenen bezieht, die vom GALC der Emotionskategorie Ekel zugeordneten Wörter aber durchaus auf diese Anwendung finden (abhorrence, aversion, dislike, repulsion). Die wenigen Ekel-Nennungen in den Argonauts beschreiben hingegen mit nur zwei Ausnahmen die Emotionen der Indigenen selbst. In den zwei Fällen, in denen Ekel als eine Emotion des Verfassers genannt oder zumindest angedeutet wird, bezieht sich der Affekt ausgerechnet auf eine Haltung westlicher Personen gegenüber den Indigenen, die kritisiert wird.

[Some white residents in the district] were for the most part, naturally enough, full of the biassed and pre-judged opinions inevitable in the average practical man, whether administrator, missionary, or trader, yet so strongly repulsive to a mind striving after the objective, scientific view of things.53

Diese Beobachtung ist vor dem Hintergrund von Malinowskis genereller Zurückhaltung bei der Schilderung eigener Emotionen in den Argonauts umso auffälliger. Die Erwähnung der starken Reaktion des Ekels in Bezug auf eine aus seiner Sicht falsche Perspektive auf den Forschungsgegenstand ist eng verknüpft mit Malinowskis Forschermotivation, seinen Forscheremotionen, wie in einer Passage im abschließenden Kapitel der Monografie deutlich wird:

What interests me really in the study of the native is his outlook on things […]. In the roamings over human history, and over the surface of the earth, it is the possibility of seeing life and the world from the various angles, peculiar to each culture, that has always charmed me most, and inspired me with real desire to penetrate other cultures, to understand other types of life. / To pause for a moment before a quaint and singular fact; to be amused at it, and see its outward strangeness; to look at it as a curio and collect it into the museum of one’s memory or into one’s store of anecdotes – this attitude of mind has always been foreign and repugnant to me.54

Dass der im Tagebuch notierte eigene Ekel gegenüber den Indigenen in der Monografie keine Erwähnung findet, lässt sich mit Malinowskis Wunsch erklären, eine unvoreingenommene und wertschätzende Perspektive auf die Indigenen einzunehmen, sie nicht in erster Linie als Kuriosität, sondern als Menschen wahrzunehmen, deren Lebensweise der eigenen in mancher Hinsicht durchaus ähneln und die so Aufschlüsse über einen selbst liefern kann. Nicht umsonst sucht Malinowski in seiner Studie immer wieder Vergleiche aus dem europäischen Kulturraum, um ein auf den ersten Blick fremd erscheinendes Verhalten zu erklären und nachvollziehbar zu machen. Auf diese Weise bringt er die Indigenen seinem Publikum näher, während der Ekel als distanzierende Emotion diesem Anliegen zuwiderläuft.

Ähnlich verhält es sich mit der Kategorie Wut. Während Malinowski im Tagebuch wiederholt seine Wut auf Indigene beschreibt und dazu mitunter drastische Worte wählt (besonders diese Passagen waren Ursache des Skandals der Tagebuchpublikation), beschreibt er an keiner einzigen der erfassten Wut-Stellen in den Argonauts eigene Emotionen. Die Wörter aus dem Begriffsfeld anger kommen ausschließlich zur Beschreibung der Emotionen der Indigenen zum Einsatz. Die Emotionen des Forschers werden in diesem Feld nicht erwähnt. (Vergleichbares gilt für andere Begriffsfelder.). Die qualitative Überprüfung der quantitativen Daten führt also zu einem Ergebnis, das den ersten Eindruck revidiert und differenziert: Obwohl Wut in den Argonauts (laut GALC-Codierung) die am häufigsten genannte Emotion ist, spielt Malinowskis Wut auf die Indigenen hier keine Rolle (mehr).

In einer qualitativen Analyse können einzelne Textabschnitte miteinander verglichen werden, die – im Tagebuch und in der Monografie – analoge Situationen beschreiben. Dieses Verfahren ermöglicht es, die angenommenen Unterschiede zwischen den beiden Textsorten zu überprüfen und dabei zusätzliche, insbesondere kontextuelle und rhetorische Faktoren zu berücksichtigen. Es erlaubt außerdem, auch solche Emotionen in die Analyse einzubeziehen, die nicht ausdrücklich beschrieben oder eindeutig evoziert werden. Eine solche Parallel-Lektüre von Diary und Argonauts ist jedoch nicht einfach, denn die wissenschaftliche Publikation unterscheidet sich von den privaten Notizen erheblich.

6 Ein Erlebnis – mehrere Texte

Wie wenig die publizierte Monografie eine Überarbeitung des Tagebuches darstellt, wird gerade an den wenigen Abschnitten deutlich, die sich noch am ehesten für eine Parallel-Lektüre anbieten würden. An zwei Stellen ist der Text des Tagebuches mit einer editorischen Anmerkung versehen, die darauf hinweist, dass eine entsprechende Szene in der Monografie beschrieben wird: „Malinowski described this voyage in his general survey of the kula disctrict, Argonauts of the Western Pacific, pp. 38–51.“55 Und: „This visit of an expedition from two islands west of Boyowa is described in detail in Argonauts, pages 269–72.“56

Die Stelle, die diesen Vergleich motiviert, steht im Tagebuch inmitten eines wahren Kaleidoskops von Emotionen: Der Tagebuchschreiber vermerkt innerhalb von nur fünf Zeilen, er sei „delighted“, „afraid“, „happy“, „not bored“. Malinowski schreibt von einer „Night full of dreams“ und „Thoughts, tender and passionate“. Es folgen Bemerkungen über „Fatigue“ und „Beauty“, „hatred, intrigue, inquisitiveness“, Wunder („Marvelous“), Genuss („I enjoyed“) und Gefühl („feeling“, „feelings“), Stimmungen („mood“, „moods“), Müdigkeit („lazily“, „tired“), sogar Reflexionen über eine „innere Wirklichkeit“ („inner reality“) und den „emotionalen Ursprung der platonischen Ideen“ („Emotional origin of Platonic Ideas57) – all dies innerhalb von nur dreieinhalb Seiten.58

Die im Tagebuch geschilderten Ereignisse werden in den Argonauts zweimal direkt aufgegriffen. In der ersten Passage59 erinnert Malinowski sich an eine Vollmondnacht („a full moon night, in March, 1918“), in der er zu seiner Überraschung („surprise“) die am selben Morgen aufgebrochene Kula-Expedition ganz in der Nähe ihres Ausgangspunkts wiedertrifft. Dieses Erlebnis ist im Tagebuch nicht erwähnt. Auch in der späteren Argonauts-Passage,60 welche die Ereignisse fast durchgehend aus der Perspektive Malinowskis erzählt, finden sich kaum Gemeinsamkeiten mit der Schilderung im Tagebuch. Verzeichnet werden in beiden Texten die unfreundliche Aufnahme durch die indigenen Bewohner der Amphlett-Inseln und Malinowskis Unzufriedenheit mit den dortigen Informanten (wobei diese im Tagebuch ausführlicher und emotionaler zum Ausdruck kommt). Die Beobachtung der Ankunft der Kula-Expedition aus Dobu auf den Trobriand-Inseln gehört zu den im Tagebuch am stärksten positiv konnotierten ethnografischen Erlebnissen: „once again feeling of ethnographic joy!“; „I was engrossed as an ethnographer“.61 In den Argonauts ist dagegen nicht mehr von einem Enthusiasmus des Forschers die Rede, lediglich von ästhetischem Wohlgefallen: „The general effect was powerful, when this wonderfully painted and fully decorated fleet was gliding swiftly over the green waters of the Lagoon“.62 Die Begeisterung wird in der Monografie zurückgenommen und objektiviert.

7 Eigene und fremde Emotionen

Argonauts of the Western Pacific ist als wissenschaftliche Monografie konzipiert. Nicht die Erzählung persönlicher Erlebnisse des Forschers, sondern die Beschreibung und Analyse der Praktiken und Vorstellungen der Erforschten stehen im Mittelpunkt. Malinowski verfasst keinen Reisebericht, der seine eigene Person und deren innere und äußere Bewegungen fokussieren würde, sondern er gliedert seine Forschungsergebnisse thematisch. Er stellt sie so dar, wie ihm ihre Vermittlung für seine Adressat*innen am nachvollziehbarsten erscheint. Auch wenn mitunter konkrete Episoden und individuelle Akteure beschrieben werden, ist das Ziel der Darstellung die generelle Charakterisierung der Kula-Praxis. Nur selten und mit Mühe lassen sich daher im Tagebuch geschilderte Erlebnisse in der wissenschaftlichen Monografie wiederfinden, nie werden sie unverändert übernommen. Wichtige Informanten, die im Tagebuch wiederholt vorkommen, tauchen in den Argonauts weder namentlich noch anonymisiert auf.

Dass nicht die Chronologie der Erlebnisse und des Erlangens der Informationen die Darstellung bestimmt, sondern die systematische Vermittlung der ethnologischen Erkenntnisse, wird besonders deutlich an Malinowskis exemplarischer Schilderung des Ablaufs einer Kula-Expedition. Hier bedient er sich zwar des Modells eines Reiseberichts, berichtet jedoch keine eigene Reise, sondern lässt die Lesenden an einer imaginierten Reise der Indigenen teilnehmen: „we shall follow a Kula expedition from Sinaketa to Dobu.“63 Eingebettet in diese Ethnografie im Format der Reiseerzählung sind immer wieder theoretische Einschübe und Erläuterungen, die in Übereinstimmung mit dem narratologischen Begriff als ,Pause‘64 in der Erzählung konzipiert sind und an deren Ende die Lesenden zu ihrer ,Reisegruppe‘ zurückgeleitet werden, zum Beispiel: „Let us return now to our Sinaketan fleet, moving southwards along the barrier reef and sighting one small island after another.“65 Es entsteht so eine chronologische Erzählung, die jedoch eine vom Ethnografen nicht erlebte, sondern vorgestellte und kommentierte Ereignisfolge berichtet. Diese Differenz zwischen den eigenen Erlebnissen während der Feldforschung einerseits und der Präsentation ihrer Ergebnisse andererseits spricht Malinowski selbst an: „In Ethnography, the distance is often enormous between the brute material of information […] and the final authoritative presentation of the results.“66

Bisweilen kehrt die wissenschaftliche Darstellung den Prozess der Feldforschung geradezu um, wenn zunächst eine allgemeine Definition eines Phänomens und anschließend detaillierte Informationen gegeben werden.67 Seine Gliederung für die Argonauts leitet Malinowski nicht aus der Chronologie seiner Forschungserfolge, sondern von seinem Gegenstand ab. Nach einem methodologischen Kapitel skizziert er die beforschte Region und ihre Bewohner sowie die Grundlagen ihres gesellschaftlichen Zusammenlebens, anschließend folgt seine Darstellung der Chronologie des Kula-Tausches, vom Bau der Kanus bis zur eigentlichen Expedition.

Da Malinowski seine eigenen Emotionen in den Argonauts insgesamt nur selten, häufig und ausführlich jedoch die Emotionen der beobachteten Einheimischen beschreibt, ist der quantitative Vergleich von Emotionswörtern hinsichtlich der Frage nach den Emotionen des Forschers nur begrenzt aussagekräftig: Im Diary beziehen sich die Emotionswörter eher auf die Emotionen des Forschers und in den Argonauts eher auf die Emotionen der Beforschten. In Malinowskis Forschungsprogramm haben Emotionen gleichwohl einen wichtigen Raum – und zwar in doppelter Weise: Einerseits bilden sie einen bedeutenden Gegenstand. Lebensweise, gesellschaftliche Organisation, Vorstellungen und Praktiken der Indigenen lassen sich Malinowski zufolge gar nicht verstehen, ohne deren Emotionen zu berücksichtigen. Selbst die Objekte sind dem wissenschaftlichen Verständnis erst zugänglich, wenn sie auch in ihrer emotionalen Bedeutung erfasst werden. So ergänzt der Ethnograf, wenn er die emotionale Beziehung der Indigenen zu ihren Kanus beschreibt, folgende methodologische Reflexion:

[I]t is in this emotional attitude of the natives towards their canoes that I see the deepest ethnographic reality, which must guide us right through the study of other aspects – the customs and technicalities of construction and of use; the economic conditions and the associated beliefs and traditions. Ethnology or Anthropology, the science of Man, must not shun him in his innermost self, in his instinctive and emotional life.68

Die Emotionen der Indigenen schildert der Ethnograf meist in verallgemeinernder Form.69 Er begründet dies mit dem Forschungsinteresse seiner Disziplin(en), das sich nicht auf das Individuelle, sondern auf das Kollektive richte:

As sociologists we are not interested in what A or B may feel qua individuals, in the accidental course of their own personal experiences – we are interested only in what they feel and think qua members of a given community.70

Die Aufgabe des Ethnografen sei es also, die typischen Emotionen einer Kultur zu beschreiben: „Find out the typical ways of thinking and feeling, corresponding to the institutions and culture of a given community“.71

Andererseits dienen Emotionen, und zwar die eigenen Emotionen, jene des Forschers, als heuristisches Instrument: Indem er mit den ,natives‘ lebt, so die Beschreibung in den Argonauts, ist Malinowski imstande, ihre Emotionen empathisch mitzufühlen, um dem ethnografischen Ziel, „to grasp the native’s point of view“,72 möglichst nahe zu kommen. Diese Form einer ,emotionsbasierten Forschung‘ reflektiert Malinowski im Kapitel über „Canoes and Sailing“. Seine Beschreibung einer Fahrt im Kanu enthält auffällig viele Elemente, die sinnlich und emotional konnotiert sind.73 Genau dies – und die Frage, um wessen Emotionen es sich dabei handelt, – thematisiert der Ethnograf, indem er das Programm einer auch emotional teilnehmenden Beobachtung formuliert:

The natural reflection on this description is that it presents the feelings of the Ethnographer, not those of the native. Indeed there is a great difficulty in disentangling our own sensations from a correct reading of the innermost native mind. But if an investigator, speaking the native’s language and living among them for some time, were to share and understand their feeling, he will find that he can gauge them correctly. Soon he will learn to distinguish when the native’s behavior is in harmony with his own, and when, as it sometimes happens, the two are at variance.74

Ähnlich argumentiert Malinowski am Beispiel von Feierlichkeiten und Ritualen. Er plädiert dafür, sie teilnehmend zu erleben, zunächst frei von theoretischer Reflexion, da dies das Verstehen erleichtere:

Forgetting for a moment that he [the Ethnographer] knows and understands the structure of the ceremony, the main dogmatic ideas underlying it, he might try to find himself only in the midst of an assembly of human-beings, who behave seriously or jocularly, with earnest concentration or with bored frivolity, who are either in the same mood as he finds them every day, or else are screwed up to a high pitch of excitement […]. Again, in this type of work, it is good for the Ethnographer sometimes to put aside camera, note book and pencil, and to join in himself in what is going on. […] Out of such plunges into the life of the natives […] I have carried away a distinct feeling that their behaviour, their manner of being, in all sorts of tribal transactions, became more transparent and easily understandable than it had been before.75

Das Leben mit den Indigenen, das Malinowski als Voraussetzung für eine erfolgreiche Feldforschung empfiehlt, resultiert nach seiner Erfahrung auch im Alltag und jenseits von Momenten kollektiver Efferveszenz in ,fühlenden Erkenntnissen‘: „I acquired ,the feeling‘ for native good and bad manners. […] I began to feel that I was indeed in touch with the natives, and this is certainly the preliminary condition of being able to carry on successful field work.“76

Und auch seinen Rezipient*innen scheint Malinowski diese Erfahrung einer teilnehmenden Emotionalität ermöglichen zu wollen. Als er am Ende seiner methodologischen Überlegungen in den Argonauts einen Ausblick auf die nun folgende Forschung gibt, bedient er sich der einbeziehenden ersten Person Plural sowie auffallend sinnlicher Verben, und er benennt emotionale Episoden des indigenen Lebens, bevor er die emotionale Wirkung seines Textes anspricht:

We shall see […] the savage striving to satisfy certain aspirations, to attain his type of value, to follow his line of social ambition. We shall see him led on to perilous and difficult enterprises by a tradition of magical and heroical exploits, shall see him following the lure of his own romance. Perhaps as we read the account of these remote customs there may emerge a feeling of solidarity with the endeavours and ambitions of these natives. Perhaps man’s mentality will be revealed to us, and brought near, along some lines which we have never followed before.77

Eindringliche ,Einladungen‘, an den beschriebenen Emotionen der Indigenen teilzuhaben, erhalten die Leser immer wieder, beispielsweise im Kanu-Kapitel, wenn sie abermals direkt angesprochen werden (in der persönlichen Anredeform, „you“): „When the canoes then approach, and you see them rocking in their finely designed prowboards […] – you understand well the admiring love which results in all this care bestowed by the native on the decoration of his canoe.“78

In Malinowskis ,Programm‘ emotionaler Teilnahme, das sogar die Leser einbezieht, zu seiner Sensibilität für die ,Harmonie‘ zwischen den eigenen und den indigenen Emotionen passen die im Tagebuch immer wieder beschriebenen ,trennenden‘ Emotionen (anger, fury, boredom etc.), die sich auf die Indigenen beziehen, nicht – und sie werden in der Monografie wahrscheinlich auch deshalb ausgeblendet.79

8 Fazit und Ausblick

In zwei Texten eines Ethnografen, die von derselben Feldforschung handeln, ließen sich verschiedene Formen des Umgangs mit Emotionen unterscheiden. Sie folgen generischen Konventionen des persönlichen Tagebuchs und der wissenschaftlichen Monografie, die zweierlei Praktiken der Darstellung hervorbringen. Emotionen werden im privaten und im öffentlichen Genre unterschiedlich präsentiert. Zum einen verschiebt sich der Fokus: von den Emotionen des Forschers zu den Emotionen der Beforschten. Zum anderen lässt sich eine Objektivierung beobachten. Bestimmte Emotionen (anger, disgust) des Forschers gegenüber den Beforschten werden, obwohl sie im Tagebuch eine wichtige Rolle spielen, in der Monografie nicht mehr angesprochen.

Aus einer experimentellen Pilotstudie zur Auswertung des Emotionsvokabulars in zwei Gattungen ethnografischer Textproduktion ergeben sich darüber hinaus weiterführende Fragestellungen zu ihrem Gegenstand und zu ihrer Methodik, die anschließende Untersuchungen beantworten könnten:

Wie lassen sich bestimmte Wortfelder, die ein Emotionsdiktionär sichtbar macht, am Text noch genauer beschreiben? Wie wären nicht nur Wut, Ekel oder Interesse, sondern auch weitere Emotionen in Malinowskis Texten jeweils für sich zu analysieren und zu differenzieren?

Wie verhalten sich die indigenen Emotionswörter, die im Index aufgeführt sind, zu den englischen (oder polnischen) Emotionswörtern, die im Text ausgewertet wurden? Besteht ein Zusammenhang zwischen den kulturspezifischen Emotionen der Einheimischen und jenen des Ethnologen? Hat die Beschäftigung mit den Emotionen der Indigenen und ihren Bezeichnungen eine Auswirkung auf das eigene Erleben und Schreiben des Forschers?

Welche Emotionsbeschreibungen finden sich in Malinowskis – erstaunlich wenig beforschten – Feldnotizen (in der British Library of Political and Economic Science der London School of Economics sowie in der Sterling Memorial Library der Yale University),80 also in seinen während des Feldaufenthalts entstandenen wissenschaftlichen Aufzeichnungen, auf denen die Monografie basiert? Idealerweise ließen sich Tagebuch, Feldnotizen und Monografie – und damit nicht nur zwei, sondern drei Formate der Aufzeichnung – miteinander vergleichen.81

Wie wären die polnische Handschrift des Tagebuches (im Archiv der London School of Economics) und die originalen Feldnotizen einer graf(olog)ischen Lektüre zu unterziehen?82 Sind emotionale Zustände an einer entsprechenden Ordnung der Schrift abzulesen?

Was ergibt ein typografischer Befund der Erstausgaben der gedruckten Texte? Wie werden diese schriftbildlich inszeniert? Und welche visuell-rhetorischen Wirkungen hat die jeweilige Gestaltung (etwa eine serifenlose Schrift, ein klassizistisches Layout, der Grauwert etc.)?

Auch methodisch ergeben sich aus der Untersuchung weitere Perspektiven, die neben korpuslinguistischen auch empirische Ansätze umfassen:

Wie verhält sich die Emotionalität eines Textes zu seinem Stil? Und wie wäre dieser seinerseits quantitativ, stilometrisch zu erfassen?83 Gehen emotionale Valenzen einher mit entsprechenden Formen (etwa der grammatischen Person, des Modus oder des genus verbi)?

Wie wären die Emotionswerte der Texte nicht typologisch, sondern dimensional zu erfassen? Wie können sie mithilfe empirischer Affektdiktionäre, die das Wortmaterial nach den Kategorien von Valenz und Arousal beschreiben (wie zum Beispiel die Berlin Affective Word ListBAWL84 ), ausgewertet werden?

Und schließlich wären die Ergebnisse auch historisch und disziplinengeschichtlich zu kontextualisieren: Wie können wir an der Rezeption der Texte, nach 1922 und nach 1967, beobachten, welche emotion rules oder emotional regimes jeweils galten – im allgemeinen Diskurs und in der Geschichte der Disziplin? Wie können wir nachvollziehen, welche Emotionsdarstellung als wissenschaftlich adäquat galt und eine Karriere begründete und welche dagegen als unangemessen galt und einen Skandal auslöste?

Für Malinowskis Schriften ist das Potenzial der Analyse bei Weitem nicht ausgeschöpft. Die emotionale Dimension der Ethnografie erweist sich als ebenso komplex wie die Methodik ihrer Erforschung.

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Võ, Melissa L.-H./Conrad, Markus/Kuchinke, Lars et al. (2009): The Berlin Affective Word List Reloaded (BAWL-R). In: Behavior Research Methods, 41/2, S. 534–538.
Wax, Murray L. Wax (1972): Tenting with Malinowski. In: American Sociological Review, 37, S. 1–13.
Wayne, Helena (Hg.) (1995): The Story of a Marriage. The Letters of Bronislaw Malinowski and Elsie Masson. Vol I. 1916–20. New York: Routledge.
Winko, Simone (2003): Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin: Erich Schmidt.
Young, Michael (2004): Malinowski. Odyssey of an Anthropologist. New Haven: Yale University Press.

Fußnoten

1 Malinowski, Bronisław (1984 [1922]): Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea. Mit einem Vorwort von James G. Fraser. Prospect Heights: Waveland Press. 2 Malinowski, Bronisław: „The Subject, Method and Scope of this Inquiry“. In: Malinowski, Argonauts, S. 1–25. 3 Zur unmittelbaren Rezeption des Tagebuchs vgl. Forge, Anthony (1967): The Lonely Anthropologist. In: New Society, 18.08.1967, S. 221–223; Geertz, Clifford (1967): Under the Mosquito Net. In: New York Review of Books, 9/4, S. 12–13; Harris, Marvin (1967): Review of Diary in the Strict Sense of the Term. In: Natural History, 76, S. 72–74; Hogbin, Ian (1968): Review of Diary in the Strict Sense of the Term. In: American Anthropologist, 70/3, S. 575; Lewis, I. M. (1968): Review of Diary in the Strict Sense of the Term. In: Man, 3/2, S. 348–349; Powdermaker, Hortense (1967): An Agreeable Man. In: New York Review, 19.11.1967, S. 36–37; Richards, Audrey (1968): In Darkest Malinowski. In: Cambridge Review, 19.01.1968, S. 186–189; Symmons-Symonolewicz, Konstantin (1967): Bronislaw Malinowski in the Light of His Diary. In: Polish Review, 12/3, S. 67–72. 4 Malinowski, Bronisław (1989 [1967]): A Diary in the Strict Sense of the Term. Übersetzt von Norbert Guterman, mit einem Vorwort von Valetta Malinowski, einer Einleitung von Raymond Firth und einem Index indigener Begriffe von Mario Bick. Stanford: Stanford University Press. Idealerweise müsste eine Analyse das polnische Original einbeziehen (Malinowski, Bronisław (2008): Dziennik w ścisłym znaczeniu tego wyrazu. Krakau: Wydawnictwo Literackie). Die Herausforderung der Arbeit mit Texten in unterschiedlichen Sprachen sowie in Übersetzungen wird später noch ausführlicher diskutiert. 5 Zum Widerspruch zwischen den Tagebuchaufzeichnungen und dem ,Mythos Malinowski‘ vgl. z. B. Symmons-Symonolewicz, Konstantin (1982): The Ethnographer and His Savages. An Intellectual History of Malinowski’s Diary. In: Polish Review, 27/1–2, S. 92–98; und Stocking Jr., George W. (1992): The Ethnographer’s Magic and Other Essays in the History of Anthropology. Madison: University of Wisconsin Press, S. 15. 6 Die Feldforschungsaufenthalte unternahm Malinowski in einer bewegten Phase seines Lebens: Nachdem ihn der Kriegsausbruch 1914 während eines Aufenthalts in Melbourne überrascht hatte, wurde er als Staatsbürger von Österreich-Ungarn zwar nicht interniert, er durfte Australien aber auch nicht mehr verlassen, um in seine Heimat zurückzukehren. Sein Feldforschungsaufenthalt war daher auch ein unfreiwilliges Exil – eine Situation, die im Tagebuch reflektiert wird. Vgl. dazu Redfield, Peter/Tomášková, Silvia (2003): The Exile of Anthropology. In: Saunders, Rebecca (Hg.): The Concept of the Foreign. An Interdisciplinary Dialogue. Lenham: Lexington, S. 71–90. Zu dieser Phase in Malinowskis Leben vgl. ausführlich Young, Michael (2004): Malinowski. Odyssey of an Anthropologist. New Haven: Yale University Press. Zu den schwierigen Bedingungen der Feldforschung vgl. außerdem Wax, Murray L. Wax (1972): Tenting with Malinowski. In: American Sociological Review, 37, S. 1–13. 7 Geertz, Clifford (1967): Under the Mosquito Net. In: New York Review of Books, 9/4, S. 12-13, hier: S. 12. 8 Geertz, Mosquito Net, S. 12. 9 Geertz, Clifford (1974): ,From the Native’s Point of View‘. On the Nature of Anthropological Understanding. In: Bulletin of the American Academy of Arts and Sciences, 28/1, S. 26–45, hier: S. 27. 10 Geertz, Clifford (1988): Works and Lives. The Anthropologist as Author. Oxford: Polity Press, S. 75. (Hervorhebung im Original.) 11 Vgl. Clifford, James/Marcus, George (Hg.) (1986): Writing Culture: The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley: University of California Press. 12 James Clifford vergleicht das Tagebuch und die wissenschaftliche Monografie hinsichtlich der Selbst- und Fremddarstellung und zieht Parallelen zu den Texten von Joseph Conrad (Clifford, James (1986): On Ethnographic Self-Fashioning: Conrad and Malinowski. In: Heller, Thomas C./Sosna, Morton/Wellerby, David E. (Hg.): Reconstructing Individualism. Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought. Stanford: Stanford University Press, S. 140–162). Francis Hsu diagnostiziert einen europäischen Ethnozentrismus, der auch Einflüsse auf Malinowskis Forschungspraxis habe (Hsu, Francis L. K. (1979): The Cultural Problem of the Cultural Anthropologist. In: American Anthropologist, 81/3, S. 517–532) – eine Einschätzung, der Edmund Leach widerspricht (Leach, Edmund R. (1980): On Reading A diary in the strict sense of the term. Or the self-mutilation of Professor Hsu. In: RAIN, 36, S. 2–3). Für Esther Newton bilden Malinowskis Aufzeichnungen den Ausgangspunkt für eine Reflexion der Rolle von Erotik in der Feldforschung (Newton, Esther (1993): My Best Informant’s Dress. The Erotic Equation in Fieldwork. In: Cultural Anthropology, 8/1, S. 3–23). Richard Lansdown untersucht die Beziehung zwischen den Landschafts- und Lektüreaufzeichnungen im Tagebuch und in Malinowskis ethnologischer Arbeit (Lansdown, Richard (2014): Crucible or Centrifuge? Bronislaw Malinowski’s A Diary in the Strict Sense of the Term. In: Configurations, 22/1, S. 29–55). Andrew Brandel und Swayam Bagaria vergleichen die Tagebuchnotizen mit Malinowskis erster wissenschaftlicher Publikation, die aus der Feldforschung hervorging, einem Aufsatz von 1916 (Malinowski, Bronisław (1916): Baloma. The spirits of the dead in the Trobriand Islands. In: Journal of the Royal Anthropological Institute, 46, S. 353–430; Brandel, Andrew/Bagaria, Swayam (2020): Plotting the Field: Fragments and Narrative in Malinowski’s Stories of the Baloma. In: Anthropological Theory, 20/1, S. 29–52). Malinowskis Tagebuchnotizen über seine Romanlektüre gaben Anlass zur Reflexion des Verhältnisses von Anthropologie, Ethnografie und Literatur (vgl. z. B. Craith, Máiréad Nic/Kockel, Ullrich (2014): Blurring the Boundaries between Literature and Anthropology. A British Perspective. In: Ethnologie française, 44/4, S. 689–697). Zu den Anstößen, die vom Tagebuch für die Selbstreflexion von Anthropologie und Ethnografie ausgingen, vgl. z. B. Kleine, Michael (1990): Beyond Triangulation: Ethnography, Writing, and Rhetoric. In: Journal of Advanced Composition, 10/1, S. 117–125. Für Untersuchungen von Malinowskis Forschungspraxis, die sich auch auf das Tagebuch stützen, vgl. z. B. Sanjek, Roger (1990): The Secret Life of Fieldnotes. In: Ders. (Hg.): Fieldnotes. The Makings of Anthropology. Ithaka/London: Cornell University Press, S. 187–270; Kuper, Adam (2015): Anthropology and Anthropologists. The British School in the Twentieth Century. 4. überarbeitete Auflage. London/New York: Routledge. 13 Vgl. z. B. Okely, Judith/Callaway, Helen (Hg.) (1992): Anthropology and Autobiography. London/New York: Routledge; Kleinman, Sherryl/Copp, Martha A. (1993): Emotions and Fieldwork. London: Sage; McLean, Athena/Leibing, Annette (Hg.) (2007): The Shadow Side of Fieldwork. Exploring the Blurred Borders between Ethnography and Life. Malden: Blackwell; Hollan, Douglas (2008): Being There. On the Imaginative Aspects of Understanding Others and Being Understood. In: ETHOS. Journal of the Society for Psychological Anthropology, 36/4, S. 475–489; Davies, James/Spencer, Dimitrina (Hg.) (2010): Emotions in the Field. The Psychology and Anthropology of Fieldwork Experience. Stanford: Stanford University Press; Collins, Peter/Gallinat, Anselma (Hg.) (2010): The Ethnographic Self as Resource. Writing Memory and Experience into Ethnography. New York: Berghahn; Stodulka, Thomas (2015): Emotion Work, Ethnography, and Survival Strategies on the Streets of Yogyakarta. In: Medical Anthropology, 34/1, S. 84–97; Mounce, Ginny (2018): Emotion Work in Ethnography. In: Allan, Helen T./Arber, Anne (Hg.): Emotions and Reflexivity in Health and Social Care Field Research. London: Palgrave Macmillan, S. 133–158; Stodulka, Thomas/Selim, Nasima/Mattes, Dominik (2018): Affective Scholarship: Doing Anthropology with Epistemic Affects. In: ETHOS. Journal of the Society for Psychological Anthropology, 46/4, S. 519–536; Stodulka, Thomas/Dinkelaker, Samia/Thajib, Ferdiansyah (Hg.) (2019): Affective Dimensions of Fieldwork and Ethnography. Cham: Springer; Lubrich, Oliver/Stodulka, Thomas (2019): Emotionen auf Expeditionen. Ein Taschenhandbuch für die ethnographische Praxis. Bielefeld: transcript; Liebal, Katja/Lubrich, Oliver/Stodulka, Thomas (Hg.) (2019): Emotionen im Feld. Gespräche. Bielefeld: transcript. 14 „Affekte“, „Gefühle“ und „Emotionen“ verstehen wir nicht in trennscharfer Abgrenzung, sondern als Kontinuum: „Affekte“ sind physio-psychische Reaktionen, die sich in ihrer Bewertung und Erregungsintensität (Valenz und arousal) dimensional beschreiben lassen (als mehr oder weniger positiv oder negativ, stark oder schwach). „Gefühle“ sind kognitive Wahrnehmungen solcher Reaktionen („Ich habe das Gefühl, dass…“). Bei „Emotionen“ handelt es sich um soziale, kulturelle und physiologische Prozesse und Zustände, die sich sprachlich, mimisch und gestisch vermitteln und mit „Emotionswörtern“ (zum Beispiel „Freude“ oder „Angst“) benennen lassen. (Vgl. Stodulka, Thomas (2017): Towards an Integrative Anthropology of Emotion. A Case Study from Yogyakarta. In: Storch, Anne (Hg.): Consensus and Dissent. Negotiating Emotion in the Public Space. Amsterdam: John Benjamins Press, S. 9–34; Lubrich/Stodulka, S. 11–15, 167–169.) 15 Malinowski, Diary, S. 3. (Seite 1 ist eine Titelseite, „Part One. 1914–1915“, Seite 2 eine Vakatseite.) 16 Malinowski, Diary, S. 3. 17 Malinowski, Diary, S. 4. 18 Malinowski, Diary, S. 5. 19 Malinowski, Argonauts, S. 1. 20 Malinowski, Argonauts, S. 2. (Hervorhebung hinzugefügt.) 21 Malinowski, Argonauts, S. 2. (Hervorhebung hinzugefügt.) 22 Malinowski, Argonauts, Plate I, zwischen S. 16 und S. 17. 23 Malinowski, Argonauts, S. 3. 24 Malinowski, Argonauts, S. 4. 25 Malinowski, Argonauts, S. 4. Hg 26 Pratt, Mary Louise (1986): Fieldwork in Common Places. In: Clifford, James/Marcus, George E. (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley: University of California Press, S. 27–50, hier: S. 37f. Anschlussfähig sind hier auch George Stockings Überlegungen zum „image of ,the anthropologist as hero‘“ (Stocking Jr., George W. (1989): Romantic Motives and the History of Anthropology. In: Ders. (Hg.): Romantic Motives. Essays on Anthropological Sensibility. Madison/London: University of Wisconsin Press, S. 3–9, hier: S. 4). Robert Thornton vergleicht diesen Textabschnitt mit einer Passage aus Joseph Conrads Heart of Darkness, das Malinowski rezipiert hat, und sieht ebenfalls keinen genuinen Emotionsausdruck (Thornton, Robert J. (1985): ,Imagine Yourself Set Down…‘: Mach, Frazer, Conrad, Malinowski and the Role of Imagination in Ethnography. In: Anthropology Today, 1/5, S. 7–14, hier: S. 13). Zu Malinowskis Conrad-Rezeption vgl. auch Thompson, Christina (1995): Anthropology’s Conrad. Malinowski in the Tropics and What He Read. In: Journal of Pacific History, 20/1, S. 53–75. 27 Vgl. Meyer-Sickendiek, Burkhard (2005): Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte literarischer Emotionen. Würzburg: Königshausen & Neumann. 28 Vgl. Kirschstein, Daniela (2012): Writing War. Kriegsliteratur als Ethnographie. Würzburg: Königshausen & Neumann; Lubrich, Oliver (2009): Das Schwinden der Differenz. Postkoloniale Poetiken. Bielefeld: Aisthesis. 29 Malinowski, Diary, S. 186. 30 Malinowski, Diary, S. 175. Vgl. Malinowski, Diary, S. 130. 31 Vgl. Malinowski, Diary, S. 186. 32 Malinowski, Diary, S. 175. (Hervorhebung im Original.) Vgl. auch Malinowski, Diary, S. 122. 33 Vgl. Young, S. 415–417. 34 Zitiert nach Young, S. 416. Zu Tagebüchern als Quelle der Forschung vgl. Alaszewski, Andy (2006): Using Diaries for Social Research. London: Sage. 35 Vgl. Genette, Gérard (1972): Discours du récit. Paris: Seuil. 36 Vgl. Lejeune, Philippe (1975): Le pacte autobiographique. Paris: Seuil. 37 Zu Genrekonventionen der Ethnografie vgl. z. B. Atkinson, Paul (1990): The Ethnographic Imagination. Textual Constructions of Reality. London/New York: Routledge; Atkinson, Paul (1992): Understanding Ethnographic Texts. Newbury Park/London/New Delhi: Sage; Boon, James A. (1983): Functionalists write, too. Frazer/Malinowski and the Semiotics of the Monograph. In: Semiotica, 46/2–4, S. 131–149. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Malinowskis ,Stil‘ im Tagebuch und in den wissenschaftlichen Monografien vgl. Payne, Harry C. (1981): Malinowski’s Style. In: Proceedings of the American Philosophical Society, 125/6, S. 416–440. 38 Die Voraussetzung ist ein digital vorliegender Text. Konstituiert wurde dieser für die hier berichtete Studie durch eine automatisierte OCR-Erfassung und eine anschließende manuelle Bereinigung. Paratexte und Bildunterschriften wurden dabei nicht aufgenommen. Da die Monografie deutlich umfangreicher ist als das Tagebuch, werden die Emotionswörter zur Gesamtwortzahl der Texte in Beziehung gesetzt, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. 39 Die Wortliste des Geneva Affect Label Coder ist verfügbar auf der Internetseite des Swiss Center for Affective Sciences der Universität Genf: www.unige.ch/cisa/research/materials-and-online-research/research-material/ (letzter Zugriff 29.03.2020). Zu Entwicklung und Beschreibung des Wortlexikons vgl. Scherer, Klaus R. (2005): What are emotions? And how should they be measured? In: Social Science Information, 44/4, S. 695–729. 40 Scherer, S. 713 („to recognize 36 affective categories commonly distinguished by words in natural languages“). 41 Einige wenige Wortstämme kommen doppelt vor, da sie mehreren Emotionskategorien zugeordnet sind. 42 Zur Identifikation und Analyse von Emotionen als Textphänomen vgl. die einleitenden Kapitel in Winko, Simone (2003): Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin: Erich Schmidt; sowie Mellmann, Katja (2016): Empirische Emotionsforschung. In: von Koppenfels, Martin/Zumbusch, Cornelia (Hg.): Handbuch Literatur & Emotionen. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 158–175. 43 Die Wortliste des EmoLex ist verfügbar unter www.saifmohammad.com/WebPages/NRC-Emotion-Lexicon.htm (letzter Zugriff 10.04.2020). Zur Entwicklung und zur Beschreibung des Lexikons vgl. Mohammad, Saif/Turney, Peter (2010): Emotions Evoked by Common Words and Phrases: Using Mechanical Turk to Create an Emotion Lexicon. In: Proceedings of the NAACL-HLT 2010 Workshop on Computational Approaches to Analysis and Generation of Emotion in Text, June 2010, LA, California: www.saifmohammad.com/WebDocs/Mohammad-Turney-NAACL10-EmotionWorkshop.pdf (letzter Zugriff 10.04.2020); Mohammad, Saif/Turney, Peter (2013): Crowdsourcing a Word-Emotion Association Lexicon. In: Computational Intelligence, 29/3, S. 436–465. 44 Wörter, die keinen Emotionsbezug haben (not associated), werden keiner Emotionskategorie zugeordnet. 45 Vgl. Mohammad/Turney, Emotions; Mohammad/Turney, Crowdsourcing. 46 In die Analyse einbezogen wurden von den 102.774 Wörtern des Diary 28.753 und von den 213.905 Wörtern der Argonauts 60.256. (Das heißt, dass nur diese Anteile des Vokabulars sich mit dem Vokabular des Diktionärs überhaupt decken.) 47 Vgl. Greenblatt, Stephen (1992): Filthy Rites. In: Ders.: Learning to Curse. Essays in Early Modern Culture. New York: Routledge, S. 59–79. 48 Kant, Immanuel (1992): Kritik der Urteilskraft. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 246–249 (§48. „Vom Verhältnisse des Genies zum Geschmack“), insbesondere: S. 247–248; vgl. Menninghaus, Winfried (1999): Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 49 Dass die Übertragung in eine andere Sprache Konsequenzen für die Auslegung hat, zeigt zum Beispiel die Diskussion, die sich um das – besonders brisante – polnische Wort nigrami dreht, das im Englischen mit dem rassistischen Wort nigger wiedergegeben ist. Leach hält dies für eine irreführende Übersetzung (S. 2f.), während Stocking sie verteidigt und auf den historischen Wandel in der Semantik verweist (Stocking, Ethnographer’s Magic, S. 49). 50 Malinowski bezog sich also nicht nur auf unterschiedliche intellektuelle Traditionen (vgl. z. B. Ellen, Roy F./Gellner, Ernest/Kubica, Grazyna et al. (Hg.) (1988): Malinowski Between Two Worlds. The Polish Roots of an Anthropological Tradition. Cambridge: Cambridge University Press), sondern formulierte seine Überlegungen und Erkenntnisse auch in verschiedenen Sprachen. 51 Besonders überraschend hierbei ist, dass beispielsweise „cry“ oder „glad“ nicht in der GALC-Wortliste auftauchen. Gleiches gilt für „depress*“, „discourag*“, „emotion*“, „encourag*“, „excit*“, „intimi*“, „lonel*“, „aggress*“. Die Kennzeichnung der Emotionswörter in eigener Lektüre ermöglicht eine Erweiterung der GALC-Liste. Einige Wortstämme des GALC erfassen neben den Emotionsausdrücken auch weitere Wörter, die entweder nichts mit Emotionalität zu tun haben (z. B. erfasst „happ*“ auch die relativ häufigen Wörter „happen“ oder „happening“ – hier könnte man bei der Suche entsprechende „stop words“ einsetzen und diese Wörter damit von der Erfassung ausschließen) oder die in eine Kategorie eingeordnet werden, der sie nicht entsprechen (z. B. erfasst „hop*“ auch „hopeless“ und wird damit in die Kategorie „hope“ aufgenommen; „harm*“ [eigene Ergänzung] würde auch „harmless“ oder „harmony“ erfassen; „shame*“ auch „shameless“; „thank*“ auch „thankless*“; „wonder*“ auch „wonderful“; und „terrif*“ auch „terrific“). 52 So wird durch GALC beispielsweise der Dank („thank*“) erfasst, nicht aber die Entschuldigung, der Freund („friend*“), nicht aber der Feind, die Adjektive „wonderful“, „fine“, „nice“, „horrible“ und „friendly“, nicht aber „unfriendly“ oder „terrible“. 53 Malinowski, Argonauts, S. 5f. (Hervorhebung hinzugefügt.) Vgl. außerdem: „I am filled with dislike for these ordinary people who are incapable of finding a glimmer of poetry in certain things which fill me with exaltation.“ (Malinowski, Diary, S. 21.) 54 Malinowski, Argonauts, S. 517. (Hervorhebung hinzugefügt.) 55 Malinowski, Diary, S. 137. 56 Malinowski, Diary, S. 233. 57 Diesen im Tagebuch nur stichwortartig auftauchenden Gedanken hat Carlo Ginzburg im Hinblick auf Malinowskis Überlegungen zum Kula-Phänomen ausgedeutet und damit einen auf den ersten Blick nur schwer zu erschließenden Zusammenhang zwischen Tagebuchnotiz und Forschung deutlich gemacht (vgl. Ginzburg, Carlo (2000): Tusitala and His Polish Reader. In: Ders.: No Island Is an Island. Four Glances at English Literature in a World Perspective. New York: Columbia University Press, S. 69–88, hier: S. 87) 58 Malinowski, Diary, S. 232–235. (Hervorhebungen im Original.) 59 Malinowski, Argonauts, S. 211f. 60 Malinowski, Argonauts, S. 376–391 (= Chapter XVI). Die hier geschilderten Ereignisse nehmen im Tagebuch die Seiten 233–245 ein. Die im Tagebuch und in der Monografie angegebenen Daten für die einzelnen Ereignisse weichen leicht voneinander ab. 61 Malinowski, Diary, S. 244. 62 Malinowski, Argonauts, S. 388. 63 Malinowski, Argonauts, S. 195. 64 Vgl.: „Once more we must pause, this time in an attempt to grasp the natives’ mental attitude towards the mythological aspect of the Kula.“ Malinowski, Argonauts, S. 298. 65 Malinowski, Argonauts, S. 232. 66 Malinowski, Argonauts, S. 3. 67 „In giving the […] abstract and concise definition, I had to reverse the order of research, as this is done in ethnographic field-work, where the most generalised inferences are obtained as the result of long inquiries and laborious inductions.“ (Malinowski, Argonauts, S. 84.) 68 Malinowski, Argonauts, S. 106. 69 Beispielsweise: „The dread of sorcery is enormous, and when the natives visit distant parts, this dread is enhanced by the additional awe of the unknown and foreign.“ Malinowski, Argonauts, S. 42. 70 Malinowski, Argonauts, S. 23. (Hervorhebung im Original.) 71 Malinowski, Argonauts, S. 23. 72 Malinowski, Argonauts, S. 19. 73 Zum Beispiel: „It is a precarious but delightful sensation to sit in the slender body, while the canoe darts on with the float raised, the platform steeply slanting, and water constantly breaking over […]. When the sail is hoisted, its heavy stiff folds of golden matting unroll with a characteristic swishing and crackling noise, and the canoe begins to make way; when the water rushes away below with a hiss, and the yellow sail glows against the intense blue of sea and sky – then indeed the romance of sailing seems to open through a new vista.“ (Malinowski, Argonauts, S. 81, Hervorhebungen hinzugefügt.) 74 Malinowski, Argonauts, S. 107. 75 Malinowski, Argonauts, S. 21f. 76 Malinowski, Argonauts, S. 8. Zur widersprüchlichen Selbstinszenierung Malinowskis als empathischer Teilnehmer einerseits und objektiver Beobachter andererseits vgl. auch Geertz, Works and Lives, S. 76–89. 77 Malinowski, Argonauts, S. 19. 78 Malinowski, Argonauts, S. 82. 79 Für Malinowski haben sie keinen heuristischen Wert, ausdrücklich macht er sich im Tagebuch Vorwürfe, dass sein Verhalten und seine Emotionen gegenüber den Indigenen für seine Forschung nicht förderlich seien. Zum Beispiel: „I walked around the village, getting informants together. A very poor group […]. – Despair and impatience. But I kept my temper and struggled on.“ (Malinowski, Diary, S. 169–179.) Malinowskis emotionale Reaktion auf das Verhalten der Indigenen wäre allenfalls ethnopsychoanalytisch in einer Gegenübertragungsanalyse fruchtbar zu machen: vgl. Reichmayr, Johannes (2003): Ethnopsychoanalyse. Geschichte, Konzepte, Anwendungen. Gießen: Psychosozial; Reichmayr, Johannes (Hg.) (2016): Ethnopsychoanalyse revisited. Gegenübertragung in transkulturellen und postkolonialen Kontexten. Gießen: Psychosozial. 80 Eine Übersicht über das Material sowie Links zu Digitalisaten finden sich auf folgender Website: https://proquest.libguides.com/c.php?g=734941&p=5251808#s-lg-box-wrapper-19538859 (letzter Zugriff 30.04.2020). Zu den Feldnotizen vgl. Álvarez Roldán, Arturo (2002): Writing ethnography. Malinowski’s fieldnotes on Baloma. In: Social Anthropology, 10/3, S. 377–393. 81 Um ein weiteres Textformat ergänzen ließe sich diese Analyse durch Einbeziehung von Malinowskis Briefen aus demselben Zeitraum, zum Beispiel der von seiner Tochter herausgegebenen Briefe an Elsie Masson (Wayne, Helena (Hg.) (1995): The Story of a Marriage. The Letters of Bronislaw Malinowski and Elsie Masson. Vol I. 1916–20. New York: Routledge). 82 Bronisław Malinowski Papers, London School of Economics, Box 33: Diaries and related material. 83 Vgl. Moretti, Franco (2013): Distant Reading. London/New York: Verso. 84 Vgl. Võ, Melissa L.-H./Conrad, Markus/Kuchinke, Lars et al. (2009): The Berlin Affective Word List Reloaded (BAWL-R). In: Behavior Research Methods, 41/2, S. 534–538.