Sébastian Thiltges/Christiane Solte-Gresser (Hg.) (2020): Kulturökologie und ökologische Kulturen in der Großregion/Écologie culturelle et cultures écologiques dans la Grande Région. Berlin: Peter Lang, 278 S., ISBN: 978-3-631-82862-5, 59,95€. Eine Rezension von Rebekka Kanesu
Der Sammelband Kulturökologie und ökologische Kulturen in der Großregion/Écologie culturelle et cultures écologiques dans la Grande Région, herausgegeben von Sébastian Thiltges und Christiane Solte-Gresser (2020), ist eine interdisziplinäre Collage von neun Beiträgen auf Deutsch, Französisch und Englisch, die sich im weitesten Sinne der geisteswissenschaftlichen Umweltforschung (environmental humanities) zuordnen lassen. Er entstand im Kontext der Tagung Écologie culturelle et cultures écologiques dans la Grande Région, die 2017 im Natur Musée Luxemburg und an der dortigen Universität stattfand. Räumlich in der Großregion – der grenzüberschreitenden Region zwischen Luxemburg, der Wallonie (Belgien), Rheinland-Pfalz, dem Saarland (Deutschland) und Lothringen (Frankreich) – angesiedelt, befasst sich dieser Band sowohl mit grenzüberschreitenden als auch teilregionalen Aspekten ökologisch-kultureller Auseinandersetzungen zwischen Mensch, Umwelt, Kultur und mehr-als-menschlichen Lebenswelten. Dabei rekurrieren die Autor*innen auf verschiedenste mediale Diskurse, Praktiken, Literatur und kulturelle Artefakte, die sie aus ihrer jeweiligen disziplinären Perspektive heraus analysieren. Die Herausgeber*innen betrachten ihren interdisziplinären Ansatz, (Literaturwissenschaft, Geo- und Umweltinformatik, Kulturwissenschaft, Geografie und Kommunikationswissenschaft umfassend) als „unabdingbar, um auf die Komplexität und die Herausforderungen derzeitiger Umwelt- und Biodiversitätskrisen angemessen reagieren zu können“ (S. 11).
Aufgeteilt in die Kategorien „Diskurs“, „Texte“, „Literatur“ und „Kunst“ bilden jeweils drei Beiträge eine Sinneinheit, die dem Band eine inhaltliche Struktur verleihen soll. In ihrer Einleitung verweisen Solte-Gresser und Thiltges zunächst auf ihren „chiastisch[en]“ (S. 10) Kunstgriff, der dem Buch als Titel dient: Kulturökologie und ökologischen Kulturen. In Anlehnung an den Anglisten Hubert Zapf verfolgen die Herausgeber*innen eine Kulturökologie, die in ihrer Betrachtung der verflochtenen Beziehungen von Natur und Kultur weder dem einen noch dem anderen einen Vorzug gibt. Ökologische Kulturen begreifen die Herausgeber*innen als „die Gesamtheit ästhetischer oder anderer kultureller Erzeugnisse, die sich mit Umweltdiskursen auseinandersetzen, sich in diese Diskurse einschreiben und sie weiterschreiben“ (S. 11). So befasst sich das Feld vor allem mit „Kulturproduktion mit Bezug auf Ökologie“ (S. 22). Diese einerseits eingrenzende andererseits aber auch sehr vage Betrachtung von Kultur hat keinen Mehrwert für die konzeptuelle Rahmung des Bandes und erscheint eher als leere Hülle, denn als verständniserweiterndes Konzept.
Grundsätzlich scheint der konzeptuelle Chiasmus leider wenig überzeugend. Gewinnbringender wäre es gewesen, sich im Feld der geistes- und kulturwissenschaftlichen Umweltforschung zu verorten und näher auf die nur am Rande erwähnten Ansätze wie material ecocriticism, Kultur als Praxis, politische Ökologie und ästhetische Dimensionen ökokultureller Produktion einzugehen. Die Gegenüberstellung des eher gestrig wirkenden Konzepts der Kulturökologie und der wenig ausdifferenzierten ökologischen Kulturen, die wiederum in Zusammenhang mit der klassischen Hallschen Kulturdefinition gebracht werden, die in diesem Kontext recht altbacken daherkommt, scheinen an dieser Stelle nicht besonders originell. Die Herausgeber*innen scheinen darum bemüht, immer wieder auf die Verschränkungen von Natur und Kultur hinzuweisen, um deren komplexes Verhältnis im Spiegel kultureller Produktionen auszuleuchten, wozu sie auch Latours mittlerweile berühmte Formel ‚Wir sind nie modern gewesen‘ (S. 17) wiederbemühen. Dennoch gelingt es ihnen nicht die epistemologische Trennung dieser beiden Sphären aufzuheben und das „Gleichgewicht zwischen Anthropozentrismus und Ökozentrismus“ (S. 15) kritisch auszuloten. So schreiben die Herausgeber*innen: „Umweltfragen sind von den damit einhergehenden Bildern und Erzählungen nicht zu trennen; sie sind kulturell geprägt und prägen ihrerseits die Kultur auf entscheidende Weise. Narrative, Diskurse und Bildwelten sind also stets der Ausgangspunkt für unsere konkreten Beziehungen zur Natur“ (S. 25). Auch wenn sie sich mit der Programmatik der Aufhebung des Natur-Kultur-Dualismus einer konzeptionell sehr anspruchsvollen Aufgabe gestellt haben, so gelingt dies nur bedingt. Die Herausgeber*innen zielen darauf ab, der Natur ihre unhinterfragte Singularität abzusprechen und sie parallel zur Kultur zu vervielfältigen, jedoch verfallen sie selbst auch immer wieder in sprachliche Dilemmata, wenn sie von Beziehungen zur Natur sprechen und diese so wiederum als Einheit denken. Ein Rekurs auf aktuelle Ansätze, wie z. B. „NaturenKulturen“ (Gesing et al. 2019) hätte das von den Beitragenden plurale Verständnis sicherlich besser hervorbringen können.
Dies kommt ebenso zum Ausdruck, wenn sich die Herausgeber*innen der Verortung der Beiträge in der Großregion widmen. So betrachten sie die gesammelten Beiträge mit geografischräumlichem Fokus auf die Großregion als eine Art ‚Renaturalisierug‘ derselbigen, womit sie sich ein Stück weit von konstruktivistischen Ansätzen, die vornehmlich zur Analyse sozialer Prozesse in der Region verwandt werden, lösen möchten (S. 23). Dadurch verkennen Sie allerdings, dass sie durch den Hinweis auf die sogenannten „materiellen und konkreten Gegebenheiten“ (ibid) der Region, das prozesshafte Werden physischer Umwelten sowie die immer auch durch kulturelle Prozesse aktive sowohl materielle als auch diskursive Konstruktion von Natur(en) negieren bzw. essenzialisieren. Dies spiegelt sich auch in weiteren Ausführungen wider, wenn z. B. darauf verwiesen wird, dass die Großregion zwar eine „soziale, wirtschaftliche und politische Konstruktion“ (S. 28) sei, aber eben kein „Naturraum“ mit „naturräumliche[n] Gemeinsamkeiten“ (ibid). Dies offenbart wiederum Blindheit für die soziale Konstruktion von Natur. Dennoch schließen sie folgerichtig, dass gerade die „ökokulturelle Heterogenität“ (ibid) der Großregion als ihr besonderes Charakteristikum gefasst werden kann, welches sich lokal in ökologischen Diskursen und Praktiken grenzüberschreitend niederschlägt.
Interessant wird es da, wo die Herausgeber*innen auf die Zwischenräume und Bruchstellen des Natur-Kultur-Dualismus verweisen, z. B. wenn Sie das Harawaysche Cyborg-Wesen und damit zusammenhängende Debatten um Transhumanismus oder die Ökologie des Wissens von Fink anführen, der sozio-kulturelle Teilsysteme wie Kunst, Sprache, Wissenschaft, Literatur etc. als „nicht-materielle Ökosysteme“ (S. 17) begreift. So hätte ein Fokus auf diese konzeptuell liminalen Räume das Potenzial gehabt, neue, spannendere Fragen aufzuwerfen, die über das ledigliche Ausloten des Gleichgewichts zwischen Natur und Kultur in interdisziplinären Analysen dieses Verhältnisses hinausgehen. Hingegen die Bedeutung der „Wechselwirkungen“ verschiedener „Kulturräume“ (S. 12) zu berücksichtigen oder der Bezug auf Zapf, der „das Verhältnis zwischen Natur und Kultur als ein universell gültiges“ (ibid) ansieht, lassen unglücklicherweise immer wieder essenzialistische und wenig dynamische Verständnisse von Natur und Kultur aufscheinen, auch wenn die Herausgeber*innen bemüht sind, sich gerade von diesen Vorstellungen zu entfernen.
Fragen, die hier nur zwischen den Zeilen aufscheinen, betreffen z. B. das Verhältnis von Kultur- und Naturproduktion, die Wechselwirkungen von seelisch-affektiven, wissenschaftlichen und politökologischen Wahrnehmungen der Umwelt, Repräsentationen und Manipulationen von Natur(en) sowie durch kulturelle Artikulationen geschaffene dynamische Grenzziehungen zwischen dem, was wahlweise als Kultur und als Natur gerahmt wird. Eine prominentere Platzierung dieser Aspekte im Fokus der Einleitung hätte den nachfolgenden Beiträgen einen etwas anregenderen Ausgangspunkt bieten oder eventuell tiefergehende Reflexionsprozesse anstoßen können.
Dennoch weisen die folgenden Beiträge eine reichhaltige Fülle von Themen, Beispielen, Ideen und Beobachtungen zu öko-kulturellen Verflechtungen in der Großregion auf, die gerade durch ihre interdisziplinäre Vielfalt eine spannende Dramaturgie des Bandes produzieren. Beginnend mit einer Analyse der saarländischen Landschaftswahrnehmung zeigt Olaf Kühne auf, nach welchen Kriterien Landschaft konstruiert und bewertet wird. Die anfängliche Beschreibung verschiedener Worte für Landschaft und deren dazugehörigem semiotischen Feld in unterschiedlichen europäischen und asiatischen Sprachen scheint leider etwas willkürlich und nicht besonders gewinnbringend für die anschließende empirische, saarländische Landschaftsstudie. Interessant wäre hier bspw. eine vertiefte Analyse der Bedeutung von Gender für die Konstruktion und Wahrnehmung von Landschaft gewesen, deren Rolle anscheinend signifikant ist, jedoch nur kurz angeführt wird.
Céline Schalls Beitrag analysiert, wie ökologische Diskurse in Naturkunde- und Kunstmuseen verhandelt werden. Dabei weist sie zunächst auf die Problematik hin, ein vormals lebendes, sich immer wandelndes und instabiles Wesen (Pflanzen, Tiere etc.) zu einem statischen Museumsobjekt und Kulturerbe zu machen. Sie führt an, dass Museen verstärkt gezwungen werden, ihre Rolle zu reflektieren sowie sich mit gesellschaftlichen Werten auseinanderzusetzten, was von einer Pädagogik der connaissance zu einer Pädagogik der sensibilisation (S. 101) führt. So zählt Schall einige Museen in der Großregion auf, die sich mit Umweltfragen befassen, stellt jedoch fest, dass Umweltzerstörungen noch kaum bis gar nicht thematisiert werden. Dennoch fragt sie abschließend, wie sich Museen angesichts museal kuratierter Mensch-Umwelt-Beziehungen positionieren können. So konstatiert sie einerseits die Angst, sich öffentlich zu positionieren und Besucher*innen mit der Komplexität der Umweltdiskurse zu überfordern, andererseits aber die Notwendigkeit, die museale ‚Neutralität‘ aufzugeben. Letztere ist jedoch angesichts aktueller Debatten z. B. um Restitutionen und genereller Diskurse um Sammlungen sowie Auswahl und Präsentation von Werken und Künstler*innen ohnehin infrage zu stellen.
Der letzte Beitrag des ‚Diskurs‘-Blocks widmet sich der Praxis und dem wachsenden Trend der Waldbestattungen in Luxemburg. Nach einer kurzen ökologischen Einordnung verschiedener Bestattungspraktiken, die sogar eigene Bodenschichten, sog. Nekrosole (S. 114), produzieren, welche Kmec und Kolnberger in den Kontext des Anthropozäns einordnen, widmen sich die Autor*innen einer kurzen Geschichte der Bestattungen in Zusammenhang mit der Rolle des Waldes. Die anschließende Beschreibung der Waldbestattungspraxis in Luxemburg macht deutlich, wie unterschiedlich zwar die Motivationen für die Wahl dieser Bestattungsart, wie ähnlich jedoch die Rahmung als ‚nachhaltig‘ oder ‚ökologisch‘ genutzt wird. In ihrem Fazit stellen die Autor*innen heraus, dass die vermeintliche Nachhaltigkeit angesichts des hohen Energieverbrauchs für Kremierungen und der durch die Bestattungen entstehenden Schadstoffbelastungen in den Böden unter Vorbehalt betrachtet werden muss, denn „Kremierungsasche ist kein Biokompost“ (S. 134).
Der anschließende zweite Teil ‚Texte‘ befasst sich mit Atomkraft, Wölfen und Umweltschutz. Im ersten Beitrag analysiert Achim Küpper aktuelle Diskurse um Kernenergie in der Großregion und befasst sich mit dem Roman Die Wolke (1987) von Gudrun Pausewang als Beispiel für eine didaktische Aufarbeitung des Themas im Schulunterricht. Abschließend erörtert Küpper aktuelle Diskurse der Energiewende in Deutschland anhand eines Werbespots des Energiekonzerns RWE. Dieses Beispiel mag sich nicht so recht an den vorherigen Text anschließen und wirkt leider etwas willkürlich gewählt vor dem Hintergrund des Energiediskurses, der zuvor in der Großregion verortet wurde. Eine weitere Analyse großregionaler Atomstromdiskurse oder weiterführende didaktische Aufbereitungsmöglichkeiten wären an dieser Stelle zielführender gewesen.
Im nächsten, inspirierenden Kapitel gestalten Fischer-Stabel und Solte-Gresser einen interdisziplinären Dialog zwischen Literatur- und Umweltwissenschaften, indem sie die Frage der Rückkehr des Wolfes in die Großregion anhand von Narrativen, Literaturanalysen, Bestandsübersichten und Mensch-Wolf-Konflikten nachzeichnen. In Anlehnung an Roland Borgards sprechen die Autor*innen von „Weltwölfen“ und „Wortwölfen“ (S. 162) und lassen den Text zwischen diesen beiden Ebenen oszillieren. Dabei zeigen sie auf, wie „biologisch-geografische Realität mit Mythen und Legenden verwoben ist“ (S. 167). Am Ende konstatieren sie zwar, dass eine tatsächliche Rückkehr des Wolfes fraglich ist, jedoch vermag, wie die beiden überzeugend darstellen, der Diskurs um die Rückkehr eine Reflexion über die schwammigen Grenzlinien zwischen Natur und Kultur anzustoßen.
Den Abschluss des ‚Texte‘-Teils bildet Myriam Sunnens Artikel, in dem sie die ersten luxemburgischen Naturschutzmaßnahmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts argumentativ nachzeichnet und in den Kontext des nation building des Landes stellt. Den Begründungsmustern einiger luxemburgischer Öko-Pioniere folgend, zeigt Sunnen auf, wie sich ästhetische, ethische und patriotische Argumente in Naturschutzmaßnahmen und Gesetzen vor allem rund um den Vogelschutz und den Schutz von nationalem Naturerbe miteinander verwoben haben. Gerade mit dem Aufkommen von Rassenideologien Ende der 1920er-Jahre, so stellt Sunnen heraus, ist auch in Luxemburg eine problematische Nähe zwischen Heimatschutz und Naturschutz festzustellen. Ein weiterer interessanter Aspekt, den sie zum Abschluss herausstellt, ist die auffällige Vernachlässigung der Umweltverschmutzungen durch die Schwerindustrie, welcher die luxemburgischen Naturschützer wenig Beachtung schenkten. „Est-ce parce que le bassin minier était un symbol national au même titre que les sites naturels que l’on cherchait alors à protéger?“(S. 207), fragt Sunnen und wirft so erneut eine interessante Perspektive auf das Verhältnis von Natur und Technik und die Frage, wann eine bestimmte Relation zur Umwelt als problematisch, als notwendig, als erwünscht oder als gewinnbringend für die Nation eingestuft wird. Eine Frage, die Tonia Raus im nächsten Teil des Buches durch literarische Analysen weiterverfolgt.
Im letzten Abschnitt ‚Literatur und Kunst‘ analysieren Thiltges und Raus in ihren jeweiligen Beiträgen Romane luxemburgischer Schriftsteller. Während Thiltges sich auf die Untersuchung des Elementes ‚Wasser‘ und dessen Gestaltungskraft von regionalen, natürlichen und textuellen Umwelten fokussiert, befasst sich Raus mit der Literatur Jean Portantes und dessen ökopoetischen Beschreibungen der luxemburgischen Industrielandschaften und der von Erdbeben gezeichneten italienischen Stadt Aquila, seinem Herkunftsort. Thiltges verortet seine Analysen im Feld des new materialism und strebt eine poetisch-anthropologische Lesart an, die das Element Wasser in seinem kulturellen, materiellen und literarischen Kontext sowie in der Großregion verortet. Dem Ansatz des material ecocriticism zugeordnet, stellt Thiltges dar, wie Materie und Narration sich gegenseitig befruchten und eine permeable Einheit bilden. So zeigt er auf, wie sich die Schriftsteller in ihren Romanen mit verschiedenen Gewässern der Großregion, allen voran (Grenz-)Flüssen wie der Our oder der Mosel auseinandersetzen. Dabei macht er klar, dass im Gegensatz zur Erde, das Element Wasser eine dynamische, grenzüberschreitende Kraft entwickelt, denn es löst sich zwar nie ganz vom Territorium, jedoch verbindet es Menschen, Kulturen und Naturen über Grenzen hinweg und kreiert so „storied matter“ (S. 216). Diese storied matter spiegelt sich auch in Raus Interpretation Portantes Werks wider, in welchem Fiktion und materielle Realität, literarische Geschichten und die eigene (Migrations-)Geschichte gelungen miteinander verknüpft werden.
Der Sammelband wird abgeschlossen mit einem Beitrag der luxemburgischen Künstlerin Justine Blau, die einige ihrer Werke und deren mediatisierte Sicht auf Natur retrospektiv in Betracht nimmt. In ihrer Kunst spielt sie mit mediatisierten Reproduktionen von Natur, welche unsere Wahrnehmung und das Bewusstsein von Umwelt maßgeblich beeinflussen und formen. So ist sie, gerade vor dem Hintergrund aktueller Debatten um aussterbende Arten, insbesondere daran interessiert, dass es immer schwieriger wird, „to differentiate the copy from the real“ (S. 253). Dies könnte – so überlegt Blau – dazu führen, dass am Ende nur die Repräsentationen der Natur diese potenziell überleben. In ihrer Kunst experimentiert sie mit dieser Ambivalenz, indem sie Natur reproduziert, aus ihrem Kontext herausnimmt und neu herstellt. So drehen sich all ihre Arbeiten schlussendlich um die Frage, was ist Natur, wie und wodurch nehmen wir sie wahr und was bedeutet Leben und Lebendigkeit vor dem Hintergrund des Aussterbens vieler Spezies und der potenziellen künstlichen Reproduzierbarkeit derselbigen. Mit diesen zum Nachdenken anregenden Überlegungen werden die Leser*innen des Sammelbands aus der Lektüre entlassen, was sowohl den Rahmen der Großregion als auch den der rein wissenschaftlichen Betrachtungen von Natur-Kultur-Verflechtungen auf positive Weise sprengt. Diese transdisziplinäre Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, Natur, Kultur und Kunst erscheint als genau der gewinnbringende Impuls, den eine Auseinandersetzung mit aktuellen öko-sozialen Problemstellungen erfordert.
Die Fragen, die die Herausgeber*innen zu Beginn des Bandes aufgeworfen haben („Sind wir in der Großregion mit ganz besonderen ökologischen Phänomenen und Problemen konfrontiert? Existieren eigene ökokritisch relevante Darstellungen der Großregion? Und wenn ja, lassen sich hier bestimmte Motive herauskristallisieren? Kann man also womöglich von einer spezifischen großregionalen Öko-Ikonografie sprechen?“ (S. 27-28)), bleiben am Ende jedoch weitestgehend offen. Das Besondere der Region, nämlich ihr grenzüberschreitender, mehrsprachiger und multikultureller Charakter, bleiben im Hintergrund der Analysen. Zumeist verorten sich die Autor*innen zwar in der Großregion, betrachten jedoch nur nationale und teilregionale Phänomene oder vergleichen diese. Eine Analyse, die tatsächlich grenzüberschreitende Beziehungen und Aushandlungsprozesse miteinbezieht, findet sich nur in wenigen Kapiteln, so z. B. in Küppers Text über Atomenergie in der Großregion oder in Fischer-Stabel und Solte-Gressers Beitrag zu Wolfsnarrativen und deren potenziell grenzüberschreitender Ausbreitung in der Großregion. Die angesprochenen Umweltdiskurse in Verbindung mit Luxemburgs nation building, der Streit um die grenznahen französischen und belgischen Atomkraftwerke sowie die kleinen Literaturen, die sich an der regionalen Umwelt bspw. an Flüssen oder auch Industrielandschaften orientieren, vermögen es die Beiträge im großregionalen Kontext zu verorten. Andere Phänomene, wie die Wolfswiederansiedlung, die Landschaftswahrnehmung, Ökologie im Museum oder die Praktik der Waldbestattung, lassen sich auch in anderen Regionen finden und können nicht als spezifisch großregional betrachtet werden.
Eine andere Gruppierung der gesammelten Beiträge hätte zudem potenziell dazu beitragen können, andere interessantere Denklinien hervorzuheben, als die altbekannten Kategorien von Diskurs, Text und Kunst. Eine andere mögliche und zugleich unorthodoxere Aufteilung hätte, bspw. die in Leben/Tod – Landschaften/Landschaffen – Umweltwissen/Umweltschützen, sein können. Eine Nebeneinanderstellung der luxemburgischen Bestattungskulturen auf Waldfriedhöfen, der Debatten um das Leben und Sterben von Wölfen in der Großregion sowie die künstlerischen Arbeiten von Justine Blau würfen in ihrer Kombination so neue Fragen nach dem auf, was eigentlich Leben und Tod im Kontext des Anthropozäns und in einer Perspektive der ökologischen Kultur bedeuten können. Welche Verschiebungen lassen sich hier aufzeigen und was bedeutet es heute lebendig zu sein, wo fängt der Tod/das Aussterben an und wie und wann wollen wir leben und sterben? Der Beitrag von Olaf Kühne stünde wiederum in einem hervorragenden Dialog mit den literarischen Analysen von Thiltges und Raus und könnte ein neues Feld zu Fragen nach Landschaftswahrnehmung, Verhandlung und artistischer Manipulation derselbigen aufspannen. Zu guter Letzt passten die musealen Analysen von Schall, die didaktischen Reflexionen zur Atomkraft in der Großregion von Küpper sowie die historische Ideengeschichte der Luxemburger Naturschützer wunderbar in eine Reihe, denn in der Kombination ließen sie neue epistemologische Fragen aufscheinen, nach dem was Natur ist, wie sie konzipiert, valorisiert und vermittelt wird und welche Konsequenzen jedwede Art von Vermittlung hat, sei sie bildungsorientierter oder politischer Natur, wobei sich hier sowie in den Bereichen Natur und Kultur selbst immer mehr Überschneidungen aufzeigen lassen, wie es die Texte ja vortrefflich veranschaulichen.
Wenn die meisten Beiträge auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden theoretischen Ansätzen vermissen lassen und die Kulturökologie – ökologische Kulturen – Klammerung nicht gänzlich überzeugen konnte, so konnten die Autor*innen mit ihrem reichen empirischen Material und den textuell-literarischen Analysen doch ein anregendes und mannigfaltiges Bild ökologischer Fragestellungen in der Großregion aufspannen. Gerade die interdisziplinäre Vielfalt des Bandes macht es so zu einer lohnenswerten Aufgabe, sich eingehend mit den diversen Beiträgen zu befassen.