Schulze, Mario (2017): Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000. Bielefeld: transcript Verlag. Eine Rezension von Katharina Link

Museumsausstellungen (und damit einem Stück Museumsgeschichte) und deren „Antreibern“ der letzten 50 Jahre begibt. Er liefert damit einen Beitrag zur Theoretisierung des Museums aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und bietet zugleich einen Moment des Innehaltens und Rückblendens in Zeiten eines anhaltenden »Museumsbooms«, indem er kritisch nach den Bedingungen musealer Praxis fragt.

Die von Anke te Heesen und Philipp Sarasin – ihres Zeichens Koryphäen der Wissenschaftsgeschichte – betreute Studie reiht sich ein in die Diskussionen innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften über die materielle Kultur, die mittlerweile häufig unter dem Stichwort material turn summiert werden. In Zeiten der engen wissenschaftlichen Umkreisung der Dinge greift sich Schulze ein Objekt heraus, das bisher zu wenig systematisch und pointiert betrachtet wurde: das Museumsobjekt. Zugespitzt lautet Schulzes zentrale These: „Museen ändern sich, weil sich das Museumsobjekt ändert.“ (S. 15) Demnach ist der Wandel von Präsentationsstrategien in Museumsausstellungen eng mit dem Wandel des „Objektwissens“ (was ‚weiß‘ ein Objekt, S. 45), welches sich in der Verhandlung der Dinge in der „Sphäre“ der (Geistes-)Wissenschaft und der des Konsums konstituiert, verknüpft. Der Autor erkennt in Ausstellungen diskursive Praktiken, vermittels derer sich die Verstrickungen dieses Objektwissens in Theorie und Praxis untersuchen lassen. Indem er sich auf die Diskursanalyse, die historische Epistemologie, die Historizität der Dinge und die außeruniversitäre Betrachtung der Dinge bezieht, baut Schulze auf Arbeiten Foucaults, Rheinbergers, Latours und Sarasins sowie te Heesens1 auf.

Anhand des Historischen Museums Frankfurt am Main und des Werkbund-Archivs Berlin, die aufgrund ihres Quellenreichtums und ihrer Objektvielfalt das ideale Material für die Untersuchung boten (S. 27f.), werden verschiedene Fallstudien vorgestellt. Nach einer das Thema methodisch und historisch einordnenden Einleitung folgt in Kapitel II die detaillierte Analyse der sogenannten „Texttafelausstellung“ von 1972 im Historischen Museum Frankfurt. Hier wurde den Museumsobjekten kaum eine Aussagefähigkeit attestiert, weshalb sie aus der Ausstellung fast vollkommen verschwanden. Als Erklärung zieht Schulze die Etablierung der Sozialgeschichte und die Entstehung der Konsumkritik heran (S.  65-146). Im darauffolgenden Kapitel wird die überarbeitete Frankfurter Dauerausstellung von 1980 thematisiert, in der den einzelnen Objekten mehr Aussagekraft zugeschrieben wurde. Eine Erklärung liefert die »semiotische Wende« in den Geisteswissenschaften (S. 147-214). Kapitel IV wechselt zum Werkbund-Archiv und dessen Entwicklung in den 1980er Jahren. Es kommt zur Entstehung der ersten sogenannten ‚szenografischen‘ Ausstellungen. Hier sieht Schulze eine enge Verknüpfung mit den Konsumstilen des Alternativmilieus (S. 215-262). Schließlich wird in Kapitel V ein Blick auf die 1990er Jahre geworfen. Den Objekten wird nun eine Handlungsmacht attestiert. Der material turn hat seine Strahlkraft entwickelt (S. 263-311).

Indem der Autor einen interdisziplinären Ansatz wählt, gelingt ihm eine überzeugende und in ihrer methodischen Ausführung innovative Darstellung der Museums- und Ausstellungsgeschichte der letzten 50 Jahre. Das unfragliche Verdienst dieser Studie ist es, die enge Verflechtung der Bereiche Museum, (Geistes-)Wissenschaft und Konsum hinsichtlich des „Objektwissens“ einer Zeit aufgezeigt zu haben. Ein Manko stellt jedoch der verkürzte Befund der Untersuchung dar, der sich auch im Titel wiederfindet. Wenn Schulze eine Entwicklung vom »schweigenden Objekt« zum »sprechenden Ding« zwischen den 1970er und den 1990er Jahren diagnostiziert, blendet er die Vorgeschichte einer mindestens 150 Jahre alten Tradition in der Museumswelt aus: Denn bereits im 19. Jahrhundert wurde von einer Sprachfähigkeit der Dinge im Museum ausgegangen.2 So fragt Schulze am Ende zurecht danach, warum die Rede von der ‚Sprache der Objekte‘ nie ganz verstummt sei. Eine Frage, die es noch zu beantworten gilt. Denn letztlich sind es nicht nur wir, die etwas mit den Dingen tun, es sind stets auch die Dinge, die etwas mit uns tun.


Fußnoten

1 Foucault, Michel (1981): Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main: Suhrkamp; Rheinberger, Hans-Jörg (2007): Historische Epistemologie, Hamburg: Junius; Latour, Bruno (2002): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp; Sarasin, Philipp (2011): Was ist Wissensgeschichte? In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36/1, S. 159-172; te Heesen, Anke (2012): Theorien des Museums, Hamburg: Junius. 2 Deneke, Bernward (1977): Die Museen und die Entwicklung der Kulturgeschichte. In: Ders./Kahsnitz, Rainer (Hg.), Das kunst- und kulturgeschichtliche Museum im 19. Jahrhundert, München: Prestel, S. 118-132.