Melanie Hackenfort & Marion Steinicke: Workshop „Auf-Sammeln und VerWerten“, 14.–15. Juli 2017, Koblenz. Im Rahmen der Sektion „Materielle Kulturen“, Kulturwissenschaftliche Gesellschaft

Melanie Hackenfort (Ethnologie, Universität Koblenz-Landau) präsentierte in ihrem Vortrag „Eking out a Niche Existence: Reflections on the Lifeworld of Scavengers“, der durch die im Rahmen ihrer Feldforschung erstellten Fotografien veranschaulicht wurde, eine doppelte Perspektive auf die Lebenswelt sogenannter informeller Müllsammler auf den Philippinen, die einerseits ein unter gängigen hygienischen Standards fragwürdiges Leben auf den gigantischen Mülldeponien am Rande der Mega-Cities führen, andererseits aber immer wieder zu einem zugleich kreativen wie solidarischen Umgang untereinander sowie auch mit den zu Müll deklarierten Dingen finden.

Beide Vorträge beschäftigten sich auf methodisch unterschiedliche Weise mit selbst- oder fremdproduziertem Müll als lebensweltlicher Bedingtheit bestimmter Individuen oder Gruppen und konnten dabei die Relativität der Erscheinungsweisen, der sozialen Valorisierungen und semantischen Zuschreibungen von „Müll“ deutlich herausarbeiten.

Der Beitrag von Marion Steinicke (Religionswissenschaft, Universität Koblenz-Landau) „Monstra sammeln und verwerten. Von der Wunderkammer zur Menschenschau“ fragte in historischer Perspektive nach den epistemologischen Voraussetzungen für das Sammeln von Kuriositäten, zu denen in der abendländischen Tradition des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch missgebildete menschliche Wesen gezählt werden konnten. Anhand der Darstellungen von Vertretern der sogenannten Wundervölker (Riesen, Kyklopen u. a.) in unterschiedlichen literarischen und bildkünstlerischen Quellen verdeutlichte die Referentin, wie der Umgang mit diesen seit der Antike zwischen Mensch und Tier oszillierenden Wunderwesen die spätere, oftmals keinesfalls freiwillige Exhibition von Repräsentanten realer Fremdvölker als Schauobjekte beeinflusste.

Thematisiert wurden in den drei Vorträgen des ersten Workshop-Tages die Auseinandersetzung mit Repräsentationsformen des Anderen und die Grenzziehungen, die durch die Marginalisierung des fremdartig Anmutenden und den damit verbundenen Umgangsweisen zugleich eine Zuordnung von Wertem und Unwertem vornehmen resp. zu stabilisieren scheinen. Am zweiten Workshop-Tag führte Nicole Hoffmann (Erziehungswissenschaft, Universität Koblenz-Landau) in ihrem performativ in Szene gesetzten Beitrag „Vom Auf-Sammeln und Ver-Werten in der empirischen Sozialforschung“ auf anschauliche Weise die Rolle der Verdinglichung in empirischen Forschungsprozessen vor. Die mündlichen Äußerungen (z. B. Interviews), die hier zumeist den Ausgangspunkt bilden, werden durch eine Vielzahl von Aufzeichnungs- und Speichermedien immer wieder übertragen und ver-wertet. Der Vortrag machte deutlich, wie dabei der Untersuchungsprozess, der klassischerweise in einer Buchpublikation oder einer Ausstellung „realer“ Artefakte und somit in materialiter greifbaren Dingen mündet, von Diktiergerät, Block und Bleistift, Computer, USB-Sticks u. a. m. als konkrete Werkzeuge mitbestimmt wird. Indem die Referentin anhand von beschriebenen Blättern, Karteikarten und verschiedenen anderen Objekten die unterschiedlichen Phasen der Verdinglichung vor Augen führte, machte sie auf die permanenten Transformationen und Übersetzungen aufmerksam. Dass diese im Forschungsprozess selbst kaum noch kritisch hinterfragt werden, sollte – nicht nur in der empirischen Forschung – immer wieder hinreichend Anlass für eine methodische Selbstreflexion geben, die den vielfältigen Einsatz der Dinge ernst nimmt und ihnen eine keinesfalls nur passive Rolle im Untersuchungsprozess zuschreibt. Der Workshop ging mit der Präsentation und Diskussion einiger Publikationen zu Ende, die für die weitere Arbeit der Sektion „Materielle Kulturen“ und insbesondere für die Vorbereitung der Jahrestagung 2017 der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft in Gent von Interesse waren.

Im Rahmen des Workshops war die Frage nach dem Umgang mit den (auf-)gesammelten Materialien zentral. Das Verhalten dem Material gegenüber impliziert komplexe Dynamiken, die den Zugang zu ihm, die Aneignung, den Gebrauch, seine Be- und Versorgung und seine permanenten Transformationen betreffen. Damit stellen sich zugleich Fragen nach seiner Auf-Bewahrung, Ver-Wahrung oder Ent-Sorgung, wobei generell kennzeichnend erscheint, dass alle diese Phasen realiter nur schwer zu differenzieren sind, dass sie kulturell und medial geprägt erscheinen und vor allem nie in klaren Grenzziehungen zwischen Objekt und Subjekt verlaufen, sondern die dinglichen Wandlungen immer auch diejenigen affizieren, die buchstäblich in Wechselwirkung mit dem Material agieren.

Mit Dingen statt mit Menschen in Beziehung zu stehen, ist kulturell häufig negativ konnotiert. So erstaunt es nicht, dass im Fall der durch die angehäuften Massen an Dingen buchstäblich verschluckten Messis Befreiungs- und Reinigungsprozesse medial besonders effizient in Szene gesetzt werden; damit wird eine Wechselbeziehung zwischen Mensch und Ding-Welt vorausgesetzt, die letztlich auf einen Machtkampf hinausläuft: Gezeigt wird ein Leben, in dem die Dinge die Macht über den Menschen ergriffen haben, der sich ihnen hilflos ausgeliefert fühlt und aufgrund seiner mangelnden Selbstfürsorge und -verantwortung gesellschaftlich therapiebedürftig erscheint. Dieser Kampf gegen die Dinge stellt sich im Fall der informellen Müllsammler gänzlich anders dar, denn für sie bedeutet das Leben und der Zugang zum Müll die Möglichkeit, peripher am materiellen Reichtum der Großstadt teilnehmen zu können, sich damit in der urbanen Gesellschaft eine Existenz zu sichern und sich an ihren Rändern einen Lebensraum einzurichten. In beiden Fällen wird das Leben im und mit dem Müll jedoch zugleich von einem kontagiösen Bild des Mülls geprägt, das auf die Nutzer abfärbt und sie selbst zu gesellschaftlichem Abfall degradiert, wenn ihre Arbeit mit dem Material – seine Reinigung und damit einhergehende ökonomische Neu- und Wiederverwertung – nicht gelingt. Die Versuche, Menschen vor den Dingen resp. aus dem Müll zu „retten“, können sich dabei auf durchaus vielfältige Weise artikulieren, nicht zuletzt in sozialen Umsiedlungsprojekten, die generell einen kreativ-schöpferischen Umgang mit Müll-Materialien und die daraus resultierenden transformativen Energien womöglich unterbewerten. Im historischen Prozess scheint sich allgemein ein Wandel in der An-Sammlung und Konsumtion von kuriosen, „unnützen“ Dingen zu einer im Sinne der Konsumgesellschaft gezielten Ab-Wertung und Aus-Grenzung des zu Müll deklarierten Materials anzudeuten. Der Workshop verdeutlicht die von Thompson in seiner Rubbish-Theory thematisierten Transformationsprozesse, die im Verlauf ihrer Biografie die Dinge gleichermaßen wie die Menschen im wechselseitigen Gepräge durchlaufen und deren Dynamiken sich in ständigen, bewussten wie unbewussten Zuschreibungsprozessen äußern.