Gabriele Dürbeck: Narrative des Anthropozän – Systematisierung eines interdisziplinären Diskurses
Abstract: The Anthropocene concept originates from earth system sciences and conceptualizes humanity as a planetary geophysical force. It links current action-oriented time horizons to Earth historical deep time and implies non-separability of natures-cultures. The Anthropocene concept has resonated in debates in natural and social sciences, the humanities and the broader public, serving as an inter- and transdisciplinary bridging concept. Based on an analysis of numerous texts from multiple scientific disciplines and media, this contribution distinguishes five narratives of the Anthropocene: the disaster narrative, the court narrative, the Great Transformation narrative, the (bio-)technological and the interdependence narrative. The five narratives articulate very different perspectives and experiences and transport divergent political, economic, ethical and anthropological values and interests; this is also shown in alternative conceptualizations such as Eurocene, Technocene, Capitalocene or Plantationocene. The analysis reveals that the narratives share significant structural characteristics concerning story, plot, protagonists, spatial and temporal structure and action-oriented emplotment which together can be referred to a meta-narrative of the Anthropocene. Since the partly overlapping, partly contradictory narratives compete for legitimation and dominance in science and the broader public, the findings raise the question whether this struggle will stabilize or undermine the Anthropocene meta-narrative in the long run.
Keywords: disaster narrative; court narrative; the Great Transformation narrative; the (bio-)technological narrative; the posthumanistic narrative
Secondary Keywords: Anthropocene as a metanarrative; emplotment; overlapping and competing narratives
Frauke Annegret Kurbacher: Zwischen „Verwurzelung“ und „Bodenlosigkeit“. Gedanken zu einer Philosophie der Migration
Abstract: In reflecting and discussing philosophical approaches on migration (almost Flusser, but also Weil, Arendt, Kant and Waldenfels) – migration could be understood (not as an extraordinary case, but) as a ‘conditio humana’ and touches the limits and possibilities of human beings. As existential experience it is in between ‘rootedness’ and ‘groundlessness’ and has therefore also a critical potential for our views of the world and our standpoints and could enlighten them as a new form of cosmopolitanism.
Keywords: migrant, Europe, cosmopolitanism, groundlessness, rootedness, freedom
Constanze Spieß: „Deutschland muss Deutschland bleiben“1 – Sprachliche Selbst- und Fremdpositionierungsaktivitäten im Kontext politischer Äußerungen über Migration am Beispiel des Ausdrucks Leitkultur.
Abstract: Based on a dynamic, cultural-constructivist understanding of language and a multistage/multi-level methodological approach of discourse semantics, this contribution analyzes a section of selected texts concerning the migration discourse. In this context, the controversial term Leitkultur is given special emphasis. It turns out that within political discourse this term is closely linked to self-positioning and positioning others.
Keywords: Migration, populistische Strategien, Zuschreibungen, Prädikationen, öffentlich-politischer Diskurs, Selbst- und Fremdpositionierung, Leitkultur
Marie Simons & René Reith: „Bodies in Motion“ Dritte Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG), Universität Gent, 6.–18.11.2017
Charlie Chaplin kann sich nicht bewegen. Sein Körper ist in eine Maschine eingespannt, die für ihn die Nahrungsaufnahme übernimmt: Vom rotierenden Maiskolben und mundgerechten Häppchen bis hin zur Suppe, alles wird dem Versuchskaninchen Chaplin von der „Eating Machine“ angereicht und zugeführt – bis der Automat Amok läuft und den passiven Chaplin zum hilflos reagierenden Objekt degradiert. Sein Körper muss sich dem immer hektischeren Rhythmus der Maschine anpassen, es droht der Tod durch Ersticken an der Sahnetorte.
JAKOB TANNER (Zürich) nutzte die skurril-furiose Slapstick-Sequenz in seinem Eingangsvortrag „Exploited bodies, labouring heroes and human motors: visual representations of metabolism, motion and work in modern times“ und eröffnete damit leitmotivisch-humorvoll die Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG): Körper und Bewegung, Körper in Bewegung. Damit war zugleich das Sujet des dreitägigen Treffens präzise umrissen. Wo fängt Bewegung an, wo hört sie auf? Wann agiert der Körper selbstbestimmt? Aus welcher Perspektive kann über Bewegung nachgedacht werden?
„Working the Body – Graduiertentagung in Theorie und Praxis” Bericht der ersten studentisch organisierten Tagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG), Universität Hildesheim, 31.08.2017–02.09.2017
Szene 1: Auf einer hell ausgeleuchteten Bühne posieren sechs Studierende. Auf den Zuruf „Double Biceps“ spannen sie den Oberarm und präsentieren ihre Muskelstränge unter dem wachsamen Blick der Workshop-Leiterin, der Bodybuilderin Isa Fontbona-Mola.
Szene 2: Vor den Augen der TagungsteilnehmerInnen schwebt ein Tanzpaar leichtfüßig über das Parkett. Die Pailletten auf dem Kleid funkeln mit dem strahlenden Lächeln um die Wette, während sich die Körper in perfekter Zweisamkeit durch das Hildesheimer Theaterhaus bewegen – sich in Pose werfen, zur Figur erstarren, nur um in die nächste Drehung, die nächste Schrittfolge zu wechseln.
Szene 3: In dem improvisierten Wrestling-Ring der Kulturfabrik Löseke, Hildesheim, stehen sich die Frankfurter Wrestler „Maggot“ und „Carsten Crank“ gegenüber, angetan mit engen Spandexhosen. Unter dem Jubel von Studierenden und ProfessorInnen setzt „Crank“ zum fatalen „Armlock“ an, hält seinen Gegner „Maggot“ einen Moment lang im Würgegriff, bevor der sich triumphierend befreit und seinen Ring-Kontrahenten mit einem „Bodyslam“ zu Boden wirft.
Melanie Hackenfort & Marion Steinicke: Workshop „Auf-Sammeln und VerWerten“, 14.–15. Juli 2017, Koblenz. Im Rahmen der Sektion „Materielle Kulturen“, Kulturwissenschaftliche Gesellschaft
Melanie Hackenfort (Ethnologie, Universität Koblenz-Landau) präsentierte in ihrem Vortrag „Eking out a Niche Existence: Reflections on the Lifeworld of Scavengers“, der durch die im Rahmen ihrer Feldforschung erstellten Fotografien veranschaulicht wurde, eine doppelte Perspektive auf die Lebenswelt sogenannter informeller Müllsammler auf den Philippinen, die einerseits ein unter gängigen hygienischen Standards fragwürdiges Leben auf den gigantischen Mülldeponien am Rande der Mega-Cities führen, andererseits aber immer wieder zu einem zugleich kreativen wie solidarischen Umgang untereinander sowie auch mit den zu Müll deklarierten Dingen finden.
Beide Vorträge beschäftigten sich auf methodisch unterschiedliche Weise mit selbst- oder fremdproduziertem Müll als lebensweltlicher Bedingtheit bestimmter Individuen oder Gruppen und konnten dabei die Relativität der Erscheinungsweisen, der sozialen Valorisierungen und semantischen Zuschreibungen von „Müll“ deutlich herausarbeiten.
Schulze, Mario (2017): Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000. Bielefeld: transcript Verlag. Eine Rezension von Katharina Link
Museumsausstellungen (und damit einem Stück Museumsgeschichte) und deren „Antreibern“ der letzten 50 Jahre begibt. Er liefert damit einen Beitrag zur Theoretisierung des Museums aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und bietet zugleich einen Moment des Innehaltens und Rückblendens in Zeiten eines anhaltenden »Museumsbooms«, indem er kritisch nach den Bedingungen musealer Praxis fragt.
Gamper, Michael/Mayer, Ruth (Hrsg.) (2017): Kurz & Knapp. Zur Mediengeschichte kleiner Formen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bielefeld: transcript (= Edition Kulturwissenschaft; 110). Eine Rezension von Jonas Meurer
In einer Gegenwart technischer wie sozialer Beschleunigung und fortschreitender Digitalisierung werden auch die medialen und kulturellen Formen und Formate kleiner, kürzer und knapper, um schneller produziert, distribuiert und rezipiert werden zu können. So weit, so banal – und nur die halbe Wahrheit, wenn man die Vorgeschichte dieser Entwicklung außer Acht lässt. Genau hier setzt der Band Kurz & Knapp. Zur Mediengeschichte kleiner Formen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart an, der auf eine Tagung an der Leibniz-Universität Hannover im Juli 2015 zurückgeht und nun von Michael Gamper und Ruth Mayer in der Reihe Edition Kulturwissenschaft bei transcript herausgegeben wurde.