Portraits: PD Dr. Stefan Herbrechter

Unsere Reihe Portraits zeigt Facetten der Kulturwissenschaften in ihren Personen und Institutionen. Kulturwissenschaftler*innen stellen pointiert sich und ihre Sicht auf die Kulturwissenschaften vor.

 

Name: Stefan Herbrechter

Anbindung: Privatdozent (Anglistisches Seminar, Universität Heidelberg). Principal Lecturer in Cultural Analysis (Leedstrinity University – 1997-2007). DAAD und DFG Mercator Professor für Anglistik und Cultural Studies (Heidelberg – 2007-2009, 2011-2012). Reader in Cultural Theory (Coventry University – 2009-2014).

Fach/Disziplin: English literature, media and cultural theory

 

1. Was sind Ihre kulturwissenschaftlichen Interessensgebiete?

Während meines PhDs am Centre for Critical and Cultural Theory in Cardiff (1994-1997)  gab es eine kleine Gruppe von Postgrads, die an der theoretischen Ausrichtung eines “critical posthumanism” arbeiteten (darunter Neil Badmington, Ivan Callus, Manuela Rossini und ich). Wir lasen Lyotards The Inhuman und Kate Hayles’ How We Became Posthuman, Donna Haraway usw. Neil veröffentlichte dann den ersten “Reader” zum Thema Posthumanismus und ich brachte 2009 des erste deutsche Buch – Posthumanismus. Eine kritische Einführung – heraus, quasi zeitgleich mit Cary Wolfes What Is Posthumanism? “Kritisch” ist dieser Posthumanismus in dem Sinne, dass er die poststrukturalistische Humanismuskritik unter den in Punkt 2 genannten Bedingungen weiterdenkt. Es geht also um die Wiederaufnahme von Fragen wie: Was war “der” Mensch? Was “ist” Technik? Wie wird Zukunft “konstruiert”?

 

2. Was verstehen Sie unter Kulturwissenschaften?

Als ich in den 1990ern anfing, “media and cultural studies” in England zu unterrichten waren die Inhalte bestimmt durch Raymond Williams’ “anthropologischer” Definition von Kultur als “a way of life” und durch Stuart Halls Ansatz basierend auf poststrukturalistischer Theorie (“French Theory”) und einem Fokus auf (Medien-)Darstellung (die sogenannte “politics of representation”). Seit dem neuen Jahrtausend spätestens ist dieses Modell und damit auch die cultural studies in der Krise, weil sich sowohl der Kultur- als auch der Medienbegriff grundlegend verändert und erweitert (und in gewissem Sinne “deanthropozentriert”) hat. Einerseits hat die zunehmende Autonomisierung der Technik und die Intensivierung der Tier- und Umweltproblematik einen humanistischen Kulturbegriff unmöglich gemacht, andererseits wird durch die “neuen und sozialen Medien” der liberale Gesellschaftsbegriff in Frage gestellt. Das Ganze vor dem Hintergrund zunehmend “globaler” Probleme verursacht durch den ökonomischen Liberalismus und seiner Biopolitik und den Klimawandel. Wenn es also noch so etwas wie “Kulturwissenschaften” gibt, dann müssen sie sich vor diesem Hintergrund neu legitimieren.

 

3. Sind Sie „offiziell“ Kulturwissenschaftler*in? Wie ist an Ihrer Institution Kulturwissenschaft vertreten bzw. organisiert? Gibt es ein eigenständiges Fach?

Ich würde mich eher als Kulturtheoretiker (“cultural theorist”) bezeichnen – auf diesen Zusatz bei meiner “venia legendi” in Anglistik hatte zumindest die Habilitationskommission in Heidelberg bestanden.

 

4. Worin sehen Sie die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Richtung Universität und in Richtung Gesellschaft?

Kann man diese beiden wirklich noch so differenzieren – die Universität und die Gesellschaft? Unter einem neoliberalen Regime gibt es weder “die” Universität, noch gibt es “die” Gesellschaft. Das wäre also ein Ansatz für zeitgemässe “Kulturwissenschaften”: was kommt “nach” der Universität als sozialer Institution für eine “Gesellschaft”, deren Solidaritätsprinzip ausser Kraft gesetzt worden ist, deren Überreste sich jedoch massiven globalen und existenziellen Herausforderungen gegenüber sehen? Das Ganze hat mit (humanistischer, sozialer usw.) “Bildung” natürlich nicht mehr viel zu tun und lässt sich auch nicht mehr in “Disziplinen” oder “Fächer” pressen. Und es lässt sich vor allem nicht entpolitisieren…

 

5. Was wünschen Sie sich für die Kulturwissenschaften? Welche Potenziale sehen Sie?

Ich glaube “Kulturwissenschaften” haben nur eine Relevanz und eine Zukunft, wenn sie sich von ihren anthropozentrischen und institutionellen Vorgaben lösen können. Die ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen waren nie grösser und sie werden sich weiter intensivieren. Wie schafft man z.B. einen Minimalkonsens, um globale Aufgaben anzugehen, in einer Welt, in der “westliche” Werte (liberale Demokratie, religiöse Toleranz, Meinungsfreiheit, Minderheitenrechte, Mobilität, “Menschen-, Tier- und Umwelt-Rechte”, usw.) zunehmend als Teil des Problems und nicht als Teil einer Lösung angesehen werden (und das zunehmend auch in “westlichen” Gesellschaften selbst)? Wie verhält “man” sich zu einer Technik, die immer autonomer, “intelligenter” und immer invasiver wird? Um solche Fragen anzugehen, müssen sich die Kulturwissenschaften von morgen ziemlich viel “fachfremdes” Wissen aneignen und übergreifend kooperieren.