Rosa, Hartmut (2018): Unverfügbarkeit. Reihe: Unruhe bewahren. Wien, Salzburg: Residenz Verlag; 136 S. ISBN: 978-3-7017-3446-7.

Bei seiner Dresdner Rede am 9.02.2020 äußerte sich Hartmut Rosa zu einer „wachsenden Aggressionshaltung“ der Menschen, unter anderem in Politik und Natur (Großmann 2020). Hierbei ging es natürlich, gerade in der sächsischen Landeshauptstadt, auch um Wutbürger, und genauso blieb der jüngste thüringische Wahlkampf nicht unerwähnt. Mit Bezug auf beide Regionen und vor allem durch den Gebrauch des Schlagwortes ‚Wutbürger‘ versucht Rosa an aktuelle politische Debatten anzuschließen. Ob ihm das in seiner jüngsten Veröffentlichung gelingt, und inwiefern er darin plausible Erklärungs- oder Lösungsansätze zur Thematik liefern kann, soll hier betrachtet werden.

Hartmut Rosas Essay Unverfügbarkeit wurde Ende 2018 beim Residenz Verlag herausgegeben und liegt mittlerweile in 6. Auflage vor. Auf 136 Seiten schließt er an das deutlich umfangreichere Vorgängerwerk Resonanz von 2016 an, worin der Soziologe, der an den Universitäten Jena und Erfurt lehrt, seine umfassende „Theorie der Weltbeziehung“ darlegt.

In Unverfügbarkeit nun konzentriert sich seine Arbeit auf einen Aspekt des von ihm beschriebenen vierteiligen Resonanzereignisses. Jenes „Moment der Unverfügbarkeit“ bedeute, dass das Resonanzerleben, nach dem wir uns alle sehnen würden, nie willentlich herzustellen oder auch zu verhindern sei (vgl. Rosa 2018, 43-44). Diese Eigenschaft der Resonanz laufe dem aktuellen Bestreben spätmoderner Gesellschaften entgegen, alles verfügbar, kontrollier- und greifbar zu machen. Da beides zusammen nicht möglich sei geriete hier ein Grundbedürfnis des Menschen mit einer essenziellen Funktionsweise des kapitalistischen Systems derart aneinander, dass beide derzeit in unauflöslichem Widerspruch gefangen seien. Zu bemerken sei dies daran, dass sich immer mehr Menschen von ihrer Arbeit, ihren Mitmenschen, und allgemein von der ‚Welt um sie herum‘ entfremdet fühlten. Hieraus würden „in immer neuen Varianten Wutbürger [Hervorhebung im Original]“ (Rosa 2018, 46) entstehen. Rosa versucht in seinem Essay an wenigen Stellen mit solchen Bemerkungen an aktuelle gesellschaftliche Diskurse anzuschließen, führt sie jedoch nicht weiter aus. Somit bleibt es bei zurückhaltenden Hinweisen darauf, dass er mit seiner Theorie auch Erklärungen für momentane politische Problemstellungen liefern könnte.

Es wird im Verlauf des Textes immer wieder betont, dass es sich hierbei erst einmal um Überlegungen, Ideen und Forschungsansätze handelt. Dementsprechend sind einige der Thesen auch (noch) nicht vollkommen ausgereift, und manche Aussagen unzureichend belegt. Beispielsweise schreibt er, dass „[b]iografisch-narrative Interviews […] fast immer von weichenstellenden Resonanzerfahrungen strukturiert [würden], die biografische Wendepunkte markieren“ (Rosa 2018, 51). Hierfür wird aber kein Beleg in Form einer Statistik oder ähnlichem gegeben, es bleibt eine Behauptung.

In Resonanz stellt Rosa die These auf, dass das, was uns zu einem glücklichen Leben und für eine gut funktionierende Gesellschaft fehle, gelingende Beziehungen seien. Als Resonanz bezeichnet er hierbei einen Beziehungsmodus, indem sich die Beteiligten gegenseitig anregen und verändern. Wir würden uns nach einem Gefühl der Verbundenheit mit der Welt um uns herum, mit Objekten wie Menschen sehnen. Diese Verbundenheit versuchten Menschen des Globalen Nordens seit rund 300 Jahren dadurch zu erlangen, dass sie immer mehr „Welt“ eroberten, nicht nur im Sinne von Landmassen, sondern bezogen auf alle Gesellschaftsbereiche (vgl. Rosa 2018, 14). Beispielsweise seien die Wissenschaften darauf aus, alles verfügbar zu machen. Sie wollten das uns Umgebende und uns selbst bis ins kleinste Detail erforschen und analysieren, bis wir über jegliches ‚Wiss-bare‘ verfügten, es kein einziges Geheimnis mehr gebe und wir somit alles in unseren Besitz gebracht hätten, was es über unsere Welt zu erfahren gibt.

Mit diesem Vorgehen säßen wir jedoch einem Trugschluss auf, denn über mehr zu verfügen würde uns (entgegen unserer Hoffnung) weder glücklicher noch zufriedener machen. Im Gegenteil verlören wir dadurch sogar die Möglichkeit, in ‚echte‘, verwandelnde Beziehungen zu treten. Denn worüber man uneingeschränkt verfüge, davon könne man nicht mehr resonant berührt werden.

Dieses Verfügbarmachen von Welt geschehe auf verschiedenen Wegen, einerseits durch Mobilität und Erschließung auch weit entfernter Erdteile beziehungsweise der Möglichkeit, theoretisch jeden Flecken auf dem Planeten erreichen zu können. Andererseits entstehe Reichweitenvergrößerung durch den Erwerb immer neueren Wissens, zum Beispiel der Kenntnis über alle erdenklichen biologischen Zusammenhänge, bis in die kleinste Zelle hinein; oder auch der Verfügbarmachung lange vergangener Zeiten mit Mitteln der Archäologie (vgl. Rosa 2018, 17-19).

Methodologisch tritt der Essay von zwei Seiten an seinen Untersuchungsgegenstand heran: Einerseits wird anhand des Lebensverlaufes eines Menschen Station für Station das Unverfügbare im Alltäglichen aufgespürt. Anhand dieser Untersuchung von „Alltagshandeln“ (Rosa 2018, 46) sollen Missstände des großen Ganzen aufgezeigt werden. Überhaupt ist das gesamte Buch durchzogen von lebenspraktischen Beispielen, anhand derer die größeren soziologischen Zusammenhänge belegt werden sollen. Sie machen das Thema über ein Fachpublikum hinaus anschlussfähig. Gleichzeitig wird der ersten Perspektive des Individuums jene der Gesellschaft gegenübergestellt. An dieser Stelle geht es dem Autor darum, herauszuarbeiten, wie das Projekt der Verfügbarmachung „strukturell“ (Rosa 2018, 99) in die Gesellschaft eingebaut ist.

Die Einleitung des Essays, in der Rosa anhand des Schneefalls vorführt, was er mit Unverfügbarkeit meint, wurde vom Feuilleton vielfach aufgegriffen; keine Rezension kommt ohne die Erwähnung dieses Beispiels aus. Da sich mit diesem meteorologischen Ereignis zahlreiche literarische Größen philosophisch befasst haben, wird hier an einen bestehenden literarischen Diskurs angeschlossen, was bereits auf den stilistischen Charakter des gesamten Textes hindeutet. Dieser ist gut lesbar geschrieben, und das auch für Leser*innen ohne weitere soziologische Vorbildung, die sich für philosophisch-gesellschaftswissenschaftliche Themen interessieren. Teilweise geht dieser Umstand zu Lasten der wissenschaftlichen Präzision, ermöglicht aber weniger fachspezifisch Informierten einen Einstieg in den Gegenstandsbereich.

„[U]nser[] Weltverhältnis[]“, genauer gesagt das Weltverhältnis „spätmoderner Subjekte in den Zonen, die der sogenannten ‚entwickelten westlichen‘ Welt zugerechnet werden“ (Rosa 2018, 12-13), ist dann der zentrale Untersuchungsgegenstand des Textes. Beginnend wird die Leitthese aufgestellt, dass für diese Subjekte „die Welt […] zum Aggressionspunkt geworden“ sei (Rosa 2018, 12). Wir würden aufgrund institutioneller und kultureller Zwänge alles im Leben als eine Art Herausforderung oder sogar als Gegner verstehen, die oder den es dann zu erobern und zu bezwingen gelte. Rosa gibt hierfür zahlreiche lebensweltliche Beispiele, unter anderem auf unser Verhältnis zum eigenen Körper bezogen. In diesem Bereich stünden wir unter permanentem Verbesserungsdruck und alles, was wir an unseren Körpern wahrnehmen, erscheine uns als eine Aufforderung daran zu arbeiten.

In diesem Verhalten meint der Soziologe eine „Strategie der Verfügbarmachung“ (Rosa 2018, 20) zu erkennen. Dieser gehe es nicht darum, „Weltausschnitte […] erreichbar zu machen“, sondern das Ziel sei vielmehr, sie (immer besser) „verfügbar zu haben“ (Rosa 2018, 20). Zwischen Erreichbarem und Verfügbarem besteht für ihn ein bedeutender Unterschied. Dieser wird deutlich, wenn Rosa ausführt, dass Objekte und Subjekte zwar erreichbar sein müssten – denn wenn dies nicht möglich wäre, wären wir von vornherein frustriert, weil es gar keine Aussicht auf die Herstellung einer Beziehung gäbe. Sie dürften aber nicht fortwährend verfügbar sein. Alles, was dauerhaft zur Verfügung stehe, verliere paradoxerweise seinen ‚Reiz‘ und damit komme uns die Möglichkeit abhanden, eine wirkliche Beziehung dazu herzustellen (vgl. Rosa 2018, 67-68). Deshalb spricht der Autor von einer „Halbverfügbarkeit [Herv. i. O.]“ (Rosa 2018, 64), die nötig sei, um Resonanz zu ermöglichen.

Das wesentliche Problem unserer gegenwärtigen Gesellschaftskonstellation sieht der Soziologe dann auch im „Grundkonflikt[] zwischen dem Bestreben, Welt verfügbar zu machen, und dem Verlangen, mit ihr in Resonanz zu treten“ (Rosa 2018, 68). Beide Kräfte arbeiteten in uns und würden jeweils Verschiedenes begehren.

Jener genannte Vorgang des Verfügbarmachens bestehe bei genauerer Analyse aus vier Teilen: dem „Sichtbar-, Erreichbar-, Beherrschbar- und Nutzbarmachen von Welt“ (Rosa 2018, 23). Besonders hervorzuheben ist, dass diese vier „Momente“ (Rosa 2018, 23) institutionalisiert seien. In grundlegenden Bereichen der heutigen Gesellschaft (Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Justiz sowie Politik) sei die Idee, alles zu beherrschen, fest verankert. Allerdings arbeitet der Autor heraus, dass das „Programm der Verfügbarmachung von Welt“ (Rosa 2018, 25) nicht aufginge, und sich zudem ins Gegenteil verkehre. Statt wie erhofft mehr zu besitzen, verlören wir also an Zugriff auf die Welt (vgl. ebd.). Dies rufe folglich Frustration hervor.

In einem kleinen Exkurs über die Gründerfiguren der Soziologie versucht Rosa, mit deren Theorien die Bedeutung seines Themas für das Fach allgemein herauszustellen. Bei Marx, Weber, Simmel, Durkheim sowie in der Literatur der Moderne und auch bei Hannah Arendt meint der Autor „die Grundangst der Moderne“ wiederzufinden: als „Entfremdung statt Anverwandlung“ bei Marx, „Verdinglichung statt Verlebendigung“ bei Adorno und Lukács, und bei Weber in Form der „Entzauberung statt Beseelung“ (Rosa 2018, 34).

Des Weiteren nennt er die Depression beziehungsweise das Burn-Out, bei denen „alle Resonanzachsen verstummt“ (Rosa 2018, 33) seien, als aktuelle Zeichen für die Weltentfremdung der westlichen Gesellschaft. Hierzu führt er jedoch nicht eine gestiegene Anzahl diagnostizierter Fälle an, sondern das große Interesse auch derjenigen an diesen Erkrankungen, die nicht betroffen sind. Demnach werde es als realistische Bedrohung eingeschätzt, an einer Depression zu erkranken.

Weshalb die Untersuchung der Thematik derzeit relevant sei, wird damit erklärt, dass man nicht nur aus „sozialphilosophischer“, sondern auch aus „politische[n] und lebenspraktische[n] Gründen einen Gegenentwurf zur Erfahrung der Entfremdung“ (Rosa 2018, 34) benötige. Jene lebenspraktischen Anlässe werden vielfältig im Text dargelegt. Politische Gegebenheiten hingegen, welche einen Gegenpol zur Entfremdung notwendig machen, werden nur oberflächlich angesprochen, zum Beispiel in Form von Aussagen wie dieser:

Von einer antwortenden Stimme erreicht und gemeint zu werden und umge-kehrt die eigene Stimme nicht hörbar zu machen, sondern als wirksam zu er-leben: Das ist eine […] menschliche Grunderfahrung, sie gehört […] zu der Glücksverheißung der Demokratie – wenn sie denn im Modus des Hörens und Antwortens und nicht in der Art des Niederschreiens und Taubstellens praktiziert wird. (Rosa 2018, 40)

Leider belässt es der Autor bei solchen eher indirekten Hinweisen auf aktuelle politische Herausforderungen und bleibt hier die gut nachvollziehbaren Beispiele schuldig, die er in Bezug auf Alltagsphänomene anführt.

Es läge sehr nahe, und man erwartet es, dass der studierte Politikwissenschaftler an diesen Stellen konkret Bezug auf Pegida, AfD, den Rechtsruck in Europa und weiteren Teilen der Welt nimmt. Sich dazu nicht zu positionieren ist unter den aktuellen Umständen verwunderlich, zumal sein Text sich explizit auf die Suche nach den Gründen für gesteigerte Wut und Hass der Menschen macht. Hartmut Rosa könnte einen wertvollen Beitrag leisten und aufzeigen, aus welchen eventuell tief verwurzelten systemischen Missständen an der Oberfläche sichtbar werdende politische Probleme resultieren. Nämlich, seiner Theorie nach, in einer im Einzelnen verankerten Denkweise und einer Herangehensweise an das Leben allgemein, und nicht nur dort wo die Probleme in gesamtgesellschaftlichen Konflikten offen zutage treten.

Bevor er seine Überlegungen über Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit vollends zur Untersuchung ausbreitet, resümiert der Wissenschaftler noch einmal die grundlegenden Aussagen seines Resonanz-Werkes, um zu zeigen, weshalb es angebracht ist, gerade diesen Punkt noch eingehender zu betrachten (vgl. Rosa 2018, 35).

Der Resonanzprozess bestehe aus vier Teilschritten. Erstens müsse ein Mensch sich von etwas angesprochen fühlen, es müsse ihn innerlich „berühren“ (Rosa 2018, 38). Daraufhin könne er eine „eigene, aktive Antwort“ (Rosa 2018, 39) aussenden, die auch etwas bei dem Subjekt oder Objekt bewirke, welches ihn angesprochen hatte. Durch diese zwei ersten Vorgänge, die Rosa als „Affizierung“ und „Emotion“ bezeichnet (Rosa 2018, 42), komme es drittens dazu, dass man nachhaltig verändert sei, oder in Rosas Worten: „verwandel[t]“ (Rosa 2018, 41). Nur dieser Dreischritt bringe die Resonanz als „Beziehungsmodus“ (Rosa 2018, 38) hervor, wohingegen ein bloßes In-Besitz-nehmen des (wie auch immer gearteten) Gegenüberstehenden zu einer „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ (Rosa 2018, 42) führe.

Hinzu kommt außerdem, dass ein Wesen, das Resonanz erfahren möchte, einerseits zwar „offen genug“ für eine Berührung von außen sein müsse, gleichzeitig aber auch „geschlossen genug“, um eine eigene Antwort formulieren zu können (Rosa 2018, 42). Damit gehört die Möglichkeit, selbstwirksam zu agieren, untrennbar zum Resonanzereignis dazu.

An vierter Stelle des Prozesses stehe nun das titelgebende „Moment der Unverfügbarkeit [Herv. i. O.]“ (Rosa 2018, 43), denn eine Resonanzerfahrung sei nicht willentlich herstellbar – und ebenso nicht aktiv zu verhindern. Sie sei eben nichts, was man auf Knopfdruck produzieren könne. Es ist zwar möglich, beispielsweise für einen Urlaub alle denkbaren Komponenten zu kontrollieren – man kann eine Reise in die Gegend mit den meisten Sonnenstunden pro Jahr buchen, ebenso das Hotel mit den allerbesten Bewertungen und überhaupt das ‚Rundum-sorglos-all-inclusive-Paket‘ – aber wie es dann vor Ort wirklich ist, ob einen die Gegend ‚anspricht‘, man mit sympathischen Menschen in Kontakt kommt oder ob man sich mental wirklich von der Arbeit distanzieren und spürbar erholen kann, das ist nie hundertprozentig sicherzustellen. Resonanz sei „ergebnisoffen“ (Rosa 2018, 44). Dadurch stehe sie im Konflikt mit unserer Gesellschaft, die Steigerung durch Kontrolle erreichen wolle.

Werbung beispielsweise funktioniere so, dass „unser Beziehungsbegehren in ein Objektbegehren [Herv. i. O.] übersetzt“ (Rosa 2018, 45) werde. Sie schüre in uns die Vorstellung, wenn wir uns dieses oder jenes kauften und daraufhin komplett darüber verfügten, dann würden wir uns dadurch erfüllt fühlen. Da diese Erfüllung und Zufriedenstellung im erhofften Maß aber nie eintreffe, gehe das Spiel immer weiter. Weil das mit Resonanz nicht möglich sei, welche aber ein Grundbedürfnis des Menschen darstelle, passten System und persönliches Bedürfnis hier fundamental nicht zusammen. Dies sei der „Grundwiderspruch [Herv. i. O.]“ des westlichen, kapitalistischen Gesellschaftszustands, und er brächte immer wieder „Wutbürger“ hervor (Rosa 2018, 46). An dieser Stelle erwartet die*der Leser*in erneut geradezu, dass weitere Ausführungen folgen. Es bleibt aber offen, was genau der Autor unter Wutbürgern versteht, oder wen konkret er damit meint.

Im Folgenden, der genaueren Untersuchung von Unverfügbarkeit gewidmeten Abschnitt des Buches möchte Hartmut Rosa diesen Grundwiderspruch an Beispielen unseres Alltags vor allem dort aufzeigen, wo wir ihn nicht vermuten. Durch diese Untersuchung von alltäglichen Vorgängen wolle er Missstände des großen Ganzen aufzeigen, bezüglich unserer Beziehung zur Natur und des „politischen und subjektiven Selbst- und Weltverhältnisses“ (Rosa 2018, 46). Des Weiteren möchte er Lösungsansätze für unseren gesamtgesellschaftlichen Entfremdungszustand finden. Dafür betrachtet er die Relation der einander gegenüberstehenden Bedürfnisse von „Resonanzbegehren und Verfügbarkeitsverlangen“ (Rosa 2018, 46).

Auf den weiteren Seiten des Buches stellt der Soziologe fünf Thesen über die „Verfügbarkeit der Dinge und [die] Unverfügbarkeit der Erfahrung“ (Rosa 2018, 48) auf, vollzieht eine genauere Betrachtung des Grundwiderspruchs der Moderne anhand des Nachverfolgens eines menschlichen Lebenslaufes in „sechs Stationen“ (Rosa 2018, 71)  und widmet sich der Aufdeckung dessen, wie der von ihm benannte Grundkonflikt der Moderne in die Struktur unseres Gesellschaftssystems eingebunden ist. Abschließend gelangt er zu dem Fazit, dass aufgrund unseres Bestrebens, immer noch mehr verfügbar zu machen, das bekämpfte Unverfügbare letzten Endes „als Monster“ (Rosa 2018, 124) wiederkehre. Beispielsweise geschehe das in Form eines PCs, der streikt, und auf dessen Problem wir gar keinen Zugriff haben können, da uns seine eigentliche Funktionsweise weitestgehend unbekannt ist. Oder, in der schlimmsten Ausprägung, als radioaktive Strahlung, welche uns dadurch beschert werde, dass wir eines der kleinsten Teilchen unserer Welt beherrschbar und somit für unsere Zwecke verfügbar gemacht haben (vgl. Rosa 2018, 129-130). Wenn das Unverfügbare vormals die Möglichkeit auf ein resonantes Verhältnis geboten habe, so sei das mit dem zurückgekehrten Unverfügbaren nicht mehr möglich. Genau das mache es so monströs und nun unbeherrschbar. Das untergrabe unser Gefühl von Selbstwirksamkeit und lasse uns sozusagen vollkommen ‚auflaufen‘. Wer sich durch eine solche Erfahrung ohnmächtig gegenüber der Umwelt fühle, entwickle Wut (vgl. Rosa 2018, 125). Ebenso entstehe Angst, zum Beispiel aus dem Umstand, dass soziale Dinge wie die Gestaltung des eigenen beruflichen Lebensweges sich als weniger kontrollierbar erwiesen als noch vor 50 Jahren (vgl. Rosa 2018, 125-126). Da wir trotz dessen für unsere Entscheidungen und deren Ergebnisse verantwortlich gemacht würden, entwickelten wir eine gesteigerte Furcht davor, etwas vermeintlich falsch zu machen.

Hartmut Rosa legt mit Unverfügbarkeit eine weitere soziologisch begründete Analyse der Moderne und ihrer Probleme vor. Ähnlich wie Thomas Piketty, Ulrich Beck, Gerhard Schulze und viele andere versucht er, treibende Kräfte und zugrundeliegende Missstände unserer Gesellschaft zeitdiagnostisch auf ein einzelnes Phänomen zurückzuführen. Er positioniert sich dabei gegen den Optimierungszwang und die zunehmende Entfremdung der Menschen von ihrer Lebenswelt, welche zustande komme in einem westlichen kapitalistischen System, das verspreche, jedem alles zugänglich zu machen, was er*sie sich wünscht. Die Resonanztheorie, mit der der Autor den negativen Entwicklungen unserer Zeit etwas entgegensetzen will, war eine viel rezipierte Veröffentlichung, die auch über den deutschen Sprachraum hinaus Beachtung fand. Die weiterführenden Überlegungen seines neuen Werkes schließen sinnvoll daran an, sind jedoch ersichtlich noch Ideen in Bearbeitung. Rosa hat einen Aspekt der Resonanzerfahrung näher untersucht, der ihm maßgebend zu sein scheint, um die Probleme unserer Gesellschaft, auch im Hinblick auf aktuelle politische Entwicklungen, zu begreifen. Eine mutigere, präzisere und politisch klarer positionierte Weiterentwicklung dieser Ideen ist wünschenswert. Zudem stellt sich sein Ansatz als einseitig fokussiert auf eine westliche kapitalistische Gesellschaft dar, während die von ihm angeführten Auswirkungen dieses Wirtschaftssystems weltweit zu beobachten sind (vgl. Brosius 2019).

In diesem Band schließt Rosa an seine vorherigen Gegenwartsdiagnosen an und schreibt diese fort. Es scheint ein Merkmal des Genres zu sein, tautologisch vorzugehen, denn wie die freie Publizistin Andrea Roedig bemerkt, „komm[e] bei Zeitdiagnosen als Ergebnis [oft] hinten das heraus, was vorne als These schon eingespeist wurde“ (2017, o.S.). Treffender könnte man die Beschaffenheit des Essays von Rosa nicht formulieren. Theoretische Annahmen und Beobachtungen aus der Lebenswelt scheinen sich gegenseitig zu stützen, es fehlt der Arbeit aber in ihrer Gesamtheit an Evidenz. Für viele Thesen, die aufgestellt werden, gibt es kaum wirkliche wissenschaftliche Belege, kaum quantitative Untersuchungen oder ähnliches, mit denen der Soziologe seine Theorie fundieren könnte. Trotzdem geht sie auf und es passt alles zusammen, klingt auch oftmals schlüssig. Das liegt einerseits daran, dass er mit vielen lebensnahen Beispielen arbeitet, in denen sich die*der Leser*in wiederfinden kann. An einigen Stellen untermauert er seine Annahmen und Beobachtungen auch mit Studien, so zum Beispiel, wenn er vom gesteigerten Interesse an Depression und Burn-Out spricht (vgl. Rosa 2018, 36, Fußnote 14). Häufig fehlen solche Belege jedoch. Dann werden nur Beispiele alltäglicher Erfahrungen angeführt, die ‚gefühlt‘ viele Menschen in unserer Gesellschaft gerade machen. Somit bleibt der Essay leider oftmals im Bereich des Affektiven, was unter anderem dazu führt, dass Aussagen anschlussfähig sind für randständige politische Seiten. So wurde Unverfügbarkeit vom Rezensenten der „Sezession“ als gut vereinbar mit rechtsgerichteten Gedanken aufgenommen (vgl. Seidel 2019, o.S.).

Abschließend ist zur eingangs aufgeworfenen Frage nach der realpolitischen Anwendbarkeit von Rosas Überlegungen zu sagen, dass er seine Theorie im Konkreten eher in Interviews, Vorträgen und Reden weiterentwickelt, wenn er explizit dazu befragt wird. Dort bezieht er sie in einigen Fällen mehr auf aktuelle politische Themen (vgl. Jantschek 2019). Im Buch selbst positioniert er sich hingegen kaum. Der Essay muss in Interviews und Vorträgen weitergedacht und sein Inhalt auf konkrete gesellschaftliche Themen angewandt werden.

Insgesamt ist aber festzuhalten, dass Unverfügbarkeit eine verschriftlichte Station in Rosas Denkprozess darstellt, und keine umfassende Theorie, wie es in Resonanz der Fall ist. Man könnte dem Band vorwerfen, etwas ungenau und teilweise vage zu sein. Dabei würde man jedoch außer Acht lassen, dass es sich hier um einen Essay handelt, der dem Autor gewisse Freiheiten in der Gestaltung und auch die (gekennzeichnete) Niederschrift noch nicht vollständig ausgereifter Überlegungen erlaubt. Abgesehen davon bietet dieser gut lesbare Text dem interessierten Laien oder Studierenden einen überschaubaren Einstieg in Rosas Theorie und Gedankengänge, die in weiterführender Literatur vertieft werden können.

Primärliteratur

Rosa, Hartmut (2018): Unverfügbarkeit. Reihe: Unruhe bewahren. Wien, Salzburg: Residenz Verlag.

Sekundärliteratur

Brosius, Alexa (2019): Unverfügbarkeit. Hartmut Rosa stellt sich seinen Kritikern. In: Flensburger Tageblatt: https://www.shz.de/lokales/flensburger-tageblatt/ unverfuegbarkeit-hartmut-rosa-stellt-sich-seinen-kritikern-id26657177.html. 11.12.2019 (letzter Zugriff: 12.03.2020).
Großmann, Karin (2020): Wie sich die Wut erklären lässt. In: Sächsische.de: https://www.saechsische.de/plus/wie-sich-die-wut-erklaeren-laesst-dresdner- reden-hartmut-rosa-5170929.html. 10.02.2020 (letzter Zugriff: 12.03.2020).
Jantschek, Thorsten (2019): Woher kommt eigentlich die Wut der Wutbürger? Hartmut Rosa im Gespräch mit Thorsten Jantschek. In: Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/fragen-an-den-soziologen-hartmut-rosa-woher-kommt. 990.de.html?dram:article_id=437565. 05.01.2019 (letzter Zugriff: 04.03.2020).
o. Vf. (2020): Dresdner Reden 2020. Staatsschauspiel Dresden: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/a-z/dresdner_reden_2020/. (Letzter Zugriff: 04.03.2020).
Roedig, Andrea (2017): Die wunderbare Wünschelrute. In: Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/zeitdiagnostik-die-wunderbare- wuenschelrute.1184.de.html?dram:article_id=391667. 27.08.2017 (letzter Zugriff: 04.03.2020).
Seidel, Jörg (2019): Hartmut Rosa. Unverfügbarkeit. In: Sezession: https://sezession.de/61258/hartmut-rosa-unverfuegbarkeit. 01.06.2019 (letzter Zugriff: 19.12.2019).