Portraits: Prof. Dr. Nicole Maruo‑Schröder
Unsere Reihe Portraits zeigt Facetten der Kulturwissenschaften in ihren Personen und Institutionen. Kulturwissenschaftler*innen stellen pointiert sich und ihre Sicht auf die Kulturwissenschaften vor.
Name: Nicole Maruo-Schröder
Anbindung: Universität Koblenz-Landau, Institut für Anglistik und Amerikanistik
Fach/Disziplin: Amerikanistik
1. Was sind Ihre kulturwissenschaftlichen Interessensgebiete?
Ich forsche u.a. in den Gebieten Material Culture Studies (Konsumobjekte und -praktiken in amerikanischer Literatur), Esskulturen/Food Studies und Visual Culture (v.a. zeitgenössischer Hollywoodfilm). Ich finde es spannend, wie in und mit (alltags-)kulturellen Phänomenen z.B. Wertvorstellungen verhandelt, vermittelt und auch hinterfragt werden können.
2. Was verstehen Sie unter Kulturwissenschaften?
Unter Kulturwissenschaften (Cultural Studies) verstehe ich die kritische, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Kultur, ihren Repräsentationsformen und ihren Praktiken u.a. mit dem Ziel zu verstehen, wie Kultur und die in und mit ihr verankerten Sichtweisen, Normen, Werte und Ideologien konstruiert, inszeniert und perpetuiert werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den vielfältigen Machtrelationen und -gefügen (z.B. im Hinblick auf gender, race, class, sex, age, disability), die u.a. über die Art und Weise der Teilhabe, der Inklusion und Exklusion bestimmen.
3. Sind Sie „offiziell“ Kulturwissenschaftler*in? Wie ist an Ihrer Institution Kulturwissenschaft vertreten bzw. organisiert? Gibt es ein eigenständiges Fach?
Schwerpunkt in meinem Studium waren die American Studies, ein Gebiet, in dem schon sehr lange die ‘amerikanische’ Kultur disziplinenübergreifend bearbeitet wird. Die Denomination meiner Professur lautet “Cultural Studies”, und ich bin im Institut für Anglistik und Amerikanistik angesiedelt, die anglophone Kulturwissenschaft ist hier also zentral verankert. Ich fülle die Professur mit einem Fokus auf die American Studies aus und unterrichte sowohl in der Literatur- als auch Kulturwissenschaft. Gleichzeitig bin ich assoziiertes Mitglied im Institut für Kulturwissenschaften. In den dort angebotenen Studiengängen (BA/MA) lehre und betreue ich ebenfalls. Ich schätze es sehr, dass ich mich in Koblenz in verschiedenen Kontexten bewegen und forschen kann.
4. Worin sehen Sie die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Richtung Universität und in Richtung Gesellschaft?
Ein Großteil meiner Studierenden ist in Lehramtsstudiengängen eingeschrieben, und mein Ziel ist es, sie für die kritische Auseinandersetzung mit Kulturen, Texten (im weitesten Sinne) und Praktiken zu interessieren und diese ernst zu nehmen. Für mich ist es wichtig, von der veralteten Vorstellung von “Landeskunde” als Schulthema wegzukommen – Kultur und ihre Wissenschaft ist doch so viel mehr als Faktenwissen über Klima, Land und Leute. Gerade für angehende Lehrer*innen ist es wichtig, über ihren Tellerrand (und ihr Fach) zu blicken und dies auch ihren Schüler*innen zu vermitteln. Englischunterricht hat daher nicht nur zum Ziel Sprachwissen und -fähigkeit zu vermitteln, sondern sollte die Möglichkeit bieten kritisch und von verschiedenen Standpunkten aus auf die Vielfältigkeit anglophoner Kulturen zu blicken, was dann auch einen ganz anderen, selbstkritischen Blick auf die eigene Kultur und Identität ermöglicht.
5. Was wünschen Sie sich für die Kulturwissenschaften? Welche Potenziale sehen Sie?
Schön wäre es, wenn die Kulturwissenschaften mit dazu beitragen könnten, wegzukommen von dem an unsere Universitäten herangetragenen Ruf nach immer mehr Praxisbezug und konkretem Nutzen der Studieninhalte, sowie dem Denken, dass Studienerfolg allein anhand von Leistungspunkten und Regelstudienzeit kalkuliert werden kann. Das (Nach)Denken und die (kontroverse) Diskussion über so fundamentale Dinge wie Kulturen, Gesellschaften, unsere Identität oder das ‘Menschsein’ sind enorm wichtig, und zwar auch für andere Fächer und Disziplinen. Die Kulturwissenschaften sind ein idealer akademischer Ort hierfür, der zudem in die Gesellschaft hineinwirken kann. Ich würde mir auch mehr Selbstbewusstsein und Sichtbarkeit von Kulturwissenschaftler*innen für diese Sache wünschen. Allerdings wäre dafür auch wissenschaftspolitische Unterstützung (z.B. von der DFG) nötig.